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»Willkommen, willkommen!« rief Franz von Sickingen einem Mann entgegen, der eben auf dem Landstuhl angekommen war, und in dem Heinrich mit Freude den Ritter Ulrich von Hutten wiedererkannt hatte. »Zwar willkommner noch wärest du mir gewesen, wärest du vor einem Monat mit einem stattlichen Fähnlein gekommen, doch weiß ich ja, daß es weder an deinem guten Willen, noch an deinem Eifer lag, wenn es nicht geschah!«
»O Franz,« antwortete Hutten, »das Herz blutete mir, als ich dich in Bedrängniß wußte und nicht helfen konnte!«
»Daß ich abziehen mußte, wie der Fuchs vom Taubenschlag, ist meine größte Betrübniß!« entgegnete Sickingen. »Du weißt, die kleinen Seelen beurtheilen die Sache nach ihrem ersten Erfolge. Wäre dieser ein glücklicher gewesen, so ständ' ich fest an der Spitze eines Heeres, mit dem ich dem Kaiser trotzen wollte. Der erste Schlag ist leider mißglückt; doch das Glück ist ein Weib, und versagt es auch hundertmal seine Gunst, so erliegt es doch endlich unserer Standhaftigkeit. Ich will es zwingen, mir zu dienen. Hat es mir ein Sonnenlächeln wieder geschenkt, so hab' ich alle die wieder gewonnen, die jetzt kleinmüthig von mir abfallen.– Bei Gott,« fügte er lächelnd hinzu, »unsere Waffen müssen dennoch in hoher Achtung stehen, da Kaiser und Reich sich verbünden, um den allzu kecken Waghals niederzudrücken. Wie mögen sie lüstern sein, nach dem Haupte des Geächteten!«
»Die Acht hat ihre Kraft in Deutschland verloren, wie Luther's Beispiel zeigt,« versetzte Hutten. »Die neue Zeit bricht eine Säule des lieben heiligen römischen Reichs nach der andern und weht den alten Wust nach allen Winden!«
»Auch acht' ich diese Acht nicht eben groß!« entgegnete Sickingen. »Ich denke vielmehr noch ehrenhaft aus dem Kampfe zu gehen, wenn der Stern, der mir von Jugend auf geleuchtet, nicht ganz untergegangen ist. Mein treuer Balthasar Slör wird an den Oberrhein gehen und Franz Voß nach Niederdeutschland, um für mich zu ererben. Aus Böhmen hab' ich Zusagen von ehrenwerthen Rittern erhalten. Dort glüht der taboritische Geist noch unter der Asche; und du, mein Freund, wenn du noch nicht müde bist, für das große Wert zu wirken und zu schaffen –«
»Bis zu meinem letzten Athemzuge steh' ich dir treu zur Seite!« rief Hutten feurig. »Ich gehe nach Oberschwaben und in die Schweiz, und denke dir ein stattlich Häuflein zuzuführen.«
»Als die alten Zeiten der Ritterschaft noch waren,« bemerkte Sickingen, »da zählte man nicht die Köpfe, sondern die Herzen. Das ist anders geworden. Die Erfindung der schwarzen Körner hat eine so große Umwälzung hervorgebracht, als die der Buchdruckerkunst. Doch hilft kein Widerstreben; wir müssen dem Strome folgen, wollen wir nicht zu Grunde gehen. So werde ich jedes neue Fähnlein mit Gruß und Händedruck empfangen; denn es ist ein neu Gewicht in der Wagschale meines Sieges. Ich hoffe demnächst auf das lutherische Volk, das meinen Fahnen ja zujauchzen muß, die es von dem leiblichen Drucke befreien wollen, wie es Luther von dem geistigen that.«
