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Das Heer der verbündeten Fürsten wurde nach dem Sieg entlassen. Heinz begleitete seinen Ritter in treuer Ergebenheit und pflegte seiner Wunde, die indeß einen gefährlichern Character anzunehmen schien. Wolfenzahn war düster und niedergeschlagen, denn wäre er auch völlig wehrhaft gewesen, so herrschte doch nun ein so tiefer Frieden im Reiche, das er nirgends ein Feld für seine Tätigkeit erblickte. Nur auf den vertriebenen Herzog Ulrich von Würtemberg war sein Augenmerk noch gerichtet, der, wie die Sage ging, in der Stille Truppen warb, um sich sein Land wieder zu erobern.
Schweigend und trübgestimmt zogen die beiden Leidensgefährten durch die Thäler des Hardt-Waldes dahin. Die Fahrt konnte nur langsam von Statten geben, der Wunde des Ritters wegen, die der geregelten Pflege entbehrte. Sie befanden sich eben in einer der wildesten Schluchten. Wolfenzahn litt am Wundfieber, und seine Zunge schmachtete nach einem Trunke frischen Wassers. Heinz erbot sich, den Wald nach einer Quelle zu durchstreifen. Der Ritter wurde sanft im Schatten eines überhangenden Felsens gebettet, und der Knappe ging, um Labung für seinen Herrn zu suchen. Wolfenzahn lag tödtlich lange Stunden, Heinz kehrte nicht zurück, und vergebens rief er seinen Namen in die einsame Schlucht. Nur das Echo gab ihm höhnend Antwort. Er versuchte aufzustehen; aber seine Wunde brannte schmerzhaft, verzweifelnd mußte er den Versuch aufgeben.
»Hat der Schurke die beste Gelegenheit ergriffen, mich zu verlassen?« sprach er bitter vor sich hin. »Und läßt mich hülflos hier verschmachten?« Doch im nächsten Augenblick bereute er diesen Argwohn. Heinz war ihm ja immer so treu ergeben und in seinem offenen Antlitz wohnte kein Falsch. Der Schlaf erbarmte sich des Verlassenen und breitete wohlthätig seine Fittige über ihn.
Von einem empfindlichen Schmerze ward er endlich erweckt. Als er die Augen aufschlug, glaubte er zu träumen. Ein braunes Zigeunermädchen kniete vor ihm. Sie war in ein buntes, phantastisches Gewand gekleidet und die dunkeln Haare fielen ihr in weichen Locken um die Schultern. Sie hatte seine Schulter entblößt, den Verband abgestreift und war eben beschäftigt, den Saft einer Pflanze auf die Wunde auszupressen. Ein buntes Tuch, das sie wahrscheinlich um den Kopf geschlungen getragen hatte, lag vor ihr und schien als Verband dienen zu sollen.
»Ricca!« flüsterte der Ritter überrascht. Sie erhob mit Innigkeit die Augen zu ihm, legte aber bedeutungsvoll den Finger auf den Mund. Mit zärtlicher Geschäftigkeit vollendete sie ihr Werk und sprach einige fremdartig klingende Worte zu zwei braunen Männern, die mit einer aus jungen Baumstämmchen und Laub geflochtenen Bahre aus dem Walde kamen. Sanft faßten die abenteuerlichen Gestalten den Ritter, legten ihn auf das weiche Lager und trugen ihn fort. Das Mädchen hatte den Helm des Ritters genommen, war pfeilschnell seitwärts in eine Schlucht gelaufen und kehrte jetzt zurück und träufelte das frischeste Quellwasser auf die Lippen des Schmachtenden. Begierig sog er die Labung und fühlte sich gestärkt und belebt. Das Mädchen ging an seiner Seite und betrachtete ihn mit warmen Blicken der Liebe; er wollte sprechen, doch sie duldete es nicht.
