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III.

Der Bauer Kolbach war von seiner Wunde gänzlich wiederhergestellt. Der brennende Kienspahn erfüllte das Wohngemach der Hütte mit seinem trüben Schimmer. Um den Tisch saß die kleine Familie; der Bauer beide Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hände hielten den vorgebeugten Kopf, dessen Ziege gespannte Erwartung ausdrückten; die Hausfrau war mit Näharbeit beschäftigt, von der sie nur von Zeit zu Zeit aufsah, um einen zärtlichen Blick auf ihre Kinder zu werfen. Die zehnjährige Marie hatte sich an die Brust des Vaters geschmiegt, während ihr Händchen auf der Schulter der Mutter lag. Heinz saß dem Kienspahne zunächst und hatte ein vergilbtes Buch vor sich aufgeschlagen, aus dem er mit lauter Stimme las, indem er die gedruckten Zeilen mit dem Finger verfolgte.

»Ein Zweig des friesischen Stammes aber,« las der Knabe, »bewohnte die Ufer des Weserstroms, wo dieser sich bald darauf in das Meer stürzt. Die Männer dieses Zweiges nannten sich die Stedinger. Sie lebten in biederer Einfalt, wie die alten Deutschen; ihre Sitten waren streng, ihre Bedürfnisse einfach; Flüsse, Gräben und Dämme schützten sie. Sie waren Christen und freie Menschen; ihre nächsten Nachbarn aber standen unter der Zehntpflicht von Bremen. Sie waren wohlhabend durch ihren Fleiß und waren des Glaubens, daß der Mensch, als Gottes Ebenbild, nicht der Knecht eines Andern sein solle.«

»Hörst du, Lisbeth!« unterbrach ihn der Bauer. »Der Mensch, als Gottes Ebenbild, soll nicht der Knecht eines anderen Menschen sein!«

»Dies war aber den Priestern und dem Adel des Landes nicht wohlgefällig,« fuhr der Knabe fort, »und sie machten einen Bund, den trotzigen Sinn der Bauern zu brechen. Darum bauten sie Burgen auf ihren Grenzen, beraubten und brandschatzten die freien Stedinger und verhöhnten und mißhandelten ihre Weiber und Töchter, wenn sie fromm zur Kirche gingen«

»Und was thaten die Bauern?« rief Kolbach, die Hände zornig ballend.

»Die Bauern rotteten sich zusammen« berichtete Heinz aus dem alten Historienbuche weiter, »erstürmten die Burgen und vertrieben die Kriegsmänner daraus; ein Graf von Oldenburg führte seine Reisigen wider sie, aber sie schlugen ihn und jagten ihn in die Flucht.«

»Sie schlugen ihn!« jubelte Kolbach

»Der Erzbischof von Bremen,« las der Knabe weiter, »legte den Bann auf ihr Land; sie lachten und vertrieben die Abgesandten des Erzbischof-, verweigerten ihm den Zehnten, und Keiner war, der sie anzugreifen wagte. Da erhielt der Erzbischof vom heiligen Vater ein geweihtes Schwert, dasselbe, mit dem Petrus dem Malchus ein Ohr abgehauen. Aber wunderbar! die Stedinger wurden durch das Schwert nicht besiegt; der Erzbischof starb, und nach seinem Tode entbrannte ein achtjähriger Kampf um den Bischofsstuhl. Niemand dachte mehr daran, die freien Bauern zu unterwerfen«

»Da seht, sie vermochten's nicht!« fiel der Bauer triumphirend ein.

»Einst beichtete die Frau eines edlen Friesen bei einem Priesters diesem dünkte der Beichtpfennig zu gering und er steckte ihr ihn beim Abendmahl statt der Hostie in den Mund. Die Frau klagte die Schmach ihrem Manne und dieser verklagte den Priester beim Erzbischof. Der Erzbischof wies ihn mit Hohn ab und der Friese erschlug aus Rache den Priester.«

»Die Rache war gerecht!« rief Kolbach.

»Der Erzbischof sandte ein Heer gegen die Landsleute des Mörders, aber es ward jämmerlich auf's Haupt geschlagen. Darüber entbrannte er in noch höhern Zorn, sprach den Bann aus über das ganze Land, und alle Priester verließen es. Die Bauern ließen es geschehen und verfolgten die Abziehenden wohl noch mit ihrem Spott. Die verjagten Priester entwarfen gräfliche Schilderungen von den Stedingern; das Land sei voll Hexen und Teufelsbeschwörern, sagten sie, ein großer Frosch sei ihr Götze, giftige Kröten und schwarze Kater verehrten sie und lästerten Kirche, Papst und Bischöfe. Da der Kirchenbann auf ihnen lastete, so wurde nun auch die Reichsacht über sie ausgesprochen und ein allgemeiner Kreuzzug gegen die gottverdammten Ketzer gepredigt. Eine große Schaar von Söldnern und adeligen Herren zog gegen das Stedinger Land.«

»Aber sie wurden geschlagen?« rief der Bauer mit einem Tone, der zwischen Fürchten und Hoffen schwankte. »Wurden sie nicht?«

