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Kolbach's Zweifel waren durch die Betheuerungen des Paters Thomasius nur erschüttert, nicht niedergeschlagen worden. Sie vergifteten ihm den kargen Rest seines Seelenfriedens. Alle Liebe, die er je in seiner Brust gehegt, trug er auf ein Haupt über, auf die hold erblühende Marie. War sie seit ihrer frühsten Kindheit sein Liebling gewesen, so war sie nun sein Abgott, das einzige Band« das ihn noch an die Menschen knüpfte. Die Flucht Heinrich's hatte ihm fast zur Beruhigung gedient, denn das verhaßte Zeugnis, das ihn fortwährend an die vermeinte Untreue der Gattin erinnerte, war ja nun seinem Auge entrückt. Sein Name ward von ihm nicht mehr erwähnt; finster furchte er die Stirne, wenn es aus fremdem Munde geschah. Er schien den Sohn aus seinem Gedächtnis, wie aus seinem Herzen, gestrichen zu haben.
Um so fester bewahrte Marie das Bild des geliebten Bruders. Seine Flucht preßte ihr Thränen aus den Augen, die sie vor dem Vater verborgen halten mußte, um ihn nicht zu erzürnen. Unermüdet betrachtete sie das Andenken, das er ihr zurückgelassen und küßte die blonde Locke seines Haares. Ihr heiterer Sinn leuchtete nur noch zuweilen, wie der blaue Himmel durch Wolken, durch die nachdenkende Wehmuth ihres Gemüthes. Der Vater war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und besaß viel zu wenig die Kunst, aus den Augen in der Seele zu lesen, um diese Veränderung seines Lieblings zu bemerken.
Kolbach lag wieder seinem alten Gewerbe ob und trieb es verwegener, denn je. Seine Schlauheit wußte den ausgestellten Netzen des Forstwarts zu entgehen und dabei begünstigte ihn das Glück auf eine sichtbare Weise. Es war die einzige Rache, die er bis jetzt an seinem verhaßten Feinde nehmen konnte; denn so viele und kühne Pläne er auch schon gegen ihn entworfen, er ließ sie immer wieder fallen, wie gemahnt von einer innern Stimme, die ihm zurief: »Spar' ihn auf, er wird dir nicht entgehen!« So war der Sommer vergangen, der Herbst und der Winter, und laue Frühlingslüfte schmolzen schon wieder den Schnee von den Bergen.
Ein gewaltiges Aufsehen machten zu dieser Zeit in ganz Sachsen und Thüringen die Predigten eines Pfarrers zu Allstett mit Namen Thomas Münzer. Er hatte den Gottesdienst nach neuem Ritus eingerichtet, noch ehe Luther selbst es gewagt; er ließ Alles in deutscher volksthümlicher Sprache verrichten; nicht mehr einzelne Evangelien und Episteln, sondern alle biblischen Bücher sollten vorgelesen und erläutert werden. Die Gedanken, die er entfaltete, waren kühn und neu; wie ein Blitz schlugen sie in das Herz des Volkes. Aus allen Städten und Orten der Umgegend wallfahrtete man nach Allstett, um ihn predigen zu hören. »Das arme durstige Volk« sagt er selbst, »begehrte der Wahrheit also fleißig, daß auch alle Straßen voll Leute waren, selbe anzuhören-« Thomas Münzer war schon im Jahre 1520 als erster evangelischer Prediger nach Zwickau berufen worden. Unabhängig von ihm hatte sich dort jene Prophetengemeinde gebildet, an deren Spitze der Tuchmacher Niklas Storch stand. Münzer glaubte nicht an ihren Prophetenberuf, aber er nahm ihre Partei, und ging, als sie aus Zwickau vertrieben wurden, mit einem Theile von ihnen nach Böhmen.
