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Ein wohlgerüstetes kleines Heer von fünftausend Mann zu Fuß und fünfzehnhundert Reitern hatte sich unter Sickingen's Fahnen gesammelt. Der erste Zug sollte den Erzbischof und Kurfürsten von Trier, Richard von Greifenklau treffen; der Vorwand war, daß der Erzbischof zwei seiner Unterthanen, für welche sich Franz verbürgt hatte, von der Leistung ihrer Verbindlichkeiten zurückhielt. Der Fehdebrief sagte außerdem: »er künde ihm Fehde vor Allem um der Dinge willen, die der Kurfürst gegen Gott und kaiserliche Majestät gehandelt habe.« Zugleich erließ er ein Manifest an die Unterthanen von Trier: »er komme, sie von dem schweren antichristischen Joch und Gesetz der Pfaffen zu erlösen und sie zur evangelischen Freiheit zu bringen.«
Heinz ward dazu auserkoren, nach Trier zu reiten und den Fehdebrief zu überbringen. Der Jüngling fühlte sich stolz auf diesen Auftrag und in seinem schönsten Knappengewande ritt er an einem schönen Herbstmorgen der Straße vom Landstuhl nach Tritt entlang. Den wohlversiegelten Fehdebrief trug er unterm Wamms. Es war schon spät am Tage, als er an seinem Bestimmungsort eintraf. Die volkbelebte Stadt trug ein ganz anderes Gepräge, als all' die Städte, die er bisher gesehen. Die verschwenderische Pracht der Residenz eines glanzliebenden Fürsten äußerte sich in allen Einzelnheiten. Dazu kamen die vielen Mönche, Domherren und Prälaten, zum Theil im vollen Glanz ihrer Würde, die einen eigenthümlichen Eindruck auf den Jüngling übten. Eine Procession zog an ihm vorüber; alles Volk warf sich aus die Kniee und beugte das Angesicht zur Erde; dazu läuteten die Glocken voll und hell, daß ihre Schwingungen weithin durch die klare Luft hallten. Heinz hatte noch nie solche kirchliche Pracht gesehen, und sein Herz fühlte sich eigenthümlich bewegt. Der katholische Gottesdienst hat etwas Verlockendes für jugendliche Gemüther; er erhebt die Flügel der Phantasie und die leisen zitternden Orgeltöne, der Weihrauchduft umspinnen mit magischen Reizen, mit seligen Träumen.
Heinz eilte, seinen Auftrag auszurichten. Eine Schaar glänzend gallonirter Diener umringte ihn, überhäufte ihn mit Fragen. Unbefangen beantwortete er Alles, was ihn selbst betraf, aber standhaft schwieg er über die Verhältnisse Sickingen's, so listig es man auch anstellen mochte, ihn über diesen Punkt auszuforschen.
An der Seite eines der goldstrotzenden Diener schritt er die breiten Marmortreppen hinauf und trat in ein Vorzimmer, wo mehrere Mönche auf weichen Polstern ruhten; es schien die Leibwache des Kirchenfürsten zu sein. Heinz' Begleiter wechselte mit dem Einen einige Worte; der Mönch antwortete mit verschmitztem Lächeln. »Die kleine Adelgunde beichtet jetzt,« hörte der Jüngling. »Da müßt Ihr Euch schon gedulden,« wandte sich der Diener zu ihm. »Seine kurfürstlichen Gnaden läßt sich nie in geistlichen Verrichtungen stören.« Ein sardonisches Lächeln, das um die Mundwinkel spielte, begleitete diese Worte.
Heinz war arglos und gab sich nicht die Mühe, über dies Lächeln nachzusinnen »Du kommst vom Ritter Sickingen?« wandte sich einer der Mönche an ihn.
»So ist es, ehrwürdiger Vater!« antwortete der Jüngling.
»Und mußt deine Botschaft persönlich überbringen?«
»So ist mein Auftrag.«
»Ei welche wichtige Werbung mag der edle Ritter an Seine kurfürstlichen Gnaden haben?«
»Darüber kann ich Euch nicht Auskunft geben.«
»Du bist verschwiegen; das ist eine lobenswerthe Tugend! Du bist kein Eingeborner dieses Landes, wie ich aus deiner Sprache entnehme.«
»Meine Heimath ist Thüringen,« versetzte der Jüngling. »Kurfürst Friedrich von Sachsen mein Landesherr.«
»Also ein Landsmann des Wittenberger Mönchs!« fuhr jener fort. »Sag' doch, hast du nichts von dem Martin Luther gehört?«
»Alle Zungen sprechen von ihm!« antwortete Heinz.
