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Zweites Kapitel.
Über den Umgang mit Geringern

1.

Im siebenten Kapitel des zweiten Teils dieses Werks habe ich von dem Betragen des Herrn gegen den Diener und von den Pflichten geredet, welche der Vornehmere auf sich hat, denen, die vom Schicksale bestimmt sind, in Unterwürfigkeit zu leben, ihr Dasein leicht und süß zu machen. Ich verweise also zuerst die Leser dahin und füge hier nur noch einige Regeln für den Umgang mit solchen Personen hinzu, die zwar nicht in unsern Diensten, aber doch der Geburt, dem Vermögen oder andern bürgerlichen Verhältnissen nach tiefer als wir stehen.

2.

Man sei höflich und freundlich gegen solche Leute, denen das Glück nicht grade eine so reichliche Summe nichtiger zeitlicher Vorteile zugeworfen hat als uns, und ehre das wahre Verdienst, den echten Wert des Menschen auch im niedern Stande. Man sei nicht wie die mehrsten Vornehmen und Reichen etwa nur darin herablassend gegen Leute von geringerm Stande, wenn man ihrer bedarf, da man sie hingegen verabsäumt oder ihnen übermütig begegnet, sobald man ihrer entbehren kann. Man vernachlässige nicht, sobald ein Größerer gegenwärtig ist, den Mann, den man unter vier Augen mit Freundschaft und Vertraulichkeit behandelt, schäme sich nicht, öffentlich den Mann vor der Welt zu ehren, der Achtung verdient, möchte er auch weder Rang, noch Geld, noch Titel führen. Man ziehe aber nicht die niedern Klassen bloß aus Eigennutz und Eitelkeit vor, um die Stimme des Volks auf unsre Seite zu bringen, um als ein lieber, leutseliger Herr gepriesen und über andre erhoben zu werden. Man wähle nicht vorzüglich den Umgang mit Leuten von gemeiner Erziehung, um etwa in diesen Zirkeln mehr geehrt, mehr geschmeichelt zu werden, und glaube nicht, daß man populär und natürlich sei, wenn man die Sitten des Pöbels nachahmt. Man sei nicht lediglich darum freundlich gegen die Geringern, um irgendeinen Höhern im Range zu demütigen, nicht aus Stolz herablassend, um desto mehr geehrt zu werden, sondern überall aus reiner, redlicher Absicht, aus richtigen Begriffen von Adel und aus Gefühl von Gerechtigkeit, die über alle zufälligen Verhältnisse hinaus in dem Menschen nur den Wert schätzt, den er als Mensch hat.

3.

Aber diese Höflichkeit sei auch wohl geordnet; sie sei nicht übertrieben. Sobald der Geringere fühlt, daß ihm die Ehre, welche wir ihm erweisen, unmöglich zukommen kann: so hält er es entweder für Mangel an Vernunft, für Spott oder gar für Falschheit, argwöhnt, es stecke etwas dahinter, wir wollen ihn mißbrauchen. Sodann gibt es auch eine Art von Herablassung, die wahrhaftig kränkend ist, wobei der leidende Teil offenbar fühlt, daß man ihm nur ein mildtätiges Almosen der Höflichkeit darreicht. Endlich gibt es eine abgeschmackte Art von Höflichkeit, wenn man nämlich mit Leuten von geringerm Stande eine Sprache redet, die sie gar nicht verstehen, die unter Personen von der Klasse gar nicht üblich ist, wenn man das konventionelle Gewäsche von Untertänigkeit, Gnade, Ehre, Entzücken und so ferner bei Personen anbringt, die an solche starken Gewürze gar nicht gewöhnt sind. Dies ist der gemeine Fehler der Hofleute. Sie halten ihren Jargon für die einzige allgemeine Sprache und machen sich dadurch oft bei dem besten Willen lächerlich oder verdächtig. Die große Kunst des Umgangs ist, wie ich gleich zu Anfange dieses Buchs gesagt habe, den Ton jeder Gesellschaft zu studieren und nach Gelegenheit annehmen zu können.

4.

Man hüte sich aber vor grenzenloser Vertraulichkeit gegen solche Menschen, die keine feine Erziehung haben. Sie mißbrauchen leicht unsre Gutwilligkeit, fordern immer mehr und werden unbescheiden. Man gebe jedem, so viel er zu ertragen vermag.

5.

