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Erstes Kapitel.

»Komm, komm, Schatz, laß uns noch einmal die Sache in Ruhe durchsprechen. Du bist ja doch mein Liebstes auf der Welt. Und ich wiederhole nur: Verdacht ist noch kein Beweis.«

»Gewiß nicht! Aber mein Gefühl sagt mir –«

»Gefühle sind wunderschön, – zwischen uns beiden zum Beispiel. Aber sie sind gefährliche Ratgeber. Einem Verbrechen gegenüber darf man sich nur an Tatsachen halten.«

»War meine Begegnung im Garten denn keine Tatsache? Zuerst erschien sie mir ja selbst ganz harmlos, bevor ich wußte, was geschehen war. Aber hinterher, – mein Gott, ich habe doch das fortgeworfene Fläschchen ganz deutlich fallen hören.«

»Aber nicht gefunden.«

»Freilich nicht! Aber den Klang des fallenden Glases kann ich beschwören.«

»Einen Ton kann man bekanntlich nicht vor Gericht stellen. Also laß dich nicht fortreißen, Erna, durch dein Gefühl. Um deiner selbst willen muß ich dich warnen.«

Rechtsanwalt Siemens und seine Braut waren es, die so sprachen. Seine Stimme war bittend, als er wieder begann:

»In der Hauptsache sind wir vollkommen einig, und ich kann es nachfühlen, wie sehr dich die Verdächtigung einer Unschuldigen aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Wir haben das alles ja wieder und wieder nach jeder Seite hin durchgesprochen und haben beschlossen, vorläufig noch zu schweigen. Schon darum, weil wir keinen zwingenden Schuldbeweis haben. Mir ist nach allen Umständen eine geheime Liebesaffäre das Wahrscheinlichste.«

»Wer aber soll denn schuld sein an dem Verbrechen?«

»Vielleicht jemand, an den heute noch kein Mensch denkt. Wäre dein Verdacht aber wirklich berechtigt, so lastete der Vorwurf einer großen Unvorsichtigkeit auf dir, Schatz, der Vorwurf, auch dort schon, wo du nur Verdacht hattest, ihn drohend und leidenschaftlich ausgesprochen zu haben.«

»Du hast recht, Liebster, ich bin selbst ärgerlich über mich. Und ich kann zur Entschuldigung meiner Torheit nur anführen, daß mein Gefühl mich fortriß. Es galt ja nicht einmal so sehr dem Verbrechen an sich; um den Ermordeten mag das Gericht sich kümmern. Aber diese schändliche Verleumdung einer Unschuldigen –«

»Ich kenne dich, Erna, und ich verstehe dich ganz. Du hast gewarnt, wo du hättest sicher machen sollen, und glaube mir: wer einen Mord auf sein Gewissen lädt, scheut auch nicht vor einem zweiten Verbrechen zurück, um sich vor seinen Folgen zu schützen. Und noch dazu jetzt, in heutiger Zeit, ich bitte dich! Wie viele Menschen wissen denn gegenwärtig noch, was gut und böse, was recht und unrecht ist?«

»Wir müssen es tragen. Ich halte mich fortab an unsere Verabredung, aber das Geschehene kann ich nicht ändern. Ich habe mich von meinem Herzen treiben lassen, und es hat mich bisher immer sicher geführt. Ich muß das Rechte tun, – das, was ich dafür halte wenigstens – ohne das kann ich nicht leben.«

»Du machst mir Angst und Freude zugleich, Erna. Dies impulsive, warme Gefühl ist es ja gerade, was dir mein Herz gewonnen hat. In dieser Zeit ein so tapferes, gerades Wesen sein zu nennen, ist ein hohes Glück. Aber nun bewahre mir auch dieses schöne Glück. Sei vorsichtig und achtsam, schone dich und erhalte dich für uns beide. Versprich mir das, Erna!«

Sie nickte nur stumm, und noch fester zog er sie zu sich heran. Dann aber fiel sein Blick auf den Regulator an der Wand, und er machte sich eilig los.