»Das Kreuzheer wagte nicht, den Hauptsitz des tapfern Volkes einzugreifen, sondern sie überfielen am Tage vor Johannis des Täufers Fest das Häuflein der Osterstader am östlichen Weserufer zu Wasser und zu Lande. Vierhundert fielen im blutigen Kampfe, die Gefangenen wurden mit Weib und Kind lebendig verbrannt, das Land geplündert und verheert. Mit vielen Schiffen fuhr darauf der Erzbischof nach Stedingen und versuchte die Deiche durchzustechen. Aber die Stedinger trieben ihn nach einem blutigen Gefechte zurück.«

»Ha, nicht wahr, sie trieben ihn zurück? und rächten das unschuldige Blut, das der Schändliche vergossen!«

»Sie wurden abermals angegriffen am westlichen Ufer; Otto von Lüneburg aber, der Enkel Heinrich's des Löwen« der den Bremer Erzbischof haßte, stand ihnen bei, und die Feinde wurden besiegt, der Graf Burckhardt von Oldenburg selbst erschlagen.«

»Und die Stedinger blieben frei!« jauchzte der Bauer.

»Die Stedinger blieben nun frei bis zum Jahre Christi l234, wo abermals ein Kreuzheer von vierzigtausend Mann aus ganz Deutschland gegen sie geführt wurde. Der Herzog von Lüneburg wurde durch Drohungen abgeschreckt, für sie zu fechten; aber die Bauern versagten nicht und erwarteten die Feinde, bereit zu siegen oder zu sterben. Es waren ihrer nur elftausend freie Männer. An einem Sonntage standen sich die Heere bei Altenesch, unweit Bremen gegenüber. Die Sonne spiegelte sich in den blanken Stahlrüstungen der Ritter, in den Lanzenspitzen der Reisigen. Die Brust der Bauern beschützte nur der grobe friesische Rock.«

»Gott und ihr gutes Recht!«

»Der Herzog von Brabant und der Graf von Holland griffen an, aber sie wurden zurückgeworfen und von den siegestrunkenen Bauern verfolgt. Aber der Graf von Cleve fiel den Verfolgenden in die Seite und in den Rücken und verwandelte ihren Sieg in eine völlige Niederlage. Sechstausend Bauern fielen vom Schwert der Feinde, doch rissen sie eine gleiche Zahl dieser in ihrem Falle nieder. Graf Heinrich von Oldenburg war der Dritte seines Geschlechts, der im Kampfe gegen die Freiheit der Stedinger fiel. Die Ueberwundenen stürzten sich in die Weser und flohen zu den freien Friesen. Greise, Weiber und Kinder kämpften vor ihren brennenden Hütten noch bis zum Tode. Die Wahlstatt war blutigroth gefärbt; noch die Gefallenen setzten den Kampf fort, umschlangen sich und suchten sich mit den Zähnen zu zerfleischen, bis sie im Tod erstarrten. Die Sieger theilten sich in die Heerden und das Land der Bauern; die Stedinger waren untergegangen.« –

Kolbach seufzte aus tiefster Brust, er drückte die Hände vor die Augen und sprach dumpf: »Sie sind untergegangen, aber doch als freie Männer. – Ist deine Mähr zu Ende, Heinz? Sprich doch, mein Bub, was hältst du von dieser Mähr? Sage mit, möchtest du –.«

»Ich hätte die Ritter sehen mögen auf ihren stolzen Rossen, mit den spiegelblanken Harnischen in denen sich die Sonne spiegelte!« sagte Heinz, und seine Wangen glühten in höherem Roth. Kaum aber hatte er ausgesprochen, als der Bauer wild auffuhr, mit der Faust auf den Tisch schlug, daß die Hausfrau zusammenschrak, Marie weinend sich an die Mutter schmiegte und der Knabe zitternd stand, ohne daß er wußte, wie er diesen Sturm verschuldet. »Bastard!« tief der Zornige mit Donnerstimme. »Kein Tropfen meines Bluts ist in deinen Adern. Sei wessen Sohn du willst, nur kein Bauensohn bist du! Ich jauchze, wo die tapfern Stedinger siegen, und möchte Blut weinen, als die Uebermacht sie erdrückt, und du – du denkst nur an ihre Feinde, die hochmüthigen Ritter auf ihren Rossen!«

Heinz schwieg zitternd und senkte scheu die Augen zu Boden; die Hausfrau hatte sich erhoben und ließ einen langen traurigen Blick des Vorwurfs bei der furchtbaren Anklage, die aus seinen Worten klang, auf dem Gatten ruhen. Der Bauer verstand diesen Blick, und sein Gemüth begann sich zu besänftigen. Er faßte Lisbeth's Hand und sprach bittend, fast weich: »Vergieb mir, du warst immer mein treues Weib! Ich habe nie an dir gezweifelt. Ist Heinz aber auch mein Blut, so hat er doch nicht meinen Sinn geerbt. Thor du! Was kümmern dich die Ritter, die stolzen, übermüthigen Unterdrücker unserer Freiheit! Wohin steht dein Sinn? Möchtest vielleicht selbst ein Ritter werden und den Fuß auf den Nacken deiner Brüder setzen? Dahin wird es niemals kommen! du bist in Niedrigkeit geboren! Versuch' es, dich mit ihnen gleich zu stellen! Sie werden dich zurückstoßen, wie einen Hund!«

»O nicht Alle sind stolz und hart!« wagte der Knabe einzuwenden. »Ritter Ulrich war gut und edel!«

»Komm es von ihm?« grollte Kolbach. »So möcht' ich, daß meine Augen ihn nie gesehen hätten, daß ich lieber umgekommen wäre –«

»Nicht von ihm,« entgegnete Heinz.

