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Neuntes Kapitel.

Pedro winkte José zu, der sich immer wieder nach ihm umdrehte; bis die beiden Reiter nur noch als Pünktchen am Horizont zu sehen waren, blieb Pedro stehen und sah ihnen nach. Ein Räuspern ließ ihn plötzlich zusammenfahren. Seine Augen kreuzten sich mit dem schlau blinzelnden Blick des alten Francos, der sich hinter ihm niedergelassen hatte und ihn schon die ganze Zeit über beobachtete.

Unwillkürlich legte sich ein Schalten über Pedros Gesicht: er hatte die Gegenwart eines Menschen vergessen, der in seiner Nähe weilte. Das war ihm seit langem nicht mehr passiert!

Pedro steckte sich etwas umständlich eine Zigarette an und nahm dann die Beschäftigung wieder auf, in der ihn der Besuch der Geschwister unterbrochen hatte. Langsam ließ er sein Lasso durch die Hände gleiten; er besserte die schadhaften Stellen daran aus.

Seine Gedanken gingen zurück. Drei Wochen weilte er nun schon auf der Fazenda. Zweimal in dieser ganzen Zeit nur hatte er die Weiden verlassen und war zum Hof geritten, um Proviant für sich und Franco zu holen.

Das letzte Mal begegnete er Almares, der stutzte, als er ihn sah. Im ersten Augenblick wußte Almares nicht, daß es Pedro war; dann aber ging ein Erkennen über sein Gesicht. Freundlich und ein wenig herablassend hatte er ihn angeredet und nach allerlei gefragt. Bescheiden hatte Pedro seinem Herrn Auskunft gegeben: Daß es ihm gut gehe, er sich bei Franco eingearbeitet habe und sich nach keiner anderen Tätigkeit sehne.

Als aber Almares an den schwarzen Hengst herantreten wollte, den Pedro nun ständig ritt, hatte dieser bösartig nach ihm ausschlagen wollen. Erst ein Zuruf von Pedro bewirkte, daß der Hengst sich ruhig verhielt; doch konnte man klar sehen, daß er Almares Nähe nur unwillig duldete. Auf die Frage, welchen Namen er dem Hengste gegeben, antwortete Pedro zögernd: »Black Night!«

Pedro wußte nicht, daß Almares erstaunt war, daß er ihn nicht um einen anderen Posten bat, und es ihm demnach bei Franco zu gefallen schien.

Franco war ein alter, weit in der Welt umhergekommener Weidereiter, der schon in Henrique Almares' Vaters Diensten gestanden hatte. Keiner von den übrigen Leuten auf der Fazenda konnte sonst mit ihm auskommen: er war ein Tyrann.

Hätte Pedro offen sagen müssen, wie er und Franco mit einander auskämen, wäre er in Verlegenheit geraten; denn es war kein freundschaftliches Zusammenarbeiten zwischen ihnen, eher ein gegenseitiges Dulden. Nur in einem fanden sie sich: in der gemeinsamen Schweigsamkeit.

Wieder ließ ein Räuspern Pedro hochsehen und seine Arbeit unterbrechen. Noch immer sah ihn der Alte aufmerksam an. Wollte er gar etwas von ihm? Pedro schaute ihn fragend an, doch Franco ließ sich in seiner eifrigen Betrachtung Pedros nicht stören. Kopfschüttelnd nahm Pedro sein Lasso wieder zur Hand. Er wußte nicht, daß Franco ihm auf seine Art schon Zeichen eines großen Wohlwollens entgegen gebracht hatte. Daß Pedro den Hengst gezähmt und dadurch vor dem sicheren Tode gerettet und somit wiederum Luiza Kummer erspart hatte, rechnete er ihm hoch an. Luiza hatte der Alte fest in sein Herz geschlossen, hatte er sie doch schon als Kind auf den Knien gewiegt. Diese Tat Pedros, die ihm auch zugleich Hochachtung vor seinem Pferdeverstand abrang, sprach für Pedro; dafür sah er ihm vieles nach; zum Beispiel, daß Pedro schon zweimal am Abend fortgeritten war, um erst am späten Morgen wiederzukommen.