Laß es den Geringern in Deinen glänzenden Umständen nicht entgelten, wenn er Dich, solange Dich das Glück nicht anlächelt, verabsäumt, wenn er Deinen mächtigen Feinden gehuldigt hat, wenn er sich wie die großen gelben Blumen nach der Sonne dreht. Denke, daß solche Menschen oft in die Notwendigkeit versetzt werden, wenn sie mit den Ihrigen leben und essen wollen, sich zu krümmen und zu schmiegen, daß wenige unter ihnen so erzogen sind, daß sie Sinn für gewisse feinere Gefühle und Aufopferungen haben, und daß alle Menschen mehr oder weniger nach Eigennutz handeln, den die Geschliffenern nur künstlicher verbergen.

6.

Täusche nicht den Niedern, der Dich um Schutz, Fürsprache oder Hilfe bittet, mit falschen Hoffnungen, leeren Versprechungen und nichtigen Vertröstungen, wie es die Weise der mehrsten Vornehmen ist, die, um die Klienten sich vom Halse zu schaffen oder in den Ruf von Leutseligkeit zu kommen, oder aus Schwäche, aus Mangel an Festigkeit, jeden Bittenden mit süßen Worten und Verheißungen überschütten, sobald er aber den Rücken gewendet hat, nicht mehr an sein Anliegen denken. Der Arme geht indes voll Hoffnung nach Hause, glaubt seine Angelegenheit den besten Händen anvertraut zu haben, versäumt alle andern Wege, die er zu Erlangung seines Zwecks einschlagen könnte, und fühlt sich nachher doppelt unglücklich, wenn er sieht, wie sehr er sich betrogen hat.

7.

Hilf dem, der dessen bedarf. Befördere und schütze die, welche Dich um Hilfe, Wohltat und Schutz ansprechen, insofern die Gerechtigkeit es gestattet. Aber hüte Dich, so schwach zu sein, daß Du durchaus nichts abschlagen könnest. Daraus entstehen zweierlei nachteilige Folgen: zuerst, daß Leute von niedriger Denkungsart Deine Schwäche mißbrauchen und Dir eine Last von Verbindlichkeiten, Arbeiten und Sorgen auferlegen, die für Dein Herz, für Deine Kräfte oder für Deinen Geldbeutel zu schwer ist, oder wodurch Du gezwungen wirst, ungerecht gegen andre zu handeln, die weniger zudringlich sind. Und dann der zweite Schaden: Wer zu viel verspricht, der wird wider Willen zuweilen sein Wort zu brechen genötigt. Ein fester Mann muß auch den Mut haben, eine abschlägige Antwort geben zu können, und wenn er dies auf edle, nicht beleidigende Weise, aus wichtigen Gründen tut, und sonst dafür bekannt ist, daß er gerecht handelt und gern hilft, so wird er sich dadurch keine Feinde erwecken. Allen Menschen kann man es freilich nicht recht machen, aber wenn man immer konsequent und weise handelt, so werden uns wenigstens die Bessern nicht verkennen. Schwäche ist nicht Güte, und verweigern, was man vernünftigerweise nicht zugestehn kann, heißt nicht hartherzig sein.

8.

Verlange nicht einen übermäßigen Grad von Kultur und Aufklärung von Leuten, die bestimmt sind, im niedern Stande zu leben. Trage auch nichts dazu bei, ihre intellektuellen Kräfte zu überspannen und sie mit Kenntnissen zu bereichern, die ihnen ihren Zustand widrig machen und den Geschmack an solchen Arbeiten verbittern, wozu Stand und Bedürfnis sie aufrufen. Das Wort Aufklärung wird in unsern Zeiten oft sehr gemißbraucht und bedeutet nicht sowohl Veredlung des Geistes als Richtung desselben auf grillenhafte, spekulative und phantastische Spielwerke. Die beste Aufklärung des Verstandes ist die, welche uns lehrt, mit unsrer Lage zufrieden und in unsere Verhältnissen brauchbar, nützlich und zweckmäßig tätig zu sein. Alles übrige ist Torheit und führt zum Verderben.

9.

Begegne Deinen Untergebenen liebreich, ohne Dein Ansehn bei ihnen zu verlieren. Es taugt nie, wenn die Subalternen sich ihren Vorgesetzten unentbehrlich machen, und verächtlich wird der Chef eines Departements, der, weil er selbst nicht arbeiten will oder nicht arbeiten kann, sich auf die Untergebenen verlassen muß; da er dann nicht Ansehn und nicht Mut genug behält, einen nachlässigen oder eigensinnigen Sekretär an seine Pflicht zu erinnern, sondern sich alles muß gefallen lassen, was dieser gut findet vorzunehmen oder zurückzulegen.


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