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VI. Kapitel.
Cordula

L'amour n'est que l'échange
de deux fantaisies.

In Cordulas Sippe gab es keine Generation, in der nicht zugleich mit hervorragenden Anlagen für irgendeine der schönen Künste stets auch ein Fall von Umnachtung oder Selbstmord untergelaufen wäre. So erwies auch sie sich schon von früher Kindheit an als absonderlich. Obwohl sich das geniale Erbe nicht verkennen ließ, sich im Gegenteil in merkwürdigen, von der Mutter getreulich aufgezeichneten Aussprüchen kundtat, lag in ihrem Wesen etwas Unfertig-Hilfloses, Kindliches, das ihr bis weit über die Jahre der Geschlechtsreife verbleiben sollte.

In die Zeit ihres Weibwerdens fiel ein nicht alltägliches Ereignis. Cordula hatte eines Sonntags, mit ihrem blütenweißen Festkleid angetan, das Unglück, beim Haschen mit jüngeren Gespielinnen in die Senkgrube, die hinter dem väterlichen Haus lag, einzubrechen. Während die kleinen Freundinnen, ratlos kreischend, davonliefen, wurde sie im letzten Augenblick, mit übelstem Unrat bis in die Nackenhaare beteert, durch den herzuspringenden Nachbar gerettet.

Der Unrat mochte abgewaschen und das Kleid mochte gesäubert werden, doch das Entsetzen blieb in ihrer Seele, nistete sich tief unter der Schwelle des Bewußtseins ein, wucherte und machte sich breit, jeden Augenblick drohend, alle anderen Regungen ihres jungen Fühlens zu ersticken.

Aus der körperlichen Beschmutzung erwuchs zunächst die kranke Sucht, sich unzählige Male am Tage zu waschen und sich unmäßig mit Parfümen zu besprengen, die sie vom Frisiertisch ihrer Mutter entwendete. Denn der teuflische Stank des Kotes blieb in ihren Sinnen, was immer sie auch beginnen mochte.

Dann aber wandelte sich die angeborene Schwerfälligkeit, durch die Besudelung verstärkt, in die Vorstellung des eigenen Unwertes. Wußte nicht die ganze Stadt um ihr Mißgeschick? Dachte nicht jeder Vorübergehende auf der Straße nur an das, was ihr Schändliches widerfahren war? Diese Besessenheit wurde so stark, daß sie begann, ihre schöne Heimatstadt, ja sogar ihr Vaterhaus zu hassen und sich weit, weit fortzusehnen.

Hinzukam, daß sie in dem Tanzzirkel, an dem sie bald darauf teilnahm, ihres körperlichen Ungeschicks wegen eine wenig beachtete Rolle spielte. Dennoch fühlte sie sich den Gänsen, wie sie in übersteigerter Gegenwirkung die anderen Mädchen bezeichnete, vermöge ihres frühreifen Wissens und der edlen Geistigkeit, die im Hause ihres Vaters, eines bekannten Bildhauers, herrschte, weit überlegen. Aber der schlanke, blonde Junge, der es ihr angetan, bemerkte nicht die brennende Sehnsucht ihrer schönen, dunklen Augen und vermochte nicht, dem von ihr geführten Gespräch standzuhalten. Wenn er mit ihr tanzte, schwieg er, trotz aller Versuche, auf ihn mit den Reizen ihres Geistes einzudringen, während er bei den anderen, die ihre albernen Erzählungen aus der Schule hervorkicherten, gewandt und überlegen scherzte.

Lag sie nachts schlaflos im Bett und sehnte sich nach ihm, nach einer Berührung seiner feinen, schlanken Hände, nach einem Kuß seiner frischen Lippen, so sprach sie lange mit ihm, wobei sie durch Witz und Lebhaftigkeit glänzte. In der traurigen Wirklichkeit aber hing sie ihm stumm und schwer im Arm, wenn er sie aus Höflichkeit gezwungenermaßen hier und da aufforderte.

Dieser frühe Herzenskummer hatte zur Folge, daß in ihrer jungen Seele die Ideen der Beschmutzung, der Minderwertigkeit und der Liebe eine unheilvolle Verbindung eingingen, als deren Frucht immer zunehmende Menschenscheu, Unsicherheit und schließlich schwere nervöse Störungen auftraten.

Daher begab sich das junge Mädchen auf die Wanderung durch Sanatorien und durch die Sprechzimmer der berühmtesten Analytiker. Mit Feuereifer warf sich ihr unbeschäftigter, scharfer Verstand auf die damals noch in den ersten Anfängen steckende Wissenschaft der aushorchenden Zerpflückung des Unterbewußten. Bald übertraf sie womöglich noch ihre Helfer an gewagten Zusammenstellungen und kühnen Vermutungen. Dazu kam, daß sie sich von jenen, schon aus Geschäftsrücksichten, zum erstenmal in ihrem Leben vorbehaltlos ernst genommen fühlte. Jeder ihrer Äußerungen, jedem ihrer oft nur aus Freude am raffinierten Spiel gemachten Einfälle wurde höchste Wichtigkeit beigemessen. Dieses Ernstgenommenwerden war milder Balsam für die mit vielem Fleiß immer wieder von neuem aufgerissenen Wunden. Mit dem Egoismus aller Kranken ihrer Art legte sie sich nun in überzeugtem Eifer auf die Durchkreuzung all der unbekannten Gefilde ihrer hochinteressanten Seele.

In einem solchen Sanatorium war Dr. Biedermann Assistent des weltberühmten Leiters. Cordulas Übel bedeutete für den ehrgeizigen jungen Arzt den schwierigsten Fall, der ihm je untergelaufen war. Nicht nur wurde sein berufliches Interesse gepackt, auch ihr ansprechendes Äußeres reizte ihn. Ihre geniale Begabung für sein Fach spiegelte ihm die Fata Morgana eines idealen Bundes vor. So warb er denn um Cordula, die sich, ihrer Gepflogenheit gemäß, längst in den stattlichen Mann verliebt hatte, und wurde erhört.

Cordula erwartete, wie es ihr Biedermann übrigens in Aussicht gestellt hatte, von der Ehe und der täglichen innigen Gemeinschaft mit dem, der ihre Seele ganz kannte, endgültige Heilung. Anstatt dessen erlebte sie die furchtbarste Enttäuschung. Wie bei allen Traumerotikern, wog die Wirtlichkeit nichts gegen die ausschweifenden Erwartungen ihrer Phantasie. Lustlos gebar sie zwei Kinder, die sie, da ihrer eigenen Persönlichkeit der klar bewußte Kern mangelte, von nachgiebiger Schwäche zu harten Züchtigungen übergehend, in unmöglichem Stil verzog. Da sie die Schuld an ihrer Enttäuschung allein Biedermann zuschob, an seiner Liebeskraft wie auch an seinem ärztlichen Können verzweifelte, wurde er ihr zunächst gleichgültig. Dann, da er fortfuhr, Ansprüche an sie zu erheben, lästig und endlich verhaßt.

So darbte sie in Dürre und Unmut neben dem gesunden, starken und lebenstüchtigen Manne dahin. Nach und nach verreichlichte sich die Idee der Beschmutzung um die Furcht vor Ansteckung, wobei die Kranke eine wahrhaft geniale Erfindungskraft für immer neue Infektionsmöglichkeiten an den Tag legte. Als Gegenwirkung verdichtete sich hinwiederum ihr Wille, aus Beschmutzung und Ansteckung herauszukommen, zu der manischen Sucht, das Haus möglichst oft von oben bis unten zu säubern, jeden Gegenstand abzuwischen, bevor sie ihn in die Hand nahm, und Klinken und Geschirr immer wieder blitzblank zu scheuern. Bedeutete doch ihrem kranken Gemüt diese bis zum Zusammenbruch fortgesetzte körperliche Betätigung einzig Ersatz und Gegengewicht gegen die Umnachtung, die sie von der Geringschätzung der eigenen Person her kommen sah. Biedermann hatte es traun fürwahr nicht leicht!

*

Da trat Florian auf den Plan.

Sein genieverheißendes Profil – Cordula bemerkte sofort die überraschende Ähnlichkeit mit dem Großen Feierlichen, den sie aus ihrem väterlichen Hause kannte –, seine sonore Stimme, sein aus jüngsten Erfolgen herrührendes, kraftvolles Gebaren verhießen kernigste Männlichkeit. Florian hatte sich, wenn er erstmalig in neuem Kreise auftrat, um jede Spur des inneren Chaos zu verwischen, in seinem mimischen Vorrat unter anderem eine männische Maske zugelegt, die allmählich von selbst einsprang, wenn eine ihn besonders fesselnde Frau die Feder schnappen machte.

Wie es bei ehelichen Kreuzungen und Überschneidungen zu kommen pflegt, fand Biedermann an Veras Interesse für seine Studien ebensolches Gefallen wie Cordula an Florians Außerordentlichkeit. Man saß gleich am ersten Abend in getrennten Zimmern, um sich gegenseitig nicht zu stören.

Florian, der sich in seiner Ehe längst an ein ruhiges Nebeneinander gewöhnt hatte, war überrascht, daß beim Anblick Cordulas langverzitterte Klänge seiner Seele noch einmal aufrauschten. Mitempfinden für das Leid der schönen und klugen Frau fachten zunächst noch fast väterliche Wächtergefühle für ihr Seelenheil in ihm an. Als erstes setzte er Biedermanns Kunst, von der er nur dem Hörensagen nach etwas wußte, in Cordulas Augen als minderwertig herab, obwohl er dieser selben Kunst seine jüngste Heilung verdankte. Sodann fing er in seiner unverständlichen Sprache an, über die letzten Dinge zu sprechen. Nur die Mystik, nur der Glaube könne Cordula heilen! Und er berichtete der hoffend Aufhorchenden von den Abgründen, die er selbst durchstürzt hatte, wie auch von seiner wunderbaren Heilung durch den Großmeister.

Cordula, die seit langem jeden Glauben an Genesung verloren hatte, geriet, ihrer heftigen Art gemäß, schnell in Feuer. Durstig ließ sie sich von Florian in den Anfängen der Mystik unterweisen. Gab es einen Sterblichen, der sie zu retten vermochte, so war es Dr. Windmacher! Welch verseelte Glut leuchtete aus seinen wild anpackenden Augen, die fanatisieren konnten. Welche Überlegenheit sprach aus der Sicherheit, womit er das Irdische gegen das Überirdische abtat. Wie erbärmlich kam ihr nun Biedermanns Handwerk gegen Florians göttliche Weisheit vor.

So willigte sie denn, Vernunft, Sitte und Bestand der Ehe in den Wind schlagend, ein, sich mit ihm um die Dämmerstunde im Wald, der unweit ihrer Villa begann, am anderen Tage zu treffen.