»Ich weiß nicht,« antwortete Hutten ernst, »es kommt über mich, wie eine trübe Ahnung, als hätten wir von der Reformation und dem Volke zu viel erwartet. Ja, wenn Luther wollte! Ganz Deutschland würde ihm zujauchzen, und der Sieg wäre entschieden. Aber Luther erschrickt vor der Gewalt. Ein eigenthümliches Schicksal waltet über diesem Manne; sein Herz will den Frieden und doch ist sein Loos, alle Verhältnisse umzustürzen; die Nothwendigkeit reißt ihn fort zu Schritten und Handlungen, die ihn oft selbst erbeben machen. Diese Bestimmung sollte ihm die Ueberzeugung geben, daß ohne Kampf nichts Großes, nichts Herrliches gedeiht. Aber er hat sein Vertrauen auf die Fürsten gesetzt und scheint es selbst mit Unmuth zu bemerken, wie das Volk aus seiner Lehre noch Anderes schöpft, als geistige Aufklärung. Du hast ohne Zweifel non der wunderlichen Secte vernommen, die in Zwickau aufgetaucht ist.«
»Von den Täufern?« fragte Sickingen »Dem tollen Tuchmacher und seinen wahnsinnigen Gesellen?«
»Sprich nicht allzu rasch ein Urtheil!« mahnte Hutten. »Ich selbst habe diese Männer wunderlich genannt. Ich glaube nicht an ihr Prophetenthum, aber ich glaube, daß sie nothwendig aus der Zeit hervorgegangen sind. Die Vorstellung und Erwartung von der Gründung eines tausendjährigen Reiches, das alle Menschen als Eine Gottesfamilie umschließen werde, ist so alt, als die christliche Weit. Sie schlummerte in den Herzen der Völker und trat da lebendig hervor, wo die Noth, der geistige und leibliche Druck besonders schwer auf ihren Nacken lastete. Am stärksten trat sie bis jetzt in der großen hussitischen Bewegung hervor, und Thüringen, als das Strombett-, in welches diese Bewegung sich ableitete, ward wundersam davon befruchtet. Die Geißler oder Kreuzesbrüder erhielten sich dort am längsten, und alle Scheiterhaufen des vorigen Jahrhunderts waren nicht im Stande, den Keim dieser Schwärmerei, wie man es nennen will, gänzlich zu vernichten. Was Wunder, wenn der tiefschlummernde Same üppig aussproßt, einestheils genährt von der leiblichen Knechtschaft und andrerseits geweckt von Luther's Verkündigung evangelischer Freiheit. Jene Männer glauben an ihr Prophetenthum und das ist die Wahrheit ihrer Offenbarungen. Aber ich wollte dir erzählen von dem Verhältnisse Luther's zu jener Secte. Kurfürst Friedrich sah lange ihrem Treiben zu; er scheute sich, gegen sie zu handeln, weil er Werkzeuge Gottes in ihnen zu unterdrücken fürchtete. Endlich aber machte der Rath von Zwickau ihrem Treiben ein Ende. Ein Theil zog nach Böhmen, ein anderer nach Wittenberg. Dort hatten sie gewaltigen Zulauf und vor Allem war es Doktor Carlstadt, der ihren Eingebungen glaubte und in frommem Eifer mit einem Haufen Studenten in die Schloßkirche einfiel, die Bilder und Altäre zerstörte und die Geistlichen, welche Messe lasen, hinaustrieb. Als Luther die Nachricht empfing, eilte er trotz Bann und Acht gen Wittenberg und stellte die Ordnung wieder her. Die Täufer behandelte er verächtlich; das verdroß den frommen Tuchmacher und er sprach, er wolle dem Doktor Martinus seine eigenen Gedanken sagen. Das war Luther begierig zu hören, und Storch sagte mit großem Vertrauen: »Du fühlst jetzt im Herzen eine Zuneigung zu uns.« Da dem wirklich so war, so entsetzte sich Doktor Martinus sehr und erklärte es für eine Eingebung des Teufels. Du weißt, unser hochgelahrter Freund weiß überhaupt viel von Seiner höllischen Majestät zu erzählen.«
»Und was ist aus jenen frommen Brüdern geworden?« fragte Sickingen.