»Er ist der Erste von adeligem Geschlecht, den ich lieben, zu dem ich Vertrauen fassen könnte!« fuhr der Bauer sanfter fort. »Durch ihn ging ein Licht in mir auf, er hat mich versöhnt mit dem lieben Gott, denn, er lehrte mir, daß die Menschen vor der ewigen Gerechtigkeit gleich, daß Keiner zum Knecht geboren, er hat in mir die Hoffnung auf eine neue bessere Zeit entzündet. Er ist verstoßen und verachtet wie wir, weil er es mit uns hält, aber er ist doch frei, keines Menschen Knecht! Ich erkenne es nun besser, woher dir die hochfahrenden Gedanken kommen, Bube! Der junge Graf hat dir's angethan. Weil du sein Spielgenosse warst, glaubst du dich hochgeehrt und zu Besserem berufen. Thor! Er spielt mit seinen Rüden, wie mit dir, und wenn er des Spielwerks satt, so tritt er's mit Füßen. Ich will's nicht dulden, daß du mit Ihm umgehst, wie mit deines Gleichen!«

»Graf Ernst ist gut und mild!« warf Lisbeth ein.

»Aber er ist ein Edelmann! Kein Gespiele für eines Bauern Sohn!« erwiederte Kolbach rauh. »Ich weiß es, daß du dem Junker gewogen bist, wie dem eignen Kind, aber es mißfällt mir! Hörst du, Lisbeth?«

In dem Augenblicke ließ sich Hufschlag hören und eine schwere Faust donnerte gegen die Thür. Der Hofhund schlug an, eine tiefe Stimme gebot ihm fluchend Schweigen. Der Bauer wurde nicht erheitert durch den späten Besuch und murmelte dumpfe Worte in den Bart, als es draußen rief: »Wirst du öffnen fauler Bauer!« Grollend nahm er den Kienspahn und verließ das Gemach, um der gebieterischen Stimme zu willfahren. Heinz verschloß sein Buch und verkroch sich in eine Ecke. Nach wenig Augenblicken traten drei Personen mit dem Bauer in die Stube.

Die eine dieser Personen war ein hoher, stattlicher Mann in prächtigem Waffenrock, unter dem ein leichter Harnisch hervorschimmerte; er mochte in demselben Alter sein, als der Bauer, und sein Antlitz war eben so wettergebräunt; ein buschiger Bart gab ihm ein finsteres Ansehen. Die linke Hand hatte er auf den Schwertknauf gestützt; die goldenen Sporen klirrten, wenn er auftrat. Er schien der Gebieter zu sein; der Bauer stand gebückt vor ihm und fragte demüthig nach seinen Befehlen, indem er ihn »gnädiger Herr« anredete. Ihm zunächst ging ein Knabe, in kostbarer Kleidung, mit einem kleinen Schwert an der Hüfe. Das jugendliche Antlitz wurde durch ein Paar freundlich blickende, braune Augen belebt. Der Dritte schien ein Dienstmann des gnädigen Herrn zu sein.

Heinz wagte aus Furcht vor dem Vater aus seinem Schlupfwinkel nicht hervorzutrete, Lisbeth hatte sich still entfernt und kam nun mit einem Gefäß voll frischer, würziger Milch zurück, das sie dem Junker zur Labung anbot. Dieser dankte und nahm die Gabe aus der Hausfrau Hand, indem er einen langen Zug aus dem sauberen Gefäße that. Auch der Graf, dies war der hohe Gast, griff danach und leerte den Rest.

»Wir böten Euch gern etwas Besseres, aber wir sind arm!« entschuldigte die Frau.

Der Graf antwortete nicht. »Macht dich auf!« herrschte er dem Bauer zu. »Wir haben uns verspätet. Zünd' eine Fackel an und leucht' uns nach dem Schlosse!«

Kolbach verbeugte sich, zum Zeichen, daß er bereit sei, dem Befehl zu gehorchen, ließ einen finstern Blick über die beiden Knaben schweifen, die sich leise plaudernd unterhielten, und verließ das Gemach. In wenig Minuten kam er zurück, eine lange Kienfackel in der Hand. »Ich bin bereit, gestrenger Herr Graf!« sprach er. Der Ritter rief den Namen »Ernst« nahm mit einem kurzen Nicken des Hauptes Abschied von der Hausfrau und schritt wieder durch die niedere Thür hinaus. Der Junker und der Dienstmann folgte. Heinz trug den brennenden Kienspahn, an dem der Vater draußen seine Fackel anzündete, die drei Gäste warfen sich aus die ungeduldig scharrenden Rosse, der Bauer mußte vorausgehen, oft angetrieben von den Scheltworten des Grafen, und der kleine Zug verlor sich in die Nacht.