»Mein Gott, ich muß gehen! Es ist ja schon elf Uhr vorüber. Ich muß aufs Gericht.«

»Schon? – Ach, die Minuten fliegen, wenn du bei mir bist, und sie schleichen auf Krücken, wenn ich dich nicht sehe.«

»Wäre es dir lieber, wenn ich untätig wäre?«

»Wann sehen wir uns wieder?«

»Sobald wie möglich, du weißt es.«

»Leb' wohl, du Lieber!«

Einen Arm um seine Schultern legend, ging sie neben ihm bis an die Tür. Im Gehen sagte sie:

»Wenn wir nur erst Nachricht von Berta hätten! Drei Tage sind es doch beinahe schon, und sie hat noch nicht geschrieben.«

»Vielleicht ist es besser für sie, wenn sie noch schweigt. Goethe sagt, geschriebene Briefe wären unsere größten Feinde.«

»Das Wort hat in diesem Zusammenhang einen sehr ernsten Sinn. – Leb' wohl!«

Er ging aus der Tür. Erna horchte noch ein paar Sekunden lang auf seine verhallenden Schritte, dann wandte sie sich langsam in das Zimmer zurück. Sie setzte sich nicht sondern begann auf und ab zu gehen. Seine Mahnung zur Vorsicht kam ihr in den Sinn und wirkte stärker als in seiner Anwesenheit. Ja, sie hätte klüger handeln können; sie hatte vielleicht eine gefährliche Feindschaft gegen sich erzeugt. Aber nun wollte sie auf der Hut sein, seiner Bitte folgen und sich schonen für ihn, der ihres Lebens ganzer Inhalt war, der ihr alles ersetzte, was der Tod ihr genommen hatte; Vater und Mutter und ihn, den einzigen Bruder, der für sie so gut wie tot war.

Die gewonnene Klarheit über die Richtung ihres Tuns hatte sie ruhiger werden lassen. Da wurde leise die Tür geöffnet, und ihre getreue Haushälterin kam herein, ihr einen Brief zu reichen.

Während sie wieder hinausging, warf Erna rasch einen Blick auf den Umschlag des Briefes. Er war mit Schreibmaschine geschrieben, also vermutlich etwas Geschäftliches. Gleichgültig hob sie nun ein blankes Falzbein vom Schreibtisch auf und öffnete langsam den Umschlag. Auch der Brief selbst zeigte Maschinenschrift; aber sobald Erna nur ein paar Worte gelesen hatte, trat angstvolle Spannung auf ihre Züge.

»Auch das noch!« sagte sie leise, mit einem tiefen Seufzer vor sich hin. Dann las sie noch einmal:

 

Geliebte, treue Helferin!

Du wirst erschrecken, wenn ich Dir sage, daß ich für kurze Zeit wieder in Deiner Nähe bin. Aber ich muß Dich sehen und sprechen um jeden Preis. Ich habe für unser Zusammensein einen Ort ausersehen, wo wir sicher sind. Ich selbst hause dort für diese wenigen Tage bei Hildes früherer Jungfer, die, wie Du weißt, einen leider sehr liederlichen Müller namens Holsten geheiratet hat. In seiner dicht am Fluß in der Auenstraße Nr. 25 gelegenen, verfallenen Mühle bitte ich Dich, mich morgen (Dienstag) abend um neun Uhr zu treffen. Es ist keine schöne Gegend, aber ich habe Dir eine sichere Führerin besorgt; ein altes Weib wird auf Dich an der Ecke der Gerberstraße warten; die Müllersleute selbst werden fortgehen, damit wir ungestört sprechen können. Sie glauben, es handelt sich um ein Stelldichein, Du kommst ihnen überhaupt nicht vor die Augen. Ich beschwöre Dich, komm! Du hast mir einmal schon in großer Not geholfen, Du wirst mir wieder helfen, ich vertraue darauf. Sage niemandem, aber auch niemandem! von diesem Brief und komm.

In treuer Liebe
Dein Bruder Ali.

 

So klang es und bat es vom toten Papier herauf in ihr warmes, lebendiges Herz. Und eins fühlte sie dabei gleich mit voller Sicherheit: sie würde diesem flüchtig durch sein Vaterland irrenden Bruder helfen, wenn es irgend möglich war, wie sie das früher schon getan hatte. Sie konnte nicht vergessen, was er ihr in den Tagen der Kindheit gewesen war. Sie glaubte nicht an das Verbrechen, dessen man ihn beschuldigte, an seine Mitwirkung bei der politischen Mordaffäre. Unglückliche Zufälle nur hatten dahin führen können, daß man ihn für schuldig hielt. Ein hartes Urteil, der Tod vielleicht wartete seiner, wenn man ihn ergriff. Nein, sie mußte helfen, wenn zu helfen war.