»Sie sollen durch Deutschland schweifen und ihr neues Evangelium predigen;« entgegnete Hutten. »Dies wäre Etwas, wovon sich ein schneller und lauter Erfolg versprechen ließe. Vielleicht verstand ich nicht recht, die Thatkraft im Volke zu entflammen, vielleicht auch ist es noch nicht reif, die Idee der Freiheit mit offenem Herzen zu umfassen, und fast möchte ich zu meinem Schmerze das Letztere glauben. Gelingt es jenen Propheten, die Gemüther zu entflammen, so werden sie mit Begeisterung ihr Joch zerbrechen, denn der Glaube ist noch die stärkste Triebfeder, wie die stärkste Hemmkette; Beides lernen wir aus der Geschichte, dieser unerschöpflichen Fundgrube der Weisheit. Roms Macht sank dahin, als die Bande zerrissen, mit denen es eine Welt spielend geleitet. So wollen wir auch einmal den Glauben an Wunder für unsern Zweck benutzen, für einen edleren, bei Gott! als der heilige Vater je im Auge gehabt!«
»Sieh ', wie der Herbstwind die gelben Blätter von den Bäumen schüttelt!« versetzte Sickingen, hinausweisend auf die herbstliche Flur. »Stehen sie wieder in voller Blüthenpracht, so ist es anders in Deutschland, oder mein Gebein ruht im Grabe.«
»Dies Letztere verhüte Gott!« sagte Hutten. »Nein, nein! Du wirst der Stolz deines Vaterlandes werden und wirst leben, bis ein zweiter Mann ersteht, würdig, das Schwert aus deiner altersmüden Hand zu nehmen. Ich will gerne sterben, wenn ich mein Vaterland frei sehe. Dann mag der finstere Geselle, der mich seit lange begleitet, mich übermannen. Warum sollen wir aber so trübe Gedanken hegen? Noch blüht uns das Leben, wir wollen's ergreifen mit voller Manneskraft!«
In dieser Weise sprachen die beiden Männer noch lange fort von ihren Hoffnungen und Planen. Hutten blieb einige Wochen auf dem Landstuhle; sie schwanden schnell dahin im trauten Freundeskreis.
Heinz erneuerte Hutten's Bekanntschaft. Der Ritter erinnerte sich mit Vergnügen an den freundlichen Knaben, der ihm einst den Wegweiser gemacht »Ich lobe deinen Entschluß,« sprach er, »daß du zu den Waffen gegriffen hast. Strebe nur vorwärts und sei brav. Dann wirst du ein besserer Ritter sein, als wenn du den goldenen Sporn trügest und deine Ahnen unter Karls des Großen Paladinen suchtest. Wer nach dem Großen, dem Edlen trachtet, wer sein Blut läßt für das Vaterland und die Freiheit, wer die Tugend schützt und Manneswort hält, der ist ein Ritter, sei er auch in der Hütte geboren. Danach trachte: Nicht der Adel der Geburt gilt mehr in unserer Zeit, sondern der Adel des Geistes. Aus dem Volke wählt Gott seine Auserwählten, aus dem Volke wird das neue Reich der Freiheit erblühen!« Heinz hörte mit Andacht den Worten des Ritters zu, wie einem Evangelium; hatte er sich schon als Knabe in ihm hingezogen gefühlt, so widmete er ihm nun die höchste Ehrfurcht, nachdem er seinen Ruhm von so vielen Zungen vernommen.
Hutten war abgereist und der Winter verging allmälig in Waffenübungen und Zurüstungen. Unserm jungen Freunde behagte das Leben unter den Reisigen; sie wußten so viel zu erzählen von ihren abenteuerlichen Fahrten und Zügen, und Heinrich's Weltanschauung kam der Wahrheit immer näher. Er lernte die Laute schlagen von einem bärtigen Kriegsgesellen, und lustige Reiterlieder singen. Er sehnte sich nach dem Frühling, mit dessen Erscheinen der Kampf wieder beginnen sollte, und jauchzte laut auf, als die Sonne den Schnee schmolz, die grünen Grasspitzen aus dem Boden lugten und die Bäume Knospen trieben.
