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Drittes Kapitel.
Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmung des Geistes und Herzens

1.

Man pflegt gewöhnlich vier Hauptarten von Temperamenten anzunehmen und zu behaupten, ein Mensch sei entweder cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch oder melancholisch. Obgleich nun wohl schwerlich je eine dieser Gemütsarten so ausschließlich in uns wohnt, daß dieselbe nicht durch einen kleinen Zusatz von einer andern modifiziert würde, da dann aus dieser unendlichen Mischung der Temperamente jene feinen Nuancen und die herrlichsten Mannigfaltigkeiten entstehen, so ist doch mehrenteils in dem Segelwerke jedes Erdensohns einer von jenen vier Hauptwinden vorzüglich wirksam, um seinem Schiffe auf dem Ozean dieses Lebens die Richtung zu geben. Soll ich mein Glaubensbekenntnis über die vier Haupttemperamente ablegen, so muß ich aus Überzeugung folgendes sagen:

Bloß Cholerische Leute flieht billig jeder, dem seine Ruhe lieb ist. Ihr Feuer brennt unaufhörlich, zündet und verzehrt, ohne zu wärmen.

Bloß Sanguinische sind unsichre Weichlinge, ohne Kraft und Festigkeit.

Bloß Melancholische sind sich selbst, und bloß Phlegmatische andern Leuten eine unerträgliche Last.

Cholerisch-sanguinische Leute sind die, welche in der Welt sich am mehrsten bemerken, gefürchtet, welche Epoche machen, am kräftigsten wirken, herrschen, zerstören und bauen; cholerisch-sanguinisch ist also der wahre Herrscher, der Despotencharakter; aber noch ein Grad von melancholischem Zusatze, und der Tyrann ist gebildet.

Sanguinisch-Phlegmatische leben wohl am glücklichsten, am ruhigsten und ungestörtesten, genießen mit Lust, mißbrauchen nicht ihre Kräfte, kränken niemand, vollbringen aber auch nichts Großes; allein dieser Charakter im höchsten Grade artet in geschmacklose, dumme und grobe Wollust aus.

Cholerisch-Melancholische richten viel Unheil an; Blutdurst, Rache, Verwüstung, Hinrichtung des Unschuldigen und Selbstmord sind nicht selten die Folgen dieser Gemütsart.

Melancholisch-Sanguinische zünden sich mehrenteils an beiden Enden zugleich an, reiben sich selber an Leib und Seele auf.

Cholerisch-phlegmatische Menschen trifft man selten an; es scheint ein Widerspruch in dieser Zusammensetzung zu liegen; und dennoch gibt es deren, bei welchen diese beiden Extreme wie Ebbe und Flut abwechseln, und solche Leute taugen durchaus zu keinen Geschäften, zu welchen gesunde Vernunft und Gleichmütigkeit erfordert werden. Sie sind nur mit äußerster Mühe in Bewegung zu setzen, und hat man sie endlich in die Höhe gebracht, dann toben sie wie wilde Tiere umher, fallen mit der Tür in das Haus und verderben alles durch rasendes Ungestüm.

Melancholisch-phlegmatische Leute aber sind wohl unter allen die unerträglichsten, und mit ihnen zu leben, das ist für jeden vernünftigen und guten Mann Höllenpein auf Erden.

2.

Herrschsüchtige Menschen sind schwer zu behandeln und passen nicht zum freundschaftlichen und geselligen Umgange. Sie wollen allerorten durchaus die erste Rolle spielen; alles soll nach ihrem Kopfe gehn. Was sie nicht errichtet haben, was sie nicht dirigieren, das verachten sie nicht nur, nein, sie zerstören es, wenn sie können. Wo sie hingegen an der Spitze stehen, oder wo man sie wenigstens glauben macht, daß sie an der Spitze stünden, da arbeiten sie mit unermüdetem Eifer und stürzen alles vor sich weg, was ihrem Zwecke im Wege steht. Zwei herrschsüchtige Leute nebeneinander taugen zu gar nichts in der Welt und zertrümmern alles um sich her aus Privatleidenschaft. Hieraus nun ist leicht abzunehmen, wie man sich gegen solche Leute zu betragen habe, wenn man mit ihnen leben muß, und ich glaube darüber nichts hinzufügen zu dürfen.

3.

Ehrgeizige Menschen müssen ungefähr auf eben diese Art behandelt werden. Der Herrschsüchtige ist zugleich auch ehrgeizig, aber umgekehrt der Ehrgeizige nicht immer herrschsüchtig, sondern begnügt sich auch wohl mit einer Nebenrolle, insofern er darin nur mit einigem Glanze zu erscheinen hoffen darf; ja es können Fälle vorkommen, wo er selbst in der Erniedrigung Ehre sucht; doch verzeiht er nichts weniger, als wenn man ihn an dieser schwachen Seite kränkt.

4.