*

Florian war schnell gegangen, wartete nun und trocknete sich die feuchtkalte Stirn. Er fühlte, erleuchteter denn je, daß sein Karma ihn trieb, diese Frau aus ihrer unwürdigen Ehe zu erlösen. Wenn er die Augen schloß, spürte er mystisch-seelisches Zueinanderdrängen und Strömen des magnetischen Quells, wie es sich wunderbarerweise immer gerade dann erneuerte, wenn Florian ihn versiegt glaubte. Da war ihm wieder, als umschwebe ihn Virginias Bild, nur jünger und schöner noch. Vorsichtig schaute er sich noch einmal nach allen Seiten um. Dann widmete er sich, in das Wogen ahndungsvoll kosmischen Glücks versponnen, ausgiebig seiner Nase.

Auf einmal hörte er Knacken trockener Äste und hatte gerade noch Zeit, sein Taschentuch zu ziehen. Dann stand Cordula schon vor ihm, ebenfalls in großer Erregung. Sie gingen, wie um den Sturm ihrer Seelen zu besänftigen, in erzwungen gleichgültigem Gespräch am Waldessaum dahin, zwischen den Föhren, im warmhüllenden Dämmer, der sie zueinander zwang.

In Cordula siedete Erwartung. Noch nie hatte sie einen Schritt aus der Hut der Ehe getan. Nun, wo Florians Zauber noch nicht hinriß, schien ihr das Wagnis weltumstürzend. Sie atmete schwer.

Doch als dann Florian, aus Zwang und Starre erwachend, zum erstenmal einen Arm um ihre Hüfte legte und sie tiefer in den Dämmer zog, spürte sie, auch ohne daß er von faszinierenden Mysterien sprach, solch einen Sturm von selig-schwermachender Betäubung durch die Glieder rasen, daß ihr klar ward: einzig von dieses wahrhaften Mannes seltsamer Liebesmacht konnte sie aus trübem Wust der Krankheit in lebenslang qualvoll ersehnte Verzückung sich mitreißen lassen.

Aus Florians Fingerspitzen, die ach viel zu leicht auf ihrer Hüfte lagen, zuckten Ströme, die ihren Willen wie ein Spielzeug kreiseln ließen und ihr sonst schwer sich hinschleppendes Blut aufblühend tanzen machten. Alle wehrende Sprödigkeit und rechnende Schwere schwand. Was sie immer geahnt, wußte sie jetzt durch Eingebung dieser seligen Stunde: es gab einen liebesstarken Mann, der vermochte, die Fesseln der alten, trüben Vorstellungen von ihr abzustreifen.

Wiewohl verzückter denn je in obere Ätherreiche, fühlte Florian, wie Cordulas Atem stürmte. Und obgleich ihn nicht nach Leidenschaft gelüstete – brauchte es doch geraume Zeit, bis er aus höheren Welten auf den physischen Plan der Begierde herabstieg –, hielt er es schließlich für angebracht, milde einen Arm um Cordulas Schultern zu legen und sie in göttlich väterlichem Verstehen zart auf Stirn und Augen zu küssen. Denn er empfand von je ein eigentümliches Widerstreben, Frauen auf den Mund zu küssen. Da aber ihr Haupt zurücksank und er ihre Lippen halb geöffnet dursten sah, zwang er sich und brachte das Opfer.

Und tiefer und tiefer sank er in ihres Kusses dunkle Gruft. Ward je solch ein Kuß gegeben? Je solch ein Kuß empfangen? Ihr Hut glitt zu Boden, sie wußte es nicht. Ihr Knoten löste sich, sie spürte es nicht. Sie hatte die Augen geschlossen und schaute nach innen. Ihr war, als stiegen aus der Gruft dieses ewigen Kusses ihre Seelen, innig verschmolzen und eins geworden. Der alten Hülle aus Unfähigkeit und Schwere ledig, kam sie dem erschütternden, immer herbeigesehnten Glück des Vernichtetseins in ganzer Erfüllung nahe. Ahnte denn er, der sie allein von allen Menschen verstand, nicht, was in ihr rief?

Florian hatte ehrfurchtsvoll dem Abrollen des Karma gelauscht und wurde erst durch Cordulas leidenschaftliches Zittern aus der Übersinnlichkeit gerissen. Daher löste er, ein wenig befremdet, aber keineswegs unsanft, Arm und Lippen von der Verzückten. Er ließ sich auf keinen Fall, von welcher Frau es auch sei, zu etwas zwingen, das ihm nicht lag. Er wußte wahrhaftig zur Genüge, welche Verheerungen Zwang im Astralischen anrichtete. Wie es ihm des öfteren erging, mußte er, ohne daß er für dieses Umschlagen hätte Rechenschaft ablegen können, in schroffem Übergang von Heiligkeit zu Albernheit plötzlich lachen.

Cordula starrte, indem sie die versteinten Arme herabhängen ließ, mit aufgerissenen Augen in seine durch das Grinsen zur Grimasse entstellten, genialen Züge und stieß drohend hervor: »Wie vermagst du in solcher Stunde zu lachen?«

Florian fuhr mit allen Fingern der Rechten durch sein Haar und verschob dabei den Schlapphut, daß er drollig auf seinem geräumigen Schädel tanzte. »Verzeih, bitte, Lieblein, Herzlein!«

Hier stockte er. Denn er entsann sich plötzlich zu seiner Beschämung, daß er alle anderen Frauen, denen er nahe gekommen war, auch so genannt hatte. Daß einem auch nie etwas Vernünftiges zu passender Zeit einfiel! Verlegen streichelte er ihre noch immer zitternden Hände. »Ich mußte gerade daran denken, was der gute Kant über die Liebe sagt. Kennst du nicht auch diese luziferischen Versuchungen, im heiligen Augenblick hehrsten Glückes lachen zu müssen? Nein? Das ist die bekannte Tatsache der astralischen Reperkussion und ganz einfach zu erklären, weißt du? Bist du denn nie in einen Lachkrampf ausgebrochen bei der Nachricht vom Tode eines dir besonders lieben Verwandten oder Bekannten?«

Cordula schüttelte den Kopf. Ihr graute fast vor der Selbstverständlichkeit, mit der Florian von den verworfensten Abgründen seines Wesens sprach.

Er fuhr fort: »Da fällt mir ein, daß ich heute morgen bei Professor Tüttschulte gewesen bin. Er zeigte viel Verständnis für meine Untersuchungen und versprach, meine Habilitation bei der Fakultät zu befürworten!«

Wohl merkte er, daß sie, als wäre ihre Seele weit fortgeflogen, mit leeren Augen und tauben Ohren wie leblos neben ihm dahinschritt. Dennoch ließ er das Räderwerk seiner Suada weiter abschnurren, da er hoffte, das erste Spältchen, das sich zwischen ihnen auftun wollte, mit dem Gießbach seiner Worte zu überschnellen.

In ihr aber verflackerte langsam das Fanal der einzigen Stunde. Hätte nicht die Scham sie gehindert, würde sie ihn am liebsten angeschrien haben: »Kannst du Narr nicht sehen noch hören? Warum hast du nicht gepflückt, was vielleicht nie wieder blüht?«

Und in dem Maße, wie die Überflutung ihres alten Leides durch die atemraubende Steigerung der durchlebten Seligkeit verebbte, tauchte wieder der alte Schlamm des Grams und damit fast etwas wie Haß auf Florian empor. Ein Rufer war da in ihr, der warnte: Er ist auch nicht der Mann, den du brauchst! Laß dich nicht hinreißen durch Blendwerk des Wortes! Noch hast du dich! Besser altbekanntes als neues unbekanntes Leid!

Aber die einmal angefachte Sehnsucht und der Blick ins gelobte Land des Allvergessens, den sie vom Gipfel seligen Erahnens soeben getan, überredeten sie, sich in Hoffnung zu bescheiden. Besaß Florian überhaupt die Macht, sie zum allbetäubenden, allheilenden Rausch zu treiben, so mußte er immer von neuem solchen Rausch erwecken können! Und in ichsüchtigem Drang, sich unter Ausnutzung seiner magischen Kräfte ihres Ungemachs für immer zu entledigen, verwarf sie die warnende Stimme ihres unbewußten Fühlens.

*

Wirklich stieg in den nächsten Tagen Florians Liebe aus Traumeshöhen ins Wirkliche herab. Cordula aber erkannte, den Tod im Herzen, daß der Warner des Instinkts recht gehabt hatte. Der große Augenblick ihrer Wiedergeburt im Bad vollkommenen Glückes war durch Florians Zögern versäumt, hehrste Hoffnung auf Gesundung verzettelt in kindischem Stümpern. In schwachem Brand glomm noch ursprüngliche Sehnsucht. Sonst brütete, wie immer, dumpfe Verzweiflung.

Florian jedoch geriet in demselben Maße, wie Cordulas Glaube erstarb, in immer schweifendere Trunkenheit. Mit der Gewißheit, mit der Geisteserweckte geweissagt und die großen Erleuchteten Mysterien aufgehellt haben, wußte er mit jeder Stunde sicherer: Cordula war ihm von den oberen Wesenheiten und vom Engel seiner Seele vorausbestimmt!

Und ein Abglanz dieses fanatischen Bewußtseins überschattete selbst noch Cordulas Ernüchterung. Solange er bei ihr war, gelang es seiner Berauschtheit, mit der eigenen Glut das erstorbene Gefühl der Enttäuschten immer wieder anzufachen.

Nach wenigen Tagen spürte Cordula aus untrüglichen Anzeichen, daß sie von Florian Mutter wurde. Entsetzt teilte sie ihm ihre Gewißheit mit. Aber gleich darauf schalt sie sich ihres Kleinmuts wegen, als sie Florians vor Glück ganz verklärtes Antlitz sah. Er wußte sich vor Freude nicht zu fassen. Immer wieder liebkoste er sie und stammelte, von ungeahntem, stolzem Glück überstrahlt: »Herzlein, Lieblein du, Mutter unseres Kindes! Mutter auch mir selbst!«

Cordula fand zwar die zärtlichen Namen, die er ihr beilegte, längst geschmacklos und wehrte aus tiefsten Quellen ihres Weibtums die ihr widernatürlich aufgedrungene Mutterschaft ihrem Geliebten gegenüber ab. Aber da auch eine gewisse Güte in ihr schlummerte, ließ sie, lächelnd über das Kind, das in dem genialen Manne steckte, seine Verzückung über sich ergehen.

Plötzlich fuhr Florian auf: »Ich werde wahnsinnig, wenn ich bedenke, daß ein anderer – –«

Sie unterbrach ihn gequält: »Rühr doch nicht an diese Dinge!«

»Ich schwöre dir, ich gehe über Leichen! Wenn er wagen sollte – –«

»Du vergißt, daß ich mit ihm verheiratet bin!«

»Unsinn! Du gehörst zu mir! Wenn du mich liebst, fliehst du noch morgen mit mir!«

»Und soll ich meine Kinder um deinetwillen im Stich lassen?«

»Die Pflichten gegen dich, gegen deinen Ichleib und dein Geistselbst sind die höheren! Niemals wirst du bei Biedermann gesunden! Ich nehme hellseherisch wahr, daß seine Sphäre niederziehend und zersetzend ist. Ein Mensch, dessen Beruf es ist, den Schleier von allen Geheimnissen der Seele zu reißen, kann nicht aufbauen! Du aber mußt vor allem das Trümmerfeld deiner Seele bebauen. Ich bringe dich zum Großmeister. Er wird dich heilen. Denn er hat mich, der kränker war als du, auch geheilt. Und dann: trägst du nicht unser Kind? An ihm sollst du, auch wenn alles andere zuschanden wird, genesen! Ich fühle es genau! Mir ist in diesem heiligen Augenblick, als öffnete sich das Buch, in dem alle Schicksale aufgezeichnet sind. Und ich lese wie ein Seher in der Akashachronik: Du wirst unsern Erlöser gebären!«

Bei diesen Worten streckte er beide Arme weihend und beschwörend gegen Cordula aus.

