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Zehntes Kapitel.
Über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser

1.

Ich halte es für billig, bevor ich dies Werk über den Umgang mit Menschen schließe, mit meinen Lesern auch ein paar Worte über unsre wechselseitigen Verhältnisse gegeneinander zu reden. Zuerst also einige Bemerkungen über den Beruf, den ein Mann haben kann, ein Buch zu schreiben.

Es ist in der Vorrede zum ersten Teil gesagt worden, daß ich die Schriftstellerei in unsern Zeiten für nichts mehr als für schriftliche Unterredung mit der Lesewelt halte und daß man es dann im freundschaftlichen Gespräche so genau nicht nehmen dürfe, wenn auch einmal ein unnützes Wort mit unterliefe. Man soll es also dem Schriftsteller nicht übel ausdeuten, wenn er, verführt von ein wenig Geschwätzigkeit, von der Begierde, über irgendeine Materie allerlei Arten von Menschen seine Gedanken mitzuteilen, etwas drucken läßt, daß nicht grade die Quintessenz von Weisheit, Witz, Scharfsinn und Gelehrsamkeit enthält. Es ist überhaupt sehr viel schwerer, als man glauben sollte, seine eignen Produkte zu beurteilen; nicht nur weil unsre Eitelkeit da in das Spiel kommt, sondern auch weil die Objekte, über deren Beobachtung wir lange gebrütet, für uns eben durch das Nachdenken, welches wir darauf verwendet, einen solchen Wert bekommen haben können, daß wir unsre Gedanken darüber für äußerst wichtig halten, indes einem andern, was wir auch davon sagen mögen, unwichtig und gemein vorkommt. Und haben wir etwa gar Sprache und Beredsamkeit nicht in unsrer Gewalt oder sind verstimmt zu der Zeit, wenn wir unsre Gedanken zu Papier bringen wollen, oder vergessen, daß der Gegenstand, über welchen wir schreiben, nur durch kleine spezielle Beziehungen auf unsre damalige Lage, die sich nicht mit übertragen lassen, uns am Herzen liegt; oder dies Herz ist zu voll, um, was es empfindet, nach der Reihe hererzählen zu können; so geschieht es, daß wir etwas schreiben, welches uns, die wir alle Nebenbegriffe daranknüpfen, die dazu gehören, das Bild auszumalen, sehr interessant scheint, jeden andern aber gähnen macht und mit Unwillen gegen uns erfüllt. Indem es nun desfalls leicht geschehn kann, daß selbst ein verständiger Mann, von Eitelkeit geblendet oder durch jene Gefühle irregeleitet, ein Buch schreibt, das andere Menschen für ein unnützes und langweiliges Buch halten, so kann und darf es doch nie einem verständigen Manne begegnen, etwas öffentlich vor dem Publico zu reden, das gegen Moralität und gesunde Vernunft stritte oder wodurch er einem seiner Mitmenschen Schaden zufügte. Denn wenngleich Schriftstellerei nur Unterredung ist, so ist sie doch eine solche Unterredung, auf welche man sich so lange Zeit zu besinnen Muße gehabt hat, als dazu gehört, jeden unsittlichen, ganz schiefen und boshaften Gedanken zu unterdrücken. Ich meine daher, alles, was das Publikum von einem Schriftsteller, der ohne zu weit getriebne Ansprüche auftritt, fordern kann, ist, daß er durch seine Werke nichts dazu beitrage, Korruption, Dummheit und Intoleranz zu verbreiten. Alles übrige: Beruf zu schreiben, Wahl des Gegenstands, Einkleidung, Ansprüche auf Ruhm, Beifall, Lob, zu stiftender Nutzen, einzunehmender Gewinn, Hoffnung auf Unsterblichkeit das alles ist seine Sache, und es geht auf seine Gefahr, wenn er sich dem Schimpfe aussetzt, entweder in der Stille zu Fuße vom Parnasse wieder herunterschleichen zu müssen oder von der Meute der Rezensenten parforce gejagt zu werden.

2.