Der Eitle will geschmeichelt sein; Lob kitzelt ihn unaussprechlich, und wenn man ihm Aufmerksamkeit, Zuneigung, Bewunderung widmet, so braucht nicht eben große Ehrenbezeigung damit verbunden zu sein. Da nun jeder Mensch mehr oder weniger von dieser Begierde zu gefallen und vorteilhafte Eindrücke zu machen, an sich hat, so kann man ohne Sünde hie und da einem sonst guten Manne, dem diese kleine Schwachheit anklebt, in diesen Punkten ein wenig nachsehn, ein Wörtchen, so er gern hört, gegen ihn fallen lassen, ihm erlauben, an dem Lobe, so er einerntet, sich zu erquicken oder sich selbst nach Gelegenheit ein wenig zu loben. Das schändlichste Handwerk aber treiben die niedrigen Schmeichler, die durch unaufhörliches Weihrauchstreuen eiteln Leuten den Kopf so einnehmen, daß diese zuletzt nichts anders mehr hören mögen als Lob, daß ihre Ohren für die Stimme der Wahrheit verschlossen sind und daß sie jeden guten, graden Mann fliehen und zurücksetzen, der sich nicht so weit erniedrigen kann oder es für eine Art von Unbescheidenheit und Grobheit hält, ihnen dergleichen Süßigkeiten ins Gesicht zu werfen. Gelehrte und Damen pflegen am mehrsten in diesem Falle zu sein, und ich habe deren einige gekannt, mit denen ein schlichter Biedermann deswegen fast gar nicht umgehn konnte. Wie die Kinder dem Fremden nach den Taschen schielen, um zu erfahren, ob man ihnen keine Zuckerpletzen mitgebracht hat, so horchen jene auf jedes Wort, das Du sprichst, um zu vernehmen, ob es nicht etwas Verbindliches für sie enthält, und werden mürrischer Laune, sobald sie sich in ihrer Hoffnung betrogen finden. Der höchste Grad dieser Eitelkeit führt zu einem Egoismus, der zu aller gesellschaftlichen und freundschaftlichen Verbindung untüchtig macht, und dem Eiteln ebensosehr zur Last, als dem zum Ekel wird, der mit ihm leben muß.

Obgleich man nun solchen eiteln Leuten nicht schmeicheln soll, so hat doch auch nicht jeder Beruf, sie zu bessern, zum Pädagogen an ihnen zu werden, besonders nicht an solchen Menschen, die mit ihm in gar keiner Verbindung stehen, ihnen auf ungeschliffene Art den Text lesen, sie zu demütigen oder weniger Höflichkeit und Gefälligkeit gegen sie zu üben, als man jedem andern widmen würde, und es ist unbillig, wenn diejenigen, welche täglich mit ihnen leben müssen, dies von uns verlangen, wenn sie fordern, daß wir mit Hand anlegen sollen, ihre verzogenen Freunde umzubilden.

Eitle Leute pflegen gern andre zu schmeicheln, um dagegen wieder mit Weihrauch eingeräuchert zu werden und weil sie das für das einzige würdige Opfer, für die einzige vollwichtige Münze halten.

5.

Von Herrschsucht, Ehrgeiz und Eitelkeit ist Hochmut sowie von Stolz unterschieden. Ich möchte gern, daß man Stolz als eine edle Eigenschaft der Seele ansähe; als ein Bewußtsein wahrer innrer Erhabenheit und Würde; als ein Gefühl der Unfähigkeit, niederträchtig zu handeln. Dieser Stolz führt zu großen, edlen Taten; er ist die Stütze des Redlichen, wenn er von jedermann verlassen ist; er erhebt über Schicksal und schlechte Menschen und erzwingt selbst von dem mächtigen Bösewicht den Tribut der Bewundrung, den er wider Willen dem unterdrückten Weisen zollen muß. Hochmut hingegen brüstet sich mit Vorzügen, die er nicht hat, bildet sich auf Dinge etwas ein, die gar keinen Wert haben. Hochmut ist es, der den Pinsel von sechzehn Ahnen aufbläht, daß er die Verdienste seiner Vorfahren – die oft nicht einmal seine echten Vorfahren sind und oft nicht einmal Verdienste gehabt haben – daß er diese sich anrechnet, als wenn Tugenden zu dem Inventar eines alten Schlosses gehörten. Hochmut ist es, der den reichen Bürger so grob, so steif, so ungesellig macht. Und wahrlich, dieser pöbelhafte Hochmut ist, da er mehrenteils von Mangel an Lebensart und ungeschickten Manieren begleitet wird, womöglich noch empörender als der des Adels. Hochmut ist es, der den Künstler mit so viel Zuversicht zu Talenten erfüllt, die, sollten sie auch von niemand anerkannt werden, ihn dennoch in Gedanken über alle Erdensöhne hinaussetzen. Er wird, wenn niemand ihn bewundert, eher auf die Geschmacklosigkeit der ganzen Welt schimpfen, als auf den natürlichen Gedanken geraten, daß es wohl mit seiner Kunst nicht so ganz richtig aussehn müsse.

Wenn dieser Hochmut nun gar in einem armen, verachteten Subjekte wohnt, dann wird er ein Gegenstand des Mitleidens und pflegt eben nicht viel Unheil anzurichten. Er ist aber übrigens fast immer mit Dummheit gepaart, also durch keine vernünftigen Gründe zu bessern und keiner bescheidenen Behandlung wert. Hier hilft nichts, als Übermut gegen Übermut zu setzen, oder zu scheinen, als bemerkte man ein hochmütiges Betragen gar nicht; oder Leute, die sich aufblasen, gar keiner Achtsamkeit zu würdigen, sie anzusehn, als wie man auf einen leeren Platz hinblicke, selbst wenn man ihrer bedarf; denn wahrhaftig! – ich habe das oft erfahren – je mehr man nachgibt, desto mehr fordern, desto übermütiger werden sie, bezahlt man sie aber mit gleicher Münze, so weiß ihre Dummheit nicht, wie sie das Ding nehmen soll, und spannt gewöhnlich andre Saiten auf.

6.