Verführt von seinen verlockenden Schilderungen, die er mit unirdischer Sicherheit machte, willigte sie in seinen Vorschlag. Sie entflohen am andern Tage nach Berlin, um dort des Großmeisters zu harren, der unglücklicherweise auf einer Vortragsreise begriffen war. Gleich als sie in Berlin aus der Bahnhofshalle traten, geschah das, was Cordula ihren letzten Illusionen entriß. Florian ging, mit Koffern und Taschen beladen, vor ihr her über den Damm und steuerte gerade auf das gegenüberliegende Hotel zu. Plötzlich ertönte eine grölende Autohupe. Wie vom Veitstanz überfallen, warf Florian alles, was er trug, ab, sprang torkelnd wie eine angeschossene Krähe in putzigen Sätzen zum rettenden Bürgersteig und ließ Cordula unritterlich allein auf dem Fahrdamm, einsam inmitten des Haufens von weggeworfenen Reiserequisiten. Drüben in Sicherheit, winkte er heftig und schrie wütend: »So komm doch, Herzlein! Was bleibst du denn da stehen? Du wirst dich überfahren lassen!«

Fassungslos über seine pathologische Feigheit, schrie sie ebenso laut zurück: »Unsinn! Es ist ja gar kein Auto zu sehen!«

Gleich Winnetou auf dem Kriegspfad sorgfältig nach allen Seiten ausspähend, wagte sich Florian langsam zurück zur Verlassenen auf dem Fahrdamm. Cordula sagte nur unsäglich enttäuscht: »Du bist noch kränker als ich! Du hast ja auch Komplexe!«

Mit naiver Rücksichtslosigkeit erwiderte Florian: »Tja, Lieblein, daran mußt du dich gewöhnen, daß ich einen heillosen Respekt vor Automobilen und dergleichen ahrimanischen Maschinen habe. Das hängt mit meiner ersten großen Liebe zusammen. Ich werde dir bei anderer Gelegenheit davon erzählen, wenn du mehr dazu aufgelegt bist.«

Verletzt entgegnete Cordula: »Das kannst du für dich behalten. Ich danke dafür!« Sie schwieg den ganzen Weg über bis ins Hotel.

Schon während der ersten Tage, die sie auf Florians Wunsch in einem gemeinsamen Zimmer verlebten, bemerkte Cordula voll Schrecken all seine liederlichen Nachlässigkeiten. Er rauchte fortwährend und streute rücksichtslos die Aschenreste im Zimmer umher. Kamen ihm Tabakabfälle beim Saugen zwischen die Lippen, schnellte er sie mit knappem Knall auf Teppich, Möbel oder Wand. Namentlich beim Pfeiferauchen spie er in kurzen Zwischenräumen fast ununterbrochen mit schnalzendem Klang durch die Zähne.

Kaum hatte sie ihm diese ekelerregenden und gesundheitsschädlichen Angewohnheiten ausgetrieben, so begann er gewohnheitsgemäß sein Haar zu durchfurchen. Oder er säuberte sich die Nägel der einen gewandt mit den Nägeln der anderen Hand, indem er flott dabei knipste. Als Cordula Florians alltägliche Manipulationen zum erstenmal beim Essen mitansehen mußte, brach sie zur peinlichen Überraschung der anderen Hotelgäste das eben Genossene mitten im Speisesaal wieder aus.

Doch bedeutete das für Cordulas Schmutzkomplexe alles nichts gegen Florians Unterlassungen auf dem Gebiet der selbstverständlichsten Reinlichkeit. Bevor er nämlich den ganzen Marstall von Cordulas neurotischen Steckenpferden kannte, überließ er sich harmlos seinen Schlampereien. So stellte Cordula am ersten Morgen schaudernd fest, daß er sich wusch, indem er sein verdächtig graubraun aussehendes Wollhemd auf dem Leibe behielt, einen Zipfel des Hotelhandtuches in das Wasser tauchte und damit ein wenig über das Gesicht fuhr. Zahnbürste und Paste, behauptete er auf ihre Vorhaltungen hin, in der Eile vergessen zu haben. Ahnungslos fragte er sie, die sich, tödlich erschrocken, im Bett aufrichtete: »Ich darf wohl deine Bürste mitbenutzen, was, Lieblein?«

Sie brach in Schluchzen aus und ließ sich lange nicht trösten. »Begreifst du denn nicht, was du mir antust? Ich werde vor Grauen und Ansteckungsgefahren wahnsinnig, wenn du mich weiter so rücksichtslos quälst. Versprich mir, daß du gleich nach dem Anziehen hinuntergehst und dir eine Zahnbürste kaufst. Vergiß auch nicht, dir ein eigenes Stück Seife zu besorgen! Versteh mich recht! Ich brauche Schonung! Die fortwährenden Aufregungen schaden mir in meinem Zustand. Wie soll ich dir die Hand geben oder dich küssen, wenn ich sehe, daß du dich in dem fremden Handtuch abtrocknest, in dem sich tausend Unbekannte, mit allen möglichen Krankheiten Behaftete vor dir abgetrocknet haben? Und wenn du einmal auf die Straße gehst, laß dich, bitte, gleich rasieren. Lieber wäre es mir allerdings, du tätest es selbst. Es ist so unsauber in den Friseurläden!«

Florian hätte sich fast wieder trotz aller Schwüre auf dem Kopf gekraut. Aber er dachte noch im letzten Augenblick an Cordulas Leiden. Da er zugeben mußte, daß sie bei einiger Empfindlichkeit recht hatte, unterzog er sich wie ein gehorsames Kind all ihren Anordnungen. Er wusch zunächst mit einem Lappen, den Cordula eigens dafür in ihrem Gepäck mitführte, die Waschschüssel aus. Dann seifte er einen zweiten Lappen ein, rieb sich gründlich Gesicht, Hals und Brust ab und spülte mit klarem Wasser nach. Es dauerte zwar lange, aber er fand sich hernach sehr erfrischt.

Dann stand er erfreut und den Duft von Cordulas Seife, der ihn umwob, genießend, an ihrem Bett, um sich zu verabschieden. Da ritt ihn der Teufel, daß er sich ein wenig den Schenkel rieb.

Sofort fragte sie mißtrauisch: »Wann hast du das letztemal gebadet?«

Schnell gefaßt, nannte Florian einen nicht zu fern liegenden Termin. Allein sie glaubte ihm nicht, da sie noch nicht wußte, daß Florians Nachlässigkeiten weniger auf schlimmer Schmutzerei, als auf beginnender Vertrautheit, die es sich behaglich zu machen gedachte, beruhten.

Erregt schellte sie nach dem Stubenmädchen und bestellte ein Bad. Florian wollte sich denn doch gegen diese allzu weitgehende Bevormundung, die sogar seiner Beschaulichkeit an den Kragen ging, empören. Aber dann überlegte er, daß Cordula krank war. Außerdem wurde sie Mutter seines Kindes. An Devotion gewöhnt, beschloß er, zumal er sich in dieser Kindmannliebe von je wohlgefühlt hatte, allen Einfällen ihrer Säuberungssucht zu willfahren.

Als er nach einiger Zeit von seinen Einkäufen in das Zimmer zurückkehrte, überraschte er Cordula noch beim Waschen. Er sah staunend zu, daß sie sich augenscheinlich täglich die Füße wie auch den übrigen Leib mit kaltem Wasser wusch. Seine Bewunderung für ihre tapfere Überlegenheit wuchs.

Während er ihrem Tun neugierig zuschaute, nötigte sie ihm Lappen, Seife und eines ihrer eigenen Handtücher, deren sie ein halbes Dutzend hatte mitgehen heißen, auf. »Du kannst jetzt baden, während ich mich fertig anziehe und das Frühstück bestelle.«

Florian ging gehorsam.

Cordula kleidete sich sorgfältig an. Das Frühstück stand auf dem Tisch. Es mochte ungefähr eine Stunde vergangen sein. Cordula wurde ängstlich. War ihm etwas zugestoßen? Plötzlich lächelte sie. Vielleicht wollte er ihr einen Gefallen tun und säuberte sich übertrieben gründlich? Vielleicht hatte er sich sogar die Haare gewaschen?

Immerhin fühlte sie allmählich starken Hunger. Darum ging sie zu dem Baderaum, der wenige Schritte von ihrem Zimmer auf dem gleichen Flur lag, und klopfte an die Tür. »Bist du bald fertig? Das Frühstück wartet schon auf dich!«

Als sie keine Antwort erhielt, bekam sie auf einmal Furcht. Da sie nicht annehmen konnte, daß Florian bei unverriegelter Tür badete, drückte sie auch nicht auf die Klinke. Mit der durch ihren Zustand gegebenen Überreizung schaute sie in vorausjagender Phantasie bereits die erbrochene Tür, neugierige Leute und Florian leblos am Boden liegend, erstickt oder ohnmächtig. Hatte er ihr doch von seinen Anfällen genug erzählt!

Sie rief und klopfte noch einmal und erhielt wieder keine Antwort. In ratloser Not rüttelte sie nun an der Tür, die sofort nachgab, da Florian sämtliche Türen unverschlossen zu lassen pflegte. In dem Raum herrschte eine schier erstickende, feuchtheiße Luft, vermischt mit beizendem Pfeifenqualm.

Cordula, die nichts zu erkennen und kaum zu atmen vermochte, eilte mit letzter Kraft zum Fenster, riß es auf und stürzte an die tief in den Boden gelassene Wanne, aus der durch das Eindringen der kalten Außenluft dampfende Schleier wirbelten.

Florian saß, die Pfeife zwischen den Zähnen, gemächlich zurückgelehnt und machte ein hoheitsvolles, unwilliges Gesicht. Seife und Lappen lagen, wie Cordula feststellte, unbenutzt auf dem Korkteppich, der noch feucht von den Spuren des Vorgängers war.

Aufgebracht fuhr Cordula ihren Geliebten an: »Was ist dir? Warum kommst du gar nicht wieder? Warum antwortest du nicht, wenn ich klopfe?«

»Ich meditierte gerade eine meiner schwersten Übungen. Dabei lasse ich mich von niemand stören, wer immer es sei!«

»Lieber läßt du mich also draußen vor Angst vergehen! Und gewaschen hast du dich trotz all deiner Versprechungen noch immer nicht!«

Rüstig nahm sie Seife und Lappen zur Hand und wusch ihn wie ein unmündiges Kind. Florian ließ sie gewähren und hielt völlig still. Die Pfeife zog er erst aus dem Mund, als sie sein Haar in Angriff nahm. –

Nach dem Frühstück machten sie sich daran, die notwendigen aufklärenden Briefe an die beiden Verlassenen in Königsberg zu schreiben. Biedermann und Vera benahmen sich über alles Erwarten vornehm, so daß die Doppelscheidung glatt und schnell erfolgte. Nur daß der Klatsch in der kleinen Universitätsstadt, wo Biedermann eine bekannte Persönlichkeit war, üppig gedieh. Da Florian in aller Welt tausend Bekannte hatte, wucherte er von dort über die Lande bis nach Reitzenau.