Franco hatte sich wohl gemerkt, wie abgehetzt ›Black Night‹ gewesen war. Zunds, das hätte ein anderer Cowboy wagen sollen! Doch Pedro –! Noch mehr schärfte sich der beobachtende Blick des Alten. Irgend etwas Besonderes war an dem Jungen, so viel meinte Franco schon festgestellt zu haben. Daß er Strapazen und manches Abenteuer hinter sich hätte, glaubte der alte Menschenkenner bestimmt zu wissen. – Teesammler wollte Pedro gewesen sein? Nun gut – die machten viel durch, doch da war noch etwas anderes an dem Jungen, und das interessierte den Alten höllisch. Zum Beispiel: verteufelt niedrig hing Pedros Halfter, in dem sein Revolver steckte. Auch in dieser Gegend war es für jeden Mann gut, eine Waffe bei sich zu haben; aber entweder war es eine alte Flinte, oder der Revolver steckte fein im Gürtel. So tief trug aber nur einer seinen Revolver, der damit umzugehen verstand und wußte, daß von der Lage seines Revolvers, und wie schnell er ihn herausbekam, sein Leben abhängen könnte. Seit heute interessierte Pedro ihn noch mehr, und das war so gekommen.

Der kleine Senhor José schien gleichfalls einen Narren an diesem Pedro gefressen zu haben, denn öfter war er schon hierher gekommen, und sein Besuch hatte ausschließlich Pedro gegolten. Dieser lehrte dem Knaben das Lassowerfen, und José war beglückt, schon einige Erfolge damit zu erzielen. Doch heute war Luiza mitgekommen. Ab und zu besuchte sie Franco draußen, und der Alte zählte diese Tage des Jahres zu seinen schönsten.

Zuerst schien es auch, als ob Luiza nur zu ihm gekommen wäre; aber schon bald war sie seiner Erzählung über die hier zu hütenden Pferde und deren neuen Nachwuchs nicht mit gewohnter Aufmerksamkeit gefolgt. Immer öfter waren ihre Augen zu José und Pedro abgeschweift; und schließlich trat sie, ohne ihm eine Antwort auf seine letzte Frage zu geben, von ihm fort und wandte sich mit einer Frage an Pedro. Erstaunt und ein wenig gekränkt, hatte ihr Franco nachgeblickt. Dann war er ihr zögernd gefolgt und hatte nun nur noch den schweigsamen aber aufmerksamen Beobachter gespielt.

So hatte er gesehen, daß Pedro erst nur widerwillig aus Luizas Fragen antwortete, später aber um so beredter wurde, um sich schließlich nur noch ihr zu widmen. Auch José merkte diese Vernachlässigung seitens seines Freundes; er schlenderte, etwas verstimmt, wie Franco zu bemerken meinte, fort und ging zu den Pferden.

Doch Franco blieb; er setzte sich in ihrer Nähe hin und hörte, was Pedro zu erzählen hatte. Pedro sprach von einem fremden Lande, von dem Lande, aus dem Luizas Eltern stammten. Eine andere Tierwelt ließ er vor ihr erstehen; er sprach von Eichenwäldern, von großen Wüstenstrecken, wo das Auge nichts anderes sah als blühenden, purpurnen Salbei. Auch große Gebirge schilderte er, die aber nicht wie hier, schroff und unwirtlich waren, sondern liebliche Hänge besaßen. Er sprach von dem Leben und den Leuten dort.

Schon längst saß José wieder bei ihnen und folgte Pedros Erzählung mit wachsendem Interesse. Pedro sprach leise, und eine ferne Sehnsucht klang aus seinen Worten. Er sah niemanden an, nur ab und zu fanden sich seine und Luizas Augen, die ihn unverwandt anblickten.