Mit sehr empfindlichen, leicht zu beleidigenden Leuten ist es nicht angenehm umzugehn. Allein diese Empfindlichkeit kann verschiedene Quellen haben. Hat man daher nachgespürt, ob der Mann, mit welchem wir leben müssen, und der leicht durch ein kleines unschuldiges Wörtchen oder durch eine zweideutige Miene oder durch einen Mangel an Aufmerksamkeit gekränkt und vor den Kopf gestoßen wird, ob dieser Mann, sage ich, aus Eitelkeit, wie es mehrenteils der Fall ist, oder aus Ehrgeiz, oder weil er oft von bösen Menschen hintergangen und geneckt worden, oder endlich deswegen so leicht zu beleidigen ist, weil sein Herz zu zärtlich fühlt, weil er von andern ebensoviel verlangt, als er ihnen selbst gibt, so muß man sein Betragen darnach einrichten, und jeden Anstoß von der Art zu vermeiden suchen; doch pflegt das schwer zu sein. Ist er übrigens redlich und verständig, so wird seine Verstimmung nicht lange dauern; er wird durch eine grade, freundliche Erklärung bald zu besänftigen sein; er wird nach und nach seinen besten Freunden trauen lernen und vielleicht zuletzt, wenn man immer edel und offen mit ihm verfährt, von seiner Schwachheit zurückkommen.

Von diesen allen sind in der Tat diejenigen am schwersten zu befriedigen und der Gesellschaft am lästigsten, die sich jeden Augenblick vernachlässigt, zurückgesetzt, nicht genug geehrt glauben: Man hüte sich also, in diesen Fehler zu verfallen, wodurch man sich selber quält und andern peinliche Mühe macht.

7.

Eigensinnige Menschen sind viel schwerer zu behandeln als sehr empfindliche. Noch ist mit ihnen auszukommen, wenn sie übrigens verständig sind. Sie pflegen dann, insofern man ihnen nur in dem ersten Augenblicke nachzugeben scheint, bald von selbst der Stimme der Vernunft Gehör zu geben, ihr Unrecht und die Feinheit unsrer Behandlung zu fühlen und wenigstens auf eine kurze Frist geschmeidiger zu werden; ein Elend aber ist es, Starrköpfigkeit in Gesellschaft von Dummheit anzutreffen und behandeln zu müssen. Da helfen weder Gründe noch Schonung. Es ist da mehrenteils nichts weiter zu tun, als einen solchen steifsinnigen Pinsel blindlings handeln zu lassen, ihn aber so in seine eigenen Ideen, Pläne und Unternehmungen zu verwickeln, daß er, wenn er durch übereilte, unkluge Schritte in Verlegenheit gerät, sich selbst nach unsrer Hilfe sehnen muß. Dann läßt man ihn eine Zeitlang zappeln, wodurch er nicht selten demütig und folgsam wird und das Bedürfnis geleitet zu werden fühlt. Hat aber ein schwacher, eigensinniger Kopf von ungefähr ein einzigmal gegen uns recht gehabt oder uns über einen kleinen Fehler erwischt, dann tue man nur Verzicht darauf, ihn je wieder zu leiten. Er wird uns immer zu übersehn glauben, unsrer Einsicht und Rechtschaffenheit nie trauen; und das ist eine höchst verdrießliche Lage.

Bei beiden Gattungen von Leuten aber helfen in dem ersten Augenblicke keine weitläufigen Vorstellungen, indem sie dadurch nur noch mehr verhärtet werden. Hängen wir von ihnen ab, und sie geben uns Aufträge, wovon wir wissen, daß sie dieselben nachher selbst mißbilligen werden, so kann man nichts Klügeres tun, als ihnen ohne Widerrede Gehorsam zu versprochen, aber entweder die Befolgung so lange zu verschieben, bis sie sich indes eines Bessern besinnen, oder in der Stille die Sache nach eigenen Einsichten einzurichten, welches sie gewöhnlich in ruhigen Augenblicken zu billigen pflegen, insofern man nur etwa tut, als habe man ihren Befehl also verstanden, sich aber ja nie seiner größern, kaltblütigen Einsicht rühmt.

Nur in sehr wenig eiligen oder sonst höchst wichtigen Fällen kann es nützlich und nötig sein, Eigensinn gegen Eigensinn aufzuspannen und schlechterdings nicht nachzugeben. Doch geht alle Wirkung dieses Mittels verloren, wenn man es zu oft und bei unbedeutenden Gelegenheiten oder gar da anwendet, wo man unrecht hat. Wer immer zankt, der hat die Vermutung gegen sich, immer unrecht zu haben; es ist also weise gehandelt, dein andern in diesen Fall zu setzen.

8.

Eine besondre Gemütsart, die mehrenteils aus Eigensinn entspringt, doch auch wohl zuweilen bloß Bizarrerie oder ungesellige Laune zur Quelle hat, ist die Zanksucht. Es gibt Menschen, die alles besser wissen wollen, allem widersprechen, was man vorbringt, oft gegen eigne Überzeugung widersprechen, um nur das Vergnügen zu haben, disputieren zu können; andre setzen eine Ehre darin, Paradoxa zu sprechen, Dinge zu behaupten, die kein Vernünftiger irgend ernstlich also meinen kann, bloß damit man mit ihnen streiten solle; endlich noch andre, die man Querelleurs, Stänker nennt, suchen vorsätzlich Gelegenheit zu persönlichem Zanke, um eine Art von Triumph über furchtsam Leute zu gewinnen, über Leute, die wenigstens noch feiger sind als sie, oder, wenn sie mit dem Degen umzugehen wissen, ihren falschen Mut in einem törichten Zweikampfe zu offenbaren.