Auf angebahnten Pfaden, durch Schluchten und Gesträuch bewegte sich der kleine Zug und gelangte endlich in einen tiefversteckten Thalkessel, in dessen Mitte gegen zwanzig phantastischer Männer- und Weibergestalten um ein Feuer lagerten, an dem sie ihre Mahlzeit zu bereiten schienen. Die Männer waren meist kräftig, mit kühngeschnittenen Zügen, listig und dabei trotzig blitzenden Augen; ihre Kleidung war zerrissen und ärmlich und schien aus den Trachten aller Völker zusammengesetzt. Die Weiber waren von abschreckender Häßlichkeit; ihre schwarzen Haare hingen wirr um die braunen, runzligen Wangen und die magern Hände drehten entweder den Spieß, an dem ein Kaninchen briet, oder rührten mit einer Art hölzernern Löffel in den Gefäßen, aus welchen eben kein angenehmer, gaumenkitzelnder Geruch stieg.
Neugierig betrachteten die Zigeuner, denn dafür mußte man die abenteuerliche Gesellschaft auf den ersten Blick erkennen, den verwundeten Gast und umringten Ricca fragend. Die schien der Wißbegierde durch eine lebhafte Erzählung Genüge zu thun, die augenscheinlich die allgemeine Theilnahme an dem Gaste steigerte.
Wolfenzahn fühlte sich gestärkt; seine Lebensgeister waren geweckt und seine Wunde schmerzte ihn weniger. »Du hast mich also nicht vergessen, Ricca?« wandte er sich dankbar gerührt zu seiner Retterin.
»Ich dich vergessen?« rief die Zigeunerin leidenschaftlich. »Dich vergessen, der mich einst aus dem brennenden Hause trug und mir so viel Gutes erwies, das ich's nicht würde bezahlen können, und wenn ich hundert Jahre lebte?!« Hast du mich nicht geliebt und mich gehalten wie das Kleinod deines Herzens? Ich sah dich gefangen, als deine Burg verbrannte, ich weinte um dich, aber du achtetest der armen Zigeunerin nicht. Sie nahmen mich mir aus das Schloß des Grafen, sie sagten mir, du müssest sterben! O wie ich da die Hände rang und weinte. Sie hatten mich eingeschlossen. Ich rüttelte an den Thüren, denn ich wollte mit dir sterben. Da träumte mir, sie hätten dich frei ziehen lassen, und der rothe Lehnhardt trat zu mir in einer bunten Narrenjacke, schüttelte seine Schellen und fragte, ob er mir gefalle; du seiest in die weite Welt gezogen und habest mich vergessen. Und er marterte mich sehr mit seiner Liebe; erst lachte ich ihn aus, als er mir aber sagte, daß ich so lange eingesperrt bleibe, bis ich ihn zu Gnaden annehme, da that ich, als ob ich mich eines Andern besonnen; im Herzen aber verachtete ich den Schelm, denn ich hätte ihn ja nicht lieben können, und wenn er schön gewesen wäre, wie ein Heiligenbild. Ich war dein in Ewigkeit! Der Narr freute sich, wenn ich ihm ein freundliches Wörtchen sagte, und er ließ mich frei. Und immer treuherziger machte ich ihn, die er einst das leere Nachsehen hatte, weil das Vögelchen ausgeflogen war. Nun wanderte ich fort und immer weiter und suchte dich; ich fand deine Spur, dann war sie wieder verschwunden. Du hattest sehen sollen, wie ich traurig war! Endlich fand ich Leute meines Volkes und mit ihnen zog ich durch das Land. Als ich heute durch den Wald streifte, hörte ich das Echo, das einen menschlichen Namen rief. Ich horchte, folgte dem Rufe und fand endlich dich!«
Wolfenzahn erinnerte sich seines Knappen und äußerte seine Unruhe darüber. Ricca rief einige Männer herbei und sprach zu ihnen in ihrem fremdartigen Idiom. »Sie werden ihn wohl finden,« wandte sie sich dann zum Ritters »sie kennen selbst die Fährte des Wildes. Außerdem möchte dein Knappe wohl verschmachten, denn ein Fremder findet selten Weg und Steg in diesen Wäldern.«
Der Ritter betrachtete die Zigeunerin mit einer Art ehrfürchtiger Bewunderung Er hatte das braune Mädchen längst vergessen, hatte auch nie etwas Anderes in ihr gesehen, als ein Spielzeug mäßiger Stunden, das er wegzuwerfen gesonnen war, wenn es ihm nicht mehr behagte; und nun entdeckte er mit Staunen die tiefe Zuneigung zu ihm in des Mädchens Brust. Er hatte nie an weibliche Würde geglaubt, denn er hatte sie nie gesucht; er kannte die Liebe nicht, denn sein Sinn hatte nie höher gestrebt, als nach Sinnenlust. Ricca hatte ihm bereitwillig ihre Reize geboten und er hatte sie genossen, wie bei so viel andern. Nun ahnete er zum ersten Male in der Nähe eben dieses Mädchens eine höhere Bedeutung der Liebe.
