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Dreizehntes Capitel.
Eine Parole Jerôme's.


Zwischen den Maskeraden in den Wohnungen der Minister fanden auch Maskenbälle für das große Publicum im Theater statt. Auch diese besuchte Jerôme, jedoch nur im Domino und ohne Larve, sodaß seine Anwesenheit nie zweifelhaft blieb. Aber statt dem maskirten Völkchen dadurch einen Zwang aufzulegen, hatte er sich vielmehr durch einen Zug fürstlicher Herzensgüte in besondere Gunst beim Carnevalspublicum gesetzt. Kurz nach dem ersten dieser Bälle erzählte man sich in der Stadt, wie der König in seinem Domino ein bei einfachen Erfrischungen vertraut sitzendes Paar unbemerkt belauscht habe. Die Liebenden hatten sich deutsch, aber des Tumults wegen ziemlich laut unterhalten, einander ihrer Liebe und Treue versichert, und der junge Mann die klagende Geliebte damit getröstet, daß er bei der großen Zufriedenheit seines Chefs mit ihm und seinen Arbeiten die Aussicht habe, nächstens befördert und in seinen Appointements so verbessert zu werden, daß sie sich dann endlich heirathen könnten. Jerôme, unbemerkt hinweggeschlichen, hatte sich durch seinen Adjutanten nach dem jungen Mann erkundigen lassen, und da demselben die besten Zeugnisse seiner Vorgesetzten ertheilt wurden, hatte er ihn noch im Laufe des andern Tags durch Zufertigung eines Anstellungsdecrets mit Contrasignatur des Geheimraths »Carneval« aufs rührendste überrascht.

 

So kam die eigentliche Fastnacht heran. Den Sonntag war große Maskerade bei Hof, an welcher auch die Königin mit ihren Damen einen durch lustige Neckereien überraschenden Antheil nahm, und die bis zum hellen Tag dauerte.

Auf den Montag Abend hatte Jerôme zur Erholung von der Sonntagsnacht eine kleine Gesellschaft auswärts einladen lassen. Ein Kreis vertrauter Frauen und Herren der höhern Gesellschaft fanden sich, leicht costümirt, aus der Stadt in den durchwärmten Gemächern des Schlößchens Schönfeld zu geräuschlosen Mysterien ein.

Der Dienstag aber ließ es sich nicht nehmen, in allgemeiner und derber Lust sich auszutoben, und die Luft, im Uebergang zu Thauwetter, begünstigte das öffentliche Treiben der Masken und die angeordneten tollen Umzüge in der Stadt.

Zu letztern gehörte eine große Fahrt, die am Nachmittag unter dem lebhaftesten Zulauf aller Welt vom Theater ausging. Die Schauspieler fuhren auf dem großen Decorationswagen in den bizzarresten und lächerlichsten Verkleidungen, einen Riesen in ihrer Mitte. Ein Zug wunderlichster Gestalten schloß sich an, – Schäferinnen in hohen Stiefeln, Soldaten in Weiberunterröcken und dergl. Diesen wurde der aufgeputzte Fastnachtsochse von Metzgergesellen nachgeführt. Das Thier schritt so munter einher, als ob es zu eigener Beruhigung mit den Gelehrten einverstanden sei, die das Wort Carneval daher ableiten, daß nun wegen der ernsten Fastenzeit dem Fleisch ( carni) Valet gesagt würde. Den Schluß des Zuges machte die Leiche des selig dahingeschiedenen Seigneur Carneval, der im Schlafrock auf offener Bahre lag, und von maskirten Leidtragenden zu allgemeinem Gelächter betrauert wurde.

Die bunte Wallfahrt, auf dem ganzen Weg ihrer lustigen Andacht von zwei Gendarmen zu Pferd begleitet, machte ihre Stationen, – zuerst an der Königsburg, wo ihnen ein Geschenk von 40 Louisd'or zufiel, sodann an den Wohnungen der Minister vorüber, und erreichte ihr Ziel vor dem Holländischen Thor, wo ihnen der König einen Freiball gab.

 

Für Jerôme, soviel Spaß er an solchen Volkslustbarkeiten fand, ging doch ein Schmerzenston durch den tollen Lärm des Tags. Er hatte ein kriegsgerichtliches Urtheil zu bestätigen gehabt, das in der Frühe der Aschermittwoche auf dem sogenannten Forst vor der Stadt mit sechs Bleikugeln vollzogen werden sollte.