Es war gegen Ende des Aprils, als das eintraf, was Sickingen erwartete. Die verbündeten Fürsten umlagerten mit ihrem wohlausgerüsteten Heere den Landstuhl. Mit fliegenden Fahnen kamen sie heran und klingendem Spiel. Sickingen lächelte, als er die zahllosen Schaaren der Reisigen erblickte. »Sehet hin,« rief er seinen Getreuen zu, »so viel Heiden ziehen aus mit Spießen und Stangen, um einen alten Löwen zu fahen.«
»Aber der Löwe wird sie zerreißen, so uns Gott helfe!« antwortete Ritter Wolfenzahn. »Bei meinem Schwert!« setzte er hinzu, mit der gewaltigen Faust an seine Waffe schlagend, »ich will verdammt sein, so sie sich nicht die Zähne zerbeißen an dem Bissen, den sie verschlingen wollen!«
»Das sollen sie mit Gottes Hülfe!« entgegnete Sickingen. »Wenigstens geht der Löwe nicht in ihr Netz, so lange noch Leben in seinen Knochen rinnt! Alter Kumpan, es wird aber heiße Tage setzen!«
»Heiße Tage bin ich gewohnt!« war die Antwort. »Besser als ein frostiger, trüber Herbst, wo die Faust erlahmt, weil sie nicht dreinzuschlagen hat. Hab' mein Leben lang die Ruhe nicht leiden können und drum trieb ich das Waffenspiel auf eigene Hand, bis sie mir die Burg über'm Kopfe zusammenbrannten. Der Teufel gesegn' ihnen die Mahlzeit!»
»Freund, die alten Zeiten sind vorüber!« seufzte Sickingen. »Die beste Klinge gilt jetzt nicht mehr so viel, als eine Hakenbüchse, die jeder feige Wicht abdrücken kann, daß dem bravsten Manne der kalte Tod durch 's Herz fährt. Der alte Maximilian ahnte das Rechte, aber er war der Mann nicht, den eigensinnigen Fürsten und Pfaffen durch den Sinn zu fahren.«
»Ihr aber seid der Mann, der neues feuriges Leben in die frostigen Adern des alten römischen Reiche gießt!« sagte Wolfenzahn. »Und alles Bellen dieser Hunde wird's nicht hindern!«
»Wir ritten freilich im vorigen Herbst mit schönern Hoffnungen aus!« versetzte Sickingen. »Damals waren wir die Jäger, jetzt sind wir das Wild. Wär's geglückt und hätten die Fürsten nicht zu früh die Zöpfe zusammengesteckt, so wären wir es, die jetzt Befehle gäben im deutschen Reich! Doch noch ist das Spiel nicht verloren! Sinkt mein Glücksstern nicht und sind die Freunde treu, so sollen jene stolzen bunten Fähnlein bald fallen wie dürres Laub. Das deutsche Volk wird mich nicht verlassen, der ich ihm die Freiheit bringe.«
»Baut nicht auf's Volk!« meinte Wolfenzahn geringschätzig »Was soll Euch der träge Haufe, der sich in's Fäustchen lacht, wenn Ihr die Fürsten und Pfaffen schüttelt, der sich aber achselzuckend von Euch wendet, wenn Ihr verblutet!«
Sickingen antwortete nicht; vielleicht fühlte er die bittere Wahrheit. –
»Nun, Heinz, jetzt gilt's!« sagte Wolfenzahn zu seinem Knappen, aus die bewaffneten Haufen zeigend, die sich um die Burg ausbreiteten. Des Jünglings Auge glühte begeistert.
Am dreißigsten April begann die Beschießung und zwar mit einer Heftigkeit, die deutlich genug verrieth, wie besorgt man war, den Hauptschlag zu vollenden, ehe Hülfe herbeikomme. War das Haupt gefallen, so hoffte man mit den Gliedern schon leicht fertig zu werden. Die noch neuen Mauern litten bald furchtbar von den feindlichen Kugeln, und Sickingen schaute immer sorgenvoller hinaus, ob er noch kein Fähnlein seiner Getreuen flattern sehe. »O daß ich ihnen Flügel des Sturmes geben könnte,« rief er, »oder vielmehr die Schwingen meiner Sehnsucht! Sie werden kommen und sehen, wie man den Adler aus seinem brennenden Horst reißt!«
Tag um Tag verging, durchlöchert waren die Mauern von den Kugeln der Feinde, und noch ließ sich nichts von dem Anzuge der Verbündeten vernehmen.