Wie gewöhnlich, kümmerte sich Florian um nichts und überließ alles seinem Rechtsanwalt. So war es denn kein Wunder, daß er trotz des sehr kurzen Ehebundes verurteilt wurde, Vera lebenslänglich eine seinem zu erwartenden Vermögen entsprechende Rente zu zahlen. Diese Rente verschlang einen erklecklichen Teil seines Monatswechsels, den der ob des Skandals erzürnte Ökonomierat sich geziemend zu erhöhen weigerte. Denn er hielt es als Mann vom alten Schlage für eine Schande, daß Florians Ehe so bald und obendrein zu seinen Ungunsten geschieden wurde. Was er durch die weitverfädelten Klatschereien und durch Erkundigungen über Cordula erfuhr, ließ stärkste Besorgnis um Florians Geschick in ihm aufsteigen. Zwar besaß Vera auch kein nennenswertes Vermögen. Aber sie war, wie er sich hatte überzeugen können, immerhin eine reife, gesunde Frau von Verstand und Umsicht, die auf seinen fahrigen Sohn den denkbar günstigsten Einfluß gehabt hatte. Er sah kommen, daß Florian, dieser unglückselige Zwitter aus mütterlicher Zerflossenheit und väterlicher Tüchtigkeit, durch Cordulas dem Gerede nach unglaubliche Zustände von neuem aus der soeben eingeschlagenen Bahn der Wohlanständigkeit geworfen werden würde.

Hätte nicht Florians herzensgute Mutter, hergetrieben von der Aussicht auf das zu erwartende Enkelkind, aus eigenen Mitteln beigesteuert, würde es dem jungen Paar schlimm ergangen sein. Hatte sich doch Cordula, nicht minder geschäftsunkundig als Florian, nur, um rasch geschieden zu werden, alle Trümpfe aus der Hand schlagen lassen, so daß Biedermann fast ihre gesamte Aussteuer einbehielt. Nachdem sie aus gemeinsamen Restbeständen die Prozeßkosten beglichen hatten, waren sie, fast mittellos, von Pension zu Pension gezogen, bis ihnen Florians Mutter von heimlich über Eck gebrachtem Gelde eine kleine, freilich etwas zusammengewürfelte Gartenwohnung einrichtete. Da stammte der Schrank aus Cordulas Mädchentagen. Florians sehr wackeliger, allerdings höchst selten in Anspruch genommener Schreibtisch rührte von seinem Urgroßvater mütterlicherseits her. Vier Stühle endlich waren bald und wohlfeil in irgendeinem Warenhaus gekauft. Zu einem Teppich aber oder gar Fenstervorhängen sollte das Ehepaar Windmacher es während der Dauer seines Zusammenlebens niemals bringen! Im übrigen ließen sich ja, wie Florian sofort heraus hatte, alle Fenster durch Jalousien ebenso billig wie bequem verdunkeln. Unleugbar gaben ferner die dämonische Statuette der Bildhauerin Gerne, seltene, zur Schau gelegte, wenn auch nie gelesene Bücher, Florians Taufbecher, zwei siebenarmige Leuchter, mehrere Räucherbecken und gute, wenn auch ungerahmte Reproduktionen mystischer Gemälde dem Ganzen einen durchaus sonderen, weihevollen und kultivierten Anstrich.

*

Florian trat nunmehr, indem er kurzerhand alle hochfliegenden Pläne von Habilitation und Erschütterung des Neukantianismus vom okkulten Standpunkt aus über Bord warf, in den Staatsdienst, der wenigstens eine, wenn auch jämmerliche, Bezahlung gewährleistete.

Abgesehen von den vielen Opfern an Bequemlichkeit, die ihm Cordulas Leiden abdrangen, fühlte er sich in seinem von ihr, die sich in fieberhafter Arbeit Vergessen zu holen trachtete, blitzsauber gehaltenen Heim alles in allem recht wohl. Da zudem Berlin nicht allzu weit von Reitzenau lag, ermöglichte die Sorge der Mutter eine ausreichend kräftige Ernährung. Nachdem Cordulas zahlreiche Freunde und Verwandte sich über ihren Streich mit Florian beruhigt hatten, ergab sich, bunter gemacht durch die unabsehbare Schar von Florians Bekannten, ein anregender Verkehr.

Aber dennoch wurden Vorsatz und Grund zur Erneuerung seines Lebens bald hinfällig. Während es bisher stets gelungen war, völlige Bloßstellung und gänzliches Durchschautwerden von seiten seiner jeweiligen Gefährtinnen, mit Ausnahme von Vera vielleicht, durch Spiegelfechten und gaunerige Mimik längere Zeit hinauszuschieben, war Cordula eine Gegnerin, die gleich anfängliche Enttäuschung zur unerbittlichen Richterin gemacht hatte. Sie focht zudem mit allen Waffen einer bis in die feinsten Fältchen vorgedrungenen Seelenerforschung. Unbarmherzig und scharf leuchtete sie Florian bis auf den letzten Bodensatz seines windigen Wesens und nannte die Schwächen, die er sich unter gefällig mystischen Mätzchen zu Stärken herausputzte, schwerfällig beim rechten Namen.

Humorlos und aufs tiefste in ihrer Fraueneitelkeit für ihn als ihren Mann verletzt, stellte Cordula fest, daß Florian kein wissenschaftliches oder gar philosophisches Buch jemals gelesen hatte. Nicht einmal für wertvolle Unterhaltungswerke besaß er Ausdauer genug! Bald wies sie ihm nach, da er sie trotz ihres Sträubens zu seinem Verhängnis nötigte, okkulte Schriften zu lesen, daß er auch auf diesem seinem angeblich eigensten Gebiet keine selbständigen Forschungen angestellt hatte. Alles, was er vorbrachte, war in Vorträgen und Gesprächen erlauscht, aus Revuen erlesen, jedenfalls unehrlich gewonnen. Sie war an einen Scharlatan geraten, der ihre Unerfahrenheit mit geheimnistuerischem Geschwätz übertölpelt hatte!

Denn was war aus der Hoffnung auf Heilung durch den Großmeister geworden? Als der gewaltige Mann endlich zurückkam, hatte er viel geheimnißt, ohne daß sie von diesem Stoff etwas verstand, noch überhaupt verstehen wollte. Er hatte ihr mit wichtiger Miene Übungen aufgetragen, die nichts nutzten, da sie nicht daran zu glauben vermochte. Zum Schluß hatte er gleich Florian von ihrem Kind orakelt, daß es ihnen beiden Erlösung bringen würde!

Wehmütig gedachte sie manchmal Biedermanns. Er war zwar ungenial, dafür aber ein Mann, den sie seiner Arbeitskraft, seines Wissens und Könnens halber hatte achten müssen. Florian hingegen, in dem sie trotz aller Kritik die erhabensten Anlagen erkannte, ließ sein Erbe in müßiger Beschaulichkeit brachliegen und tat außer den paar Dienststunden nichts am ganzen Tage!

Obwohl nun Florian versicherte, noch immer versicherte, Cordula zu lieben, hatte er es nicht über seine allerdings echt urindische Urträgheit vermocht, die Werke des großen Analytikers der Hysterie und der Neurose durchzustudieren. Er zog es vor, im Gespräch oder, besser noch, im Streit mit Cordula müheloser Kenntnisse zu sammeln. Und trotz ihres Zornes konnte sie oft nicht umhin, zu belächeln, mit welch ausgebildeter Diebeskunst er ihr das erstemal ohne Widerspruch zuhörte, um bereits bei der nächsten Gelegenheit mittels der von ihr erstohlenen Kenntnisse gegen sie zu kämpfen. Allein aus dieser Gegnerschaft erwarb sich Florian nach und nach eine geradezu hellseherische Fähigkeit, in den Seelen anderer zu lesen und zu lösen. Das bewirkte, daß er, dessen Ruhm in der Gemeinde infolge seiner Tatenlosigkeit und des Zuschandenwerdens aller auf ihn gesetzten Hoffnungen arg gesunken war, noch einmal neue Bewunderung weckte. Doch erblich des Großmeisters Gunst, da Florian ein immer seltenerer Gast wurde.

Der bald verborgen, bald offen und roh geführte Ehekrieg brachte Florian dahin, daß er, wenn es daheim infolge Cordulas überlegener Streitbarkeit nicht mehr auszuhalten war, in alter Unruhe und Läufigkeit in Kaffeehäusern Zuflucht suchte. Und zwar schweifte er zunächst forschend durch die ganze Reihe der am Kurfürstendamm dicht nebeneinanderliegenden Etablissements, bis er irgendwo Bekannte traf oder wenigstens ein unbekanntes Gesicht, das ein gutes Gespräch verhieß. Daß er dabei neuerlich auch wieder mit Frauen Beziehungen anknüpfte, war nur Zufall. Zwar besaßen alle diese Frauen herrische Nasen, starke Büsten und dunkles Haar, aber es blieb trotzdem nur bei hochgeistigen Gesprächen. Denn noch hielt ihn der letzte Erlösungsglaube, der an sein ungeborenes Kind!

In einem dieser Cafés, wo hauptsächlich Künstler verkehren, lernte er eines Tages einen Menschen kennen, der, vollkommenster Antipode Florians, dennoch oder vielleicht gerade deshalb von nachhaltigstem Einfluß auf seine Entwicklung werden sollte. Florian war des öfteren ein augenscheinlich noch sehr junger Mann aufgefallen, von schlankem Wuchs und stets müden, saloppen Bewegungen, die in merkwürdigem Gegensatz zu dem trotz seiner Jugend überwachen, bleichen Gesicht standen. Dieses schmale Gesicht, dessen kalte, etwas gerötete Augen unter der mächtigen Hornbrille immerfort alles Sehbare nimmersatt verschlangen, besaß einen geheimnisvollen Reiz für Florian, weil die Brauen fast zusammengewachsen waren und über der Mitte merkwürdige Auswüchse zeigten, die dem Mienenspiel etwas unerhört Diabolisches, Ahrimanisches verliehen. Der Fremde mußte sich, was Florian bei seinem kränklichen Aussehen verwunderte, bei Frauen großer Gunst erfreuen. Denn selten erschien er ohne in einem bestimmten Turnus abwechselnde Begleiterinnen. Diese Gefährtinnen waren stets blond, elegant und von irgendeinem aparten Reiz in der Bewegung oder im Schwung des Ganges.

