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Drittes Kapitel.

In seiner Amtsstube im großen New Yorker Polizeigebäude saß Jim Jefferson seinem Freunde und alten Kollegen Vicente Orfila gegenüber.

Jefferson war der Typ eines New Yorker Polizeimannes; groß und breitschultrig, sein Gesicht wirkte fast eckig. Er war unauffällig gekleidet, Orfila wirkte fast wie ein Stutzer gegen ihn, mit seinem schwarzen Anzug und den weißen Gamaschen um die Schuhe.

Mit ausgezeichneter, südländischer Höflichkeit hatte Orfila Jefferson begrüßt. Nun saß er schon eine geschlagene Stunde ihm gegenüber und unterhielt Jefferson von allem möglichen.

Nur mit Mühe unterdrückte der ein Lächeln. Er kannte den guten Orfila, diesen mit allen Hunden gehetzten Fuchs. Daß der etwas Bestimmtes auf dem Herzen hatte, darüber wäre Jefferson die tollste Wette eingegangen. Doch er tat Orfila nicht den Gefallen, ihn nach dem eigentlichen Zweck seines Kommens zu fragen; er ließ ihn zappeln.

In Gedanken überlegte er sich, wovon sie nun eigentlich noch sprechen könnten. Die interessantesten Fälle in der letzten Zeit hatten sie kurz gestreift, das Befinden der gegenseitigen, lieben Familie war erörtert worden. Über das Amt und den Beruf im allgemeinen und besonderen hatten sie einmütigst geschimpft.

Aha, ein rettender Gedanke, das Wetter war noch nicht durchgesprochen worden. Gerade wollte sich Jefferson auf dieses Thema stürzen, als Orfila ihm lächelnd abwehrte.

»Lieber, alter Freund, laßt nur, Ihr habt ja längst durchschaut, daß mein Kommen einen bestimmten Zweck hat.«

Erleichtert atmete Jefferson auf; endlich, nun kam der Gute doch zum eigentlichen Zweck seines Hierseins.

Erwartungsvoll sah er ihn an und bot ihm eine seiner Zigarren aus der guten Kiste an, die er nur bei besonderen Gelegenheiten hervorholte; im allgemeinen tat es bei ihm auch seine geliebte Pfeife.

Doch Orfila dankte, er nahm aus einem zierlichen Etui eine Zigarette und steckte sie an. Verächtlich sah Jefferson auf dieses Dingelchen herab, um sich mit um so größerem Wohlbehagen eine Brasil in den Mund zu stecken.

»Jefferson, habt Ihr hier in New York schon von Miguel de Silva oder, wie er im Volksmund genannt wird, dem ›Laternenpfahl‹ gehört?«

Bedächtig nickte Jefferson.

»Gewiß haben wir das! Der macht Euch wohl höllisch zu schaffen?«

Vielleicht klang ein wenig Schadenfreude aus der Antwort des Amerikaners, denn ihn traf ein schneller Blick unter Orfilas Augenlidern hervor.

Doch Jefferson dachte im Augenblick an die Südländischen Zeitungen und ihre Randglossen über das Gangsterunwesen, das für die Nordamerikanische Polizei mitunter ein Kampf gegen Windmühlen war; und es war für ihn eine gewisse Genugtuung, auch einen Fall zu wissen, gegen den seine südländischen Kollegen kämpften, ohne den Gegner fassen zu können.

»Woher kommt eigentlich der Name ›Laternenpfahl‹?«

»Woher so ein Name kommt, lieber Jefferson; der Mutterwitz des Volkes gebiert ihn. Bei einem Bankraub hat Silva draußen stehend, mit einer Laterne bewaffnet, seinen Leuten geleuchtet, die im Hochparterre arbeiteten. Er ist so groß, daß es ohne Schwierigkeit geht. – So schlug er dann zwei Fliegen mit einer Klappe. Er hielt einerseits Wache, während seine Fachleute für Geldschrankknacken drinnen ungestört arbeiten konnten, und spendete ihnen andererseits noch Licht bei ihrer Arbeit.«

Um Jeffersons Mund lag ein kleines, anerkennendes Lachen.

»Und nun sagen Sie mir noch eins: ist Miguel de Silva sein richtiger Name?«

»Nein! Silva stammt aus einer altadeligen Familie, die ihn wegen einer Jugenddummheit fallen ließ. Er geriet darauf auf abschüssige Bahnen. Daher stammt wohl auch sein Haß gegen alle Reichen und Vornehmen des Landes, er hat ihnen sozusagen privaten Krieg angesagt. In kollegialem Vertrauen, Jefferson, sein eigentlicher Name ist«: Orfilas Stimme sank zum Flüsterton herab »Condé ...« mehr aber weiß man nicht.