Ein Sergeant Hildewig hatte sich von einem fremden Emissär zur Desertion mit Wehr und Waffen anwerben lassen, und noch fünf Gemeine von seiner Compagnie zu gleichem Schritt überredet. Diese aber, reuig geworden, hatten die Sache verrathen, sodaß er auf der Flucht, noch ehe er die Weser erreichte, eingeholt, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tod verurtheilt wurde.

Dem König machte der Vorfall den lebhaftesten Verdruß. Er erblickte im Hintergrund eine feindselige Thätigkeit, die von Preußen aus zum Aufstand reize, und fürchtete das Beispiel, das gerade von einem so braven Unteroffizier, dem Sohn eines Pfarrers und dem Günstling seines Obersten, ausgegangen war.

In dieser Stimmung kam es ihm ganz angenehm, daß Marinville auf den Abend ein feines Notturno in den Gemächern Jerôme's angeordnet hatte. Es waren nur die vertrauten Herren der gestrigen kleinen Abendgesellschaft geladen, um sich bei sanfter Musik, einem scherzhaften Ballet und einem feinen Champagnerpunsche auf die stille Fastenzeit vorzubereiten.

Nur zwei neue Gäste waren zugezogen: der Schatzmeister der Civilliste, Duchambon, jene groteske Figur eines vormals emigrirten St.-Ludwigsritters, der mit seinen zwei großen Schwächen für Flaschen und für Frauenzimmer, sowie mit seiner rothen Nase und possenhaften Lustigkeit dem König zum Spaß und als Spaßmacher diente; sodann der Graf Leo, der früher einmal, als seine Gemahlin verreist war, dem König einen solchen Abend zugedacht hatte. Jerôme, der sich dessen erinnerte und den ängstlichen Anstandsmann ein wenig necken wollte, hatte ihn nach der Mittagstafel selbst eingeladen, um ihm, wie er lächelnd sagte, die gute Absicht von damals zu vergelten, und – setzte er schalkhaft hinzu – Sie sollen auch die Ceremonien dabei wahren, lieber Graf, die Stunde hüten, wo die Fasten eintreten. Und dazu wüßt' ich mir keinen bessern Mann am Hof.

Der Graf verneigte sich für die ihm so widerwärtige Gunst.

An die Fasten erinnern, während die Frivolität dauert! seufzte er im Stillen, als die Abendstunde herankam. Dürfte ich vorher mit meinem Memento dazwischentreten, mit jener Signatur, die morgen früh der Meßpriester vom zinnernen Aschenteller auf die Stirn der Andächtigen kreuzt: Memento, homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris! (Gedenk', o Mensch, daß du Staub bist und in Staub zurückkehrst!)

 

Blangini mit seinem für Notturnos so glücklichen Talent hatte einige neue Stücke geschrieben, und zwei Mitglieder des Orchesters, Spieß und Köhler, hatten sie für zwei Hörner, sowie Demoiselle Gallo für die Harfe eingeübt. Ein halbes Dutzend Ballettänzerinnen waren dazu befohlen und warteten im Hinterhalte.

Die Stücke sprachen sehr an, und bewegten sich in jenen süßen anmuthigen Melodien und Passagen, für die Jerôme in seiner heutigen Abspannung von Genuß und Verdruß so empfänglich war.

Graf Leo freute sich im Stillen dieses Eindrucks. Er hoffte, es würde vielleicht gar nicht zu dem ärgerlichen Ballet kommen. Er ging dabei ab und zu, indem er besonders das Vorzimmer des kleinen Saals zu hüten suchte. Hier hatten neben dem Kammerdiener Gardien die beiden Lakaien Grashoff und Harbus den Dienst. Graf Leo war so leutselig gestimmt, daß er sich auch mit dem dienenden Personal freundlich unterhielt.

Die Musik wird bald abgehen, sagte er zu den beiden Deutschen; dann sorgt, daß Niemand hier hereinkomme. Ihr selbst dürft heut ein Kartenspielchen machen, wenn ihr wollt, hier nebenan. Ich geb' euch schon einen Wink, wenn's was gibt! – Aber nicht wahr, redete er französisch den Kammerdiener an, das ist eine vortreffliche Musik von Blangini?

Gardien, der auf ein bischen Deutsch sehr eitel war, antwortete:

O ja, Herr Graf, das ist ein wunderbar, c'est à merveil, wie die Oerner doucement blasen!