Auch Kolbach hatte von dem Eiferer gehört und aus doppelten Gründen wünschte er ihn zu sehen, in seine Nähe zu kommen. Nicht nur die Lehre war es, die ihn anzog, sondern auch der Name, der ihm ein verwandter war. Der Zufall kam seinem Wunsche zu Hülfe. Als er einst vom Felde heim kam, fand er mit unwilligem Erstaunen· in seiner Hütte einen jungen, halb priesterlich gekleideten Mann, dem Marie eben züchtig und gastfreundlich einen Imbiß reichte, wie das Haus ihn bot. Der junge Mann erhob sich, bot dem Gastfreunde die Rechte und bat um Entschuldigung, die Freigebigkeit der holden Jungfrau in Anspruch genommen zu haben. Sein schwärmerisch glühendes Auge, das fest und durchdringend auf dem Bauer ruhte, machte diesen fast verlegen. »Was unsre Armuth bietet, steht Euch mit Freuden zu Diensten,« erwiederte er.
»Besser ein Trunk Wassers aus der Hand des Armen, als ein Becher köstlichen Weins von der Tafel des reichen Schwelgers!« sagte der Fremde. »Selig sind die Armen!« fuhr er begeistert fort. »Sie sind die auserwählten Rüstzeuge in der Hand des Herrn. Sie sind der Fels, auf den Gott seine Gemeinde gründen wird. Es wird eine Zeit kommen, wo der Niedere gleich sein wird dem Höchsten.«
Kolbach sah dem Fremden überrascht in das Antlitz. Waren das nicht die Gedanken, die in seinem eigenen Innern so feste Wurzel geschlagen? »Wer seid Ihr?« fragte er.
»Thomas Münzer ist mein Name!« erwiederte der Fremde.
»Der Prediger von Allstett? «
»Derselbe. So habt Ihr ihn schon nennen hören?« antworten Münzer nicht ohne Stolz. »So muß es auch sein! Er muß ausgehen in alle Lande, damit die Freunde der Freiheit den Träger des Paniers kennen, um das sie sich schaaren sollen! Die Feinde werden ihn vielleicht besudeln mit Schmach und Hohn, aber er wird doch strahlen und leuchten, daß sie davon erblinden. Mein Volk wird ihn nennen mit all' der Liebe, mit all' der Begeisterung, mit der ich für seine Freiheit zu kämpfen, zu sterben bereit bin!«
»Und Ihr seid aus Stolberg gebürtig?« unterbrach ihn der Bauer.
»Dort wohnten meine Eltern!«
»Und Eure Mutter hieß Anna, Anna Kolbachin?« fuhr jener fort.
»So ist es;« entgegnete der junge Prediger verwundert. »Woher wißt Ihr –«
»Dann doppelt willkommen, Sohn meiner unglücklichen Schwester!« rief der Bauer mit Wärme »Ihr schaut mich verwundert an! Ihr dürft's glauben; es ist so. Anna war meine Schwester.«
Münzer erwiederte den Händedruck seines Verwandten· »Wohl nennt Ihr meine Mutter unglücklich!« fuhr er düster fort. »Gestohlen ward ihr Lebensglück von verruchter Hand, ihre Seele getödtet durch entsetzliche Pein. Ich war ein zarter Knabe noch, aber das Bild des Entsetzlichen hat sich fest in meine Brust gegraben, und alle Flammen des Weltgerichts werden es nicht daraus verlöschen! Als sie den Vater dahin schleppten nach dem Hochgerichte, weil er seine Ehre gerächt an einem vornehmen Sünder, als ich meine Mutter im Wahnsinn sterben sah, da war mein einziger Gedanke: ein Fluch für dies ganze verruchte Geschlecht!«
Er verhüllte das Gesicht mit den Händen, und in seiner Brust rang die Erinnerung an das schreckliche Geschick seiner Jugend. »Ich war ohnmächtig in meinem Haß,« fuhr er fort; »welche That konnte die Knabenhand vollbringen? Aber vergessen hab' ich's nicht!«
»Dir raubten sie nur Vater und Mutter,« entgegnete Kolbach, »mir aber nahmen sie Alles, Alles was ich hatte: meinen Frieden, meine Ehre, meinen Glauben! Nenne mir eine Rache, die fürchterlich genug ist für diese Frevel! Nenne mir ein Gift, das ihn langsam tödtet, das ihn nicht rasten läßt und nicht ruhen, ein Gift, so fürchterlich, als das er in meine Adern geträufelt!«