»Und wenn du mich nicht gefunden hättest,« sagte er, »du wärest mir doch treu geblieben?«
»Ewig!« erwiederte sie innig, die Hand auf's Herz legend.
»Aber warum?« fragte er.
»Weiß ich's?« entgegnete sie treuherzig. »Früher, als ich noch nichts von dir wußte, da macht' ich mir nichts draus. Ich hatte alle Tage einen andern Geliebten. Aber nun schämte ich mich selbst, wenn ich daran dachte, und hätte keinen Andern mehr lieben können, wenn mir's auch das Leben gekostet! Aber nun habe ich dich ja wieder gefunden und ich will nimmermehr von dir weichen!«
»Kind, sei kein Närrchen!« sprach er dagegen. »Ich bin arm, wie du, habe kein Schloß mehr, wohin ich dich führen kann, vermag dir nichts mehr zu schenken!«
»Will ich denn das Alles?« rief Ricca lachend. »Ich will nichts als dich und daran hab' ich genug! Weißt du was? Bleib' bei uns! Der grüne Wald ist unser Schloß, wir sind frei und reich!«
»Weil wir überall ungeladen zu Tische gehen!« versetzte Wolfenzahn. »Ich war zwar auch immer ein ungebetener Gast, aber da klopfte ich mit dem Schwerte an die Thür, stieg nicht heimlich mit Katzenschritt durch das Fenster an die Truhe –«
»Das thun wir auch nicht!« betheuerte das Mädchen. »Was wir brauchen, erhalten wir in Frieden; wir deuten die Linien der Hand –«
»Ei, ei!« lachte der Ritter. »Du meinst also, daß ich geschickt bin, einen tölpelhaften Bauer zu betrügen, indem ich ihm vorschwatze, wonach sein Herz gelüstet? Nein, nein, Mädchen, dazu tauge ich nicht!«
»Du sollst auch nicht!« eiferte Ricca. »Das ist das Geschäft der Weiber.«
»Pfui! Also soll ich mich als fauler Tagedieb ernähren lassen?« zürnte Wolfenzahn. »Wenn du nichts Besseres weißt, so ergieb dich drein, daß ich von dannen ziehet Diese Hand kann nicht rasten, weißt du; sie ist lahm, wenn sie nicht den Stahl schwingt!«
»Dann werde ich dein Knappe!« rief sie fröhlich. »O Niemand soll erkennen, daß ich ein Mädchen bin! Ich ziehe mit dir und bin, wo du bist! Erst aber pflegst du deiner Wunden! Bis du ganz geheilt bist, bleibst du bei uns! Ich kenne die heilsamen Kräuter des Waldes. – Du darfst mich nicht verlassen! Versprich mir das!«
»Seltsames Mädchen!« sagte er. »Nun denn, ich verspreche dir's, mein braunes Heidenkind!«
Fröhlich ergriff sie eine Schellentrommel und tanzte vor dem Ritter; und so leicht und lustig schwebte sie dahin in den kunstvollsten Schwingungen und Beugungen ihres schlanken Körpers, daß ihr Fuß kaum den grünen Rasenteppich berührte. –
Spät am Abend kehrten die Männer zurück, ohne eine Spur von dem Verlorenen gefunden zu haben. Das Schicksal des armen Knappen ging dem Ritter zu Herzen, denn er hatte ihm seine Zuneigung geschenkt. Ricca schmeichelte ihm aber bald die trüben Gedanken aus dem Sinn. –