Heinz fand die Mutter mit bekümmertem Gesicht wieder. »Wenn nur der Vater zurück wäre!« seufzte sie. »Wenn ihm nur kein Unglück widerfährt! Die Nacht ist keines Menschen Freund. Es ist doch traurig, einem Herrn gehorchen müssen!«

»Aber es ist schön gebieten können!« sprach der Knabe dagegen.

»Laß die thörichten Reden, Heinz!« verwies die Mutter. »Sie erzürnen den Vater. Sprich nie mehr, wie heute! Ich wünschte fast selbst, daß wir den fremden Ritter nimmer gesehen hatten, daß es lieber ein Bettler gewesen wäre, der dem Vater beigestanden. Er hat keinen Frieden mehr im Gemüth seit jenem Tage!« –

Kolbach schritt mit seiner Fackel den Reitern rüstig voran, aber doch dem Grafen nicht schnell genug. »Fauler Hund!« rief dieser. »Vorwärts, vorwärts! Du bedarfst wohl erst den Sporn, wie eine stätische Mähre? Heda, am Sporn soll's nicht fehlen!«

»Der Bauer knirschte die Zähne zusammen und ging so rasch, als ihm möglich war. Es ging jetzt den Berg hinan, ans dem das Grafenschloß lag; der Weg war steil und schmal, die Pferde mochten hier dem rüstigen Fußgänger nicht zu folgen. »Wirst du wohl warten!« rief der Graf zornig. »Der Bauer ist doch ein unvernünftig Thier!« fügte er halb lachend hinzu. »Wohin man ihn stößt, da ist er. Er regt keinen Fuß, zwingt ihn die Peitsche nicht dazu, und dann trabt er in gleichem Schritte fort, bis der Zügel recht vernehmlich angezogen wird. Wahrlich, der Bauer ist zum Lastthier geboren, wie auch die Neuerer dagegen eifern mögen!«

Kolbach verzog das Gesicht zu einem bittern Lächeln. »Ha, es giebt doch noch einen Weg,« murmelte er, »auf dem die stolzen Herren dem verachteten Bauer nicht nachkommen!« Der Wind verwehte diese Worte, und der kleine Zug stand eben an der Zugbrücke. Der Graf stieß in sein Hifthorn, und alsbald fiel die Brücke mit Gerassel nieder und das Thor drehte sich knarrend in seinen Angeln. »Laß dir einen Imbiß geben, Bauer!« herrschte der Graf.

»Ihr seid zu gütig!« entgegnete Kolbach: »So Ihr aber erlaubt, kehr' ich alsbald zurück. Mein Weib würde sich ängstigen, blieb' ich länger aus als der Weg beträgt hierher und zurück.«

»Mach' es, wie du willst!« sagte der Graf ungeduldig und sprengte mit seinen Begleitern über die Brücke in den Schloßhof. Der Bauer lachte. »Also doch zuweilen dürfen wir thun, was wir wollen!« sprach er. »Die Gnade ist zu groß, gestrenger Herr Graf!«

»Hast du dich bald besonnen, Bauer?« murrte der Pförtner. »O schon!« entgegnete Kolbach, und trat von der Brücke zurück, die sich rasselnd wieder emporhob. Der Bauer warf die verglimmende Fackel von sich und eilte raschen Schrittes durch die Nacht seiner Hütte zu. Er fand Liesbeth noch wachend, wie er vermuthet, die Kinder schliefen.

»Warum entbrichst du dir den Schlaf?« fragte er.

»Hätt' ich denn schlafen können, mit dem Gedanken, daß du durch Nacht und Nebel irrst?« antwortete Liesbeth. »Wie herzlich froh bin ich, daß du ungeschädigt zurück bist!«