Aber neben diesem Gefühl standen Sorge, Not und Angst als häßliche Genossen. War er auch sicher in der wüsten Behausung dieses Müllers, von dem er selbst sagte, daß er liederlich und heruntergekommen sei? Nur einmal vor Jahren war sie bei der früheren Jungfer ihrer Kusine dort in der außer Betrieb gesetzten Mühle gewesen, die mit ihren finsteren Räumen halb in den großen Fluß hineingebaut war, sodaß man sein Wasser durch die Spalten im Fußboden sehen, sein drohendes Rauschen in jedem Winkel der alten Baracke vernehmen konnte.

Sie mußte gehen, gewiß. Aber daß es gerade dieses düstere Bauwerk war, wohin sie gehen sollte, das ließ trotz ihres natürlichen Mutes einen frostigen Schauder über ihren Körper gleiten. Wenn sie nur jemanden hätte befragen können! Ihr Herz wies nach Siemens und seinem ruhigen, stets das Rechte treffenden Urteil. Er wußte von diesem Bruder und der Gefahr, in der er beständig schwebte; durfte sie da nicht auch jetzt seinen Beistand erbitten? Aber mit immer stärkerem Nachdruck tönten als Antwort auf ihre Frage die Worte des Briefes in ihr Ohr: Sage niemandem, aber auch niemandem von diesem Briefe! Nein, sie mußte dem dringenden Gebote gehorchen, mußte schweigend handeln auf eigene Gefahr.

Um sich von ihren ängstlichen Gedanken möglichst abzulenken, begann Erna schon zeitig die Vorbereitung für ihren abendlichen Gang. Vor allem suchte sie zusammen, was an Geld im Hause war, und packte es zusammen in ein kleines Paket, um es auf ihrer Brust unter Kleid und Mantel zu verbergen.

In wachsendem Bangen verging ihr der Tag. Fröstelnd fuhr Erna mitunter zusammen, aber es war mehr die wachsende Aufregung als Kälte, was ihr in dem wohldurchwärmten Zimmer solchen Schauder in den Adern weckte. Stärker und stärker wurde bei dem untätigen Warten die Sehnsucht nach ihrem Verlobten und einem guten, klugen Worte von ihm. Zuletzt – es war schon sieben Uhr – ertrug sie es nicht mehr und beschloß, dem Brief und seiner Mahnung zum Trotze doch noch Siemens aufzusuchen und ihn um seinen Rat, vielleicht auch um seine Begleitung zu der düsteren Mühle zu bitten.

In dem Gefühl, doch nichts genießen zu können, hatte sie der Haushälterin schon vorher gesagt, sie sei zum Abendbrot eingeladen, und hatte sie für einen um sieben Uhr beginnenden Adventistenvortrag beurlaubt, an dem, wie sie wußte, die religiöse Seele der alten Dienerin hing. –

Das Haus, in dem ihr Verlobter seine Wohnung hatte, lag im älteren Teile der Stadt, in einer hohen, stark bevölkerten Mietskaserne, die Siemens an sich niemals angelockt haben würde; doch für seine Praxis war diese Gegend günstig.

Erna schaute von weitem schon zu dem zweiten Stockwerk des Hauses hinauf, um zu sehen, ob nicht ein freundlicher Lichtschein aus den Fenstern des Geliebten sie grüßte; doch sie sah dort in der graugelben Wand nur schwarze Fenstervierecke. Trotzdem ging sie die beiden Treppen hinauf, und klingelte an der von keinem dienstbaren Geiste bewachten Junggesellenwohnung; tiefe Stille nur gab ihr da drinnen Antwort. Eine kleine Weile wartete sie, läutete noch einmal und wartete wieder, um sich dann mit einem Seufzer loszureißen und langsam die Treppe hinunterzugehen. Es war vergebens, ihr Verlobter war fort, sie mußte seinen Schutz und Rat entbehren. Mit fatalistischem Gefühl aber murmelte sie: »Wenn es nicht sein soll, ist es vielleicht besser so.«

Der Mißerfolg hatte sie merkwürdigerweise mehr beruhigt als enttäuscht. »Es ist wohl besser so« sagte sie noch ein paarmal vor sich hin.