In dem Umgange mit allen diesen Leuten rate ich die unüberwindlichste Kaltblütigkeit an, und daß man sich durchaus nicht in Hitze bringen lasse. Mit denen von der ersten Gattung lasse man sich in gar keinen Streit ein, sondern breche gleich das Gespräch ab, sobald sie aus Mutwillen anfangen zu widersprechen. Das ist das einzige Mittel, ihrem Disputiergeiste, wenigstens gegen uns, Schranken zu setzen und viel unnütze Worte zu sparen. Denen von der zweiten Gattung kann man je zuweilen die Freude machen, ihre Paradoxa ein wenig zu bekämpfen oder, noch besser, zu persiflieren. Die letztern aber müssen viel ernsthafter behandelt werden. Kann man ihre Gesellschaft nicht vermeiden, kann man in derselben durch ein entfernendes, fremdes Betragen sie sich nicht vom Leibe halten, ihren Grobheiten nicht ausweichen, so rate ich, einmal für allemal ihnen so kräftig zu begegnen, daß ihnen die Lust vergehe, sich ein zweites Mal an uns zu reiben. Saget ihnen auf der Stelle in unzweideutigen, männlichen Ausdrücken Eure Meinung und lasset Euch durch ihre Aufschneiderei nicht irremachen! Man wird mir zutrauen, daß ich über den Zweikampf so denke, wie jeder vernünftige Mann darüber denken muß, nämlich daß er eine unmoralische, unvernünftige Handlung sei; sollte nun aber auch jemand seiner bürgerlichen Lage nach, zum Beispiel ein Offizier, durchaus sich dem Vorurteile unterwerfen müssen, eine Beleidigung durch die andre und durch persönliche Rache auszulöschen, so kann doch dieser Fall nie dann eintreten, wenn er ohne die geringste Veranlassung von seiner Seite hämischerweise angetastet wird, und der hat doppelt unrecht, der gegen einen sogenannten Stänker mit andern Waffen als mit Verachtung, oder, wenn es ihm gar zu nahe gelegt wird, anders als mit einem geschmeidigen spanischen Rohre kämpft, und hat nachher unrecht, wenn er ihm Satisfaktion gibt, wie man das zu nennen pflegt.

Im allgemeinen aber wohnt in manchen Menschen ein sonderbarer Geist des Widerspruchs. Sie wollen immer haben, was sie nicht erlangen können, sind nie von dem zufrieden, was andre tun, murren gegen alles, was grade sie nicht also bestellt haben, und wäre es auch noch so gut. Er ist bekannt, daß man solche Leute sehr oft dadurch leiten kann, daß man ihnen entweder das Gegenteil von dem vorschlägt, was man gern durchsetzen möchte, oder auf andre Weise sorgt, daß sie unsre eigenen Ideen gegen uns durchsetzen müssen.

9.

Jähzornige Leute beleidigen nicht mit Vorsatz. Sie sind aber nicht Meister über die Heftigkeit ihres Temperaments, und so vergessen sie sich in solchen stürmischen Augenblicken selbst gegen ihre geliebtesten Freunde und bereuen nachher zu spät ihre Übereilung. Ich brauche wohl nicht zu erinnern, daß Nachgiebigkeit – vorausgesetzt, daß diese Leute andrer guten Eigenschaften wegen einiger Schonung wert scheinen, denn außerdem muß man sie gänzlich fliehn –, daß weise Nachgiebigkeit und Sanftmut die einzigen Mittel sind, den Jähzornigen zur Vernunft zurückzuführen. Allein ich muß dabei erinnern, daß phlegmatische Kälte dem Erzürnten entgegenzusetzen ärger als der heftigste Widerspruch ist; er glaubt sich dann verachtet und wird doppelt aufgebracht.

10.

Wenn der Jähzornige nur aus Übereilung Unrecht tut und über den kleinsten Anschein von Beleidigung in Hitze gerät, nachher aber auch ebenso schnell wieder das erwiesene Unrecht bereuet und das erlittene verzeiht, so verschließt hingegen der Rachgierige seinen Groll im Herzen, bis er Gelegenheit findet, ihm vollen Lauf zu lassen. Er vergißt nicht, vergibt nicht, auch dann nicht, wenn man ihm Versöhnung anbietet, wenn man alles, nur keine niederträchtigen Mittel anwendet, seine Gunst wieder zu erlangen. Er erwidert sowohl das ihm zugefügte wahre als vermeintliche Übel, und dies nicht nach Verhältnis der Größe und Wichtigkeit desselben, sondern tausendfältig; für kleine Neckereien wirkliche Verfolgung; für unüberlegte Ausdrücke, in Übereilung geredet, tätige Rache; für eine Kränkung unter vier Augen öffentliche Genugtuung; für beleidigten Ehrgeiz Zerstörung reeller Glückseligkeit. Seine Rache schränkt sich nicht auf die Person ein, sondern erstreckt sich auf die Familie, auf die bürgerliche Existenz und auf die Freunde des Beleidigers. Mit einem solchen Manne leben zu müssen, das ist in Wahrheit eine höchst traurige Lage, und ich kann da nichts raten, als daß man soviel wie möglich vermeide, ihn zu beleidigen, und zugleich sich in eine Art von ehrerbietiger Furcht bei ihm setze, die überhaupt das einzige wirksame Mittel ist, schlechte Subjekte im Zaume zu halten.

11.