Als er endlich schwieg, herrschte noch längere Zeit Stille. Dann erhob sich Luiza; als erwache sie aus einem Traum, so sah sie um sich. Schweigend hatte sie sich verabschiedet, und Franco beobachtete eifersüchtig, daß ihre Hand länger in Pedros ruhte, als in seiner.

Jetzt saß er hie, anstatt Notwendigeres zu tun, und beobachtete Pedro. Was für Gedanken mochten wohl hinter dieser Stirn verborgen sein? Franco hätte seinen liebsten Besitz – einen handgestickten Tabaksbeutel, den er von Luiza bekommen – hingegeben, wenn er damit hinter Pedros Gedanken gekommen wäre. Doch nichts war in diesen regungslosen Zügen zu lesen. Endlich gab Franco das Gedankenraten auf; er ging, um ein Feuer anzumachen und darauf die Abendkost zu bereiten.

*

Zwei Tage später trug ›Black Night‹ seinen Herrn der Fazenda zu. Meistens ließ Pedro dem Hengst die Zügel, und dieser stürmte in wilder Freude, seine eigenen Kräfte messend, mit ihm dahin. Doch heute, je näher sie der Fazenda kamen, um so langsamer zwang Pedro ihn zu gehen.

Die kleinen Ohren von ›Black Night‹ spielten hin und her; er ersehnte das Signal, vorwärts stürmen zu dürfen; doch diesmal hatte sein Herr kein Auge für seine Wünsche. Pedro bemerkte nicht ›Black Nights‹ beinahe nervöse Ungeduld; seine Augen verfolgten den Flug eines weißen Habichts, der hoch oben in den Lüften seine Kreise zog. Plötzlich schoß er herab; Pedro verhielt ›Black Night‹; atemlos verfolgte er die Jagd. Da – nur Sekunden verflossen, der Habicht flog wieder auf, und in seinen Fängen hielt er die erjagte Beute. Höher, immer höher stieg er, um dann in majestätischem Fluge dem Gebirge zuzueilen.

Anerkennend nickte ihm Pedro nach; er ließ ›Black Night‹ wieder weitergehen. Doch bald weilten Pedros Gedanken nicht mehr bei diesem Abenteuer, das er beobachtet hatte.

Ernstes mußte es sein, was ihm durch den Kopf ging, denn eine nachdenkliche Falte stand ihm zwischen den Augen. Plötzlich spitzte ›Black Night‹ die Ohren; aufmerksam stellte er sie hoch; er hörte sich angeredet.

»›Black Night‹, heute mußt Du mir beweisen, daß ich mich auf Dich verlassen kann.«

Stolz warf ›Black Night‹ den kleinen, edlen Kopf in den Nacken, als wolle er seinem Herrn bestätigen, daß er unbedingt zuverlässig sei.

Jetzt hatten sie den Rotholzwald erreicht, dessen Grenze an den Hof der Fazenda stieß. Hier sprang Pedro vom Pferde; rings herum stand dichtes Unterholz. Einen Augenblick überlegte er, ob er ›Black Night‹ an einen der Bäume binden solle; dann unterließ er es aber doch.

»Eine Probe für Dich, mein Edler,« hörte man Pedro murmeln. »Wir wollen sehen, aus was für Händen Du stammst.«

Damit fuhr seine Hand abschiednehmend über ›Black Nights‹ weiches Maul, und mit leichten, vorsichtigen Schritten entfernte er sich.

Mit klugen Augen schaute ›Black Night‹ seinem Herrn nach, machte aber keine Anstalten, ihm zu folgen. Tief seinen Kopf gesenkt, sodaß die Zügel lang am Boden schleiften, blieb er regungslos stehen, als wisse er genau, was Pedro von ihm verlange.

Vorsichtig pirschte sich Pedro immer näher an die Fazenda heran. Dann schlug er einen Haken, sodaß er nicht auf den Hof gelangte. Er hielt sich vielmehr im Walde und trat erst aus dem Walde, als er den hinter dem Hause angelegten Garten erreicht hatte.

