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Viertes Kapitel.

In einem behaglichen Winkel eines großzügig angelegten Gartens lag in einer Hängematte eine Frau. Sie hatte ein Buch in den Händen, aber ihre Augen blickten nicht hinein sondern beobachteten ein Rotkehlchen, das sich auf dem in der Nähe stehenden, sauber gedeckten Tisch niedergelassen hatte und dort keck nach willkommener Labung suchte.

Blumen und Moosbeete zogen sich, so weit das Auge reichte, hin und umsäumten einen Bach, der sein Bett durch den Garten zog. Ein breiter Weg, der durch hohe Pappeln überschattet wurde, führte zu einem großen, lang gestreckten Gebäude. Weiter fort sah man einen Eichenwald liegen.

Die Ruhe, die im Garten herrschte, wurde plötzlich durch klappernde Hufe unterbrochen.

Die Frau fuhr auf und glitt aus der Hängematte. Als sie nun auf den Füßen stand, konnte man ihre schlanke, biegsame Gestalt erkennen. Sie mochte eine Frau Anfang der Vierzig sein, hatte schwarzes, dichtes Haar und braune, leuchtende Augen.

Der Reiter kam auf sie zu; jetzt wurde der Hufschlag seines Pferdes durch den weichen Grasboden im Garten gedämpft.

Der Reiter zog seinen Sombrero und schwenkte ihn lachend; auch sie winkte ihm lebhaft zu.

Er war ein muskulöser Mann, der jung wirkte, trotzdem er wohl die Fünfzig schon überschritten hatte, besaß noch sein volles, blondes, etwas lockiges Haar und hatte blaue Augen, deren Fältchen davon zeugten, daß er gern und viel lachte.

Er trug einen dunkel gehaltenen Anzug mit einer braunen Lederhose. Um seine Hüften lag ein Patronengürtel, und aus dem Halfter des Gürtels hing tief ein Revolver herab.

Jetzt hatte er den schattigen Winkel erreicht und sprang vom Pferde, um die Frau, die sich freudig an seine Brust warf, lachend aufzufangen.

»Endlich, Garry!«

Eine leichte Wolke flog einen Augenblick über sein Gesicht, um sofort wieder dem lachenden, zärtlichen Ausdruck zu weichen. Doch seine Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, als er nun sagte: »Aber – kleine Ben!« Er nannte sie immer noch mit dieser Abkürzung ihres Namens, den sie einst trug, als sie sich kennen lernten.

»Ich ändere mich doch nicht!« klagte Benjamine Coolper, doch ihre Augen lachten ihn dabei an. »Wenn Du nicht bei mir bist, stehen immer Bilder in mir auf, was Dir alles passieren könnte und in welche Abenteuer Du Dich stürzen könntest, Garry.«

Garry Coolper schüttelte den Kopf und preßte sie enger an sich.

»Was soll mir denn nun schon passieren? Drei Tage war ich bei den Weidereitern; es ist alles in ausgezeichneter Ordnung dort, das Vieh in einem fabelhaften Zustande, eine Freude es zu sehen, Liebling. Die Felder blühen, es ist eine Lust, jetzt draußen zu sein.«

Bei diesen Worten führte er sie zum Tisch und ließ sich daran nieder, sie schenkte ihm den Nachmittagskaffee ein. Er sah zu ihr auf.

»Bin ich nicht pünktlich?« Er zeigte mit einer Handbewegung auf den Tisch. »Genau, wie ich es versprach: zum Nachmittagskaffee in drei Tagen bin ich wieder da!«

»Du siehst, Garry, ich rechnete auch fest damit,« erwiderte Benjamine Coolper oder, wie sie mit ihrer Abkürzung hieß, Ben.

Auf einmal zog sich eine steile Falte zwischen seine Augenbrauen; Ben, die kein Auge von ihm ließ, sah es mit Besorgnis; sie ahnte, was nun kommen würde, und richtig, da kam schon die gefürchtete Frage.

»Wo ist Lefty? Ich sehe, daß nur für Zwei gedeckt ist?«

Geschäftig, vielleicht auch nur, um ihren Mann abzulenken, stellte sie ihm das Brot und die Butter zur Hand, dabei sagte sie: »Lefty ist in Little Rock.«

»In Little Rock?« Jedes Wort betonend sprach er ihre Antwort nach. Seine Hand lag plötzlich zur Faust geballt auf dem Tisch; er hielt ihren Blick fest, dem sie gern ausgewichen wäre, »Du sandtest ihn mit einem Auftrag dort hin?«

»Nein – ja!« Eine Röte schoß in ihr Gesicht, als er sie kopfschüttelnd betrachtete.