Ah! versetzte der Graf sehr laut, als ob er dann besser von dem Franzosen verstanden würde, – die Hörner ordnen sich der Harfe unter. O es sind wahre Virtuosen, Gardien, besonders auch im piano.

Se. Majestät bezahlen auch die Hornisten der Kapelle besser als die übrigen Instrumente, bemerkte Harbus.

Sie verdienen's auch, Harbus, sie verdienen's! entgegnete Leo, indem er sich wieder zurückzog.

Bezahlt sie nur zu gut! murrte Grashoff. Wir keuchen, denk' ich, und blasen auch nicht schlecht, wenn wir gehetzt werden, und müssen dabei piano thun, wenn wir eben aus der Haut fahren möchten; aber Alles bei sehr einfacher Gage.

Du hast Recht, Grashoff, versetzte Harbus mit seinem spitzbübischen Lächeln. Aber der König bezahlt die Hornisten nicht blos besser, sondern wenn sie artig verheirathet sind, stellt er ihnen auch noch die Hörner!

Das ist die Möglichkeit! rief Grashoff in seinem neidischen Eifer und schlug mit einer Faust in die Luft.

Gardien, der an der Saalthür gelauscht hatte, fragte jetzt:

Hören Sie, Harbus, wie sagen man Notturno in Deutsch?

Nachtstück, Nachtmusik, war die Antwort.

Ah, Nacktmusik, ganz recht! Nacktmusik. Oui!

 

Während aber Graf Leo sich von dem etwas sentimentalen Eindruck der Musik auf Jerôme die Wirkung versprach, daß die Ballettänzerinnen, zumal es schon spät war, vielleicht ohne Weiteres entlassen würden, bedachte er nicht, daß süße Melodien nicht, wie edle Gedanken, unsere sinnlichen Regungen reinigen oder auflösen, sondern, selbst von sinnlicher Natur, unser Gefühl oft nur steigern, bis es in sein gerades Gegentheil umschlägt. Dies sollte er nun erleben. Denn kaum hatten Hörner und Harfe den Saal verlassen, als auf Marinville's Wink die zum Ballet befohlenen Theaternymphen, in leichten Gewändern hervorschwebend, sich der gehobenen Stimmung ihrer Zuschauer bemächtigten. Es waren Demoiselle Astruc, die älteste Bekannte Jerôme's von Paris, die schöne Clara Lacome, die schelmische Adele Louis, die rasche, launige Coustou, die zierliche Romain und die wilde, bachantische Lavancourt.

Bald entstand auch ein solcher Lärm und Lachen, daß die Drei im Vorzimmer an die Thür schlichen, zu lauschen. Ja, der Stellung Gardien's nach hätte man vermuthen sollen, es ließe sich gebückt schärfer hören, oder durch das Schlüsselloch etwas von den anmuthigen und kunstreichen Tänzen für eines Kammerdieners Auge gewinnen.

Während nun die beiden Andern sich auf Stühlen bequem machten, Harbus gedankenvoll lächelnd, Grashoff kopfschüttelnd und zuweilen laut murrend, zischte Gardien Stille, und kam dann sehr aufgeregt heran, um sich den Andern zu erklären.

Hören Sie, sagte er mit lebhaften Geberden und hohem Ernst, der Marinville ist ein homme d'esprit. Haben Sie gehört, haben Sie verstand? Er haben sich expliciren, daß die Demoiselles sollen tanzen den wiedergefundnen Paradies. Alle der Putz, sagen Marinville, und die vielen Kleider von den Damen sein gemackt, non, non! sein hervorgekommen aus dem Feigenblatt von der Paradies. Aber mit der Garderobe en avant sein der Paradies immer mehr retour, – fort, verloren. Müssen alle wieder se retirer, die Robes, die Unterkleid, Alles, Alles, und – das will heißen der Paradies wiedergefunden, – sagen Marinville. Ah, das ist eine sublime Idee! Das ist Philosophie von ein maître de la garderobe!

Das ist also ein philosophischer Tanz da drinnen! lachte Harbus.

Da Lärm und Lachen noch lauter wurden, so lauschte Gardien abermal, und kam dann mitlachend wieder heran.

Sie haben den Duchambon zum Narren! sagte er. Er sollen macken den Feigenbaum; er sein ganz toll für die Demoiselles. Er laufen ihnen nach. Sie wollen aber nicht Duchambon. Er ist ein Narr; aber der König haben viel Spaß. Duchambon ist der faiseur von Spaß, wenn der König – – Eh bien, quand Sa Majesté est en goguettes!