»Laß ihn!« sprach Münzer-. »Die Rache wird deinen Feind ergreifen und zermalmen! Ich wandte meinen Blick auf die Menschheit und der eigene Schmerz erblich vor dem Elende der Knechtschaft, das aus jedem Antlitz hohläugig mir entgegenschaute. Da sprach der Geist in mir: »Wie klein bist du doch, o Mensch, so die Verzweiflung dieser Millionen dir nicht mehr gilt, als dein eigner Jammer, der nur eines Sandkorns Schwere hat in der Wage des Weltgerichts!« Und der Geist siegte in mir und erleuchtete mich, daß ich ein Erlöser werde meinem Volke!«
»Worte brechen keine Ketten!« bemerkte Kolbach.
»Sie brechen sie, wenn sie flammen, wie die Blitze des Himmels!« erwiederte Münzer begeistert. »Führe das Volk zur Wahrheit, halte ihm einen Spiegel seines Elends vor, und es wird aufbrausen im heiligen Zorn, und Alles wird zur Waffe werden in seiner Hand!«
»Verkündigte nicht Luther die Freiheit? Und ist das Joch von unserm Nacken gefallen?«
»Schweige mir von dem faulen Fleische zu Wittenberg!« rief der junge Prediger fanatisch. »Er vermaß sich, den Blitz zu schleudern, und zittert entsetzt, wenn er trifft! Was ist die Bibel, auf die er trotzt und pocht? Todter Buchstabe, den erst der Geist beleben muß. Vom lebendigen Worte lebt der Mensch, das aus dem Munde Gottes geht, und nicht aus Büchern. Frei in der Brust muß das Wort entspringen. Ihre Weisheit ist faul und wurmstichig. Frei muß der Mensch werden vom Joche des Buchstabens, wenn er sich frei erheben will vor Herren und Fürsten. Was ist der Glaube, den sie hätscheln als ihr Schooßkind? Er ist todt ohne die Werke.«
Kolbach vermochte zwar nicht, dem rationalistischen Gedankenfluge des neuen Propheten zu folgen, aber Eines hielt er daraus fest: daß es die Ketten zu brechen gelte, unter deren Druck er schon so schwer geseufzt »So rufe zum Kampf!« sprach er. »Ich will der Erste sein, der deiner Fahne folgt!«
»Aus der Wahrheit erhebt sich die Freiheit,« entgegnete Münzer, »wie die Blume aus der Knospe. Noch ist die Zeit nicht gekommen, wo alle Menschen erkennen, wonach sie zu ringen haben mit allen Kräften; aber sie wird erscheinen, wie ein Strom wird sie über das Land brausen und selbst die Zaghaften werden ihr folgen. Alle Menschen will das neue Reich der Freiheit umfassen. Ich bin ausgesandt, es zu verkünden allem Volk, vom Fürsten bis zum niedersten Knecht!«
»Laß die Fürsten!« antwortete Kolbach »Sie werden dich verhöhnen und dich hinausstoßen als einen Wahnsinnigen.«
»Ich will mit dem Hammer der Wahrheit an ihr Herz klopfen!« sagte Münzer. »Dazu bin ich berufen, daß ich Allen den Pfad zeigen soll, der zum Heile führt. Sind sie verstockt und verharren in Sünde, so haben sie ihren Lohn dahin. Sie werden fallen und auf ihrem Nacken wird sich mein Reich erheben.«
»Hast du vergessen, daß sie es sind, welche die Fesseln schmiedeten, die du brechen willst?« wandte der Bauer eifrig ein. »Meinst du, die jetzt unsere Herren sind, würden unsere Brüder werden? Hast du die Schmach vergessen, die sie auf uns luden?«
»Und hätten sie mich selbst mit Ruthen gepeitscht, so müßt' ich sie doch rufen zum großen Bruderbund!« beharrte Münzer. »Wie gern wollt' ich dann Alles vergessen, was sie mir Leibes gethan, wenn sie mitwirkten an dem großen Werk!«
Kolbach schüttelte finster den Kopf. Sein Gemüth athmete nur Rache; aus Münzer's Seele sprach die glühende, ungetheilte Liebe für sein Volk, der er die persönliche Leidenschaft gern zum Opfer brachte. Auch er hegte keinen großen Glauben, daß seine Lehre geneigtes Ohr an den Thronen finden werde, aber das hinderte ihn nicht, seine Sendung zu erfüllen, die ihn an Arm und Reich, an Hoch und Niedrig wies.
