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Zweites Kapitel.

In einem Zimmer des Polizeipräsidiums von Rio de Janeiro saßen an einem langen Tisch vierzehn Herren.

Rauch und Qualm lag über dem Raum, der die Ungemütlichkeit aller Büroräume an sich hatte. Alle Anwesenden waren Angehörige dieser Behörde.

Der lange Tisch mit den hohen Stühlen bildete die einzige Einrichtung des Zimmers; zwei alte Bilder des Präsidenten und seines Vorgängers hingen vereinsamt an der Wand.

Jetzt erhob gerade der Allgewaltige, Senhor Ferreira, der Polizeipräsident von Rio de Janeiro seine Stimme.

»Fast sechzehn Jahre, meine Herren, sechzehn Jahre!« Seine schmale, gepflegte Hand fuhr nervös durch seinen Spitzbart. »Ich sage Ihnen, es kann nicht so weiter gehen; wir kommen in des Teufels Küche!« Sein Temperament ging mit ihm durch; aufgeregt nahm er mehrere Schreiben, die vor ihm lagen, hoch und warf sie energisch wieder auf den Tisch zurück.

»Hier, alles Klagen, Jammern und Beschwerden! Hier,« er nahm eines der Schreiben auf »ein Bericht über einen Bankeinbruch und hier« er nahm ein anderes zur Hand »ein Bericht über den Überfall von Albes. Vierzig Tote hat es dort gegeben! Nein, meine Herren, so geht es nicht weiter, und wenn ich ein Regiment Soldaten aufbieten sollte!«

»Guter Vorschlag, Herr Präsident; nur, daß die Bande die Soldaten rechtzeitig wittern und in ihre Schlupfwinkel verschwinden wird. Wie lange sollen dann die Soldaten ergebnislos suchen? Vergessen wir doch auch nicht, die Schwierigkeiten der Verproviantierung so vieler Menschen auf unbestimmte Zeit und in der unwirtlichen Gegend.« Diese Worte wurden leise gesprochen und klangen angenehm sachlich gegen die Aufgeregtheit Ferreiras.

»Ja, mein Lieber,« wandte sich dieser an den Sprecher »habt Ihr einen anderen Vorschlag, einen, der Hand und Fuß hat, dann sagt ihn bitte, dafür sind wir ja hier.«

Still sah Vicente Orfila vor sich hin. Ihn beschäftigte die Frage ebenso sehr wie seinen Vorgesetzten.

Jetzt warf Melo eine Äußerung dazwischen; Orfila hatte den Verdacht, nur um sich wichtig zu machen und die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf sich zu lenken.

»Alles war ja noch erträglich,« sagte er »und man konnte bisher an Miguel de Silva noch Menschliches entdecken; aber seitdem dieses Frauenzimmer bei der Bande ist, gibt es bei ihnen ja keine Grenzen mehr.«

»Ja,« der junge Kommissar Almandos lachte kurz auf »lieber Kollege, wenn eine Frau etwas anfäßt, dann macht sie ganze Arbeit. Und immer ist noch der Verderb der Männer die Frau gewesen.«

»Könnte man hier nicht einhaken?« überlegte der Präsident.

»Herr Präsident,« antwortete ihm der Kommissar, der der Sachbearbeiter in dieser Angelegenheit war, »diese Frau ist die Seele der Bande geworden. Sie soll reiten und schießen wie ein Teufel, und anstatt eines Herzens besitzt sie einen jagenden Ehrgeiz in der Brust. Sie hetzt die Männer zu immer waghalsigeren Stücken, um ihre Begierde nach Geld und späteren Besitz zu befriedigen. Es muß eine eigentümliche Macht von ihr ausgehen, denn sie beherrscht nicht nur Miguel sondern alle Männer der Bande.«

»Aus Ihren Worten,« wandte sich Almandos an den Kommissar »muß man annehmen, daß Sie es lieber mit den Männern der Bande zu tun haben als mit dieser Frau?«

»Worauf Sie sich verlassen können!« erklang die überzeugte Antwort.

»Aber, meine Herren, damit kommen wir doch nicht weiter! Ich bitte um Ihre Vorschläge.« Dringend klang die Aufforderung des Herrn Präsidenten. Sein Blick ging über die Versammelten, aber jeder wich geflissentlich seinen Augen aus.

Eine unangenehme Stille entstand, in der man das Summen der Fliegen am Fenster hören konnte.