O das ist eine Schande selbst bei Nacht! rief Grashoff, und stand zornig auf.

Comment, Monsieur Grasoff? versetzte Gardien. Was sagen Sie? Bei Nackt sagen Sie? Was?

Harbus lachte laut auf.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Saalthür, und man hörte Jerôme lachen:

Ah! Il n'est pas manchot, ce gaillard!

Es war der Graf Leo, der wieder und zwar aufgeregt von der verdrießlichsten Unruhe herauskam.

Geht ein wenig hinaus, gebot er den Dreien. Geht hier nebenan! Laßt mich allein!

Hinter den abgetretenen Dienern warf er sich in einen Lehnsessel, die Hände gefaltet, Kopf und Schultern hin- und herwiegend, als ob sich die Last seines kummervollen Verdrusses abschütteln ließe. In halblautem Monolog bejammerte er seine unglückliche Stellung zwischen dem Hof und dem Himmel. Eine fromme Weichmüthigkeit überkam ihn. Er dachte an die Betstunden, die während der drei sündhaften Carnevalstage die Kirche zur Versöhnung des Himmels abhalten lasse,. und die er ganz versäumt hatte. Und wie ihm in solchen Herzensbeklemmungen nicht leicht ein guter Vorsatz ausblieb, so überlegte er auch jetzt verschiedene Gelöbnisse, die er thun könnte, und unter denen ihn eine gestiftete jährliche Seelenmesse am meisten ansprach.

Während dieser Stille öffnete sich leise die Thür vom Corridor her, und der Hauptmann der Grenadierwache blickte herein.

Ah, Sie da, Herr Graf? Erlauben Sie!

Er winkte zurück mit den Worten:

Kommen Sie herein!

Der Graf war dicht herangeeilt, um die Eintretenden so weit wie möglich von der Saalthür entfernt zu halten.

Es war Freund Hermann, eine ältliche, sorgfältig aber sehr ländlich gekleidete Dame am Arm, die sich tief und demüthig verneigte, – blaß und bebend, aber von edeln, einnehmenden Zügen, eine Frau gegen die Funfzig.

Expliciren Sie sich Sr. Excellenz dem Herrn Grafen! sagte der Hauptmann, und zog sich wieder zurück.

Nur leise, leise! gebot Graf Leo in unruhiger Erwartung, und Hermann nahm das Wort:

Ew. Excellenz sehen hier die unglückliche Mutter des Sergeanten Hildewig, der morgen früh – ich muß wol sagen diesen Morgen, in einigen Stunden – Excellenz wissen es ja. Die Frau Pfarrerin ist erst die Nacht hier eingetroffen, von einigen Freunden in Homberg an mich gewiesen, und will sich um Begnadigung ihres Sohnes an Se. Majestät wenden. Da sie nicht französisch spricht, habe ich ihr diese Vorstellung an den König abgefaßt, und wir wollten sie eben dem Offizier der Wache übergeben, um solche vor Tagesanbruch unter die Augen Sr. Majestät zu bringen, als wir von dem Herrn Hauptmann erfuhren, daß der König noch wach und in kleiner Gesellschaft ist. Nun will die arme Mutter – wenn irgend möglich – durch die Gunst Ew. Excellenz – sich Sr. Majestät selbst vorstellen, und hofft Begnadigung.

Sich selbst vorstellen? entgegnete der Graf, ängstlich und zerstreut in doppelter Aufmerksamkeit auf seine Audienz und auf den Lärm im Saal. Selbst vorstellen? Vorstellen? Wird nicht gehen, – jetzt nicht gehen. Nein! Morgen vielleicht, – im Laufe des Tags. – Ja!

Aber, dann ist es ja zu spät, Excellenz! bemerkte Hermann.

Ja, dann ist's zu spät, Excellenz! erwiderte in Gedanken der Graf.

Ach Ew. Gnaden, Excellenz, lassen Sie sich erflehen! fiel die Pfarrerin ein. Versetzen Sie sich in die Lage einer armen Mutter, die ihren Sohn auf so grausame Weise verlieren soll. Der König wird Erbarmen haben, er ist gütig, und ich hoffe mein Kind zu retten. Bedenken Sie das! Sie sind vielleicht auch Vater und wissen – Bringen Sie mich nicht um meine letzte Hoffnung, vielleicht um das Leben meines Sohnes. Ew. Gnaden können sich den Himmel verdienen! Haben Sie Erbarmen!