Wenn also ein Autor nichts Schädliches und nichts Unsinniges sagt, so muß man ihm erlauben, seine Gedanken drucken zu lassen; wenn er etwas Nützliches sagt, so macht er sich ein Verdienst um das Publikum. Aber wird deswegen sein Buch auch gewiß gefallen? Das ist wieder eine ganz andre Frage. Allgemeiner Beifall von Guten und Bösen, von Weisen und Toren, von Hohen und Niedern? Ei nun, wer wird so eitel sein, darauf Anspruch zu machen? Aber um auch nur dem größten Teile der Lesewelt zu gefallen, welche niedrige Mittel wählt da nicht mancher Schriftsteller? Wer sich nicht in Ansehung der Form, der Einkleidung, des Titels seines Buchs nach dem Geschmacke des Jahres richtet; wer keine Anekdötchen einmischt; wer nicht dafür sorgt, daß sein Werkchen hübsch fein gedruckt und mit Bildlein ausgeziert sei; wer herrschende Vorurteile, Modesysteme, glänzende Torheiten, politischen, kirchlichen, gelehrten und moralischen Despotismus angreift oder lächerlich macht, wer sich einen Verleger wählt, auf den die andern Buchhändler neidisch, dem sie feind sind; wer sich nicht demütig unter den Schutz irgendeines gelehrten Posaunenbläsers begibt; wer nicht die Schreier im Publico und die, welche in der feinen Welt den Ton angeben, zu gewinnen sucht; wer zu bescheiden auftritt; wer sein Buch einem Manne widmet oder in demselben einem Manne Gerechtigkeit widerfahren läßt, dessen Verdienste beneidet, verfolgt werden der wird wenigstens in dieser Generation sein Glück als Autor nicht machen und auch sein nützlichstes Werk bald als Makulatur behandelt sehn. Ich rate daher, die unschuldigsten unter diesen kleinen Autorkünsten nicht gänzlich zu vernachlässigen.

3.

Reden wir jetzt aber auch von dem Betragen, von den Pflichten des Lesers gegen den Schriftsteller. Zuerst soll, denke ich, jener nie vergessen, daß dieser sich nicht nach dem Geschmacke jedes einzelnen richten kann. Was für Dich in Deiner Lage, in Deiner Stimmung höchst interessant ist, das scheint einem andern vielleicht äußerst langweilig und unbedeutend, und wahrlich, der Mann müßte ein Hexenmeister sein, der ein Buch verfassen könnte, in welchem jeder für seine paar Groschen fände, was er suchte. Es gibt Bücher, die man durchaus nur dann lesen muß, wenn man ebenso gestimmt ist, als der Mann war, der sie schrieb, sowie es auch andre gibt, deren Sinn und Schönheit man immer, in jeder Laune fassen und sich eigen machen kann. Nicht immer sind darum jene geistvoll, groß und erhaben von Inhalte, noch im Gegenteil schwärmerisch und fieberhaft. Nicht immer enthalten darum diese lauter bestimmte, ewige Wahrheiten, auf kalte, unwiderlegbare, allein des vollkommnen Mannes würdige, unerschütterliche Philosophie gegründet, oder, im Gegenteile, nicht immer gemeine, ohne Mühe leicht zu verdauende Seelenspeise. Sei also nicht zu strenge, mein gelehrtes Leserlein, in Beurteilung eines sonst nicht schlecht geschriebnen Buchs, oder behalte wenigstens Deine Meinung darüber in Deinem Kopfe, in welchem oft viel leerer Raum ist, und verschreie das Buch nicht! Am wenigsten aber laß Dich verleiten, den moralischen Charakter des Schriftstellers auf bloße Mutmaßung bei dieser Gelegenheit anzugreifen, ihm schädliche Absichten beizumessen, seinen Worten einen erzwungnen Sinn zu geben und seine Winke hämisch auszudeuten. Beurteile nicht ein Buch, wenn Du nur einzelne Stellen daraus gelesen hast, und bete nicht das Lob und den Tadel unwissender, boshafter oder feiler Rezensenten nach.

4.

Bei der Menge unnützer Schriften tut man übrigens wohl, ebenso vorsichtig im Umgange mit Büchern als mit Menschen zu sein. Um nicht zu viel Zeit mit Lesung unnützen Papiers zu verschwenden, das heißt: um nicht von Schwätzern mir die Zeit verderben zu lassen, suche ich auch von dieser Seite nicht neue Bekanntschaften zu machen, bis der allgemeine Ruf mich auf ein gutes oder besonders originelles Buch aufmerksam macht. Ich bin mit einem kleinen Zirkel alter guter Freunde zufrieden, die ich oft und immer mit neuem Vergnügen schriftlich mit mir reden lasse.


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