Mit einemmal hob Vicente Orfila den Kopf; sein Blick traf den des Präsidenten, in dessen Augen plötzlich Interesse aufsprang. Er kannte seinen langjährigen, tüchtigen Mitarbeiter und wußte, wenn dieser so aus weiter Ferne kam, dann hatte er sich einen Fall überlegt, und wenn Orfila einen Vorschlag machte, dann war eine Schlacht schon halb gewonnen.

Alle folgten Präsident Ferreiras Blick und sahen Kommissar Orfila erwartungsvoll an, der gar nicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu fühlen schien.

»Herr Präsident,« sagte er langsam und sinnend »ich glaube, daß uns nur noch ein Mann helfen kann, und dieser Mann ist – ›der reitende Tod‹!«

Betroffen lauschten alle diesem Namen nach. Was war das – ›reitender Tod‹? Wollte sich Kommissar Orfila über sie lustig machen? Erstaunte Blicke trafen ihn, der aber ernst vor sich hin sah.

Zögernd fragte Ferreira: »Der reitende Tod? Lieber Orfila, Sie sprechen für uns in Rätseln. Wollen Sie es uns nicht erklären?«

»Gewiß, Herr Präsident. Es sind Jahre her, da führte mich einst der Zufall nach Benson. Benson, meine Herren,« er wandte sich zur Erklärung an alle »ist eine kleine Stadt in Arizona. Dort hatte ich ein seltsames Erlebnis, das ich niemals wieder vergessen werde. In der Nacht, die ich dort verbrachte, wurde ich von meinem Fenster aus Zeuge, wie man in einer Bank eine ganze Bande, sie nannte sich die ›Bande des Unbekannten‹, einkreiste und fing. Das alles ist nicht seltsam, aber umso mehr der Mann, der die Umkreisung organisierte. Man nannte ihn – ›den reitenden Tod‹.

Ich sah ihn nur flüchtig in der Nacht bei Fackelbeleuchtung. Doch am nächsten Tage wurden mir Schauergeschichten über ihn erzählt. Keiner wußte seinen eigentlichen Namen und wie er in Wirklichkeit aussah, denn er trägt stets eine große, schwarze Maske, wie auch an dem Abend. Und wer ihn je einmal zu Gesicht bekommen hat, kann auch nicht mehr von ihm erzählen, denn Tote reden nicht.«

Orfila ließ eine kleine Pause in seiner Erzählung eintreten; alle Blicke hingen erwartungsvoll an seinem Munde. Nach einer Atempause fuhr er fort:

»Herr Präsident! Wer dieser geheimnisvolle Mann in Wirklichkeit ist, habe ich nie herausbekommen. Nur – daß er stets ein todbringender Gegner der Desperados und Bandenführer ist, und daß er ganz auf der Seite des Gesetzes steht und immer da erscheint, wo man sich keinen Rat mehr weiß. Ein Gerücht sagte, daß der reitende Tod Leutnant bei den westamerikanischen Grenzreitern sein solle, doch Bestimmtes bekam ich nicht zu hören. Da ich bald darauf Benson verließ und wieder in meine Heimat zurückkehrte, hörte ich nichts mehr davon. Nun aber muß ich immer an diesen unheimlichen Reiter denken. Wenn wir den hier hätten!«

Auf alle hatte die Erzählung Eindruck gemacht. Orfila war ein ernst zu nehmender Mann, und so kamen niemandem Zweifel bei der Geschichte auf.

»Lieber Orfila,« der Präsident beugte sich zu ihm, »wenn Sie meinen, daß dieser Mann für uns eine Rettung in der leidigen Angelegenheit wäre, wie schaffen wir ihn dann hierher?«

Einen Augenblick zögerte Orfila mit der Antwort, dann sagte er: »Herr Präsident, ich könnte zu meinem alten Freunde Jefferson nach New York fahren. Wenn der noch im Amt ist, würde er mir sicherlich Auskunft geben können.«

Alles staunte, wie schnell Präsident Ferreira auf Orfilas Vorschlag einging. Aber jener wußte genau, was er tat, wenn er Orfilas Vorschlag ernst, sehr ernst nahm. Er kannte seinen ältesten Beamten, der mit ihm grau geworden war.

»Orfila, wann fahren Sie?« fragte Ferreira, als ob die Sache völlig durchsprochen und abgemacht wäre.

Vicente Orfila erhob sich: »Morgen, Herr Präsident.«

Damit war die Sitzung beendet. Alles ging erstaunt aus einander; man war sehr gespannt, was nun folgen würde, denn die Sache Miguel de Silva war dringend und ernst.


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