»Was hätte mir widerfahren sollen in so hohem Geleit?« spottete der Mann. »Und was liegt auch am Leben eines Bauern? Der Bauer ist ein Thier, das der Herr zu jeder Stunde der Nacht aus dem Schlafe scheuchen darf. Der gestrenge Herr Graf war heute sehr gnädig, vielleicht weil ihm die Gelegenheit mangelte, ungnädig zu sein. Er fand mich heute bereitwilliger, als vor zwölf Jahren. Weißt du noch? Du lagst im Kreißen, es war vor der Geburt unsres Heinz. Ich saß an deinem Lager und tröstete dich; die Schmerzen hatten dich überwältigt, du glichst einer Ohnmächtigen. Da klopfte der Graf an unsere Thür, wie heute. Es war eine stürmische Nacht. »Nimm eine Fackel zur Hand, Bauer, und führ' uns nach dem Schlosse!« gebot er. »Herr« entgegnete ich, »mein Weib liegt in Kindesnöthen, ich kann es nicht verlassen!« – »Du widersprichst?« zürnte er. »Auf Bursche, oder meine Peitsche wird dich gefügig machen!« – Ich sank auf die Kniee vor ihm nieder, bat und flehte, mich nicht von meinem Weibe zu reißen, aber eher hätte ich Steine bewegt durch mein Bitten, als ihn! Man riß mich empor, ich sah dich in deinem Schmerze, und mein Herz preßte sich zusammen. Aber ich mußte gehorchen, ich befahl dich Gott und dem Pater Thomasius, der eben wie von Gott gesandt kam, ich ging mit dem Grafen, und die Rosse vermochten kaum meinem geflügelten Schritt zu folgen. Als wir auf's Schloß kamen, wollt' ich zurück, aber die Buben hielten mich, die Zugbrücke rauschte empor, ich war gefangen. Ich heulte und wüthete, man verspottete mich; ich wollte zum Grafen und ihn fußfällig bitten, man hielt mich fest. So ging die Nacht hin über meinen Schmerz; als endlich der Morgen anbrach, endeten die Buben das Spiel, das Thor ward mir aufgethan; kein Roß hätte mich im Laufe erreicht. Endlich sank ich an deinem Lager nieder, du schlugst die Augen auf und zeigtest mir lächelnd unser Kind. Es sah schwach und kränklich aus. Damals kam mir ein höllischer Gedanke. O daß es stürbe, seufzte ich, damit es des Vaters Schmach nicht erbe! Und ich hatte mich so sehr auf unser Liebespfand gefreut! Ich fluchte den Unmenschen, die mich von deinem Schmerzenslager gerissen! Aber Gott erhörte mein sündliches Gebet nicht. Der Knabe wurde stark und groß, er wuchs heran, daß es mir hätte eine Freude sein sollen! Aber ein böser Geist muß über ihm gewaltet haben, daß sein Herz sich nach Dingen neigt, die er hassen sollte, weil sie der Feind unsres Blutes!«

»Laß sie schlafen, die trübe Erinnerung!« seufzte Liesbeth. »Böses und Gutes wird dereinst vergelten, sagt Pater Thomasius, und der Herrgott fragt nicht, ob wir reich sind oder arm!«

Der Bauer schüttelte heftig den Kopf. »Dereinst?« rief er. »Wer will sagen, was dereinst geschieht? Sollen wir über dem Grabe frei werden und bis zum Grabe das Joch schleppen, das uns zu Boden drückt? Nein, nein, ich meine, es muß schon hier vergolten werden, wenn Gerechtigkeit dort oben ist!«

»Gott behüt' uns, du frevelst!« sagte die Frau entsetzt. »Hör' ihn nicht, du ewiger Vater! Er weiß nicht, was er thut!«

Kolbach schüttelte sich wild, aber er antwortete nicht. Er wälzte sich lange unruhig auf seinem Lager, während die Hausfrau nach dem andächtig gesprochenen Abendgebete sanft entschlummert war. –

Mit dem frühen Morgen wanderte Heinz nach dem unfern gelegenen Augustinerkloster, dessen Zinnen im Morgengolde schimmerten. Es lag in paradiesischer Umgebung, in einem grünen Thale, das zu beiden Seiten sanfte Hügel bekränzten. Majestätische Ulmen streckten die grünen Zweige und Wipfel über die hohen Mauern, das frische, blühende Leben schaute in die Einsamkeit eines Grabes für Lebendige; denn durften auch die Mönche den Hauch des Frühlings, der draußen erblühte, einathmen, so hatten sie doch all' die warmen Gefühle ihres Herzens begraben müssen, die den schöneren Inhalt des Lebens bilden.

Heinz lachte mit hellen Augen in den strahlenden Morgen, aber sein Blick schweifte doch sehnsüchtig nach den fernen Bergen, und er sang aus voller Brust ein Lied, dessen einfache Worte tiefe Sehnsucht nach der Fremde ausdrückten. Ein Jüngling hatt' es wohl gedichtet, dessen Herz hinausflog in die weite Welt, wo die Kriegstrompete lustig schmetterte, und den doch starke Bande in der Heimath festhielten. Ob er diese Bande noch zerrissen, davon sprach das Lied nicht, aber Heinz glaubte es, weil er es glauben wollte.

Vielleicht finden unsere Leser die Zeichnung des Bauernknaben zu gekünstelt, unwahr; aber seine ganze Entwickelung überstieg die Schranken seines Standes. Liesbeth, die Hausfrau Kolbach's, besaß mehr Bildung als man bei einer Frau ihres Standes zu suchen pflegte. Sie hatte nicht immer unter Bauern gelebt; über ihren Ursprung schwebte noch eine geheimnisvolle Dämmerung; man wußte nichts, als daß die Jungfrau als elternlose Waise in Kolbach's Hütte gekommen war. Hier hatte sie eine freundliche Zufluchtsstätte gefunden und sie hatte gern eingewilligt, als ihr der Bauer seine Hand geboten. Sie war von ungewöhnlicher Schönheit gewesen; vor Allem aber war es ihr sanftes, frommes Gemüth, das einen wohlthätigen Einfluß auf den verschlossenen, finstern Sinn des Häuslers ausgeübt hatte. Heinrich war der erste Sprößling ihrer Ehe, und ihm wandte Liesbeth all' ihre mütterliche Zärtlichkeit zu. Der Knabe erbte die sanfte Gemüthsart seiner Mutter, und sein junges Herz war für alle Eindrücke empfänglich. Nur die Rauheit des Vaters fand keinen Eingang, denn die Mutterliebe stand als Wächter vor dem Paradies der Kindesbrust.