»Du willst den Jungen in Schutz nehmen, Liebling?« fragte er leise.

»Lefty ist jung, Garry, er will doch etwas von seinem Leben haben. Immer nur hier bei uns zu sitzen, ist doch nichts für einen jungen Menschen!« Überstürzt verteidigte die Mutter ihren Jungen.

»Was heißt vom Leben haben, Benny?« grollte Garry.

»Faul ist er und zu nichts nütze!« brauste er plötzlich auf.

»Bist Du nicht zu hart mit ihm?« wagte sie schüchtern einzuwerfen.

Ein hartes Lachen ließ sie zusammenfahren; gleich aber war Garry wieder ruhig und höflich.

»Ich glaube, daß Du das nicht im Ernst behaupten kannst. Überlege Dir doch selbst! Was tut der Junge? Er sitzt hier umher, reitet auch wohl einmal gelegentlich zum Vieh hinaus, aber damit ist schon sein Tagewerk vollbracht. Im übrigen, sofort, wenn ich den Rücken kehre, sitzt er in Little Rock und wer weiß, was er dort macht. Ich habe ihn im Verdacht, daß er dort jeut, und daß ein gewisser Jemand,« er sah seine Frau fest an »ihm heimlich das Geld dafür zusteckt.

»Wenn Du das ›etwas vom Leben haben‹ nennst, Liebling, dann geht unsere Meinung in dem Punkt aus einander. Im übrigen ist er schlapp, schießen tut er wie ein totes Kaninchen, kein Mumm ist in dem Jungen, zu nichts ist er zu gebrauchen!« empörte sich Garry.

»Das ist nicht wahr!« Jetzt wurde Benny energisch.

»Was verlangst Du eigentlich von ihm? Daß er nicht so ein Revolverschütze ist wie Du, dafür kann er nicht. Einen Garry Coolper gibt es nicht noch einmal wieder!« setzte sie stolz und zärtlich hinzu. »Auch sagt Lefty immer, daß er nur in Deiner Gegenwart versagt. Er hat Angst vor Deiner scharfen Kritik, oder es ist sonst irgendeine Hemmung bei ihm vorhanden. Jedenfalls erzählt er mir, daß er in Deiner Gegenwart immer unsicher wird.«

»Pah!« Garry Coolper machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn ein Mann überhaupt je das Gefühl der Angst oder Unsicherheit kennt, dann wird aus ihm nie ein Kerl – ein Revolvermann.«

»Aber, Garry,« Benny schlug die Hände zusammen »soll unser Lefty denn ein Revolvermann werden?«

»Lieber als ein schlapper Kerl! Denn Benny,« setzte er leise hinzu, »er ist doch auch mein Junge.«

»Garry,« vorsichtig sprach sie ihre Meinung aus »hast Du den Jungen nicht immer zu scharf angefaßt? Ich war doch oft Zeuge, wie Du die Geduld verlorst, und dann habe ich den Jungen oft recht bedauert.«

»Unsinn!« wehrte er ab. »Ein Junge muß gelegentlich einmal hart angefaßt werden, sonst –«

»Ist das nicht individuell, Garry?« suchte sie unterbrechend einzuwerfen.

»Ach was, entweder wird er ein ganzer Kerl oder nicht!«

Etwas verstimmt schwiegen nun beide. Benny tat es leid; immer wieder war es dieses Thema, das eine Mißstimmung zwischen ihnen hervorrief. Aber sie faßte es als ihre Pflicht als Mutter auf, verbindend zwischen Vater und Sohn zu stehen.

Auch sah sie ein, daß es nicht leicht für ihren Sohn Lefty war, neben einem Vater von so überragender Persönlichkeit und Eigenschaften zu bestehen.

Sie bemerkte die finstere Unmutswolke auf seinem Gesicht und versuchte, sie zu verscheuchen.

»Ich erhielt einen Brief von Betty, Garry.«

Ihre Diplomatie, ihn abzulenken, schien den gewünschten Erfolg zu haben, denn er sah interessiert auf.

»Betty?« ein zärtlicher Klang war in seiner Stimme. »Was schreibt sie?«

»Sie schreibt, daß sie sich nach ihrem Daddy sehnt und sich darauf freut, daß wir sie bald abholen.«

Betty war die siebenzehnjährige Tochter des Hauses, der verwöhnte Liebling des Vaters. Sie weilte augenblicklich in New York bei einer befreundeten Familie.