Jefferson stieß einen erstaunten Pfiff aus und fuhr sich über seine borstigen Augenbrauen, eine Bewegung, die er immer machte, wenn ihn etwas kolossal in Erstaunen setzte.

»Donnerwetter!« meinte er schließlich.

»Wir versuchten zuerst, darauf Rücksicht zu nehmen,« erklärte Orfila. »Aber bald darauf wuchs uns die Sache über den Kopf, und heute ist sie uns zu einer schwer zu lösenden Aufgabe geworden.«

»Wegen de Silva seid Ihr also hier, Orfila? – Wie können wir Euch denn da helfen?« fragte nun doch interessiert Jefferson.

Jetzt erzählte Kommissar Orfila seinem Kollegen dieselbe Geschichte, die er damals den Anwesenden bei der Geheimsitzung berichtet hatte.

Keine Muskel verzog sich in Jeffersons Gesicht; trotzdem ihn Orfila genau beobachtete, konnte er nicht feststellen, was in Jefferson vorging. Als Orfila endigte, atmete er auf und fragte geradezu: »Jefferson, nun frage ich Sie als meinen alten Freund, gibt es amtlich einen ›reitenden Tod‹?«

Jefferson sah still vor sich hin; erst nach einer Weile, in der ihn Orfila nicht aus den Augen gelassen, antwortet er: »Amtlich ist mir der ›reitende Tod‹ nicht bekannt. Aber – ich kenne einen Mann, dem man diesen Namen gegeben hat.«

Orfila atmete erleichtert auf.

»Jefferson, könnt Ihr den Mann nicht zu uns schicken? Meine Regierung wäre Euch sehr dankbar.«

»Lieber Orfila, das wird nicht gehen.«

»Warum nicht?«

»Weil – bleiben wir erst einmal bei dem Namen – ›der reitende Tod‹ sich schon lange zurückgezogen hat.«

»Also lebt der Mann noch?«

»Ja!«

»Und Ihr meint nicht, daß er, wenn es sich für ihn lohnt, noch einmal losgeht?«

Ein Achselzucken antwortete Orfila, dann herrschte Stille im Zimmer, während die beiden Herren mit ihren Gedanken beschäftigt waren.

Plötzlich fanden sich ihre Augen.

»Orfila, Ihr seid mein Freund und habt mein Vertrauen, darum will ich Euch jetzt einen Freundschaftsdienst tun,« sagte Jefferson und fuhr dann fort: »Der Mann, der einstmals den Namen ›reitender Tod‹ trug, war Leutnant bei den Grenzreitern. Ein gefährlicher Kerl, den seine oberste Behörde nur losließ, wenn sie sich keinen anderen Rat mehr wußte, sonst hielt sie ihn krampfhaft zurück. Durch Zufall seid Ihr an die richtige Adresse geraten, ich kenne seinen Namen und weiß, wo er lebt.

»Er heißt Coolper und lebt jetzt auf seiner großen Ranch, die in Arkansas, in der Nähe von Little Rock liegt. Fahrt zu ihm hin und versucht Euer Heil; vielleicht gelingt es Euch, ihn für Eure Sache zu interessieren. Wir können keinen Druck auf ihn ausüben. Doch sollte Euch Eure Mission mißlingen, dann schreibt mir, und ich verspreche Euch, maßgebende Leute dafür zu interessieren.

»Führt Euch bei ihm unter Bezugnahme auf mich ein; denn ich lernte ihn eines Tages dienstlich kennen. Es sind jetzt – 26 Jahre her, da war er noch ein ganz junger Kerl. Der ›reitende Tod‹ muß nun an die Fünfzig sein; aber, ist er vielleicht auch nur noch die Hälfte von dem, was er früher war, so ist er immer noch der richtige Mann für Euch.«

Aus Jeffersons Worten klang so viel Achtung für diesen geheimnisvollen Mann, daß Orfila hoch aufhorchte.

Er erhob sich und drückte Jefferson dankbar die Hand.

»Das werde ich Euch nicht vergessen, Jefferson! – Ihr werdet von mir hören.«

Bald darauf verabschiedete sich Orfila von ihm. Jefferson aber saß noch lange in Gedanken versunken da.

Er wußte ganz genau, warum er Orfila den Namen preisgegeben und gedachte auch anderen von Orfilas Wunsch Mitteilung zu machen, die es sehr interessieren würde.

Längst vergessene Bilder und vernommene Abenteuer stiegen vor ihm auf.

Später ging er und holte sich zum Erstaunen des Beamten, der die Geheimakten verwaltete, alte, vergilbte Akten, die er mit auf sein Büro nahm.


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