Faule und phlegmatische Menschen müssen ohne Unterlaß getrieben werden, und da doch fast jeder Mensch irgendeine herrschende Leidenschaft hat, so findet man zuweilen Gelegenheit, durch Aufrührung derselben solche schläfrigen Geschöpfe in Bewegung zu setzen.

Es gibt unter ihnen solche, die bloß aus Unentschlossenheit die kleinsten Arbeiten jahrelang liegen lassen. Auf einen Brief zu antworten, eine Quittung zu schreiben, eine Rechnung zu bezahlen – ja das ist eine Haupt- und Staatsaktion, zu welcher unbeschreibliche Vorbereitungen gehören. Bei ihnen muß man zuweilen wirklich Gewalt brauchen, und ist das schwere Werk einmal überstanden, dann pflegen sie sich recht dankbar zu bezeigen, so übel sie auch anfangs unsre Zudringlichkeit aufnahmen.

12.

Mißtrauische, argwöhnische, mürrische und verschlossene Leute sind wohl unter allen die, in deren Umgange ein edler, grader Mann am wenigsten von den Freuden des geselligen Lebens schmeckt. Wenn man jedes Wort abwägen, jeden unbedeutenden Schritt abmessen muß, um ihnen keine Gelegenheit zu schändlichem Verdachte zu geben; wenn kein Funken von erquickender Freude aus unserm Herzen in das ihrige übergeht; wenn sie keinen frohen Genuß mit uns teilen; wenn sie die Wonne der seltenen heitern Augenblicke, welche uns das Schicksal gönnt, nicht nur durch Mangel an Teilnehmung uns unschmackhaft machen, sondern sogar mitten in unsern glücklichsten Launen uns unfreundlich stören, aus unsern süßesten Träumen uns verdrießlich aufwecken; wenn sie unsre Offenherzigkeit nie erwidern, sondern immer auf ihrer Hut sind, in ihrem zärtlichsten Freunde einen Bösewicht, in ihrem treuesten Diener einen Betrüger und Verräter zu sehn glauben; dann gehört wahrlich ein hoher Grad von fester Rechtschaffenheit dazu, um nicht darüber selbst schlecht und menschenfeindlich zu werden. Hierbei ist nichts zu tun, wenn ein ungezwungenes, immer gleich redliches Betragen vergebens angewendet wird; wenn es nicht hilft, daß man ihnen jeden Zweifel, sobald man denselben gewahr wird, hebt, als daß man sich um ihren Argwohn und um ihr mürrisches Wesen schlechterdings nichts bekümmere, sondern mutig und munter den Weg fortgehe, den uns Klugheit und Gewissen vorschreiben. Übrigens sind solche Menschen herzlich zu bedauern; sie leben sich und andern zur Qual. Es liegt bei ihnen nicht immer Bösartigkeit zugrunde, nein, eine unglückliche Stimmung des Gemüts, dickes Blut, oft auch Einwirkung des Schicksals, wenn sie gar zu oft sind hintergangen worden – das sind mehrenteils die Quellen ihrer Seelenkrankheit. Und diese Krankheit ist in jüngern Jahren nicht ganz unheilbar, wenn die, welche einen solchen Mann umgeben, stets edel und grade gegen ihn handeln, ohne sich um seine Grillen und Launen zu bekümmern, und er dadurch endlich überzeugt wird, daß es noch Redlichkeit und Freundschaft in der Welt gibt. Bei alten Personen hingegen faßt dies Übel immer tiefre Wurzel und muß mit Geduld ertragen werden.

Am mehrsten sind diejenigen zu beklagen, bei denen dies Mißtrauen bis zum Menschenhaß gestiegen ist. Der liebenswürdige Verfasser des Schauspiels »Menschenhaß und Reue« August von Kotzebue läßt in demselben den Major sagen, ich hätte vergessen, Vorschriften für den Umgang mit dieser Art von Menschen zu geben. Es ist wahr, ich habe wenig darüber gesagt; allein es ist auch unmöglich, dazu allgemeine Regeln vorzuschlagen, da es notwendig ist, bei jedem einzelnen Falle genau mit den Quellen des Übels bekannt zu sein.

13.

Neidische, schadenfrohe, mißgünstige und eifersüchtige Gemütsarten sollten wohl nur das Erbteil hämischer, niederträchtiger Menschen sein; und doch trifft man leider einen unglücklichen Zusatz in diesen bösen Eigenschaften in den Herzen solcher Leute an, die übrigens manche gute Eigenschaft haben. – Allein so schwach ist die menschliche Natur! – Ehrgeiz und Eitelkeit können in uns das Gefühl erwecken, andern ein Glück nicht zu gönnen, nach welchem wir ausschließlich streben; sei es nun Vermögen, Glanz, Ruhm, Schönheit, Gelehrsamkeit, Macht, ein Freund, eine Geliebte, oder was es auch sei; und sobald dann diese Empfindung einen gewissen Widerwillen gegen die Person in uns erzeugt hat, die, trotz unsrer Mißgunst, trotz unsrer Eifersucht, im Besitze jenes ihr beneideten Guts bleibt, so können wir uns heimlich eines schadenfrohen Kitzels nicht erwehren, wenn es dieser Person ein wenig hinderlich geht, und die Vorsehung unsre feindseligen Gesinnungen, besonders nachdem wir schwach genug gewesen sind, diese bekannt werden zu lassen, gleichsam rechtfertigt. Ich werde bei den Gelegenheiten, wenn von Künstler-, Gelehrten- und Handwerksneide, von Mißgunst unter Fürsten, Vornehmen, Reichen und Leuten, die in der großen Welt leben, von Eifersucht unter Ehegenossen, Freunden und Geliebten die Rede sein wird, manches sagen, was auch hier anwendbar, aber überflüssig zu wiederholen sein würde, und es bleibt mir wirklich nichts hinzuzufügen übrig, als daß, um allem Neide in der Welt auszuweichen, man auf jede gute Eigenschaft, sowie auf alles, was Erfolg unsrer Bemühungen und Glück heißt, Verzicht tun, und wenn es darauf ankommt, mitten unter einem Schwarme von mißgünstigen Leuten zu leben und dennoch dem Neide und der Eifersucht so wenig als möglich Nahrung zu geben, man seine Vorzüge, seine Kenntnisse und seine Talente mehr verbergen als kundmachen, keine Art von Eminenz zeigen, anscheinend wenig fordern, wenig begehren, auf weniges Ansprüche machen und wenig leisten müsse.