Vom Ranchhaus her näherte sich jetzt eine schwarze Dienerin.

»Was gibt es, Anna?« rief ihr die Hausfrau entgegen.

Lachend begrüßte sie mit einem tiefen Knicks den Hausherrn.

»Mister Coolper, mit einem Wagen aus Little Rock kam eben ein Herr, der Euch zu sprechen wünscht.«

»Bitte ihn hierher!« forderte Garry sie auf.

Anna ging; sie nahm das Pferd mit sich, das bisher in der Nähe nach Gräsern gesucht hatte.

Gleich darauf erschien sie wieder, und in ihrer Begleitung befand sich ein schlanker, mittelgroßer Mann, Ende der Vierzig. Er war aufs Sorgfältigste gekleidet und machte einen sympathischen und gepflegten Eindruck.

Auf den ersten Blick sah Garry Coolper, daß es kein Nordamerikaner war, sondern daß er einen Südamerikaner vor sich hatte.

Höflich stand er auf und ging seinem Gast entgegen. Auf halbem Wege trafen sie zusammen.

»Ich heiße Sie willkommen!« sagte Coolper mit der von ihm stets gepflegten Gastfreundschaft.

»Ich danke Ihnen, Mister Coolper!« antwortete der Fremde und legte seine schmale, braune Hand in die kräftige des Hausherrn. »Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen bekannt mache – Orfila aus Rio de Janeiro.«

Coolper erwiderte die Verbeugung seines Gastes und führte ihn zum Kaffeetisch.

Hier machte er ihn mit seiner Frau bekannt, die den Fremden an den Tisch bat und ihn gastfreundlich bewirtete.

Schon nach kurzer Zeit fühlte sich Orfila hier wohl, seine flinken, aufmerksamen Augen gingen hin und her, um immer wieder mit einem staunenden Ausdruck auf Garry Coolper haften zu bleiben.

Es wollte ihm nicht gelingen, diesen Mann, der so sehr in diese gepflegte Häuslichkeit paßte und sich mit ihm angeregt unterhielt, mit dem immerhin ungewöhnlichen, wenn nicht gar unheimlichen Namen ›reitender Tod‹ in Einklang zu bringen.

Ohne ihn nach dem Zweck seines Kommens zu fragen, forderte ihn Mistreß Coolper zum Bleiben auf, was Orfila nach kurzem Bedenken dankend annahm.

Der Tag senkte sich schon dem Abend entgegen; man saß jetzt auf der überdachten Veranda des Hauses, und noch war der Gesprächsfaden nicht abgerissen. Orfila konnte ein talentvoller Erzähler sein, der, viel umhergekommen, interessant zu berichten wußte.

Und es machte ihm Vergnügen, diesen beiden Menschen, die er in den kurzen Stunden des Zusammenseins in sein temperamentvolles Herz geschlossen hatte, von sich zu erzählen. Er meinte, noch niemals so verständnisvolle und aufmerksame Zuhörer gehabt zu haben. Die Harmonie, die von den beiden ausstrahlte, empfand er mit feinen Sinnen.

Plötzlich hörten sie Sporenklirren, ein zögernder Schritt näherte sich. Orfila sah, wie der Hausherr sich emporreckte und ein Schatten über sein Gesicht ging, während er in die Richtung schaute, aus der sich die Schritte näherten.

Die kleine Treppe zur Veranda kam ein junger Mann herauf; als er in den Lichtkegel der Lampe trat, konnte Orfila nur mit Mühe einen Ausruf unterdrücken: das lebende Ebenbild des Hausherrn, nur bedeutend jünger, stand dort und kam mit zögerndem Gruß näher.

»Mein Sohn Lefty – unser Gast, Senhor Orfila!« stellte Coolper vor.

Eine kurze, knappe Verbeugung von seiten des jungen Mannes, dann wandte er sich seiner Mutter zu, die ihm freundlich über das Haar strich, das vielleicht nicht ganz so blond wie das seines Vaters war.

»War es schön in Little Rock?«

Orfila zuckte zusammen, so hart und scharf klang die Frage aus Garry Coolpers Mund. Er hätte niemals geglaubt, daß diese angenehme Männerstimme so schneidend klingen konnte. Unwillkürlich erschauerte Orfila; eine Ahnung sagte ihm, daß es schwer, sehr schwer sein würde, wenn nicht unmöglich, diesen Mann völlig kennenzulernen und zu erfassen.