Florian überlegte lange, was der Unbekannte sein könne. Das nimmermüde Auge freilich ließ auf einen Maler schließen. Da fuhr der Unbekannte, der Florian häufig lächelnd beobachtet hatte, eines Tages plötzlich zusammen, holte ein Skizzenbuch heraus und begann offenbar, ihn zu porträtieren. Florian, der daran gewöhnt war, von Malern als Modell begehrt zu werden, hielt geschmeichelt und wie selbstverständlich still. Nach unwahrscheinlich kurzer Zeit trat der Fremde auf ihn zu. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir so bereitwillig gesessen haben! Vor mehreren Wochen schon hatte Ihr Gesicht einmal denselben Ausdruck wie soeben! Ich habe lange darauf gewartet, daß Sie wieder so aussehen möchten! Ich bin Juan Stichler, Witzblattzeichner meines Gewerbes und in guten Stunden Radierer!«

Florian mußte über diese originelle Einführung herzlich lachen. Er kannte Stichlers Namen, weil er ihn in einem der verbreitetsten Witzblätter des öfteren unter geschmeidig-eleganten Illustrationen blasiert-zynischer Witze gefunden hatte. Da er recht gering von Stichlers Künstlerschaft dachte, bedauerte er fast, einem Unheiligen als Modell gedient zu haben, bis er einen Blick auf Stichlers Skizzenbuch warf. Das Bleistiftporträt übertrieb in grotesker Weise alle Ecken und Kanten seiner zackigen Züge, vereinigte aber, wie Florian sofort spürte, in feinnerviger, seelischer Analyse die Kindlichkeit wie auch die Dämonie seines Wesens.

Darob gerieten sie in ein gutes Gespräch. Stichler verdiente, wenn ihn sein allerdings zuweilen aussetzendes Arbeitsfieber packte, viel Geld durch raffiniert geschmeichelte, hauchfein radierte Porträte mondäner Frauen, da er als Sportsmann und Tänzer viel in Kreisen verkehrte, in denen man sich nicht zu langweilen und nicht mit dem Geld zu geizen pflegt. Nun erst konnte Florian sich Stichlers elegantes Auftreten erklären. Zu seiner Überraschung erfuhr er ferner, daß jener trotz seines knabenhaften Aussehens ebenso alt war wie er. Sie mußten beide lachen, daß sie in bizarrem Gegensatz der eine Jahrzehnte jünger, der andere Jahrzehnte älter erschienen, als sie waren! Als Florian gar erfuhr, daß sich Stichlers Vorname aus einer exotischen Mutter und sein Nachname aus allerdeutschestem Vater erklärte, fühlte er sich ihm nahegerückt wie einem Bruder im Unheil. Waren sie doch beide unglückselige Produkte allzu großer Disparatheit der Faktoren!

Obwohl Florian in der Folge fand, daß er noch nie einen Menschen kennengelernt hatte, von dem ihn klaffendere Abgründe trennten, fesselte ihn trotz allem Widerstreben immer von neuem ein geheimes Band an Stichler. Er besuchte ihn häufig in seinem Atelier, neben dem der Künstler zwei winzige, aber sehr lauschige Mansardenstuben bewohnte. Er lud ihn auch zu sich ein, obwohl oder vielleicht gerade, weil Stichler Cordula mißfiel! Denn Stichler entsetzte Cordula, ehe sie ihn genau kannte, durch seine zur Schau getragene Ehrfurchtslosigkeit. Infolge der unglücklichen Mischung von südlicher Sinnenanbetung mit nordischer Verstandeskühle entgleist, schwankte Stichler an den Fäden seiner überfeinerten Empfindung zwischen selbstvernichtender Ausschweifung und kasteiendem Arbeitsdrang hin und her und rächte sich, wie das zu sein pflegt, durch Zynismen und Paradoxe an dem ihm Versagten.

Florian, der, seitdem er Chela geworden war, ohne sich um die Erscheinungswelt zu kümmern, ausschließlich nach innen gelebt hatte, bewunderte immer wieder Stichlers Beobachtungsgabe, das heißt die geradezu ungeheuerliche Aufnahmefähigkeit seines Zeichnerauges. Ihm war, als hätte er selbst bisher ohne Sinne dahingelebt, ehe er jenen kannte. Nun erst lernte er Schwung der Bewegung, Anmut des Ganges, Duft, Haut, Haar zu werten! Denn Stichler war in allen Feinheiten äußerlicher Erotik ein unbestrittener Meister.

Längst hatte er infolge seiner an Disputen mit Cordula noch geschulten Witterung herausgespürt, woher diese Besessenheit Stichlers durch die Außenwelt rührte. In einem ihrer ausgedehnten Kaffeehausgespräche sagte er einst: »Wissen Sie, Stichler, daß Sie trotz all Ihren Raffinements an infantiler Rückbildung leiden?«

»Nein!« erwiderte der Gefragte kurz. »Warum?«

»Weil Sie, anstatt dasjenige Element Ihrer Seele zu kultivieren, das Sie vom Tier unterscheidet, das Sie hätte höher steigern können, gerade jenes zum Zentrum Ihres Wesens gemacht haben, in das Sie sich mit den Tieren teilen! Gewiß, auch ich finde Ihre Freundinnen fast alle sehr reizvoll. Aber doch nicht auf die Dauer. Werden diese zwar eleganten, aber ungeistigen Frauen Ihnen niemals langweilig?«

»Ich kann nicht klagen«, hohnlächelte Stichler. »Ich lege bei Frauen auf Geist durchaus keinen Wert!«

»Das ist doch Selbstverleumdung!« ereiferte sich Florian. »Das ist weiter nichts als Ressentiment, Rache für Entgangenes, durch eigene Schwäche oder Dummheit Entgangenes!«

Stichler erbleichte.

Florian fuhr hellseherisch fort: »Sie sind trotz Ihres zur Schau getragenen Zynismus nicht roh genug, als daß Sie nicht den Geist bei Ihren Freundinnen schmerzlich entbehrten! Sie haben einmal leidenschaftlich, aber erfolglos um eine Frau gelitten! Darum rächen Sie sich erstens an sich selbst, indem Sie sich vor anderen schlechter machen, als Sie sind; zweitens an den Frauen, indem Sie die einst Geliebte dadurch herabsetzen, daß Sie sie in allen übrigen schänden!«

Stichler fragte erregt: »Es ist viel Wahres an Ihren Worten! Aber wie können Sie all das von mir wissen, ohne daß ich Ihnen davon erzählt habe?«

Florian lachte geschmeichelt: »Sollten Sie nie etwas von Psychoanalyse gehört haben? Ihr Fall ist ein Schulfall! Wenn es Sie interessiert, will ich Ihnen gern Bücher darüber borgen. Aber seien Sie auf der Hut! Ich glaube aus der zeitweise geradezu wütenden Art Ihres Schaffens zu spüren, daß Sie aus Komplexen heraus produzieren!«

»Ich glaube, daß ich einfach den Arbeitstrieb meines Vaters geerbt habe, der ein äußerst pflichttreuer und tüchtiger Beamter war!«

»Mein Vater ist das noch heute! Das beweist gar nichts! Mir ist ganz klar, daß Sie nicht aus Glauben an Kunst schaffen, sondern vielmehr aus Selbstbetäubung. Wie anders sollte man erklären, daß ein geschmackvoller Mensch wie Sie so alltäglich gangbare Ware in die Welt setzt? Nach meiner Überzeugung besitzen Sie das Zeug dazu, ein wirklicher Künstler zu werden. Aber Ihr Selbsthaß und Ihre Selbstgeißelung sind so allmächtig, daß Sie sich selbst durch unruhiges, unausgereiftes, massenhaftes Produzieren von Mittelware strafen.«

»Nun hören Sie aber auf, Windmacher! Es mag manches Wahre an Ihren Vermutungen sein. Wird man so scharfsinnig, wenn man jene Bücher liest? Warum warnen Sie mich dann davor?«

»Ach so! Das hatte ich inzwischen wieder vergessen! Sehen Sie, die meisten Künstler schaffen aus Komplexen heraus. Denken Sie an Byrons Schwesternkomplex, an Schillers Mutterkomplex, an Strindbergs Weibkomplex, um nur ganz bekannte Tatsachen zu erwähnen. Nimmt man nun dem Künstler durch lösende Analyse den treibenden Ansporn, so zerstört man ihm den Urgrund seiner Möglichkeiten!«

Stichler entgegnete gefaßt: »Ich fürchte mich vor nichts mehr! Ich glaubte zwar, mich ganz durchschaut zu haben, aber ich gebe zu, daß Sie da bis zu Dingen vorgestoßen sind, die ich mir bisher verhüllt hatte! Also her mit der neuen Wissenschaft!«

Florian bewundert Stichlers Draufgängerei. Denn soviel er auch von Cordulas gefährlicher Wissenschaft aufgefangen hatte, er hütete sich wohl, die äußersten Winkel seiner Seele zu analysieren, teils aus Ehrfurcht vor dem Heiligen, das die letzte Essenz seines Wesens ausmachte, teils aus Furcht vor der Leere, die ihm aus den Untiefen hätte entgegengähnen können.

Auch dieses Gespräch endete wie gewöhnlich, da sie beide Ruhelose waren, damit, daß sie rasch zahlten und gingen. Sie schlenderten, ein sonderliches Paar, der eine wohlgewachsen und festen Schrittes, der andere verwahrlost, die Gestalt vom riesigen Schädel erdrückt, schlenkricht und schlottricht, den Kurfürstendamm entlang. Der Zeichner konnte keine gut aussehende Frau vorüberlassen, ohne sie mit kennerischem Auge abzuschätzen: »Haben Sie den Gang eben gesehen, Windmacher?«

Florian blieb, aus irgendeiner Ätherferne auf die Erde zurückschreckend, stehen und schaute sich – natürlich zu spät – um.

Stichler stieß ihn ungeduldig an: »Kommen Sie, Sie haben nicht gelernt, ihre Augen, diese feinsten Abtaster der Form und Angreifer des Blutes, zu gebrauchen! Wie arm erscheinen Sie mir oft!«

Und Florian, der Chela, verstummte, beschämt und zugleich eifersüchtig auf des Freundes Überlegenheit im Unheiligen. Er hätte heute manchmal seine ganze Kenntnis von den höheren Welten um jenes Erdensicherheit gegeben. Ihm war zuweilen, als hätte er alle holdesten Gaben des Lebens versäumt.

Oft, lag die Halenseer Brücke hinter ihnen, beschleunigten sie die Gangart und wanderten, beide gewaltsamem Ausschreiten zugetan, weit hinein in den Wald, in unendliche Gespräche vertieft. Denn beide hatten in Fülle erlebt, der eine nach innen, der andere nach außen.

Stichler, der nicht nur ein guter Beobachter, sondern auch ein passionierter Zerleger seiner Empfindung war, vertiefte sich mit der ihm in allen Dingen eigenen Energie in die analytischen Schriften, die Florian ihm brachte. Bald war sein Rüstzeug dem Florians gewachsen. Äußerste Antagonisten und geistigen Händeln zugetan, zerfaserten sie einander schonungslos und unerbittlich wie zwei Feinde. Doch tat das ihrer Freundschaft keinen Abbruch!