Marie hatte sich während des Gesprächs der Männer entfernt. Es ward ihr unheimlich in des Gastes Nähe, dessen dunkelglühende Augen oft mit seltsamem Ausdruck auf ihr ruhten. In solchem Moment senkte sie die ihrigen schüchtern, wie die Viole sich senkt, wenn sie der heiße Strahl der Sonne trifft.
Der Grundgedanke von Münzer's Lehre, Erhebung gegen das drückende Joch der Knechtschaft gewann immer mehr Boden in Kolbach's Brust. Waren ihm auch die Worte seines Verwandten oft unverständlich, so ergriffen sie doch durch ihre Begeisterung, und der prophetische Hauch, der in ihnen wehte, übte einen wunderthätigen Einfluß. Der junge Prediger sprach mit so fester, inniger Ueberzeugung von dem Gelingen seines Werkes, daß dem Zuhörer alle Sehnen sich spannten in wilder Kampflust. Münzer sprach von den Boten, die er ausgesandt habe und noch aussenden wolle, um die Verkündigung der nahen Freiheit nach den fernsten Grenzen Deutschlands zu tragen, und Kolbach erbot sich dazu mit Eifer. »Bin ich auch kein hochgelahrter Meister in Wort und Schrift, so will ich doch sprechen, daß es dem gemeinen Manne in's Herz dringen soll, wie feuriges Eisen!« sagte er. »Was ich gelitten, will ich erzählen, und die Rache wird meine Zunge beflügeln, wenn sie erlahmen sollte.«
»Wohlan, gehe hin, wenn du dich berufen fühlst!« antwortete Münzer. »Es bedarf des priesterlichen Kleides nicht, noch der Schriftgelahrtheit, um die Wahrheit zu verkünden! Wie das Herz spricht, also rede der Mund, was im Geiste lebendig ist, das ist heilige Offenbarung Gottes! Deine Rede sei ein Feuerstrom, der aus der Seele quillt, so wird der Panzer schmelzen von der Brust der Ungläubigen und sei er von dreifachem Erz!«
Da fiel der Gedanke an seine Tochter dem Bauer schwer aufs Herz. Sollte er den Liebling verlassen, um den Ruf der Rache zu folgen? Wer würde sie beschützen, wer würde die Verlassene aufnehmen? Sein Entschluß wankte und er hatte dessen kein Hehl.