Heinz genoß die früheste Zeit seiner Jugend mit aller Unbefangenheit und Harmlosigkeit seines Alters. Er jubelte und pfiff in den hellen Tag hinein, tummelte sich auf der grünen Trift und erkletterte im Wald die höchsten Bäume, um recht weit in die Welt hinaus zu sehen, von deren Größe und Herrlichkeit die erste Ahnung in ihm erwachte. Heinz wußte noch nichts von Standesunterschieden; sein täglicher Spielgenoß war der junge Graf Ernst, mit ihm in gleichem Alter. Sah er auch den Unterschied zwischen den prächtigen Kleidern des Grafensohnes und seinem eigenen groben Bauerkittel, so wußte ihn doch die Mutter darüber zu trösten: das habe der liebe Gott so eingerichtet. Beide Knaben verkehrten wie Brüder, die sich wohl zuweilen im Spiel entzweien, aber sich in der nächsten Stunde versöhnen; denn in der Kinderbrust wurzeln noch nicht die Erdfeinde des bessern Menschengeistes, Haß und Feindschaft. Machte zuweilen Ernst in kindischem Stolz die Rechte seines Standes geltend, so lachte Heinz und bewies ihm immer, daß seine Faust nicht minder kräftig sei, als die des Grafensohnes, wenn es zu einer halb scherz-, bald ernsthaften Balgerei kam. Um was er den vornehmen Gespielen vielleicht allein beneidete, war das Rößlein, auf dem er ritt. Welche Lust, wenn er auf dem schmucken, muntern Thiere sitzen und mit ihm über die grüne Trift fliegen durfte! Das Herz hüpfte ihm vor Freude und er hätte nur gleich in die weite Welt reiten mögen. Wie stolz war er, wenn ihn die Mutter so sah; weniger lieb war es ihm, vom Vater gesehen zu werden, denn der schaute dann immer gar finster drein.

Ein andrer Gegenstand seiner Wünsche war das Grafenschloß, das dort so stolz auf der Bergesstirne thronte. Ernst erzählte so viel von den prächtigen Gemächern, von den vielen Ahnenbildern, den glänzenden Gewaffen, und wie weit man von der Zinne der Warte in das Land sehe, daß ihm Heinz unermüdlich anlag, ihm doch diese Herrlichkeit zu zeigen; aber der junge Graf war in dieser Beziehung unerbittlich. Der Grund war, weil er das Schelten seines Vaters fürchtete, denn dieser wollte den vertrauten Umgang mit dem Bauernknaben nicht mehr dulden; Ernst genoß ihn deshalb heimlich.

Unter den Augustiner-Mönchen des nahen Klosters war ein freundlicher Greis, der den Sohn des Bauern liebgewonnen zu haben schien. Er kam oft in Kolbach's Haus, und Liesbeth war dem würdigen Greise kindlich ergeben; selbst Kolbach beugte den starren Trotz seines Gemüths in seiner Nähe. Als Heinz in die Jahre gekommen war, wo der Verstand selbstthätig zu wirken beginnt, nahm ihn der Pater mit sich in's Kloster, zeigte ihm die Heiligenbilder und die vielen Bücher der Klosterbibliothek mit den schönen, bunten Arabesken, die wir noch in den alten Handschriften finden, als Zeugnis des Fleißes und des Kunstgeschmackes der Mönche. So erweckte er in dem Knaben die Wißbegier; Heinz brannte vor Eifer, die schönen Geschichten lesen zu lernen, von denen ihm der Pater sagte, daß sie in den Büchern geschrieben ständen. Konnte ihn der Vater, dem er schon beistehen mußte, entbehren, so ging er nach dem Kloster und machte dem Unterricht des guten Thomasius so viel Ehre, daß dieser seine wahre Freude an dem gelehrigen Schüler hatte. Eine neue Welt voll Farbenpracht und Fülle ging dem Knaben auf. Er hörte von der Welt und ihrem Treiben, von den Helden, die an der Spitze von Tausenden ausgezogen in den Kampf, von den großen Städten und Prachtpalästen, die hinter den Bergen lägen, und jene unbestimmte Ahnung, die schon in des Kindes Brust erwacht, stieg nun zur Sehnsucht, diese wunderbaren Herrlichkeiten mit eigenen Augen zu schauen.