Gewohnt, stets alles, auch das Kleinste zu beobachten, sah Orfila plötzlich, wie des jungen Mannes Augen sich verkleinerten, und wie er anfing stark zu blinzeln, was wiederum zur Folge hatte, daß ein verächtliches Lächeln um die Lippen Garry Coolpers erschien.

Als nicht gleich eine Antwort auf seine Frage kam, forderte ein herrisches »Nun« vom Vater den Sohn auf, unverzüglich zu antworten.

»Ich danke Dir; es war ganz nett!« Des jungen Mannes Stimme klang heiser und schleppend, als er antwortete.

»Morgen Abend reitest Du mit den Nachtreitern zu dem Vieh am Black Wood und bleibst so lange draußen, bis ich Dich rufe. Und nun ist es wohl am besten, Du schläfst Dir die ›schönen Tage‹ von Little Rock aus den Knochen.« Ein leichter Sarkasmus klang aus Garry Coolpers letzten Worten.

Ohne dem Vater zu widersprechen, verabschiedete sich der junge Mann. Orfila gefiel er gut; jetzt sah er doch, daß der Ausdruck des Gesichtes des jüngeren verschieden war von dem seines Vaters.

Was hart in Garry Coolpers Gesicht und charaktervoll war, erschien noch weich und unausgebildet in den Zügen des Sohnes.

Allein geblieben, wandelte sich Coolpers Wesen wieder. Mit weltmännischer Gewandtheit ging Orfila über die eben erlebte Szene hinweg; aber sie blieb ihm doch im Gedächtnis haften.

Erst am nächsten Tage nach dem Frühstück bat Garry Coolper Orfila in sein Zimmer. Es war ein Raum, der dieselbe Behaglichkeit bot wie alle in diesem Hause; ein größeres Zimmer, wo in einem offenen Kamin ein Holzfeuer loderte, und in dem alte, schwere Möbel standen, die für die Ewigkeit gebaut schienen.

Mit dem Namen Jeffersons führte Orfila sich und seine Erzählung ein. Mit keiner Frage, ohne nur ein einziges Mal Erstaunen oder Interesse zu zeigen, hörte Coolper ihn an. Orfila konnte nicht ahnen, ob seine Erzählung den gewünschten Eindruck machte. Ruhig und gelassen saß Coolper vor ihm.

Mit Temperament und Anschaulichkeit erzählte Orfila und schloß schließlich mit der dringenden Bitte um Hilfe.

Keine Muskel zuckte in Coolpers Gesicht als Orfila durchblicken ließ, daß er wußte, wer Coolper einst gewesen.

Garry Coolper ließ eine Orfila endlos dünkende Pause eintreten, ehe er ihm antwortete.

»Mein lieber Senhor Orfila, ich habe mir alles wohl überlegt, und nun will ich Ihnen meine endgültige Antwort geben: Nein, ich komme nicht! Ich habe Pflichten, die es mir verbieten, mich noch einmal in meinem Leben in Gefahr und Abenteuer zu stürzen.

»Ich will nicht leugnen, daß mich die Sache reizt, doch ich habe einem Menschen, den ich liebe, ein Versprechen gegeben, daß ich nur, wenn ein tiefer Grund vorhanden wäre, noch einmal hinausziehen würde.

»Dieses Abenteuer ist wohl reizvoll, aber es liegt darin kein tiefer Grund für mich, mich darein zu mischen.

»Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich es selbst bedaure, daß Sie Ihre große Reise umsonst machten, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«

Orfila stand auf, er zeigte nicht seine innerliche Erregung und Enttäuschung. Mit ausgesuchter Höflichkeit erwiderte er: »Mister Coolper, ich bedaure, daß Sie meinem Vaterlande nicht diesen Dienst leisten wollen. Aber umsonst war meine Reise nicht, lernte ich Sie doch kennen und durfte in Ihrem Hause ein paar unvergeßliche Stunden verbringen.«

Ihre Hände fanden sich zu einem Shake hands, in dem sie die beiderseitige Achtung und Sympathie aussprachen.

Garry Coolper bat seinen Gast noch zu verweilen, was Orfila mit Dank annahm; er beschloß, erst am nächsten Tage abzureisen.