»Bist wohl auch ein junger Ketzer!« sagte der Mönch mit stechendem Blick. »Nun freilich! hat sich doch der edle Ritter von Sickingen des Martinus angenommen. Sind mehrere deiner Landsleute unterdes Ritters Gefolge?«
»Mag schon sein!« erwiederte der Jüngling.
»Ist dies Gefolge denn wirklich so stark, als der Ruf verkündet?«
»Der edle Ritter hat mich nie zu seinem Vertrauten gemacht!« entgegnete Heinz. Der Mönch kniff ärgerlich die Lippen ein. Jetzt tönte der Schritt des Fürsten durch das innere Gemach; der Mönch legte lauschend das Ohr an die Thür, öffnete sie dann und verschwand. Nach kurzer Zeit kam er zurück und hieß den Jüngling über die Schwelle treten.
Es war ein prächtiges Gemach, in dem er nun stand. Gold und Seide waren im Ueberfluß verschwendet, wohin er blickte; ein fast betäubender Wohlgeruch quoll ihm entgegen. Der Kurfürst in prächtigem goldgestickten Sammtrock stand ihm gegenüber. Heinz küßte in Ehrfurcht den Saum seines Kleides.
»Was vermeldet uns der edle Ritter?« fragte der Kirchenfürst gnädig.
Heinz überreichte den Brief. Aus einen Wink des Erzbischofs nahm ihn der Mönch, der sich vorhin mit Heinz unterhalten hatte, öffnete ihn und las. »Der edle Ritter kündet Euch Fehde, kurfürstliche Gnaden!« sagte er dann.
Die Stirne des Erzbischofs legte sich in tiefe Falten. »Also ein Absagebrief!« rief er. »Nun, geh' und sage dem, der dich gesandt hat: wir wollen uns wohl bereiten, den Besuch, mit dem er uns zu ehren gedenkt, würdig zu empfangen.« Er winkte mit der Hand Entlassung, und der Jüngling wurde aus der Stadt geführt. Da die Feindseligkeiten hiermit eröffnet waren, so mußte er sich gefallen lassen, daß ihm die Augen verbunden wurden, bis er das letzte Vorwerk hinter sich hatte.
Kaum war der Bote zurück, als auch Sickingen schon die Fehde begann. St. Wendel wurde durch Sturm genommen und am siebenten September schon klopfte er an die Thore von Trier. Die Eroberung der festen Plätze des Erzbischofs sollte nur das Vorspiel sein zu dem großen Drama, das er beginnen wollte, wenn die Verstärkungen einträfen, die er durch seine Getreuen in den Niederlanden werben ließ.
Den Fürsten blieb der eigentliche Plan Sickingen's nicht verborgen. Seine Reisigen führten seltsame Reden: »Bald werde ihr Herr Kurfürst, ja vielleicht mehr sein.« Der gewaltige Gedanke erschreckte sie und sie beschlossen, dem kühnen Ritter energisch entgegenzutreten. Das Reichsregiment rief alle benachbarten Landesherren zu den Waffen. An Sickingen selbst wurden abmahnende Boten geschickt. Er antwortete mit Hohn und Trotz. »Ich weiß fürwahr,« sprach er, »der Kaiser, mein Herr, wird nicht zürnen, ob ich den Pfaffen ein wenig strafe und ihm die Kronen eintränke, die er von Frankreich gewonnen. Wo Andere reden, da will ich handeln, ich will mich eines Thuns unterstehen, dessen sich kein römischer Kaiser unterstanden hat; ich will eine neue Ordnung im Reiche einführen, die fürwahr besser sein soll, als das alte morsche Gebäu. Der Entscheidung des Reichskammergerichts zwischen mir und dem Pfaffen bedarf ich nicht, denn ich habe ein Gericht um mich, das mit Büchsen und Karthaunen disputirt.«
Indessen mußte der kühne Mann gar bald erkennen, wie sehr er sich verrechnet. Er hatte auf Einverständnisse in der Stadt Trier und auf die reichen Vorräthe des Klosters St. Maximin gezählt; das letztere aber hatte der Erzbischof mit eigener Hand angezündet, und die Sympathieen der Einwohner Triers wurden durch seine Reisigen hinlänglich in Zaum gehalten. Während Sickingen vor den wohlvertheidigten Mauern lagerte, kam eine Unglücksbotschaft nach der andern. In Cleve und Jülich, wo Ritter Renneberg für ihn warb, drohte der Landesfürst den Angeworbenen mit Verlust von Lehn und Leben, wenn sie Sickingen zuzögen. Das Gleiche geschah im Gebiete von Cöln. Von Braunschweig zog ihm Michel Minkwitz mit fünfzehnhundert Knechten zu; der Landgraf Philipp von Hessen aber überfiel den Zug, nahm den Führer gefangen und bewog die Knechte, in seinen Dienst überzutreten. Auch die Zuzüge aus dem Limburgischen, Lüneburgischen und Westphälischen wurden aufgehalten.