Denn Florian fand, daß es ihm letzten Endes gut bekam, durch Stichler irdischer gemacht zu werden. Der weltsichere Zeichner versuchte nämlich, Florians äußere Erziehung in die Hand zu nehmen. Allein wenn er dem Freund eben einen modischen Hut hatte aussuchen helfen, so gelang es Florian als geborenem Vagabunden bereits innerhalb weniger Tage, den eleganten Neuerwerb aus der Form zu puffen oder verregnen zu lassen, so daß auf irgendeiner Seite der Rand rinaldoartig schlappte. Darunter blitzte dann eines von Florians kühn spähenden Augen. Kam er solchergestalt, womöglich noch den Rock- oder Mantelkragen irgendwo unachtsam hochgestülpt, die Straße entlang geschlottert, die Hosenbeine ohne Takt geschlenkert, so machte sich Stichler durch intimes Genießen reich bezahlt für manch schonungslosen Ausfall Florians.

Dieser hinwiederum sah ein, daß er bisher noch immer jämmerlich schlecht weggekommen war. Stichlers Schilderungen machten ihn neugierig, wenn er sich auch sagte, daß jenem an das Sensorium Verlorenen als Entgelt die geistige Welt verschlossen blieb.

So beschenkten sie einander in seltsamem Austausch. Florian wurde von der Höhe seiner Geistesflüge durch Stichlers Raffinement auf den physischen Plan herabgezerrt, und Stichler, der wie alle Sinnenmenschen, schon durch die religiöse Art, mit der er den ahrimanischen Kräften frönte, dem Mystizismus zuneigte, wurde von Florian auf seltsame Weise für den Okkultismus gewonnen.

Als er eines Tages bei Florian weilte, erblickte er, gelehnt an den siebenarmigen Leuchter, der immer auf dem Schreibtisch stand, das Konterfei eines Mannes. Magisch ergriffen und in all seinen Zeichnerlüsten aufgewühlt, starrte er auf diese dunkelglühenden Augen, die alles Leid der Welt getragen, verstanden und in reinster Güte vergeben zu haben schienen. Mildeste Weiche, härteste Durchdringung und stählerner Wille redeten gleicherweise aus ihnen. Der schmerzliche Mund aber, als ob er litte unter der Last des Wissens, machte den versöhnenden Orgelpunkt in der Sinfonie dieses erzenen Antlitzes.

Stichler gab seinem Empfinden begeisterten Ausdruck, während Florian ernst und Cordula verächtlich lächelten. Stichler fragte bewegt und fast wie außer sich: »Wer ist dieser Unbekannte? Ich muß ihn kennenlernen!«

Florian blieb stumm.

Aber Cordula brach kundryhaft voll Rachsucht los: »Warum sagst du ihm nicht, wer es ist? Laß doch endlich diese infantile Geheimniskrämerei! Stichler kann doch seine Bücher überall kaufen! Womöglich hat er sie sogar schon gelesen!«

Florian bemerkte ernst: »Juan ist noch nicht reif dafür!«

»Nun, dann werde ich ihm sagen, wer dieser tönerne Götze ist!« schrie Cordula aus wundester Seele und erbost über Florians ruhige, reife Überlegenheit. Sie wußte aus Erfahrung, daß sie an diese Würde seines Geistes, die er in seltenen Augenblicken hatte, nicht herankonnte. Und gerade darum wurde sie gereizt. Sie zog es bei weitem vor, ihn, der sie so tief enttäuscht hatte, unterlegen zu sehen. Dann konnte sie lästern und eine Weile im erbitterten Eheduell die Oberhand behalten.

Auf ihre Worte hin sprang Florian vom Stuhl und brüllte: »Untersteh dich nicht, den Namen zu nennen! Ich verbiete es dir hiermit auf das strengste! Scher dich hinaus, wenn du deine Zunge nicht im Zaume halten kannst!«

Cordula traten die Tränen in die Augen: »Wenn du keine Gründe vorzubringen weißt, wirst du jedesmal roh wie ein Bauer! Du bist es nicht wert, daß ich dir ein Kind gebären werde!« Sie verließ das Zimmer.

Stichler sagte betreten: »Es tut mir leid, daß meine Neugier an diesen ehelichen Liebenswürdigkeiten schuld ist.«

»Lassen Sie es gut sein, Juan! Es schadet Cordula nichts, wenn sie den Mann spürt!« Er reckte herrisch die ragende Nase ins Zimmer.

»Sie sollten vielleicht mehr Rücksicht auf Cordulas Zustand nehmen, Florian!«

Florian erblaßte. »Daran habe ich, weiß Gott, nicht gedacht. Da muß ich doch gleich mal – – Entschuldigen Sie mich einen Augenblick!«

Nach einer Weile kam er wieder und zog Cordula, die ein verweintes, gerötetes Gesicht hatte, mit zärtlicher Gewalt hinter sich in die Tür. Er bettete sie in einen Sessel, streichelte und küßte sie: »Nun, nun, Herzlein, Lieblein, es ist ja alles nicht so schlimm gemeint! Du bist doch mein Muttchen! Wenn du nur nicht immer deinen Willen durchsetzen wolltest, Herzl!«

Cordula lächelte unter Tränen. Stichler empfahl sich und überließ die beiden ihrem ehelichen Glück.

*

Zu rechter Stunde schenkte Cordula dem so innig ersehnten Erlöserkinde das Leben. Es war ein grünrotes Knäblein, das innerhalb der drei ersten Tage viermal in jähem Kontrast seine Haarfarbe änderte, so daß Cordula voll Schreck in diesem übernormalen Farbenspiel die Erbmasse florianischer Wandlungsfertigkeit wiederzufinden glaubte. Auf Grund langwieriger Beratungen wurden dem Kindlein die Namen Gabriel und Renatus zugeteilt. Gabriel hieß er nach dem Erzengel, dessen besonderer Gunst sich Florian auf Grund geheimnisvoller Andeutungen seitens des Großmeisters zu erfreuen vermutete. Renatus sollte bedeuten: der wiedererstandene Erlöser, der alle Schlacken ihrer ehelichen Unzulänglichkeiten lösen und Cordula endgültig heilen würde, was weder Florian noch der Okkultismus noch der Großmeister vermocht hatten. Im übrigen hielt Florian Taufe und Taufmahl trotz seiner auf neuplatonischen Ideen beruhenden christlichen Überzeugung für entbehrlich, da er naturgemäß infolge der mit Familienzuwachs verbundenen Ausgaben noch weniger bei Kasse war als gewöhnlich.

Also Gabriel Renatus Windmacher hieß das schreiende Bündelchen, über das sich Stichler, der seinen Wochenbettbesuch abstattete, in tiefer Rührung beugte: »Armes Kindlein, deine Eltern, kluge, große Leute, waren nicht imstande, die auseinanderstrebenden Seiten ihres Wesens zu verschmelzen! Und du, unglückseliger Erbe väterlichen Schweifens und mütterlicher Schwere, sollst nun, durch fremde Schuld zusammengeschweißt, leben können!«

Er wandte sich unsagbar traurig ab, was ihm Cordula, begierig, ob ihres Wunderwerks gepriesen zu werden, verübelte.

Florian, der seine Frau besser kannte, zwinkerte Stichler zu. Als der noch immer nicht verstand, puffte er ihn bei der ersten Gelegenheit: »Mensch, sagen Sie doch endlich, daß Sie Gabriel Renatus hübsch und ihr sehr ähnlich finden!«

Stichler holte erschrocken das Versäumte nach. Als er Cordulas stolzes Leuchten sah, mußte er nicht nur über Florians gewandte Regie, sondern auch über die Allzumenschlichkeiten selbst einer so klugen Frau wie Cordula lächeln. –

Zum Leidwesen aller Freunde des Hauses Windmacher brachte es Florian binnen kürzester Frist dahin, daß der Knabe nicht Gabriel Renatus gerufen wurde, sondern mit einem aus übertriebener Zärtlichkeit herausgestammelten unsinnigen Stümmelnamen, dessen Ursprung und Etymologie sich in das Dunkel väterlich-ehemännischer Weihestunden verlor. Jedenfalls hieß Gabriel Renatus fortan Pitti.

Nicht genug damit, begann Florian in rätselhaft bleibender Vertauschung bald danach auch Cordulas schönen Namen in »Pitti« umzuwandeln, ja sich selbst zeitweise als Cordulas Pitti zu bezeichnen. Auch die Vertrautesten des Hauses fanden sich in diesem Gewirr seiner Kindmannerotik nicht mehr zurecht!

Ein Gutes hatte aber Pittis Geburt dennoch. Der Ökonomierat nämlich machte sich nunmehr auf und pilgerte an die Wiege seines Enkelsohnes, der das uralte Geschlecht der erdentsprossenen Windmacher fortpflanzen würde. Über den Ewigkeitsaussichten, die das kleine Wesen verbürgte, wurde er so ergriffen, daß er den Schwur, den er getan, als Florian Cordula entführte, umstieß. Er hatte geschworen, daß die entlaufene Frau, wie er Cordula bezeichnete, niemals vor sein Angesicht treten dürfe! Nun trat er eben vor ihres!

Cordula war sehr erregt, als sie ihren Schwiegervater zum erstenmal sah. Aber die Furcht vor seiner Grobheit machte sie weicher und liebenswürdiger als sonst, und die Erregung stand ihr so gut zu Gesicht, daß die Begegnung bei allseitig vorsichtigem Gebaren angemessen verlief.

Der Ökonomierat, an größten Lebenszuschnitt gewöhnt, war betroffen von der Dürftigkeit, in welcher der Erbe von Reitzenau lebte, und beeilte sich daher, in spät erwachter Reue dem jungen Elternpaar mit höherem Zuschuß beizuspringen. Florian war nun nicht mehr darauf angewiesen, im Café den Kellner anzuborgen oder stundenlang auf einen Bekannten zu warten, der zufällig auftauchte und für ihn bezahlte. Auch was Zigarren und Zigaretten anbetraf, zehrte er nicht mehr ausschließlich von Stichlers Vorräten. Es soll um diese Zeit sogar vorgekommen sein, daß er, als abends Gäste bei ihm waren, noch zu später Stunde in das benachbarte Café ging und zum ersten und einzigen Male als Gastgeber Rauchbares anbot. Sonst zog er es für gewöhnlich vor, sich mit Vergeßlichkeit zu entschuldigen und das von den Gästen stets vorsichtig Mitgeführte aufzurauchen.

*

Die unmäßigen Hoffnungen auf schnelle Heilung von allem kranken Zwang der Vorstellungen, die Cordula an Gabriel Renatus' Geburt geknüpft hatte, gingen nicht nur nicht in Erfüllung, sondern der Zustand ihrer Nerven war geschwächter als je zuvor. Sie konnte nicht einmal das Geschrei des Kindes vertragen. Gar erst die Hantierungen, deren Pitti bedurfte, da er sich genau wie sein Vater gesunder und reichlicher Lebensäußerungen erfreute, beschworen heftige Konflikte zwischen Muttergefühlen und Schmutzkomplexen herauf. Fieberhafte Röte auf den Wangen, trug sie mit äußerster Anstrengung ihrer Kräfte ein jämmerliches Leben.