Wie viel wußte Heinz nicht der lächelnd horchenden Mutter und dem Schwesterlein zu erzählen, wenn er von einer Unterrichtsstunde aus dem Kloster kam. Der Vater wollte nichts davon hören, denn er sagte, davon brauche ein Bauer, der an seine Scholle gebunden sei, nichts zu wissen. Heinz durfte endlich auch Bücher mit aus dem Kloster nehmen, und der Vater erlaubte ihm, daraus vorzulesen, wie wir gesehen haben. Diese alten Geschichten, die erzählten, wie die Völker von ihren Unterdrückern sich frei gemacht, versöhnten Kohlbach mit der unnützen Gelehrsamkeit, wie er es nannte.

Das innigste Verhältnis, das je zwischen Geschwistern bestanden, bestand zwischen Heinz und seinem Schwesterchen Marie. Beide waren sich zärtlich zugethan, Heinz wußte, so zu sagen, aus ihrer Seele zu lesen und er erfüllte ihr jeden Wunsch, mochte die Gefahr dabei auch noch so groß sein. Vom Rande eines Abgrunds holte er ihr die Blume, nach der sie verlangend die Händchen ausstreckte. Es war das lieblichste Bild, das man sehen konnte, wenn die Kinder, vom Spiel oder der Arbeit ermüdet, unter dem Schatten eines Strauches einschliefen; Mariens Köpfchen ruhte dann auf des Knaben Schooß, und er hatte den Arm um ihren Nacken geschlungen, wie zum Schutz der schönen kleinen Schläferin. Wie oft entzweite er sich nicht mit Ernst, der sie bei ihren Spielen zu seiner Dame erkor; denn er war eifersüchtig auf jeden freundlichen Blick, dem sie einem Andern schenkte, als ihm. Vater und Mutter hatten ihre Freude an diesem Verhältnisse; Marie, mit ihren frommen Taubenaugen, war ja des Vaters Liebling! –

Heinz stand an der Klosterpforte und läutete. »Wer ist da?« rief der Pförtner, und der Knabe antwortete: »Der Kolbach's Heinz!« Da öffnete sich knarrend das Thor, und Heinz trat in den geräumigen Klosterhof. Der Pförtner grüßte den Bekannten mit einem Kopfnicken und erwiederte den frommen Gruß: »Gelobt sei Jesus Christ!« mit der gewöhnlichen Formel: »in Ewigkeit!« Heinz stieg die enge Wendeltreppe hinan, die zu den Zellen der Mönche führte, und klopfte mit schüchternem Finger an eine Thür. Eine helle Stimme gab ihm Erlaubnis einzutreten. Durch die Scheibenfenster der engen Zeile fiel das goldne Morgenlicht Ein einfaches Lager nahm die eine Seite des Gemachs ein, auf der entgegengesetzten stand ein Pult, auf welchem mehrere Bücher und Handschriften lagen; der Thüre gegenüber hing das Bild des Gekreuzigten und darunter stand ein kleiner Knieschemel Der Bewohner der Zelle saß auf einem hölzernen Sessel, in der Hand die Feder. Es war ein Greis, in die dunkle Kutte seines Ordens gehüllt; den kahlen Scheitel umschimmerte ein Kranz silberweißer Haare, das Gesicht war hager und bleich, die wasserblauen Augen strahlten aber noch jugendliches Feuer. Es war Pater Thomasius.

Der Pater begrüßte den Knaben freundlich und reichte ihm die magere Hand, die Heinz an seine Lippen drückte. Mit harmlosem Stolz zeigte der Greis dem Schüler ein Pergament, das er eben beschrieben, die zierlich geschnörkelten Anfangsbuchstaben und die bunten Malereien um den Rand. »Schau', Heinz, wie gefällt dir das?« sagte er. »Das wird ein Buch und enthält einen Lobgesang, den ich zu Ehren der reinen Himmelsmaid aufgesetzt.«

Heinz drückte seine Bewunderung aus, aber er konnte sich doch nicht enthalten, zu bemerken, daß er ja viele Zeit dazu brauchen müsse, da es hingegen ein Leichtes sei, wie ihm der Pater selber gesagt, ein einmal geschriebene Buch tausendfach herzustellen, daß ein Buchstabe wie der andere sei.«

»Du meinst durch die Buchdruckerkunst!« antwortete Thomasius. »Viele nennen diese Kunst eine Erfindung des bösen Feindes, um damit die Menschen zu berücken. Das ist nun zwar mein Glaube nicht; vielmehr mein' ich, sie ist ein Werk Gottes, der dem Menschengeist die Kraft gegeben, zu denken und zu erfinden. Wie kann sie etwas Böses sein, da sie geschickt ist, das Wort Gottes tausendfältig durch die Welt zu verbreiten? Aber sieh', so schön vermag sie doch ein Buch nicht auszuschmücken, wie ich es thue mit meiner Hand. Sieh' diese Englein an, die den Thron der auserwählten Magd Gottes umschweben! Ich schreibe den Lobgesang selbst nieder und erbaue mich daran, indem ich schreibe; denn er ist nicht mein Wert mehr, sondern dessen, der mir Gedanken und Worte in die Seele geflüstert. So sind es nicht meine Worte mehr, die ich lese und schreibe, sondern sie sind geheiligt, und mir ist, als hört' ich die himmlischen Heerschaaren lobsingen. Wo es gilt, die Lehren des Glaubens, die Wahrheit in die Welt zu posaunen, da soll die Buchdruckerkunst wirken und schaffen. Dies Lied wird nie über die Schwelle dieses Klosters tönen. Wenn ich einst begraben sein werde, und ein Andächtiger findet es unter viel besseren Schätzen und erbaut sein Gemüth darin, dann ist Alles geschehen, was mein Herz begehrt!«