*

Es war am Nachmittag. Orfila saß allein im Garten und genoß die Ruhe und Schönheit der verschwenderischen Landschaft, als er plötzlich den Sohn des Hauses auf sich zu kommen sah.

Am Morgen hatte er ihn nicht zu Gesicht bekommen. Als er ihn nun bemerkte, freute er sich, ihn zu sehen, Garry Coolpers einziger Sohn interessierte ihn brennend.

»Allein, Senhor Orfila?«

»Ja, Mister Coolper! Ihr Vater wurde abgerufen und bat mich, hier eine Stunde zu verweilen. Zur Gesellschaft ließ er mir diese guten Zigarren zurück.«

»Gestattet Ihr, daß ich Euch Gesellschaft leiste?«

»Ich würde mich sehr freuen, Mister Coolper! – Ihr interessiert mich sehr,« setzte er plötzlich hinzu.

Ein erstaunter Blick traf ihn aus Leftys blauen Augen. Er sah, daß Orfila die Zigarren unberührt ließ und bot ihm artig von seinen selbstgedrehten Zigaretten an, die Orfila als leidenschaftlicher Raucher gern entgegennahm.

»Ich interessiere Euch?« fragte Lefty.

»Ja, als der Sohn – des ›reitenden Tods‹.«

Fast flüsternd kam die Antwort von Orfila, er sah, wie der junge Mann vor ihm unbeherrscht zusammenflog, um ihn dann scharf zu mustern.

»Senhor Orfila, was wißt Ihr darüber?«

»Mein Junge, in dieser Eigenschaft suchte ich Euren Vater auf.«

Orfila wußte selbst nicht, was ihn trieb, so offen Antwort zu geben; aber er hatte schon öfters im Leben so gehandelt, wie es ihm der Augenblick eingab, und meistens wurde er es sich erst hinterher bewußt, warum.

»Wäre es unbescheiden, wenn ich Euch fragen würde, was Ihr von dem ›reitenden Tod‹ wolltet?« fragte nach einer Pause Lefty.

»Nein!« entgegnete Orfila. »Ich versuchte, Euren Vater für eine Sache zu interessieren, die meinem Vaterlande sehr am Herzen liegt. – Habt Ihr schon von Miguel de Silva und seiner Bande vernommen?« Auf ein verneinendes Kopfschütteln erzählte Orfila dem gespannt zuhörenden Lefty von Miguel de Silva, und daß dieser bald die Geißel seines Vaterlandes sei.

Nachdem er geendigt, fragte Lefty atemlos: »Und wie entschied sich mein Vater?«

»Er sagte mir ab!« antwortete mit einem Seufzer wahrheitsgemäß Orfila. »Es ist in vieler Hinsicht schade – auch in politischer,« setzte er gedankenvoll hinzu.

»Inwiefern, Senhor Orfila?«

»Da muß ich weit ausholen, um Ihnen die Gründe richtig zu erklären.«

»Würde es Sie langweilen?«

»Aber nein! Schenken Sie mir Ihre Aufmerksamkeit: Südamerika stand bis zum Kriege stark unter englischem Einfluß. Die Vereinigten Staaten, die bis zum Kriege Schuldner der alten Welt waren, hatten noch nicht die Mittel, Südamerika von sich abhängig zu machen. Englisches Kapital war es, das in unseren Eisenbahnen steckte, in den großen Viehherden und in vielen großen Industrieunternehmungen.

»Der Einfluß von USA. begann bei uns mit der Erbauung des Panamakanals zu steigen. Für die Loslösung Panamas von Columbien, die erst 1903 ganz glückte, gab Amerika Geld. Zielbewußt steigerte es zunächst dort seinen Einfluß. Nachdem 1889 nach dem Panamaskandal (der erste Erbauer war der Franzose Graf Lesseps, der die Idee aufgebracht hatte) der Bau aufgegeben wurde, erwarb USA. 1900 das Baurecht und die Handelszone – 8 km breit rechts und links des Kanals – der Kanal wurde 1914 fertig.

»Nun hatte USA. in Südamerika den Einfluß, den es haben wollte. Durch die finanzielle Vormachtstellung über alle Staaten nach dem Weltkriege investierte USA. in allen südamerikanischen Staaten – auch in meinem Vaterland Brasilien – große Kapitalien und drückte England und die anderen Staaten systematisch hinaus.

»England hatte auch zu große Sorgen mit seinen Dominien und desinteressierte sich mehr und mehr notgedrungen für Südamerika.