Nun schien sich seine Vorsicht zu verdoppeln; jedes Gebüsch und jeden Baum im Garten nahm er wahr, um sich vorwärts schleichend dahinter zu verbergen.

Endlich tauchte das Haus vor ihm auf; noch langsamer schlich sich Pedro jetzt näher. Einmal blieb er lauschend stehen; sein Ohr erreichte ein perlendes Lachen, das so hübsch klang, daß er betroffen seinen Kopf hob. Doch gleich darauf setzte er seinen Weg fort.

Pedro war sich bewußt, daß er sich hier vielleicht einer unnötigen Gefahr aussetze; doch wollte er die Gäste sehen, von denen ihm José vorgestern bei seinem letzten Besuch erzählt hatte.

Noch bevor Senhora Luiza zu ihm getreten war, hatte José plötzlich gesagt: »Nun wird es eine Zeit dauern, Pedro, ehe ich wiederkomme.«

Auf eine Frage von ihm hatte José geantwortet: »Wir erwarten Besuch. Senhor Ordonez und seine Frau kommen öfter im Jahr zu uns, um Pferde und Rinder zu kaufen.« Dann hatte José gezögert, ehe er weitersprach. Seine Hand auf Pedros Arm gelegt, hatte er flüsternd gesagt: »Ich vertraue Euch, Pedro, darum will ich Euch sagen, daß weder meine Schwester noch ich uns auf diesen Besuch freuen. Es sind keine netten Menschen!« hatte er auf einmal leidenschaftlich ausgestoßen, und seine schwarzen Augen hatten sich noch dunkler gefärbt: »Sie meinen es nicht aufrichtig!«

Pedro, der dem Gefühl des Knaben, der seinem Alter weit voraus war, vertraute, hatte ihn leise um Gründe gefragt. Doch José war darauf verstummt, und Pedro ging schnell auf ein anderes Thema über; aber diese kleine Episode hatte er dennoch nicht vergessen.

Nun trennten Pedro nur noch vier Schritte vom Hause, niemand war zu sehen; nur verschwommen klingende Stimmen vernahm er. Er duckte sich; in blitzschnellen Sätzen schnellte er dann vorwärts, um, an die Wand des Hauses gepreßt, stehen zu bleiben. Einen Augenblick verhielt er sich ruhig und abwartend, ob sein Näherkommen entdeckt worden war; doch als sich nichts regte, und die Stimmen weiter sprachen, glitt er der Veranda näher. Ein Fenster derselben stand halb offen, und er hörte eine fremde Männerstimme so leise fragen, daß nur ein so scharfes Gehör, wie er es besaß, es draußen vernehmen konnte: »Nach Pambu soll es also in zehn Tagen gehen?«

Zögernd und bedenklich klang die Frage. Das schien man auf der Veranda auch zu bemerken; denn eine fremde Frauenstimme, die Pedro nicht kannte, deren Wohllaut ihn aber aufhorchen ließ, antwortete ein wenig spöttisch dem Fragenden: »Habt Ihr etwas dagegen, Capitão?«

Eine Gegenfrage antwortete ihr ausweichend: »Seid Ihr nicht erstaunt gewesen, daß ich heute hier so plötzlich auftauchte?«

Eine andere Männerstimme, Pedro ebenfalls unbekannt, aber sympathisch, antwortete jetzt: »Gewiß! Doch wir dachten, es wäre Zufall.«

»Zufall –? Nein, Senhor Ordonez!« ein leises Lachen klang auf. »Unsereins macht nichts aus Zufall. Vor einigen Tagen, als ich mit meiner Truppe auf einer Übung unterwegs war, traf ich Almares, der mir von Eurem zu erwartenden Besuch erzählte. Da ich seit längerer Zeit nicht die Ehre hatte, von Euch zu hören,« Pedro schien es, als klänge die Stimme ein klein wenig ironisch, »war mein Eintreffen hier heute kein Zufall. Ich habe Euch etwas sehr Wichtiges mitzuteilen!« schloß er ernst.