Die Veste wurde indes wacker vertheidigt; mehrere Stürme schon waren abgeschlagen worden, und der mächtige Feind ergrimmte vor dem todverachtenden Widerstande des geringen Häufleins, das aber ein Sickingen mit seinem Geiste beseelte. Sickingen selbst leitete die Vertheidigung seiner Veste mit großer Umsicht und Beharrlichkeit; er war überall, wo die Gefahr sich zeigte, und befeuerte die Seinen durch freundlichen Zuspruch und Trost, obgleich er fast selbst nicht mehr an Rettung glaubte. Gedankenvoll stand er eines Morgens am Fenster und schaute hinaus über die im Frühlingsschmucke prangenden Fluren. Wie ein leiser Vorwurf klang es durch seine Brust: und du wolltest diesen schönen Blumenteppich mit Blut beflecken? Aber es war nur ein Augenblick. »War es doch, um die Völker zu befreien, die unter dem schmählichen Druck ihrer hundert Tyrannen schmachten!« rief er sich selbst zu. »War es doch zum Ruhm und Wohl dieses schönen Landes!« Aber sein Blick blieb umflort, die Ahnung seines Geschicks klopfte schüchtern an seine Brust.
Sickingen stand eben an einer Schießscharte, um den Gang des Sturmes zu übersehen. In demselben Augenblicke traf eine dahingerichtete Karthaune das Vertheidigungsgerüst, an dem er lehnte, warf es aus einander und schleuderte ihn selbst gegen einen spitzigen Balken. Tödtlich verwundet und ohne Besinnung stürzte er zu Boden.
Die Zeugen des unglücklichen Vorfalles trugen den Verwundeten in's Burggewölbe. Bleich vor Schreck standen sie neben dem Schmerzenslager des Helden. Obgleich man verhüten wollte, daß die Kunde davon sich unter der Besatzung verbreite, so lief sie doch bald wie ein Lauffeuer von Mund zu Munde. Man sah sich an in rathlosem Entsetzen; starb Sickingen, so war an eine Vertheidigung nicht mehr zu denken.
Wolfenzahn war eben, von einer feindlichen Kugel getroffen, mit blutender Schulter niedergestürzt, als die Schreckenskunde sein Ohr traf. Da vergaß er den eigenen Schmerz und eilte, blutend wie er war, nach dem Burggewölbe. Beim Anblick des großen, starken Mannes, der in den Banden der Ohnmacht lag, umflorte es seine Augen, wie ein Nebel, und achtlos duldete er es, daß Heinz nothdürftig seine Schulter verband.
Endlich schlug Sickingen die Augen auf; er versuchte sich zu erheben, aber der mächtige Schmerz hielt ihn zurück. Sein irrer Blick flog über seine Getreuen, und als er die nicht fand, die er suchte, rief er bitter: »Wo sind nun meine Herren und Freunde, die mir so viel zugesagt haben? Wo ist Fürstenberg? Wo bleiben die Schweizer? die Straßburger?«
Er ahnte nicht die Unschuld des edlen Fürstenberg. Der Bote, den er an ihn mit der Bitte um Entsatz gesandt hatte, war den verbündeten Fürsten in die Hände gefallen. Fürstenberg erfuhr die Noth des Freundes erst mit seinem Tode. Hutten hatte in der Schweiz keine Hülfe gefunden. Der vertriebene Herzog Ulrich von Würtemberg, seines Hauses Todfeind, vereitelte Hutten's Bestrebungen bei den Schweizern.