»USA. hat heute immer weiter Interesse, seinen Einfluß zu steigern. Wir Südamerikaner stehen der Sache machtlos gegenüber, versuchen uns aber gegen den steigenden Einfluß zu wehren.

»Sie sehen, Mister Coolper, ich spreche ganz offen. Aus dieser Erzählung heraus können Sie aber sehen, daß USA. – Ihr Vaterland – das größte Interesse hat, sich uns gefällig zu erweisen.

»Und nun, im Hinblick auf diese Sache, weiß wohl jeder, was es für einen Eindruck macht, wenn man sich im Volk erzählen würde, daß ein Nordamerikaner uns von diesem grausamen Bandenführer erlöste. Diese Tatsache würde die Nordamerikaner beliebt und populär bei uns machen.«

Orfila schwieg; aufs höchste interessiert war Lefty seinen Ausführungen gefolgt. Manches war ihm wohl schon davon bekannt, aber er erkannte auch die Richtigkeit der letzten Behauptungen Orfilas.

»Haben Sie das alles auch meinem Vater gesagt?«

»Nein, Mister Coolper, ich hatte das Gefühl, daß Ihr Vater von mir nicht umzustimmen sei. Aber schade – sehr schade ist es.«

Lefty blieb noch eine Weile schweigend sitzen, dann erhob er sich seltsam schwer, sein Blick irrte über Orfila hinweg, als er sich verabschiedend sagte: »Ich muß jetzt auf die Weiden hinaus. Leben Sie wohl, Senhor Orfila! Vielleicht kommt der ›reitende Tod‹ doch noch eines Tages zu Ihnen.«

Mit langsamen Schritten entfernte sich Lefty. Orfila sah ihm gedankenvoll nach. Er sah Lefty Coolpers kleine, unbeholfenen Schritte, ihm schien das Gehen ungewohnt zu sein, und er sah eine Vorsichtigkeit in seiner Haltung, die Orfila aufmerksam und ernsthaft stimmte.

Vielleicht war seine Reise doch nicht in jeder Beziehung umsonst gewesen.

*

Knisternd brannte das Lagerfeuer, das die Cowboys angezündet hatten; an diesem saß Lefty und sah versonnen dem Flackern der Flammen zu. Orfilas Worte wollten ihm nicht aus dem Sinn.

Herrgott, das war eine Aufgabe für einen Mann!

Er konnte sich denken, daß sie seinen Vater reizte. Doch er liebte ihn umso mehr, daß er verzichtet hatte, weil er wußte, wie sehr seine Mutter unter dem Gedanken leiden würde, seinen Vater in Gefahr zu wissen. War doch der ganze Inhalt ihres Lebens nur ihr Mann.

Diese Liebe, die Lefty für seinen Vater fühlte, nannte er bei sich selbst eine unglückliche. Er wußte, daß er ihm nie etwas recht machen konnte, und dieses Gefühl hatte ihn von klein auf bedrückt und ihn in allen Dingen seinem Vater gegenüber unsicher gemacht.

Er fürchtete dessen Spott und Ungeduld, hatte ihn stets gefürchtet. Schon als kleinem Jungen war ihm sein Vater stets als leuchtendes aber von niemandem zu erreichendes Vorbild hingestellt. In dieser Anbetung, die alle seinem Vater entgegenbrachten, war er aufgezogen worden.

Lefty wußte, wie sein Vater über ihn dachte. Es schmerzte ihn, doch sah er sich außerstande ihm eine bessere Meinung über sich beizubringen.

Er konnte nichts dafür, daß er keine Neigung zu dem Leben eines Ranchers verspürte, daß er nur pflichtgemäß seine von ihm verlangten Arbeiten vollführte und deshalb nichts Besonderes leistete.

Er war jetzt fast 23 Jahre alt und noch niemals von der heimatlichen Ranch fortgewesen. So kannte er auch noch nicht das Gefühl nach Hause, ins eigene Heim zu kommen; er war ja immer daheim.

Wohl fühlte er die Liebe zur Heimat und zur eigenen Scholle, doch war sie unbewußt in ihm und noch nie zum Ausdruck gekommen. Dazu brauchte es erst eines innerlichen Erlebnisses.

Er sehnte sich, wonach wußte Lefty selbst nicht. Sein Vater äußerte oft, er wäre verschlafen; damit mochte er nicht unrecht haben. Lefty saß oft nichtstuend da und träumte vor sich hin. Bilder von einem anderen Leben stiegen vor ihm auf, das er mehr ahnte als sich vorstellen konnte, und ihn überfiel eine brennende Sehnsucht, die schließlich in eine melancholische Resignation überging.