Münzer lächelte bitter. »Schwacher Mensch,« sprach er, »der Welten erschüttern möchte, und den ich nun zaghaft sehe, wie ein Kind! Das Weib verläßt Vater und Mutter, um ihrem Manne zu folgen, und du zweifelst, wo die Freiheit ruft? Wer noch an Irdisches denkt, wo ihre Fahnen flattern, der gehört ihr nicht mit ganzer Seele! Und hätt' ich Vater und Mutter und Weib und Kind, und sie umklammerten mein Herz mit tausend Armen der Liebe, so würd' ich mich doch von ihnen reißen und meine Sendung erfüllen. Gieb deine Tochter einem braven Mann zum Weibe, und du bist der Sorge entbunden!«
Kolbach schämte sich fast vor dem jungen Verwandten. Er hatte seiner Rache Alles opfern zu können geglaubt, und ward nun auf eine so schwere Probe gesetzt. Er ahnete nicht, das Münzer für ein anderes Ziel, für eine höhere Idee stritt, die ihm den Muth verlieh, um ihretwillen alles Andre zu vergessen. Münzer berührte den Gegenstand nicht weiter, der, wie er sah, einen so heftigen Kampf in des alten Mannes Gemüth hervorrief.
War er in Gegenwart des Vaters ganz der begeisterte Verkündiger seiner Lehre, der keinem andern Gedanken Raum gab, so schien er der holdblühenden Marie gegenüber den Propheten in sich zu vergessen und sich dem rein Menschlichen hinzugeben. Sein Auge verlor dann das düstre Feuer und leuchtete in mildem Gluth, seine Stimme ward sanfter, über seine bleichen Wangen flog eine leichte Röthe und um seine Lippen spielte selbst ein freundliches Lächeln. Er unterhielt sich mit ihr über die kleinen Verhältnisse ihres anspruchlosen Lebens und gab sich ganz als theilnehmender Freund. So wich denn auch die Scheu, die Marie vor ihm empfunden, sie ward unbefangener und fürchtete sich nicht mehr vor seiner Nähe. Nur wenn ein Blitzstrahl des alten Prophetengeistes in seinem Auge aufzuckte, wie es zuweilen geschah, dann schrak sie zusammen, und all' ihre unbefangene Heiterkeit war dahin. Eine dunkle Ahnung beschlich sie, als bedrohe dieses Feuer ihr Lebensglück. Noch mehr zagte sie, wenn die Männer allein waren; mit natürlichem Scharfsinn hatte sie die Veränderung bemerkt, die seit der Gegenwart des Fremden mit dem Vater vorgegangen, und die, wie sie ahnete, für den Frieden des Hauses keine günstige war. –
Marie saß allein in ihrem Gemach; sie erwartete den Vater, der auf dem Felde beschäftigt war. Der Abend begann zu dunkeln, und er mußte bald zurückkehren. Münzer war nach dem nahen Dorfe gegangen und hatte ebenfalls baldige Wiederkehr versprochen. Er war erst gestern aus Mühlhausen zurückgekehrt. Marie dachte an den Bruder, der im fremden Lande weilte, und fromme Wünsche für sein Wohl stiegen in ihrem Herzen auf. Da hörte sie draußen den Hufschlag eines Rosses; neugierig öffnete sie das Fenster und sah den jungen Grafen, der aus dem Walde daherritt. Der Graf hatte sie schon gesehen, und sie konnte sich deshalb nicht zurückziehen, wie sie gerne gewollt. Erröthend grüßte sie den Gespielen ihrer Jugend, der ein recht stattlicher Jüngling geworden war. Ernst dankte und hielt sein Roß an. »Hast du keine Erfrischung zur Hand?« fragte er. »Ich habe mich müde geritten und die Zunge klebt mir am Gaumen.«
»Wollet nur einen Augenblick Euch gedulden;« antwortete die Jungfrau. »Ich bring' Euch eine Schale Milch.«
Ernst sprang vom Pferde, band es an einen Pfahl und trat in die Hütte. Marie erschrak, als sie sich mit ihm allein sah. »Verzeiht,« sprach sie, »mein Vater ist auf dem Felde.«
»Desto besser, mein schönes Dirnlein!« lachte der Graf. »So können wir um so ungestörter plaudern. Fürchtest du dich denn vor mir? Wir kennen uns ja seit lange. Weißt du noch, wie wir Kinder waren? Du ein kleines Närrchen und ich ein wilder Springinsfeld? Da haben wir oft mitsammen gespielt. Weißt du nichts von deinem Bruder?«
»Nichts, Herr! Er ist verschwunden und verloren!« entgegnete Marie seufzend.