Florian hatte es wahrlich nicht leicht um diese Zeit. Abgesehen davon, daß Cordula ihn zurückwies, wenn er sich ihr zärtlich nahen wollte, wiederholte sie ihm, um sich für ihr Unglück an ihm zu rächen, täglich, daß er ein Nichtstuer, ein Nichtskönner und ein Nichtswisser sei.

Fuhr er auf: »Erlaube mal, Lieblein, du wirst doch nicht – –«, so fuhr sie ihn über: »Gib ruhig zu, daß du gemein an mir gehandelt hast! Unter flausenhaften Vorspiegelungen hast du mich von Mann und Kindern in noch tieferes Elend verlockt! Du Stümper getrautest dich, mich heilen zu wollen, an der sich die größten Analytiker erfolglos versucht haben? Du bist ja selbst krank, kränker noch als ich! Du müßtest selbst erst von deinem Scharlatan, dem Großmeister, geheilt werden!«

»Also, Cordula, ich verbiete dir ein für allemal, daß du den mir hochverehrten Mann in deine hysterischen Rachegefühle verwickelst!« Er schritt mit gezücktem Arm auf sie zu.

Sie stand ihm, heroinisch gereckt, gegenüber, als erwarte sie seinen Streich. Verächtlich zischte sie dann: »Du Bauer!« Heimlich hoffte sie, er möchte, durch die Beschimpfung gereizt, zuschlagen und sich endlich einmal als Mann erweisen.

Aber Florian ließ den Arm schon wieder sinken. »Bauer oder nicht, das tut hier nichts zur Sache. Ich durchschaue dich viel zu gut. Du hättest mich nicht in deine analytischen Winkelzüge hineinblicken lassen dürfen. Weil du unfähig zur Erhebung bist, schwunglos und unfruchtbar an Glauben, beneidest du mich um das, was du mir weder nachmachen noch nehmen kannst, und greift mich in ohnmächtiger Wut in dem teuersten Menschen an, den ich kenne!«

»Du hast mir noch neulich versichert, ich wäre dir der teuerste Mensch auf Erden!«

»Heut wünschte ich, ich wäre nie von Vera gegangen!«

»Vera ist froh, daß sie dich losgeworden ist!«

»Du lügst!«

»Sie hat es mir in ihrem letzten Brief selbst geschrieben!«

Die sonderliche Vera hatte in philosophischer Freiheit von kleinbürgerlichem Vorurteil tatsächlich keinen Augenblick die Beziehungen zu Florian und Cordula abgebrochen. Im Gegenteil, sie half, was Florian sehr unangenehm war, Cordula durch manchen Rat, den er dann im Kreuzfeuer seiner Ehe büßen mußte.

So war er jetzt wieder ganz bleich vor Zorn geworden, weil er schweigen mußte. Cordula lachte in höhnischem Triumph und fügte, um den Sieg vollzumachen, hinzu: »Ich weiß von Vera, daß du noch nie eine Frau hast halten können. Nach einer Weile lassen sie dich alle sitzen. Sie laufen davon und sind froh, von deiner Unfähigkeit befreit zu sein!«

Vor Ratlosigkeit mit den Zähnen knirschend, suchte er fieberhaft nach einem Gegenstreich. In völliger Hilflosigkeit fiel ihm endlich eine Beschimpfung ein: »Ich wollte, ich hätte dich nie gesehen! Ich bedauere, daß du die Mutter meines Kindes geworden bist!«

»Deine Gemeinheit wirkt nicht mehr! Weil du auf die Tatsachen, die ich vorbringe, nichts zu erwidern weißt, greifst du zu sinnlosen Beleidigungen wie ein unmündiges Kind, das nach der Sonne schlägt, wenn der Schein es blendet!«

Das saß gut, und er dachte wieder nach, da er ihr nicht das letzte Wort gönnte. Häßlich grinsend, erwiderte er sodann: »Geh doch zu Biedermann zurück, wenn es dir bei mir nicht mehr gefällt. Vielleicht nimmt er dich wieder!«

Nun hatte er wenigstens erreicht, daß schon Tränen in ihrer Stimme mitzitterten: »Du hast gar keinen Grund, das so verächtlich zu sagen! Biedermann ist ein Mann! Du aber bist wie ein geschwätziges, altes Weib! Schon dein ungestalteter, verknitterter Mund ist wie der einer alten Frau!«

»Hättest du das nur früher entdeckt!«

»Du hast recht! Ich bin an allem schuld, weil ich glaubte an dich – Trottel!«

»Treib mich nicht zum Äußersten, Cordula! Du verdientest eine Maulschelle!«

Er holte aus.

Sie wich zurück und sagte bebend: »Wenn du dich unterstehst, mich zu schlagen, nehme ich mir mit Pitti das Leben!« Immerhin brach sie nun doch schluchzend in einen Stuhl.

Sofort trat Florian zu Cordula, umfaßte sehr lind ihre Schulter und plätscherte: »Nun, nun, Lieblein! Sei still, Herzlein! Ich meine es nicht so schlimm, Pitti! Du hast mich schwer gereizt, gib es ruhig zu. Aber steh, ich bin ja auch dein Pitti! Vielleicht habe ich mich etwas derb benommen. Du kennst ja meine kindliche Hilflosigkeit. Meine scharfen Worte waren nur die ultima ratio des Verzweifelten!« Er liebkoste sie in überströmender Zärtlichkeit. »Sieh, ich werde dich immer lieben müssen!«

Sie trank durstig seine Worte. Dann flüsterte sie unter Tränen: »Geh jetzt, Florian, eh ich dich verachten müßte!«

Auf diesem Stand war Florians zweite Ehe im etwa zwölften Monat ihres Bestehens.

*

Erleichtert ging er nunmehr nach seiner Gewohnheit durch die Cafés strolchen, ob er nicht irgendwo einen Bekannten träfe, mit dem plaudernd er Frieden finden möchte. Richtig erblickte er im Größenwahn Stichler, der dort mit einem schöngewachsenen Mädchen, dessen blondes Haar von rötlichem Altgold schimmerte, saß.

Florian sprudelte, indem er dabei hastig Stichlers Zigaretten aufrauchte, unbekümmert um das ihm völlig fremde Mädchen, seinen häuslichen Kummer heraus.

Stichler erwiderte würdig: »Wie kann man sich als Mann von einer Frau so etwas bieten lassen! Ich würde eine Frau, die mich beschimpft, strafen, bis sie mich um Verzeihung bäte.«

»Das Richtige wäre es schon«, seufzte Florian. »Aber wenn es mir nun einmal kein Vergnügen macht!«

»Was macht Ihnen überhaupt Vergnügen bei Frauen?«

Ohne auf Stichlers spöttische Frage einzugehen, nahm Florian wieder auf: »Dabei wiederhole ich Ihnen, Juan, ich hatte, als ich Cordula kennenlernte, wie nie zuvor die intuitive Gewißheit, daß sie und einzig sie mir vom Weltgeist als Frau bestimmt war!«

»Mußte denn gleich geheiratet werden? Man sieht sich doch eine Frau erst gründlich an, ehe man heiratet. Man muß doch als Erfahrener zumindest erproben, ob man zueinander paßt. Denn, wir wollen uns nichts vormachen, ein gewisses herzliches Einverständnis ist doch nun einmal das A und O jeder, auch der übersinnlichsten Liebe. Nicht wahr, Gerda?«

Das Mädchen lachte errötend und legte mit lieber Gebärde ihre sehr schlanke und sehr weiße Hand auf Stichlers Arm.

Florian sah voll Neid, wie der Freund, der nach seiner Meinung an Erkenntnis höherer Welten wie an sonstiger Erleuchtung tief unter ihm stand, glücklich und unbefangen wie ein Tier lebte und alle Schönheit der Welt nach Kräften auskostete. Da trieb ihn dumpfe Scheelsucht, Juan seine Überlegenheit heimzuzahlen und sich gleichzeitig vor dem reizenden Mädchen auszuzeichnen. »Sie übersehen, Juan, daß nicht alle Menschen so einfach organisiert sind wie Sie! Es gibt für eine ganze Reihe hochentwickelter Individuen über der niederen Liebe, der Sie huldigen, noch eine Erotik der Seelen. Wenn Sie etwas ahnten von den dämonisch-magnetischen Zuständen der Verschmelzung und des kosmischen Einswerdens! Wenn die andersgeschlechtigen Ätherleiber sich zugleich mit den physischen Leibern umarmen!« Mit der ahrimanischen Fratze der Statuette blitzte er das Mädchen an, das wie schutzsuchend vor dem Unheimlichen, dunkel aus Florians Wesen zu ihr Sprechenden sich enger an Stichler schmiegte.

»Ich kenne seit langem Ihren geistigen Hochmut, Florian! Wie verträgt es sich im übrigen mit Ihrer philosophischen Schulung und indischen Toleranz, daß Sie Andersdenkende so schroff aburteilen? Wer sagt Ihnen denn, daß nicht die Empfindungen eines bewußten Orgiastikers den Ihrigen an Tiefe oder auch an Heiligkeit ebenbürtig sind? Lust ist für geschmackvolle Menschen Gottesdienst an der Schönheit! Mag sein, daß ich persönlich schwarze Messen lese, aber Inbrunst und Erhebung sind die gleichen wie bei Ihren Astralvereinigungen.«

»Was Sie treiben, ist teuflisch, ist ahrimanisch! Ich möchte nicht Ihr Kamaloca durchzumachen haben!«

»Ich verstehe noch nicht genug von der Lehre, um Ihnen darauf gebührend antworten zu können. Aber ich fühle mit heiliger Gewißheit, daß meine Ekstasen, wenn die Natur oder das Atman die Möglichkeiten dazu in mich gelegt hat, unmöglich Sünde sein können. Außerdem betrügen Sie sich selbst, wenn Sie annehmen, daß Sie bei Ihrer himmlischen Liebe auf anderes aus sind als Lust, genau wie ich bei meiner irdischen. Sollte nun der Schöpfer nicht allein nach der Ursache werten? Und sollte ihm nicht der Vorgang selbst gleichgültig sein?«

»Nicht umsonst hinterläßt die physische Lust Ekel und Traurigkeit!«

»Das mag für Stümper stimmen, aber nimmermehr für Könner! Wenn Sie den antiken Unsinn des post voluptatem omne animal triste nachbeten, so beweist das nur, daß Sie kein in die erotischen Mysterien Eingeweihter sind, wie mir das« – er lächelte – »Frau Cordula im übrigen gestanden hat!«

Florian ärgerte sich. Der Freund konnte ihm nichts Schlimmeres antun, als vor diesem Mädchen an seiner dämonisch-kosmischen Verdorbenheit zu zweifeln. Darum log er mit Faunslächeln: »Noch keine Frau hat sich über mich beklagen können! Cordula hat eben kein Verständnis für mein altindisches Zeremoniell! Was kann ich dafür, wenn sie unempfindlich ist!«

Stichler schaute auf die Armbanduhr, legte einen Arm leicht um seine Freundin und flüsterte mit ihr. Dann zahlte er, gab Florian noch zwei Zigaretten und erhob sich. »Entschuldigen Sie uns, bitte, Florian! Wir wollen ins Theater.«

Florian schaute den beiden mit bitteren Gefühlen nach. Das Mädchen legte seine Hand so selbstverständlich und so köstlich leicht in Juans Arm, der, als ob ihn das am wenigsten auf der Welt anginge, gleichgültig tat. Des Mädchens Hüften schwangen mit dem Anstand eines grazilen Tieres auf den edlen Beinen und rührten bei jedem Schritt ein wenig an Juans schlanke Gestalt. Warum nur fielen Juan Schönheit und Genuß leicht und mühelos zu, während für ihn alles Problem und Hölle bedeutete? Er sann lange nach und kam dann zu dem Entschluß, koste es, was es wolle, auf den Plan der physischen Lust herabzusteigen und sich am Erfolg zu beweisen, daß er ein Mann war, gesund und ganz!