Pater Thomasius brach von diesem Gegenstand ab und begann den Unterricht; der Knabe war gelehrig, wie immer und fragte dies und jenes. »Sagt mir doch,« begann er endlich zögernd, »ist der Martin Luther wirklich ein frommer Mann? Ihr wißt es gewiß!«

Den guten Pater überraschte diese Frage. »Was hast du von ihm gehört?« rief er eifrig.

»Der Vater hat ein Buch von ihm, das ihm der fremde Ritter geschenkt hat;« entgegnete Heinz zögernd. »Es handelt von Gottes Wort, aber schilt die Ablaßprediger Baalspfaffen und Götzendiener, und nun denk ich, der könne kein frommer Mann sein, der so spricht. Auch ist Vater ganz anders geworden, seit er von dem Luther gehöre hat, daß mir's oft recht in der Seele weh thut.«

»Die heilige Kirche nennt diesen Mann einen Ketzer«, antwortete der Pater; »ich habe einige seiner Schriften gelesen und besitze sie selbst. Es weht ein wunderbarer Geist in ihnen, wie durch die Natur nach einem fruchtbaren Regen. Sein Wort ist ein Blitz, in seinem Munde ist ein Schwert; aber er trifft, mein ich, indem er das Falsche ausrotten will, auch das Ewige, Heilige. Die Kirche hat ihn verdammt, und der Diener der Kirche muß ihn mitverdammen. Vielleicht ist er aber berufen, Großes in der Welt zu verrichten; wer will die Rathschlüsse des allmächtigen Gottes ergründen? Dein Geist ist noch zu jung, um nach Wahren und Falschem zu forschen. Thue immer, wie dein Herz gebietet, und du thust Recht. Verschweige aber, daß dein Vater dem Bruder Martin anhängt; es könnte viel Verdruß auf ihn laden. Muß ich doch selbst die Schriften des Mannes verbergen, den die Kirche verdammt; denn der hochwürdige Prior ist streng.«

»Darf er Euch gebieten, und Ihr seid doch älter, denn er?« fragte der Knabe.

»Aelter an Jahren!« entgegnete der Mönch. »Aber die Mutterkirche hat ihn über uns gesetzt; ihm ist höhere Erleuchtung geworden. Was er befiehlt, dem müssen wir gehorchen, denn die Kirche befiehlt durch ihn. Sprachst du nicht von einem fremden Ritter?«

»Ja, hochwürdiger Herr!« erwiederte Heinz. »Er nannte sich Ulrich von Hutten!«

»Ulrich Hutten?« rief der Mönch. »Auch ihn hat die heilige Kirche verflucht. Er ist ein Verirrter von der Heerde des Herrn, aber ein großer Geist lebt in ihm. Welche Männer streiten gegen uns! Nun wird sich zeigen, ob unsre heilige Kirche auf Gott gegründet ist! Ist sie's nicht, so wird sie wanken in ihren Grundvesten vor dem Posaunenton dieser Männer; ist sie's aber, dann werden sie vergehen, wie Gras, so tapfer sie auch streiten. Ich bin alt und meines Lebens Rest wird bald verronnen sein; doch möcht' ich noch sehen, eh' ich in die Grube steige, welch' ein Morgenroth aus dieser Geistesdämmerung entspringt! Du wirst es sehen, du wirst ein Panier wählen, unter dem du streitest! Laß dich nicht überreden, weder von dem Einen, noch von dem Andern, sondern wähle, wie es die Stimme deines Innern gebietet. Gehe hin, mein Sohn, und Gott sei mit dir!«

Der würdige Greis legte die Hand auf des Knaben Lockenhaupt, und dieser ging, voll von Gedanken über das, was er gehört, dessen hohe Bedeutung er nur ahnete. Der Greis faltete, alt er allein war, die Hände, und sprach: »Wie ist der Mensch doch so schwach und blind! Und wenn er siebzig Jahre einen Pfad gewandelt, den er immer für recht erkannt, und es kommt Einer und sagt: du gehst irre, so verläßt er ihn, oder geht mindestens nicht mit dem vorigen festen Vertrauen vorwärts. Erleuchte mich, Herr, daß ich den rechten Pfad finde, und so ich falsch wandle, so bedenke in deiner Gnade, daß der Mensch blind geboren ist! Ich kann jenen Wittenberger Mönch nicht hassen, ob's auch die Kirche befiehlt. Thu' ich Sünde, so vergieb mir um deiner Barmherzigkeit und um meiner Schwachheit willen!« –


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