Wiederum antwortete ihm die sympathisch klingende Stimme: »Dann danken wir Ihnen für Ihr Kommen! Bitte, sagen Sie uns schnell, was Sie uns mitzuteilen haben, bevor unser Gastgeber zurückkehrt.«

»Gut, Senhor Ordonez!« hörte Pedro. Gedämpft sprach der andere weiter, sodaß sich Pedro anstrengen mußte, das Folgende zu verstehen, »Vor einem Monat wurde mein junger Offizier abgelöst. Statt seiner trat ein anderer bei mir an, er heißt Paulo de Viera. Dieser kam mit einer merkwürdigen, schriftlichen Order. Es hieß darin, es bestände die Möglichkeit, daß in nächster Zeit hier ein Mann auftauchen könnte, der mir einen Ausweis, ausgestellt vom Präsidenten, vorweisen würde. Ich erhielt nun den Befehl, mich und meine Truppe diesem Manne zu unterstellen. In dem geheimen Schreiben wurde der Mann – ›der reitende Tod‹ genannt.«

Dasselbe hübsche Lachen, das Pedro schon einmal hatte aufhorchen lassen, klang auf.

»Um Gottes Willen!« rief eine dunkle Frauenstimme spöttisch. »Wie entsetzlich!«

»Senhora Mercedes, ich würde die Sache ernst nehmen, denn dieser Mann ist zur Vernichtung der Silvabande ausgeschickt. Bedenkt, ein einziger Mann! Ich meine, die Sache ist ernst genug zu nehmen.«

»Wie ängstlich seid Ihr Männer doch immer gleich! – Ich nehme das nicht so ernst, Capitão; so etwas nenne ich vermessen! Ihr scheint Miguel de Silva immer noch nicht recht zu kennen; schallend lachen würde er, wenn er von Eurem ›reitenden Tod‹ hörte! Ich sage Euch – und das mit Recht – laßt Euren geheimnisvollen Mann nur kommen! Der wird Miguel de Silva nicht gefährlich werden!« Triumphierend klang die Antwort der Frau.

Pedro stand regungslos; keine Muskel in seinem Gesicht verzog sich.

»Wir danken Euch für Eure Mitteilung!« Pedro erkannte die ruhige Stimme Senhor Ordonez'. »Wir dürfen doch weiter auf Euer freundschaftliches Interesse rechnen, Capitão? Ihr werdet es nicht zu bereuen haben; Miguel de Silva ist denen, die ihm helfen, stets ein großzügiger Freund.«

Pedro konnte die kleine Verbeugung nicht sehen, mit der Capitão Carrasco Ordonez' Worte aufnahm. Er wußte jetzt, daß er hier eine unerhört interessante Unterhaltung belauschte, die ihn leicht in eine recht bedenkliche Situation bringen konnte, wenn einer von den Dreien dort oben seiner gewahr wurde. Trotzdem ging ein Lächeln über sein Gesicht; er dachte an einen, der mehr als einmal sein Glück, immer im richtigen Augenblick zu kommen, gepriesen und der einst gesagt hatte, daß dieses persönliche Glück manchmal mehr wert sei, als tausendfältiger Mut.

Ein Name, der jetzt fiel, ließ ihn wieder aufmerken.

»Wie weit seid Ihr eigentlich mit der kleinen Luiza, Capitão? Wann kann man Euch gratulieren?«

»Senhora Luiza weicht mir aus, wo sie kann, Senhora Mercedes, und immer ist dann auch der kleine, verwöhnte José bei ihr.«

»Dann muß man wohl einmal Schicksal für Euch spielen, Capitão. Es ist für uns von größtem Interesse, den reichen Almares fest an uns zu binden, und das wäre erreicht, wenn Ihr sein Schwiegersohn würdet, lieber Capitão.«

Pedro hörte ein heftiges Rücken mit dem Stuhl und leise, sporenklirrende Schritte sich aus der Veranda entfernen.