Den Himmel, gute Frau? Den Himmel? rief der Graf. Ach ja, den Himmel haben wir nöthig – ich und einige Andere.

Plötzlich hielt er inne und blickte nach der Decke des Zimmers, als ob ihm eine neue Gedankenreihe aufginge, oder eine höhere Eingebung käme. Vielleicht, daß er seiner vorhin gefaßten guten Vorsätze gedachte, und die arme Frau als eine Bescherung des versöhnlichen Himmels erkannte – – Gut, ruhig, liebe Frau Pfarrerin! flüsterte er. Ich will etwas für Sie thun! Der Himmel weiß, was ich für Sie wage. Kommen Sie! Sehen Sie dort, – in jenes Zimmer gehen Sie und setzen sich ruhig hin, ganz ruhig. Und sobald die Gesellschaft des Königs auseinandergeht, rufe ich Sie heraus, und Sie übergeben Ihre Vorstellung mit einem Fußfall. Verstehen Sie mich? Aber Geduld müssen Sie haben; denn es kann noch eine Weile dauern.

Hermann bat um Erlaubniß, bei der armen Frau zu bleiben, um sie zu beruhigen – ruhig zu halten.

Gut! Thun Sie das! Aber Sie dürfen sich nicht sehen lassen, nicht mit herauskommen, wenn der König erscheint. Bei Leibe nicht!

Der Freund versprach es, und führte die etwas beruhigte Frau nach dem bezeichneten Zimmer.

 

Wie der Graf vorausgesagt, dauerte es noch eine Weile, ehe die Tänzerinnen, in ihre Mäntel gehüllt, fortschlüpften, und dann verstrichen auch noch zwei Stündchen beim Kumpf vortrefflichen Ananaspunsches, vom Grafen Löwen-Weinstein zubereitet, der für ziemlich gleichgültig gegen die Cabinetsballete, aber für die Krone der Jerôme'schen Zechgenossen galt.

Mit der Beruhigung seines guten Vorhabens nahm Graf Leo bei der stark duftenden Bowle seine Entschädigung für den Kummer über das Ballet. Duchambon, der Spaßmacher, that desgleichen, aber nicht mit, sondern zur Beruhigung über die muthwilligen Tänzerinnen, von denen er sich wenigstens keine bloßen Neckereien erwartet hatte. Da er in leichtem Rausche witziger und anständiger als in seiner Verliebtheit war, so ergötzte sich Jerôme und die kleine Gesellschaft an seinen Späßen. Er nahm die feinen Neckereien mit Heiterkeit auf und erwiderte die zu derben mit guten Trümpfen.

Als es endlich zum Aufbruch kam, eilte Graf Leo voraus, und schickte die Lakaien fort, die sich indeß wieder im Vorzimmer eingefunden hatten.

Alle die Herren waren ziemlich angetrunken, und kamen glühend und lachend aus dem Saale. Jerôme beruhigte noch einmal den etwas wankenden Duchambon über die Sprödigkeit der Tänzerinnen gegen ihn. – Sie haben heut kein Glück gehabt, sagte er; Sie waren gerade nicht unbescheiden, Duchambon, nein, gar nicht! Sie hatten es auf die magerste abgesehen, wahrscheinlich weil Sie sich erinnerten, daß die Fastenzeit nach Mitternacht angeht. Aber nun halten Sie Abstinenz, Duchambon! Der Himmel hat Ihnen einen Fastenwink gegeben. Gehen Sie mir geraden Wegs nach Hause! Verirren Sie sich nicht in unrechte Gassen! Ne rompez pas le carême, Duchambon! Aschermittwoch ist angebrochen. Thun Sie Buße! Ziehen Sie nach und nach die Oriflamme Ihrer Nase ein, die immer auf »Morgen wieder lustig« aushängt.

Indem wurde Jerôme inne, daß sein unachtsamer Kronschatzmeister sehr ernst nach der entgegengesetzten Seite starrte. Er wendete sich um, und in diesem Augenblicke warf sich die Pfarrerin, ihre Bittschrift in den gehobenen Händen, mit dem Ausruf: Gnade Ew. Majestät für meinen unglücklichen Sohn!

Der König, von der unerwarteten Erscheinung betroffen, beinahe entsetzt, fuhr mit dem Ausrufe zurück:

Aber, mein Gott, Madame –!

Er wollte Mutter hinzusetzen, als er sich eben noch seiner Täuschung besann.