Das Wetter war womöglich noch unfreundlicher geworden, und auf dem Wege zum Flusse hatte Erna gerade gegen den beinahe schwülen Wind anzukämpfen, der sie erbarmungslos traf. Die Hand auf das an ihrer Brust verborgene Geld gepreßt, ging sie rasch ihren einsamen Weg. Er wurde das mehr und mehr, je weiter sie kam. In den belebteren Straßen war ihr noch ab und zu ein Mensch begegnet, aber Menschen und Lichter wurden seltener, je mehr sie sich der Mühle näherte. Der abschüssige, mit einem glatten Schlamm überzogene Boden zeigte, daß der Fluß jetzt nicht mehr fern war. Aus den rotverhangenen Fenstern baufälliger Schifferkneipen drang trunkener Gesang und ließ Erna die Schritte noch mehr beschleunigen. Mühsam entzifferte sie die Namen der Straßen, durch die sie ging; bis sie die Gerberstraße fand.

Vergeblich schaute Erna an der Straßenecke nach der ihr verheißenen Führerin um. Alles war leer und stumm; nur das Heulen des Windes und mitunter ein abgerissener Laut aus einer der Kneipen unterbrachen die lastende Stille. Rasch ging Erna die Straße hinunter; sie war nicht lang; unten am Ende wurde sie von einer anderen gekreuzt. Beide waren sehr matt von ein paar vereinzelten Lampen beleuchtet, aber soviel war für Erna doch erkennbar, daß auch an der anderen Ecke keine Frauengestalt auf sie wartete. Zögernd, mit verlangsamten Schritten ging sie trotzdem bis dorthin, aber sie war im stillen schon entschlossen, umzukehren und von dem abenteuerlichen Unternehmen abzulassen, wenn die versprochene Führerin nicht käme.

So war sie zur unteren Straßenecke gelangt und schaute nun stehenbleibend nach beiden Seiten aus. Plötzlich erklang nahe hinter der Umherspähenden ein rasches, taktmäßiges Aufstoßen wie von einem Stocke, zugleich der Ton eilig schlürfender Füße. Sich umwendend, sah sich Erna der tiefgebückten, auf einen schweren Stock sich stützenden Gestalt eines alten Weibes gegenüber, das wohl aus einem der Hauseingänge gekommen sein mußte. Doch blieb ihr keine Zeit, sie genauer zu betrachten; denn sie fühlte sich unvermutet mit wütender Heftigkeit am Arme gepackt, und in zischender Bosheit kam es von den Lippen des Weibes: »Hab ich dich!«

Erna versuchte, sich von der umklammernden Hand freizumachen, und rief mit angstvoller Stimme: »Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?«

Und merkwürdig – als ob eine besänftigende Kraft in ihrer Stimme läge, so löste sich plötzlich der Griff der Alten, sie sank tiefer in sich zusammen und stützte sich fester auf ihren Stock. Zugleich verwandelte sich nun der Ton ihrer Worte, wurde bittend und weinerlich.

»Oh, seien Sie mir nicht böse, Fräuleinchen. Das war ja nur ein dummer Irrtum. Ich hatte Sie nicht ordentlich gesehen, da hielt ich Sie für meine Enkelin. Das ist ein liederliches Frauenzimmer, das abends auf den Straßen umherstreift und ihrer alten Großmutter nur Kummer macht. Eine Verwechslung war es, nichts als eine Verwechslung. Also nicht böse sein, Fräuleinchen!«

»Ich habe nichts mit Ihrer Enkelin zu tun. Wenn Sie mir also nichts weiter zu sagen haben –«

»Doch, doch! Ich wüßte wohl noch etwas für Sie: wenigstens wenn Sie die Dame sind, – ich soll eine Dame hier treffen und sie führen, wohin sie gern gehen möchte. Du lieber Gott, ich war auch einmal jung und weiß, wie gut es tut, einen lieben Menschen so still und im Verborgenen zu treffen. Er wartet schon –«

»Sagen Sie mir, wohin Sie mich führen sollen, dann weiß ich, ob ich mich Ihnen anvertrauen kann.«

»Freilich können Sie das, natürlich können Sie das. In die Mühle soll ich sie ja führen, hier in der Auenstraße, – oh, Sie werden schon wissen.«

»Ich weiß allerdings. Und wenn Sie wirklich die mir geschickte Führerin sind, so kommen Sie schnell.«

»Freilich! Er wartet ja schon, der Herr.«

Ohne weiter zu sprechen, schlug Erna die Richtung ein, die der Stock der Alten ihr wies, und ging neben ihr so rasch vorwärts, wie der Wind es gestattete. Die Straße, die sie verfolgten, lief parallel nahe dem Flusse dahin; die Wasserseite war nur zum Teil bebaut; schiefe Baracken wechselten hier mit Holzlagerplätzen und Werkstätten.