»Was hat Senhor Ordonez?«

Ein kleines niederträchtiges Lachen ertönte. »Capitão,« höhnte die Frauenstimme »da ist einer eifersüchtig.«

»Alexandre d'Ordonez und Luiza Almares?!«

»Keine Angst, Capitão, das würde unser hochmütiger Freund Almares niemals gestatten. Darum laßt Euch den guten Rat geben und lüftet Almares Euer Interesse, das Euch mit uns verbindet, nicht allzu sehr, jedenfalls nicht eher, bevor Ihr sein Schwiegersohn seid. Ihr könntet sonst unangenehme Überraschungen erleben.

»Ich glaube unsern Gastgeber ganz gut zu kennen. Was er tut, meint er verantworten zu können, aber seine Kinder sind ihm unantastbar.«

»Ich danke Euch für Euren Rat, Senhora Mercedes. Der Gedanke, Alexandre d'Ordonez zum Nebenbuhler zu haben, macht mich lachen –! Nein, das ist nicht richtig ausgedrückt, Senhora, die Sache mit der kleinen Luiza wird dadurch nur noch reizvoller für mich.«

»Wie Ihr es aufzufassen beliebt, Capitão,« gleichgültig klang ihre Stimme. »Vorsicht, dort kommt unser Gastgeber!«

Pedro sah es jetzt an der Zeit, sich zurückzuziehen. Das geschah ebenso langsam und vorsichtig, wie vordem das Anschleichen, und doch wäre er dabei beinahe entdeckt worden.

Durch die bleichen Gänge der Pappeln im Garten schritt Luiza direkt auf das Gesträuch zu, hinter dem sich Pedro versteckt hielt. An ihrer Seite ging ein Mann, den Pedro nicht kannte. Er hielt unwillkürlich den Atem an; was mochte wohl geschehen, wenn man ihn hier entdeckte? War es nicht, als blicke Luiza schärfer her, oder irrte er sich?

Kurz bevor sie das Gebüsch umgehen mußten, blieb Luiza stehen und wandte sich an den Mann, der keinen Blick von ihr ließ.

»Eine Bitte, Senhor Ordonez!« hörte Pedro sie sagen. »José ist weit hinter uns geblieben; wollt Ihr ihn suchen und ins Haus schicken, ich gehe schon voran.«

»Gern, Senhora Luiza.«

Pedro sah Ordonez sich entfernen. Er war ein nicht allzu großer, sehr schmächtiger Mann, der ein feines, kluges Gesicht hatte. Trotzdem Pedro wußte, daß er zu dem berüchtigten Bandenführer Miguel de Silva gehörte, konnte er doch nicht eine gewisse Sympathie für diesen Mann unterdrücken.

Als Ordonez nicht mehr zu sehen war, drehte Luiza sich um und ging entschlossen auf das Gebüsch zu. Pedro richtete sich auf und stand Luiza gegenüber. Sie erschrak nicht sondern sah ihn voll an; dann ging sie an ihm vorüber, als ob sie ihn nicht gesehen hätte.

Besorgnis und Heiterkeit spiegelten sich zu gleicher Zeit in seinem Blick wider, mit dem er ihr nachsah. Dann eilte er aus dem Garten; den Hengst fand er noch genau an der gleichen Stelle stehen, an der er ihn verlassen hatte.

Leise lobend auf ihn einsprechend, schwang er sich in den Sattel, und nachdem sie den Wald hinter sich gelassen, bekam ›Black Night‹ seinen Willen; Pedro ließ ihm die Zügel frei. Wie von der Sehne geschnellt schoß er mit seinem Herrn davon.