Graf Leo war vorgetreten. Er bat um Verzeihung, daß er es gewagt, die ehrwürdige Frau vorzulassen; er habe geglaubt, eine Bitte um Gnade an diesem Bußtage nicht abweisen zu dürfen, – eine Bitte, die sich um Mitternacht in die Nähe eines gnädigen Königs gedrängt habe. – Es ist die Mutter des unglücklichen Sergeanten, der mit Tagesanbruch erschossen werden soll, sagte er, – die Witwe eines verdienten Pfarrers.

Jerôme betrachtete die mit Thränen zu ihm aufblickende Frau einige Augenblicke, faßte dann die Hand, aus der er die Bittschrift empfing, und sagte in mildem Ton:

Stehen Sie auf, Madame! Aber, Ihr Sohn – Deserteur – nicht gut, Madame!

Gnade, Ew. Majestät! Gnade für Recht! flehte sie mit einem Blick, in dem ein Strahl von Hoffnung leuchtete.

Jerôme, indem er die Bittschrift durchlief, sagte zu Marinville:

Ich war ganz betroffen, Marinville, wahrhaft erschrocken: ich glaubte im ersten Augenblicke Madame Lätitia zu erblicken, meine gute Mutter. Was rathen Sie mir zu thun?

Marinville, leise redend, schien eine Begnadigung zu empfehlen, was unter den jetzigen Verhältnissen im Militär und im Königreich den besten Eindruck machen werde.

Jerôme wendete sich an den Grafen Leo mit den Worten:

Sagen Sie ihr, Graf, sie erinnere mich durch ihre Gestalt und ihre Züge an meine Mutter.

Der Graf sagte es ihr, und sie, die Hände faltend und tief aufathmend, rief aus:

Ach! dann wird Se. Majestät auch fühlen, wie einer Mutter zu Muthe ist, die einen ungerathenen Sohn hat, den sie aber liebt, und den sie noch einmal mit ganz andern Schmerzen dem Leben schenkt!

Die Herren, die Deutsch verstanden, lächelten verstohlen. Der Graf aber übersetzte es dem König mit den Worten:

Ach! dann würden Ew. Majestät auch fühlen, wie einer Mutter zu Muthe sei, die ihren Sohn liebt, den sie durch des Königs Gnade noch einmal dem Leben schenkt.

Jerôme, dem das Lächeln des Generals von Lepel und des Obersten von Hammerstein nicht unbemerkt geblieben war, sah den Grafen mit mistrauischem Lächeln an und fragte dann:

Wollen Sie es auf sich nehmen, Graf, wenn ich den Verurtheilten begnadige?

Ew. Majestät üben dann nur das schönste Vorrecht der Könige aus! antwortete Leo mit tiefer Verneigung.

Gut! rief Jerôme. Dann bleiben Sie einmal in einer dieser anmuthigen Verneigungen, und leihen mir Ihren Rücken!

Sein erster, übermüthiger Gedanke war, auf dem Rücken des Grafen zu schreiben; während aber Marinville aus seiner Brieftasche eine Bleifeder nahm und sie ihm überreichte, besann er sich seiner Würde und des Anstandes. Er trat an das nächste Tischchen und schrieb mit angenetztem Blei in derben Zügen auf die Bittschrift:

»Wird vollständig begnadigt, und tritt mit bisherigem Rang in die Compagnie zurück. Jerôme N.«

Dann gegen die Pfarrerin gewendet:

Hier, Madame! Holen Sie Ihren Sohn aus dem Castell, ehe es Tag wird. Er soll meine Gnade durch Tapferkeit verdienen.

Wie die glückliche Mutter laut weinend sich noch einmal niederwerfen wollte, um zu danken, wehrte es der König mit den Worten ab:

Nein, Madame! Gehen Sie, eilen Sie, es wird schon Tag!

Er befahl noch dem Obersten Hammerstein, ihr den dienstthuenden Adjutanten mit nöthiger Weisung an den Commandanten nach dem Castell mitzugeben, und entließ dann die übrigen Gäste mit den Worten:

Gute Nacht, meine Herren! Guten Morgen! Ich sage heut nicht, wie sonst: Morgen wieder lustig! Wir haben mercredi des cendres! Aber, nehmen Sie ein Wort, das auch Freude bedeutet: Heut, für Aschermittwoch, gebe ich im Namen meiner theuern Mutter die Parole – Lätitia!



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