Jener Neid nun erzeugt dann oft die schrecklichen Verleumdungen, denen auch der edelste Mann ausgesetzt ist. Es läßt sich nicht fest bestimmen, wie man sich immer zu betragen habe, wenn man verleumdet wird. Oft erfordern Redlichkeit und Klugheit die schnellste und deutlichste Darstellung der wahren Beschaffenheit; oft hingegen ist es unter der Würde eines rechtschaffenen Mannes, sich auf Erläuterungen einzulassen. Der Pöbel hört nicht auf, uns zu necken, wenn er sieht, daß dies uns anficht, und die Zeit pflegt früh oder spät die Wahrheit an das Licht zu ziehn.

14.

Der Geiz ist eine der unedelsten, schändlichsten Leidenschaften. Man kann sich keine Niederträchtigkeit denken, zu welcher ein Geizhals nicht fähig wäre, wenn seine Begierde nach Reichtümern in das Spiel kommt, und jede Empfindung beßrer Art, Freundschaft, Mitleid und Wohlwollen finden keinen Eingang in sein Herz, wenn sie kein Geld einbringen; ja er gönnt sich selber die unschuldigsten Vergnügungen nicht, insofern er sie nicht unentgeltlich schmecken kann. In jedem Fremden sieht er einen Dieb und in sich selber einen Schmarotzer, der auf Unkosten seines bessern Ichs, seines Mammons, zehrt.

Allein in den jetzigen Zeiten, wo der Luxus so übertrieben wird; wo die Bedürfnisse, auch des mäßigsten Mannes, der in der Welt leben und eine Familie unterhalten muß, so groß sind; wo der Preis der nötigen Lebensmittel täglich steigt; wo die Macht des Geldes soviel entscheidet; wo der Reiche ein so beträchtliches Übergewicht über den Armen hat; endlich, wo von der einen Seite Betrug und Falschheit und von der andern Mißtrauen und Mangel an brüderlichen Gesinnungen in allen Ständen sich ausbreiten und daher die Zuversicht auf die Hilfe der Mitmenschen ein unsichres Kapital wird; in diesen Zeiten, meine ich, hat man unrecht, wenn man einen sparsamen, vorsichtigen Mann ohne nähere Prüfung seiner Umstände und der Bewegungsgründe, welche seine Handlungen leiten, sogleich für einen Knicker erklärt.

Es gibt ferner unter den wirklich geizigen Leuten solche, die neben dieser Geldbegierde noch von einer andern mitherrschenden Leidenschaft regiert werden. Diese scharren dann zusammen, sparen, betrüben andre und versagen sich alles, außer wo es auf Befriedigung dieser Leidenschaft ankommt; sei es nun Wollust, Gefräßigkeit, Ehrgeiz, Eitelkeit, Neugier, Spielsucht, oder was es auch immer sei. So habe ich Menschen gekannt, die, um einen Louisd'or zu gewinnen, Bruder und Freund verraten und sich der öffentlichen Beschimpfung ausgesetzt haben würden, für den sinnlichen Genuß eines Augenblicks hingegen hundert hingegebene Gulden für gut angelegtes Geld hielten.

Noch andre kalkulieren so schlecht, daß sie Heller sparen und Taler wegwerfen. Sie lieben das Geld, aber sie verstehen nicht, damit umzugehn. Um also die Summen wieder zu erhaschen, um welche sie von Gaunern, Abenteurern und Schmeichlern betrogen werden, geben sie ihrem Gesinde nicht satt zu essen, und um tausend Taler wiederzugewinnen, die sie verschleudert haben, wechseln sie auf die unanständigste Weise allerorten einzelne feine Gulden ein, damit sie an jedem vielleicht einen Heller Agio gewinnen.

Endlich noch andre sind in allen Stücken freigebig und achten das Geld nicht, in einem einzigen Punkte aber, worauf sie grade Wert setzen, lächerlich geizig. Meine Freunde haben mir oft im Scherze vorgeworfen, daß ich auf diese Art karg in Schreibmaterialien sei, und ich gestehe diese Schwachheit. So wenig reich ich bin, so kostet es mich doch geringre Überwindung, mich von einem halben Gulden, als von einem holländischen Briefbogen zu scheiden, obgleich man für zwölf Groschen vielleicht ein Buch des feinsten Papiers kaufen kann.

Die allgemeine Regel im Umgange mit geizigen Leuten ist wohl die, daß wenn man ihre Gunst erhalten will, man nichts von ihnen fordern müsse. Da dies nun aber nicht immer zu ändern ist, so scheint es der Klugheit gemäß, daß man prüfe, zu welcher der vorhin geschilderten Gattungen von Geizigen der Mann, mit dem man es zu tun hat, gehöre, um darnach seine Behandlung einzurichten.