Während er so vergeblich auf Hülfe von Außen hoffte, zog sich ein Gewitter nach dem andern über seinem eigenen Haupte zusammen. Starke Kriegsschaaren des Landgrafen und des Kurfürsten Ludwig von der Pfalz zogen gegen ihn heran. Sickingen bemerkte schmerzlich den Letztern unter seinen Feinden, ihn, seinen alten Gönner, durch den er zuerst emporgekommen. Er sah sich genöthigt, die Belagerung aufzuheben.
Tiefe Trauer umdüsterte sein edles Antlitz, als er die Ritter ihrer Pflicht entband, Abschied von ihnen nahm, und ein Fähnlein nach dem andern abzog. Er preßte die Hand auf das Herz, als wolle er das ungestüme gewaltsam zur Ruhe bringen. Er hatte den größten Theil seines Kriegsheeres entlassen, mit dem Ueberreste zog er sich nach seinen Burgen zurück. Die Gegner ließen ihn unangetastet; bald darauf traf ihn des römischen Reiches Acht und Aberacht.
Seine Verbündeten empfanden zuerst die Rache der Fürsten. Mit dreißigtausend Mann zogen diese gegen Kronberg bei Frankfurt, die Stadt und Veste Hartmuth's, des Freundes und Eidams Sickingen's. Hartmuth entwich und die Veste ergab sich. Hierauf zerstörten sie Frowin von Hutten's Burg Saalmünster und besetzten seine anderen Schlösser. Frowin, der Großhofmeister des Kurfürsten Albrecht von Mainz, war mit im Bunde gewesen. Philipp Weiß brachen sie seine Burg Haußen und dem Rudecker sein festes Haus Rückingen. Selbst Albrecht von Mainz wurde um fünf und zwanzigtausend Gulden geschätzt, weil er einen Trupp sickingischer Pferde habe unverwehrt über den Rhein gehen lassen. »Dies sei der Ursachen eine, die andern stecken in der Feder«
Sickingen selbst stand noch in der Blüthe seiner Kraft; doch er war nicht mehr derselbe in der öffentlichen Meinung. Man glaubte nicht mehr an ihn, und viele Zaghafte seiner Anhänger fielen nun von ihm ab. Die Menschen sind sich zu allen Zeiten gleich geblieben. Das Glück fand immer Freunde und warme Anhänger; wenn aber die Sonne sich trübte, so eilten sie, das eigne armselige Lebensschifflein in den sichern Hafen zu steuern. Zwar erhielt Sickingen noch auf einem Tage zu Schweinfurt von der fränkischen Ritterschaft auf's Neue viele Zusagen, aber die Folge lehrte, wie fest darauf zu bauen war.
Der kühne Mann versagte indeß nicht; er lächelte bitter, wenn er eine Nachricht nach der andern vom Abfall eines Verbündeten erhielt »Ich bin wie ein Baum« sprach er, »den der Sturm schüttelt; die faulen und wurmstichigen Früchte fallen ab, die guten bleiben hängen. Ich habe so viel falscher Freunde weniger.«
Und dieser gesunden Früchte blieben ihm noch genug: die Fürstenberge, die Hutten und vor Allem seine eigne, unbeugsame Willenskraft Während er seine Freunde auf Werbung aussandte, befestigte er den Landstuhl, eine seiner mächtigsten Burgen, wo er sich einschließen und den Entsatz erwarten wollte. Seine Werkleute waren unablässig thätig, die baufälligen Mauern auszubessern und neue Festungswerke zu errichten, so daß er selbst einer langwierigen Belagerung mit Zuversicht entgegensehen zu können glaubte. Lächelnd verglich er sich mit einem Adler, der seinen Horst hoch auf den Felsgipfel baue, dem das niedrige Geflügel fern bleiben müsse.