»Der Narr!« lachte Ernst. »Hatte immer große Dinge im Kopf. Träumte von Waffen und Ritterspielen, als ob er auf einem Grafenschloß geboren wäre. Du aber wirst doch dem Vater treu bleiben und nicht davon laufen?«
»Wo sollt' ich armes Mädchen hin?« erwiederte sie. »Ja, wenn ich ein Mann wäre, wer weiß, was geschähe!«
»Sieh ' da! Wenn nun ein Mann käme, der so hold und lieb zu dir spräche und dich beredete, du solltest mit ihm ziehen?«
»Na sollte der Mann wohl herkommen?« versetzte sie heiter. Aus dem Dorfe drüben? Nein, da mag ich Keinen!«
»Und muß es denn ein Bauer sein? Dazu bist du wahrlich zu schön! Wenn aber ein junger Ritter käme, der dich zu seinem Liebchen wählte?«
»Ei, haltet Ihr mich für so thörigt, daß ich das glauben sollte? «
»Bei meinen Ahnen, deine Blauaugen könnten einen Joseph verführen!« rief der Jüngling feurig. »Deine Lippen verlocken, wie duftige Kirschen den Knaben. Mädchen, diese Lippen muß ich küssen!«
»Ach, schämt Euch doch!« rief Marie halb scherzend, den Ungestümen von sich weisend, der sie umfassen wollte, »Ihr werdet doch keine Bauerndirne küssen wollen?«
»Warum nicht, wenn diese Bauerndirne ein Engel ist?« antwortete Ernst. »Wag' es getrost! – Du willst nicht? Weißt du nicht, daß ich immer durstiger werde, je mehr du versagst? Mädchen, sei mein Liebchen! Willst du? In verschwiegener Nacht komm' ich zu dir, wenn der Mond am Himmel wacht, und die Nachtigallen schlaftrunken im Gebüsch girren. Oder ich führe dich mit mir, kleide dich in Gold und Seide« –
»Ihr wolltet mich dem Vater rauben?« fiel Marie, immer noch scherzend ein.
»Ich würde dich dem Himmel stehlen, wenn es sein müßte!« erwiederte der Jüngling und suchte ihren Nacken zu umschlingen. Marie entwandt sich ihm. »Hört auf! Was Ihr begehrt, kann nimmer sein!« sprach sie ernst. »Ich bitt' Euch, geht! Mein Vater kommt vom Felde zurück und Ihr kennt nicht seinen Zorn!«
»Ich fürcht' ihn nicht!« erwiederte Ernst. »Zornig gegen mich, den Sohn seines Herrn? Ich befehl' ihm, und er liegt zu meinen Füßen, ich will, und er führt dich selbst in meinen Arm.« Marie rang mit dem verlangenden Jüngling, der vergebens einen Kuß in erbeuten suchte. Je mehr die Angst Rosen auf ihre Wangen zauberte, um so schöner ward sie, und um so heißer wurden die Wünsche des jungen Grafen. Sie bat, flehte: er hörte sie nicht; sie rief um Hülfe: umsonst! Wer sollte sie hören in dem einsamen Hause?
Da öffnete sich die Thür, und hereintrat, wie vom Himmel zur Rettung gesandt ·– Thomas Münzer. Ernst fühlte sich von einer kräftigen Hand ergriffen und zurückgeschleudert. Zornfunkelnden Blicks betrachtete er seinen Gegner, der mit ruhiger Hoheit ihm gegenüber stand. »Elender, wie darfst du wagen, deine Hand an mich zu legen?« rief er, mit dem blanken Schwert auf Münzer eindringend. Mit Angstgeschrei warf sich Marie dazwischen. Münzer schob sie sanft zur Seite. »Laßt euern Stahl in der Scheide, junger Herr!« sprach er. »Wer Ihr auch sein mögt, so habt Ihr unehrlich gehandelt! Ist es Rittersitte vielleicht, ein schuldloses Mädchen überfallen und das Recht des Stärkeren benutzen zu wollen? Welchen Namen Ihr auch tragen mögt, Ihr habt ihn befleckt!«
»Wer bist du, und wer giebt dir das Recht, mich zur Rechenschaft zu ziehen?« rief jener zornig.