Über den Umgang mit Verschwendern brauche ich nichts zu sagen, als daß der verständige Mann sich nicht durch ihr Beispiel zu törichten Ausgaben verleiten lassen und daß der redliche Mann von ihrer übel geordneten Freigebigkeit weder für sich noch für andre Vorteile ziehn soll.

15.

Reden wir jetzt von dem Betragen gegen Undankbare. Ich habe bei mancher Gelegenheit erinnert, daß man auf dieser Erde auch bei den edelsten und weisesten Handlungen weder auf Erfolg, noch auf Dankbarkeit rechnen dürfe. Diesen Grundsatz soll man, wie ich dafür halte, nie aus den Augen verlieren, wenn man nicht karg mit seinen Dienstleistungen, feindselig gegen seine Mitmenschen werden, noch gegen Vorsehung und Schicksal murren will. Bei dem allen aber müßte man jeder menschlichen Empfindung entsagt haben, wenn es uns nicht kränken sollte, daß Menschen, denen wir treulich, eifrig und uneigennützig gedient, die wir aus der Not gerettet, denen wir uns ganz gewidmet, uns ihnen vielleicht aufgeopfert haben, daß diese uns vernachlässigen, sobald sie unsrer nicht mehr bedürfen, oder gar verraten, verfolgen, mißhandeln, wenn sie dadurch zeitliche Vorteile oder die Gunst unsrer mächtigen Feinde gewinnen können. Doch wird der weise Menschenkenner und warme Freund des Guten sich dadurch nicht abschrecken lassen, großmütig zu handeln. Mit Bezug auf das, was hierüber im zehnten Kapitel des zweiten Teils und im fünften Abschnitte des zweiten Kapitels in dem dritten Teile gesagt wird, erinnere ich nur nochmals, daß jede gute Handlung sich selbst belohnt, ja, daß der Edle eine neue Quelle von innrer Freude aus der Undankbarkeit der Menschen zu schöpfen versteht, nämlich die Freude, sich bewußt zu sein, gewiß uneigennützig, bloß aus Liebe zum Guten, Gutes zu tun, wenn er voraus weiß, daß er auf keine Erkenntlichkeit rechnen darf. Er bedauert die Verkehrtheit derer, die fähig sind, ihres Wohltäters zu vergessen, und läßt sich dadurch nicht abhalten, den Menschen zu dienen, die seiner Hilfe um so nötiger bedürfen, je schwächer sie sind, je weniger Glück sie in sich selbst, in ihren Herzen haben.

Klage also nicht über die Undankbarkeit, mit welcher man Dich lohnt! Wirf sie dem nicht vor, der sie Dir erzeigt. Fahre fort, ihn großmütig zu behandeln. Nimm ihn wieder auf, wenn er zu Dir zurückkehrt. Vielleicht geht er endlich in sich, fühlt den ganzen Wert, die Feinheit Deiner Behandlung und wird dadurch gebessert – wo nicht, so denke, daß jedes Laster sich selbst bestraft, und daß das eigene Herz des Bösewichts und die unausbleibliche Folge seiner Niederträchtigkeit Dich an ihm rächen werden. – O, welch ein langes Kapitel über die Undankbarkeit der Menschen könnte ich schreiben, wenn ich nicht aus Schonung gegen die, welche sich von dieser Seite an mir versündigt haben, meine vielfachen traurigen Erfahrungen in diesem Fache lieber verschweigen wollte!

16.

Manchen Leuten ist es schlechterdings unmöglich, in irgendeiner Sache den graden Weg zu gehn; Ränke, Schwänke und Winkelzüge mischen sich in alle ihre Unternehmungen, ohne daß sie deswegen von Grund aus böse sind. Eine unglückliche Stimmung des Gemüts und die Einwirkung von Lebensart und Schicksalen können diesen Charakter bilden. So wird zum Beispiel ein sehr mißtrauischer Mann auch wohl die unschuldigste Handlung heimlich tun, sich verstellen und seinen wahren Zweck verschleiern. Ein Mann von übel geordneter Tätigkeit oder von zu viel raschem Feuer, ein schlauer, unternehmender Kopf, der in einer Lage ist, wo ihm alles zu einfach hergeht, wo es ihm an Gelegenheit fehlt, seine Talente zu entwickeln, wird allerlei schiefe Seitensprünge wagen, um seinen Wirkungskreis zu erweitern oder mehr Interesse in die Szene zu bringen; und dann wird er nicht immer heikel genug in der Wahl seiner Mittel sein. Ein sehr eitler Mensch wird in manchen Fällen versteckt handeln, um seine Schwäche zu verbergen. Ein Mann, der lange an Höfen gelebt hat, um sich her nichts als Verstellung, Intrige, Kabale und Gegeneinanderwirken zu sehn und selbst auf gradem Wege nicht zu erhalten gewöhnt ist, findet ein Leben, das ohne Verwicklung fortgeht, zu einförmig; er wird seine unbedeutendsten Schritte so tun, daß man ihm nicht nachspüren kann, und seinen unschuldigsten Handlungen einen rätselhaften Anschein geben. Der Jurist, der sich stets mit den Spitzfindigkeiten der Schikane beschäftigt, findet innigen Seelengenuß darin, daß er in Worten und Werken allerlei Kantelen und Schwänke anbringt. Wer seine Gehirnnerven durch Romanlesen und andre phantastische Träumereien überspannt, oder wer durch ein üppiges, müßiges Leben, durch schlechte Gesellschaft und dergleichen den Sinn für Einfalt, kunstlose Natur und Wahrheit verloren hat, der kann nicht existieren, ohne Intrige – und so gibt es eine Menge Menschen, die, was sie auf gradem Wege erlangen könnten, nicht halb so eifrig wünschen, als was sie heimlich zu erschleichen hoffen. Man kann aber endlich den edelsten, offenherzigsten Menschen, besonders in jüngern Jahren, zu Winkelzügen verleiten, wenn man ihm ohne Unterlaß Mißtrauen zeigt oder ihn mit soviel Strenge behandelt, ihn in einer solchen Entfernung von uns hält, daß er kein Zutraun zu uns haben kann.