*

Gedankenschwer schritt Luiza die Stufen zum Haus empor. Hatte sie richtig gehandelt, Pedro nicht zur Rede zu stellen, was seine Anwesenheit im Garten bedeuten sollte? Einem unwiderstehlichen Instinkt hatte sie im Augenblick gehorcht, doch jetzt überfielen sie Zweifel. Mußte sie nicht ihrem Vater davon sofort Mitteilung machen, daß Pedro, den sie bei Franco auf der Weide wähnten, sich hier im Garten heimlich versteckt hielt? Welcher Grund mochte ihn hierher geführt haben?

Als Luiza ins Haus trat, war sie sich darüber klar, daß sie ihrem Vater diese Begegnung nicht vorenthalten dürfte. Mit diesem Vorsatz trat sie auf die Veranda hinaus, wo sie außer Henrique Almares noch Senhora Ordonez und Capitão Carrasco vorfand.

Eine Wolke des Unmuts zog über ihre Stirn, und als sie Carrascos Blick begegnete, schauerte sie unwillkürlich zusammen.

Capitão Carrasco, der Kommandant von Floresta, kam in jedem Monat einmal auf die Fazenda zu Besuch. Er hatte keinen Zweifel über den Zweck seines häufigen Kommens gelassen, offen widmete er sich vorzugsweise Luiza. Ihr Stiefvater neckte sie öfter mit diesem hartnäckigen Verehrer, doch Luiza erklärte ihm, keinen Mann zu kennen, der ihr unsympathischer und unwillkommener mit seinen Aufmerksamkeiten gewesen wäre, als Carrasco. Wenn sie ihn ansah, stieg immer der Vergleich mit einem seine Beute beschleichenden Fuchs in ihr auf. Viel lieber war ihr da noch Ordonez' stille Verehrung.

Um nicht dem Gast ihres Vaters gegenüber unhöflich zu sein, mußte Luiza den Stuhl annehmen, den ihr der Capitän neben sich hinstellte. Er begann auch sofort ein Gespräch mit ihr. Luiza machte es ihm wirklich nicht leicht; wenn Carrasco etwas erzählte, bestritt sie es. Fand sie noch eben etwas im Gespräch schön, und bestätigte er es, behauptete sie sofort das Gegenteil. Sie benahm sich launisch und anspruchsvoll; dabei beobachtete sie ihn, hoffend, daß er einmal die glatte Maske abreißen und ihr energisch entgegentreten würde. Aber nichts schien ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen; höflich stimmte er ihr stets bei, und wenn es auch noch der größte Unsinn war, was sie behauptete. Diese Art, mit ihr umzugehen, machte ihn in ihren Augen verächtlich.

Zu ihrer Erleichterung kam jetzt Ordonez auf die Veranda, der José glücklich gefunden hatte. Ein allgemeines Gespräch entstand, an dem sich nur Almares und Senhora Ordonez nicht beteiligten.

Mit Besorgnis sah Luiza, daß ihr Stiefvater wieder einmal nur Augen für diese Frau besaß.

Als sich später alles trennte, um sich in einer Stunde zum Abendbrot wieder zu treffen, fand Luiza ihren Vater an der Treppe, die nach oben führte. Sie glaubte noch leichte, enteilende Schritte zu vernehmen.

»Vater,« bat sie verlegen, »ich habe Dir etwas mitzuteilen. hast Du einen Augenblick Zeit für mich?«

Ungeduldig sah er auf sie nieder: »Ist es wichtig?« Gereizt klang seine kurze Frage.

Unsicher geworden sah ihn Luiza an: »Wichtig? Ja – nein, das weiß ich nicht genau, Vater.«

»Dann hat es wohl Zeit.« Mit diesen Worten verließ er die kleine Halle und ging in sein Zimmer, dessen Tür er hinter sich schloß.

Luiza wandte sich um und ging langsam nach oben; eine Falte grub sich zwischen ihre Augen. Nun gut, dann würde sie ihm eben nichts von ihrer Entdeckung erzählen, dachte sie trotzig.

So wurde Pedros Geheimnis gehütet.


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