»Da wären wir, Fräuleinchen,« sagte die Alte endlich mit leiser Stimme, während sie rechts auf ein Bauwerk deutete, das ebenso dunkel und ebenso verfallen wie die vorhergehenden dastand.

Erna blieb einen Augenblick zögernd stehen. »Das Haus ist ganz dunkel. Wenn ich erwartet werde, warum brennt kein Licht?«

»Es brennt schon Licht,« begütigte das Weib »man kann es nur von hier aus nicht sehen.«

Gleichzeitig öffnete sie die Tür, und nun drang wirklich ein matter Lichtschein aus dem Innern hervor, der Erna Mut machte, das unheimliche Bauwerk zu betreten. Die Tür wurde von der Alten gleich hinter ihr wieder geschlossen. Das matte Licht einer kleinen Petroleumlampe beleuchtete den Raum, in dem sie sich befanden, und während Erna sich darin umschaute, sah sie, daß es der gleiche war, in dem sie vor Jahren einmal gewesen war. Und eine Bestätigung dafür gab ihr das laute Rauschen des Flusses, der unter den morschen Planken des Bodens dahinschoß.

Von einem Grausen geschüttelt, sagte sie mit krampfhafter Stimme:

»Hier ist niemand. Ich sollte ja doch erwartet werden.«

»Gewiß, gewiß, Geduld! Sehen Sie das Licht nicht in der Tür da gegenüber? Dort ist er.«

Sie zeigte mit ihrem Stock auf eine schmale Tür gegenüber vom Eingang, in der ein kleines Oberlicht wirklich einen Lichtschein erkennen ließ.

»Dort hinein soll ich gehen?«

»Freilich, freilich! Lassen Sie den Herrn doch nicht warten. Nur immer geradeaus!«

Ein Zaudern von einer Sekunde noch, dann ging Erna dem winkenden Lichtschein in der Tür mit raschem Schritt entgegen. Plötzlich aber klang ein furchtbarer Schrei durch den Raum. Ein Krachen von Holz, ein dumpfes Aufrauschen des Wassers ertönte als häßliches Echo, – der Platz, auf dem Erna zuletzt gestanden hatte, war leer. Aber an seiner Stelle hatte sich ein schwarzes, viereckiges Loch im Fußboden aufgetan, und lauter noch als zuvor drang die grausame Stimme des Flusses aus der Tiefe. Nahe an dieser Öffnung trat nun das alte Weib heran, schaute gespannt hinab und murmelte befriedigt: »Gut, gut ist's gegangen, – so war es recht!«

Bei diesen Worten hob sich ihre Figur plötzlich aus der gebückten Haltung empor und straffte sich zu jugendlicher Höhe. Sie warf den Stock von sich und holte einen Bootshaken herbei. Dann kniete sie nieder neben dem schwarzen Viereck im Boden, beugte sich hinab und fügte den Eisenhaken in einen Ring an der dort niederhängenden Falltür, die sie damit in die Höhe zog. Dann schob sie zwei schwere Riegel wieder vor, und nun lag der Boden wieder fest und geschlossen da. Sie prüfte zuerst noch vorsichtig mit einem Fuße, dann mit ihrem ganzen Körpergewicht den Verschluß und nickte befriedigt.

Dann trug das plötzlich verjüngte Weib den Bootshaken in seinen Winkel zurück, löschte das Licht in dem völlig leeren Zimmer nebenan, dann auch die kleine Lampe im vorderen Raum. Im Dunkeln tappte sie sich zur Tür, öffnete, trat hinaus und schloß hinter sich gleich wieder ab.

Wohl eine Stunde lang war in dem düsteren Raume nichts lebendig. Dann wurde die Tür wieder aufgeschlossen, der Schritt von vier Füßen erklang auf dem Boden, ein Mann machte Licht und sagte zu der mit ihm eingetretenen, den Regen von ihren Kleidern schüttelnden Frau: »Na, sie scheinen ja fort zu sein. Einen Besuch, der so gutes Geld einbringt, kann man sich schon gefallen lassen. Wir haben wenigstens einen vergnügten Abend gehabt – hoffentlich haben sie sich auch gut amüsiert.«


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