Dann hielt er es daheim nicht mehr aus, und so kamen seine Ritte nach Little Rock zustande. Trotzdem er wußte, wie sehr sein Vater sie haßte und ihnen verständnislos gegenüberstand, trieb es ihn in dieser Stimmung dorthin.

Vielleicht hätte eine Aussprache zwischen ihnen manches erklärt und ein besseres Verhältnis gebracht, doch kam es nie dazu. Garry Coolper ahnte nicht, was in seinem Sohn vorging; er hätte auch wohl niemals geglaubt, daß Lefty manches entbehrte. Er hielt ihn allgemein für träge und energielos, und darum verachtete er ihn ein wenig, ohne es jemals auszusprechen; ja nicht einmal sich selbst würde es Garry eingestanden haben; aber seine Art, mit Lefty umzugehen, zeigte es ohne sein Wissen. Lefty fühlte es, ohne daß es sein Vater ahnte, und empfand es bitter.

Er wußte auch, was sein Vater annahm, wenn er nach Little Rock ritt: er hielt ihn für einen Spieler und Weiberhelden.

Das erste mochte wohl etwas Berechtigung haben, aber niemals das letzte.

Noch stand Lefty den Frauen vollkommen fern. Er war ein verschlossener Mensch, und es war schwer an ihn heranzukommen. Eine Scheu, irgendjemanden ein Anrecht auf sich zu geben, hielt ihn davon ab, sich Frauen zu nähern; und auch die Achtung, die er vor Mutter und Schwester empfand.

Little Rock war eine leichtsinnige Stadt, dort ging es manchmal hoch her, wenn ausgehungert von allem, was das Leben bot, die Cowboys und wandernde Abenteurer sie aufsuchten.

Es gab in Little Rock eine Straße, in der Lokal an Lokal lag. Lefty kannte sich dort gut aus. Nächte hatte er hier schon beim Spiel zugebracht. Er liebte das vorsichtige Abtaxieren des Gegners und die Spannung, die ein scharfes Spiel brachte. Ihm war es gleich, ob er gewann oder verlor; er suchte anderes in diesem Spiel als den Gewinn.

Doch schon nach kürzester Zeit packte Lefty immer der Ekel vor diesem Treiben, und er atmete erst wieder auf, wenn er die Stadt hinter sich hatte und ihn die Steppe mit ihren Schönheiten wieder aufnahm.

Aber das war noch nicht alles, was zwischen Vater und Sohn stand. Mehr als bedauerlich fand es Garry, daß Lefty in vielem nicht sein Erbe war; zum Beispiel sprach er ihm jedes Talent ab, mit dem Revolver umzugehen, was doch lange Jahre hindurch Beruf und Hauptzweck seines Lebens gewesen war. Wie oft hatte doch von diesem Talent sein Leben abgehangen! Er mochte von seinem Standpunkt aus recht haben, denn niemals ging Garry Coolper eine Kugel fehl.

Garry Coolper wußte nicht, daß Lefty vielleicht der einzige war, der ihm einige dieser Kunststücke nachmachen konnte, heimlich hatte Lefty mit seinen Revolvern Stunden – Tage, ja wochenlang zähneknirschend geübt. Manches, was seinem Vater nur so anflog, wie er meinte, mußte er sich erst mühsam erwerben.

Doch Lefty unterschätzte sich da; er vergaß und wußte wohl auch nicht, daß sein Vater früher einmal ebenso lange, zäh und verbissen geübt hatte, ehe er es zu dieser Meisterschaft gebracht hatte. Er sah nur jetzt, wie spielend diesem alles gelang.

Daß er von einem peitschenden Ehrgeiz erfüllt war, und daß gerade dieser Ehrgeiz ihn seinem Vater gegenüber stets unsicher machte, ahnte Lefty nicht. Er fühlte sich ihm von vorn herein unterlegen, und dieser Gedanke peinigte ihn so, daß er jedesmal in eine fast nervöse Unsicherheit geriet, er die kritischen Augen seines Vaters auf sich gerichtet fühlte. Er glaubte dann, alles falsch zu machen, und machte dann auch alles falsch.

Sinnend zog Lefty seine beiden Colts, ein Geschenk seines Vaters zu seinem zwölfjährigen Geburtstage, aus den Halftern und betrachtete sie lange. Liebkosend strich seine Hand darüber hin. Er liebte seine Waffen unsagbar, wenn sie ihm auch manche harte und bittere Stunde eingebracht hatten.