Sickingen's Gemüth wurde allmälig ruhiger. »Aller Menschen Dichten und Trachten ist Stückwerk!« sprach er. »Die Hand, die sich vermaß, in das Rad des Weltgeschicks zu greifen, liegt kraftlos und wehrlos. Die Brust schlug zu heiß, und die Welt ist kalt, sie erstarrt an dieser Kälte. Ein geringer Knecht hat den Baum gefällt, der Deutschland überschatten wollte. Sie haben den Löwen gefangen in ihren Netzen. Meine Träume schwinden dahin, wie Schattenbilder. Sie waren schön und groß, diese Träume, aber die Welt verstand sie nicht. Sie ist nüchtern und erbebt vor einer großen That. O es wird eine trübe Zeit hereinbrechen! Die Fürsten werden die Bande fester ziehen, mit denen sie die Völker umgarnen. Lebt ein Mann in Deutschland, der es wagt, sie mit dem Schwert zu lösen? Verzagt sind die Besten. Die erwachte Freiheit wird seufzend wieder entschlummern. Neid, Argwohn und Zwietracht sind die Feinde, welche die Kraft der Völker vernichten. Hutten, mein Hutten, deine Worte verhallen wie in einer Wüste! Es ist aus, das Morgenroth erloschen, die Nacht bricht herein!«
Franz fühlte sich immer schwächer und schwächer; er rief seine Getreuen zu sich. »Habt Dank, daß Ihr so redlich bei mir ausgehalten!« sprach er. »Ich riß Euch in meinen Fall, aber ich will retten, was zu retten ist! Es geht zu Ende mit mir. Warum wollt Ihr Euer Blut verspritzen für einen Sterbenden? Und wenn auch Hülfe käme, es wäre zu spät! Steckt die weiße Fahne aus!«
Umsonst widersprachen Alle und betheuerten, daß sie bereit seien, mit ihm zu sterben! »Mit tausend Leben erkaufen wir nicht mehr das Verlorene!« sprach er.
Die weiße Fahne wurde ausgesteckt, er selbst schrieb mit zitternder Hand an die Fürsten wegen der Uebergabe. Sie verweigerten ihm freien Abzug. »Nun, ich will nicht lange ihr Gefangener sein!« sprach er und lud sie an sein Sterbebett. Sie kamen, und Sickingen konnte sie fast nicht mehr unterscheiden.
»Gnädiger Herr,« sprach er zu dem Pfalzgrafen, seinem alten Gönner, »ich hätte nicht geglaubt, daß ich so enden würde.«
»Warum folgtet Ihr der Verführung?« sprach der junge Landgraf von Hessen »Ihr waret hoch angesehen in deutschen Landen und stelltet Euren Ruhm auf eine schlechte Sache!«
»Der Ehrgeiz hat Euch bethöret!« fiel der Erzbischof von Trier ein. »Ihr trotztet auf Euer Ansehen, auf Euer Schwert, aber Gott hat Euch in die Grube gestürzt, die Ihr Andern graben wolltet!«
»Ich habe jetzt einem größern Herrn Rede zu stehen,« unterbrach er sie.
Sein Caplan fragte ihn, ob er beichten wolle. »Ich habe Gott in meinem Herzen gebeichtet;« antwortete er. Während der Caplan die Hostie emporhielt und die Fürsten um sein Bett knieten, hauchte der Ritter sein edles Leben aus.
So fiel der Mann, der eine Kaiserkrone seinem Streben nicht zu fern gehalten, zu früh für sein Volk, dem er ein Retter geworden wäre, hätt' er im edlen Feuereifer sein Unternehmen nicht vor der Reife begonnen. Die Kunde von seinem Tod verbreitete Frohlocken und Entsetzen im deutschen Reich. »Nun ist der Afterkaiser todt!« jubelten seine Feinde, und seine Freunde sahen in ihm die letzte Stütze der Volksfreiheit gebrochen.
Hutten irrte flüchtig und hülflos durch die Schweiz. Erasmus zu Zürich verschloß dem unglücklichen Freunde seine Thür und vertrieb ihn aus der Stadt, um sich bei seinen fürstlichen Gönnern zu empfehlen. Glühend strömte Hutten seinen Zorn gegen den Falschen, Abtrünnigen in einer kleinen Schrift aus und starb einige Monde drauf in Pfarrdorf zu Ufrau, einer kleinen Insel im Zürichersee, an einer schrecklichen Krankheit, die seit langen Jahren an seinem Leben nagte. Er hinterließ nach Zwingli's Zeugnis, kein Buch, kein Geräth als eine Feder. – Erasmus lebte in Freude und Herrlichkeit, geehrt von Fürsten, Königen und vom Papste, während Hutten starb, wie er gelebt, glühend für das Heil seines Volkes, arm, verbannt. Aber sein Andenken schwellt noch nach Jahrhunderten die Brust jedes Freundes der Freiheit!
Sickingen war gefallen, Hutten war heimgegangen, aber der Brand sollte sich erst entzünden, der als Freiheitsmorgen erschien und als blutiger Nordlichtschein erlosch!