In solchem Entschlusse wandelte er langsam heim, kam zu spät zum Abendbrot, und sofort brach deswegen der Zank von neuem aus. Denn das Essen war bereits kalt. Und Florian, der trotz seines ätherischen Gedankenflugs ein tüchtiger und anspruchsvoller Esser war, murrte: »Du hättest die Bratkartoffeln auch noch einmal aufwärmen können!«

»Wärest du pünktlich zur Stelle gewesen, hättest du sie warm, wie es sich gehört, bekommen. Aber wahrscheinlich hast du dich, statt wenigstens ein gutes Buch zu lesen, wie gewöhnlich in einem Café herumgetrieben und die Zeit verschwatzt!«

Da schlug Florian dröhnend auf den Tisch. »Zum Donnerwetter, wenn du den Mund nicht einmal halten kannst, solange ich esse, so scher dich raus! Ich war mit Stichler zusammen, daß du es weißt! Wir haben ein gutes Gespräch geführt, aus dem ich viel gelernt habe. Juan hat ganz recht! Eine Frau wie dich müßte man, anstatt sie für teures Geld in einem Sanatorium die Zeit verschwatzen zu lassen, wie du so treffend sagtest, so lange züchtigen, bis sie vernünftig und gesund würde!«

»Dein neuer Freund ist ein Rohling und hat, wie alle Bekannten sagen, einen niederziehenden Einfluß auf dich. Wie kannst du mit einem sogenannten Künstler verkehren, der Modezeichnungen anfertigt und auf Bestellung für Witzblätter arbeitet? Im übrigen machen deine Drohungen nicht den geringsten Eindruck auf mich. Du bist ein solcher Schwächling, daß du nicht einmal imstande wärest, eine Beleidigung auf plumpe Art zu rächen, wie andere echte Männer!«

Florian war gerade mit dem Verzehren eines dick belegten Käsebrotes beschäftigt und erwiderte darum nichts.

Plötzlich fuhr Cordula, die sein Nachgeben noch tiefer erboste und zu neuen Machtproben hinriß, hoch: »Hast du dir überhaupt die Hände vor dem Essen gewaschen? Sicherlich hast du wieder allen möglichen Menschen die Hand gedrückt, Klinken und Geländer abgewischt und ißt nun das Brot aus deinen ungewaschenen Fingern!«

Florian wurde ein wenig betroffen. »Doch, doch, ich entsinne mich! Ich glaube, ich habe – –«

»Nein, jetzt erinnere ich mich genau! Du bist gleich vom Flur hereingetreten. Geh sofort ins Badezimmer und wasch dich! Du trägst uns noch die furchtbarsten Krankheiten in das Haus!«

Geduldig erhob sich Florian, um sich nicht den Rest des Abends mit weiteren Jeremiaden verleiden zu lassen. Er ließ im Badezimmer das Wasser heftig laufen, so daß Cordula es hörte, und wusch sich dann aus Rache erst recht nicht die Hände. Diese Abreaktion stimmte ihn geradezu fröhlich. Auch Cordula hatte sich beruhigt.

Als er sich weiter mit Essen beschäftigte, erhob sich in dem Schlafzimmer, wo Gabriel Renatus' Wiege stand, ein merkwürdig grunzendes Geplärr.

Florian forschte: »Was bedeutet denn das?«

»Das tut Pitti seit einiger Zeit jeden Abend vor dem Einschlafen. Ich bin verzweifelt und kann es mir gar nicht erklären!«

Florian lauschte den grölenden, tiefen Baßtönen, die bei einem so kleinen Wesen allerdings befremdlich waren.

»Das sind nun deine Erziehungskünste! Obwohl du schon zweimal Mutter warst, bist du selbst dazu unfähig, ein kleines Kind sachgemäß zu behandeln. Ich werde hineingehen und Pitti magnetisieren!«

»Mach mit anderen Leuten deinen nichtswürdigen Hokuspokus, aber nicht mit meinem Sohn!«

»Deinem Sohn? Er ist doch wohl vor allem mein Sohn!«

Damit erhob er sich entschlossen. Sie wollte ihm den Eintritt verwehren. Allein er schob sie unsanft beiseite. »Du bleibst hier! Pitti spürt genau dein unausgeglichenes trübes Ich. Wenn er auch noch keinen ausgebildeten Ätherleib besitzt, so teilen sich ihm deine heftigen Astralschwingungen doch schon mit. Ich will allein zu ihm!«

Florian trat an die Wiege. Pitti warf ununterbrochen das Köpfchen hin und her und stieß dumpfklagend seine grölenden Grunztöne dabei aus. Florian sammelte all sein Mitleid mit dem armen, kleinen Wesen, das da in die Hölle seiner intuitiven Ehe hineingeschneit war, und all seine Väterlichkeit, als er mit großer Zartheit streichende Bewegungen längs der Schläfen vornahm.

Sofort hörte Pitti auf zu grunzen, lächelte im Halbdunkel des Raumes, als spürte er die tiefe Serenität, die voraussetzungslose Güte seines Erzeugers, und schlief nach wenigen Strichen tief. Sein Vater erhob sich und schritt auf den Zehenspitzen hinaus.

Cordula betrachtete ihn diesen Abend neugierig, zweifelnd, doch auch scheu.

*

Florian hatte völlig recht. So unmündig Pitti war, so empfindlich zeigte sich sein schlummerndes Seelchen für alle Abstufungen der Zwietracht, die zwischen seinen Eltern herrschte. Selbst als er noch nicht sprechen konnte, fing er an zu greinen, sobald die Stimme seiner Mutter sich heftiger hob, was immer häufiger der Fall war, da sich Cordula offenbar einem Zusammenbruch näherte. Die furchtbare Enttäuschung, der letzte Einsatz, den sie in Hoffnung auf Pitti angelegt und verloren hatte, stürzten sie in alle Abgründe der Minderbewertung zurück. Warf Florian ihr Impotenz des Gefühls vor und behauptete, sie wäre weder Frau noch Mutter noch Freundin, so verdoppelte sie ihre Anstrengungen, den Haushalt blitzsauber zu halten, um ihm und sich zu beweisen, daß sie dennoch Frau war.

Verzweifelt wischte sie wieder und wieder Staub, hob die Tabakasche auf, die Florian überall achtlos verstreute, scheuerte Klinken, Silber, Geschirr und Toilette, daß alles wie auf neu blinkte, um sich und die Ihren vor Ansteckung zu schützen. Als einzigen Dank für diesen aufreibenden Fleiß erntete sie fast täglich zermürbende Szenen mit Florian, der immer öfter und länger ausblieb, keine Essenszeit mehr innehielt und sich, wenn er zufällig einmal zu Hause weilte, als Pascha aufspielte.

Um die Beschaffung von Geldmitteln hatte er sich von jeher nur insofern gekümmert, als er sich aus der Wirtschaftskasse diejenigen Summen aneignete, die ihm gutdünkten. Neuerdings verlangte er für seine ausgedehnten Kaffeehaussitzungen immer höhere Beträge und verrauchte, wenn er nirgends Zigarren geschenkt bekam, viel Geld dadurch, daß er im Café nachts teuer und schlecht einkaufte, weil er am Tage einfach nicht daran dachte. Weigerte sich Cordula, das Geld, das sie zu Haushaltszwecken dringend brauchte, herzugeben, herrschte er sie an: »Du verstehst eben nicht zu wirtschaften! Du sagst ja selbst immer, daß du keine Frau bist.«

So verwundete er sie meisterlich, aber gehässig gerade im schmerzlichsten ihrer zahllosen Komplexe. Trotz allem war in Cordula noch immer eine glühende Sehnsucht nach Erleben. Sie litt darum am meisten unter ihrer Stumpfheit. Anstatt jedoch sich selbst oder aber ihrem seltsamen Lebensgang die Schuld beizumessen, verklagte sie Florian als alleinigen Urheber ihrer Qual. Sie ging so weit, ihm vorzuwerfen, daß er sie nicht bei Biedermann gelassen habe, mit dem sie im Vergleich zu ihrer jetzigen Ehe ruhig und glücklich gelebt hatte.

Florian faßte seinen Ehekrieg als Schickung auf und wurde mit der Zeit unempfindlich dagegen, zumal er die Cordula abgehende Beweglichkeit besaß, sich den Reibungen zu entziehen, indem er seiner Familie soviel wie möglich fernblieb.

Wer weiß auch, warum ihm das Karma diese Prüfung, die der Läuterung im Kamaloca gleichkam, bereitet hatte. So etwas schadete nie! Dunkel spürte er, daß ihn seine Intuitionsgabe zwar damals im Walde nicht getäuscht hatte, insofern er Cordulas Seele immer lieben würde, daß aber auch diese seine zweite Ehe nur eine vorübergehende Leidenszeit auf dem Wege zur Vollendung bedeutete.

Seine größte Sorge war, daß Pitti in der Stickluft des Zankes nicht gedeihen konnte. Gabriel Renatus war, als bedauerliches Produkt aus den zerrütteten Nervensystemen seiner irdischen Eltern, so leicht erregbar, daß jede auch nur innerliche Spannung zwischen Florian und Cordula genügte, um ihn greinen zu machen.

Florian, der, je ungesunder und zerfallener Cordula sich gebarte, gemäß dem Gesetz ehelicher Reperkussion desto ruhiger und heiterer wurde, hatte den besten Einfluß auf seinen Sohn. Sobald das Menschlein die tiefe, gütige Stimme seines Vaters vernahm, lächelte es. Da Florian ernste Verantwortung dafür fühlte, daß er Pittis Seele aus dem seligen Schweben im Devachan in Pittis Erdenleib gelockt hatte, schrieb er an seine Mutter und klärte sie über die ungesunde Luft, in der Pitti heranwuchs, auf. Die Gütige erreichte es tatsächlich, daß Gabriel Renatus unter dem Vorwand besserer Ernährung von Cordula nach Reitzenau gebracht wurde.

Auf Wochen vom vorzeitigen Kamaloca seiner zweiten intuitiven Ehe befreit, atmete Florian tief auf. Flügel schossen seiner Seele an wie nie zuvor. Erlebnisdrang, verhungert in ehelicher Entbehrung, flammte hoch, und unter Juans Leitung stürzte er sich, ein rüstiger Schwimmer, in das Samsara oder das Gewimmel der Leidenschaften!


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