Seine Augen hoben sich zu dem schwarzen Kiefernwald, der düster und drohend vor ihm emporragte.

Lefty dachte wieder an die Aufgabe, die Orfila seinem Vater gestellt, und die dieser ausgeschlagen hatte.

Plötzlich überfiel ihn ein Zittern; er sah sich an Stelle seines Vaters dem Abenteuer entgegenreiten. Bilder von unerhörten Abenteuern und Kämpfen, wie er sie aus dem Munde seines Vaters vernommen, stiegen vor ihm auf.

Er sah sich vor seinem Vater stehen und hörte sich sagen: ›Vater, ich bin Dein Sohn, der Sohn des ›reitenden Todes‹. Dein Vater war einst ein Revolverheld, Du selbst warst stets ein Draufgänger. Ich habe Euer Blut in den Adern. Laß mich für Dich dort hingehen und die Aufgabe lösen.‹

Lefty meinte deutlich zu sehen, wie sich die Falten um seines Vaters Augen vertieften, sein spöttisches Auflachen gellte ihm in den Ohren. Unwillkürlich schnellte er empor; wie ein Schlag ging ihm dieses Lachen, das er deutlich zu hören meinte, durch seinen Körper. Jeden Glauben an sich wollte er begraben, er wollte in seine alte Energielosigkeit zurücksinken, als er sich energisch emporreckte. Ein harter, fremder Zug lag mit einemmale um seinen Mund, von dem knisternden Holzfeuer trat er zurück, als fürchte er, es könnte das Blitzen seiner Augen verraten.

Mehrere Gedanken auf einmal schossen ihm durch den Kopf. Warum hatte Orfila gerade ihm so ausführlich alles erzählt? War es Zufall oder Absicht von ihm gewesen?

Lefty vergegenwärtigte sich noch einmal die Unterredung. Er sah den schmalen, intelligenten Südamerikaner vor sich sitzen und sah dessen forschenden und fragenden Blick auf sich ruhen. Sollte Orfila doch eine bestimmte Absicht dabei gehabt haben? Wie hatte er noch zu ihm gesagt: Der Sohn des ›reitenden Tods‹ interessiere ihn! Also nicht er, Lefty Coolper, sondern Garry Coolpers Sohn!

Konnte etwa dieser fremde Mann zu ihm das Vertrauen haben, was hier keiner zu ihm hatte?

Plötzlich wurde Lefty von einer quälenden Unruhe hin und her gerissen. Ein scheues Selbstvertrauen zu sich selbst ergriff ihn, wurde aber noch durch die jahrelang gefühlte Unsicherheit bekämpft.

Ein scharfer Beobachter hätte wohl gesehen, wie sich Leftys Gesicht langsam veränderte. Alles Weiche wich aus seinen Zügen; eine wilde Entschlossenheit sprach daraus.

Hart traten die Muskeln daraus hervor, und eben so hart sahen seine Augen darein.

Plötzlich riß er sein Notizbuch heraus; auf einen Zettel warf er einige flüchtige Zeilen. Dann hielt er das Blatt lange Zeit in Händen und sah darauf nieder.

Liebe Eltern, –

Ich habe mich entschlossen, eine Weile aus dem Elternhause fortzugehen, um die Welt kennen zu lernen. Seid unbesorgt um mich!

In Dankbarkeit und Liebe bin ich stets

Euer Sohn Lefty.

So kurz und nichtssagend kamen ihm die Worte vor, die er las; er hätte so viel schreiben und ihnen sagen mögen, aber er fand nicht die richtigen Worte, die das ausdrücken konnten, was ihn innerlich bewegte! So ließ er es schließlich dabei bewenden.

Er weckte einen der Cowboys, die hier am Lagerfeuer schliefen.

»Lefton,« er beugte sich zu dem Liegenden »in ein paar Tagen wird mein Vater hierher kommen; dann gebt ihm diesen Zettel.«

Mit diesen Worten drückte Lefty dem Verschlafenen das zusammengefaltene Papier in die Hand; was dieser als Antwort murmelte, verstand Lefty nicht mehr.

Er ging zu seinem Pferde ›Black Night‹ und sattelte es. Ohne noch einmal zurückzublicken, ritt er fort, ins Leben hinaus, unbekannten Abenteuern entgegen. –


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