»Wenn ich einem Wolf begegne, der auf ein Lamm sich stürzen will, so tödt' ich den Räuber;« antwortete Münzer. »Hier that ich mehr, ich beschützte meine Braut!«
»Deine Braut?« staunte der Graf. Marie war keines Wortes mächtig; die ganze Welt drehte sich vor ihren Augen in buntem Wirbeltanz. »Deine Braut?« lachte jener knirschend. »Ei, so sprich doch, du verschämtes Dirnlein! Ist es wahr, was dieser sagt?«
»Es geziemt Euch nicht an meinem Wort zu zweifeln!« versetzte Münzer stolz. »Du kommst eben recht,« fuhr er, an den eben eintretenden Kolbach sich wendend, fort: »Du kommst eben recht, dem Junker zu bezeugen, daß ich dein Eidam bin!«
»Was ist geschehen?« sagte der Bauer verwundert.
»Nichts weiter, als daß ein Dieb die schönste Blume deines Gartens stehlen wollte!« antwortete Münzer. – »So verantwortet Euch doch, Junker!«
»Graf, Ihr thatet das?« fragte Kolbach, die Stirn furchend. »Weicht von dieser Schwelle, ich möchte sonst in Versuchung kommen, zu thun, was ich mir und Euch ersparen will! Ihr seid einer trefflichen Schule entlaufen, um einem armen Mann Ehr' und Glück zu stehlen. Geht und meldet Eurem Vater, welche Heldenthat Ihr vollbracht! Vielleicht lacht er und spricht: Du bist ein würdiger Sprößling meines Blutes!«
Ernst verließ mit drohendem Schritt die Hütte, schwang sich auf sein Pferd und jagte davon. »Der Sohn will vollenden, was der Vater begonnen! Warum zögern, die ganze Brut zu zertreten?« sagte Kolbach.
»Marie,« fuhr er fort, »du wirst dieses Mannes Gattin. Er wird dir Vater und Mutter ersetzen. Mögest du glücklich sein!«
Die Jungfrau wagte keinen Widerspruch. Schweigend duldete sie den Kuß des jungen Predigers, der sie damit zu seiner Braut weihte. Ihr Geschick war so schnell und unerwartet über sie gekommen, daß sie Alles für einen Traum zu halten geneigt war. Seufzend folgte die bleiche Braut dem Manne, der sie nach Allstett führte, und weinend nahm sie Abschied vom Vater. »Sei glücklich!« sprach dieser weich. »Du bist mein Theuerstes; ich hätte mein Kleinod ja keinem Andern zu geben vermocht!« –
Wenige Tage darauf flammte es wie Nordlichtschein durch die Nacht. Kolbach's Hütte loderte als Feuergarbe gen Himmel. Die Einwohner des Dorfes eilten zur Rettung herbei, aber die Gluth hatte ihre Beute schon mit gewaltigem Arm umschlungen. Zusammenschauernd sprachen die Zuschauer ein Gebet für den Unglücklichen, für den menschliche Hülfe zu spät kam.
Am andern Tage fand man im Walde den Leichnam des Forstwarts Hubert; eine blutende Wunde bezeugte, daß fremde Gewalt sein Leben geendet. Wer ihn getödtet, das flüsterte man sich, wie ein öffentliches Geheimnis, zu: Kolbach, der in der Nacht des Frevels auch schon seine Strafe gefunden. –
Ende des ersten Bandes