Was nun auch dazu beigetragen haben mag, manchen Menschen Ränke und Winkelzüge zur Gewohnheit zu machen, so ist wohl folgende Art, sich gegen sie zu betragen, die beste, die man wählen kann:

Man handle selbst immer so offen und unverstellt und zeige sich ihnen in Worten und Taten als einen so entschiednen Feind von allem, was Schiefigkeit, Intrige und Verstellung heißt, und als einen so warmen Verehrer jedes redlichen, aufrichtigen Mannes, daß sie wenigstens fühlen, wieviel sie in unsern Augen verlieren würden, wenn wir sie auf bösen Schlichen ertappten.

Man zeige ihnen, solange sie uns noch nicht getäuscht haben, ein unbegrenztes Vertrauen, stelle sich, als könne man sich auch die Möglichkeit nicht einbilden, daß sie uns hintergehn würden. Ist ihnen dann an unser Achtung gelegen, so werden sie sich vor dem ersten uns mißfälligen Schritte hüten.

Man zeige sich so tolerant gegen kleine Schwachheiten und so bereit, begangene Fehler zu verzeihn und zu entschuldigen, insofern nur keine Tücke dabei im Spiele gewesen, daß sie sich nicht vor uns als vor strengen Sittenrichtern zu scheuen und zu verstecken nötig finden.

Man spioniere nie um sie her, beschleiche sie nie, erlaube sich keine versteckten Wege, sondern frage, wenn man Recht dazu hat und uns daran gelegen ist, etwas, das uns nicht klar scheint, erläutert wissen zu wollen, geradezu, mit festem Tone, begleitet von einem durchdringenden Blicke, um den Grund der Sache. Stottern sie, suchen sie auszuweichen, so breche man entweder ab, um ihnen zu verstehn zu geben, daß man ihnen die Schande eines Betruges ersparen wolle, nehme aber nachher eine kältere Aufführung gegen sie an, oder man warne sie, mit freundlichem, doch ernsthaftem Wesen, ihrer nicht unwürdig zu handeln.

Haben sie uns aber dennoch einmal hintergangen so nehme man die Sache nicht auf einen leichten, scherzhaften Fuß. Man zeige sich über diesen ersten falschen Schritt so entrüstet, sei nicht sogleich bereit, denselben zu verzeihn, und hilft dann alles das nicht, und sie fahren fort, uns mit Winkelzügen und Ränken zu hintergehn, so bestrafe man sie durch Verachtung und fortgesetztes Mißtraun, das man in alles, was sie reden und tun, setzt, bis sie sich bessern; aber selten kommt der, welchem schiefe Streiche zur Habitüde geworden, wieder auf den Weg der Wahrheit zurück.

Alles hierüber Gesagte paßt also auch auf das Betragen gegen Lügner.

17.

Was man aber im gemeinen Leben einen Windbeutel oder Aufschneider und Prahler nennt, das ist eine andre Gattung von Menschen. Diese haben nicht die Absicht, jemand eigentlich zu hintergehn; um sich in besserm Glanze zu zeigen, um sich bemerkbar zu machen, um andern eine so hohe Meinung von sich beizubringen, als sie selbst haben, um Aufmerksamkeit durch Erzählung wunderbarer Vorfälle zu erregen oder um für angenehme, unterhaltende Gesellschafter zu gelten, erdichten sie, was nie existiert hat, oder vergrößern, was wenigstens nie also gewesen ist; und haben sie einmal die Fertigkeit erlangt, auf Unkosten der Wahrheit, eine Begebenheit, ein Bild, einen Satz zu verzieren, so fangen sie zuweilen an, ihren eigenen Windbeuteleien zu glauben, alle Gegenstände durch ein Vergrößerungsglas anzusehn und so in Riesengestalten wieder zu Papier zu bringen.

Die Erzählungen und Beschreibungen eines solchen Aufschneiders sind zuweilen ganz lustig anzuhören, und wenn man erst mit seiner Bildersprache bekannt ist, so weiß man schon, was man vom Ganzen abzurechnen hat, um den Überrest für bares Geld anzunehmen. Geht es aber mit seinen Verbrämungen zu weit, so kann es nicht schaden, wenn man ihn entweder durch eine Menge von Fragen über die genauesten Umstände so in sein eigenes Gewebe verwickelt, daß er, indem er weder rückwärts noch vorwärts kann, beschämt wird, oder wenn man ihm für jede Unwahrheit auf komische Art eine noch derbere wieder aufheftet und ihm dadurch merklich macht, daß man nicht dumm genug gewesen sei, ihm zu glauben, oder aber wenn man, sobald er anfängt zu blasen, die Segel der Unterhaltung auf einmal einzieht und seinem Winde ausweicht, da er dann, wenn dies öfter und von mehrern verständigen Männern geschieht, behutsamer zu werden pflegt.

18.

Unverschämte, Müßiggänger, Schmarotzer, Schmeichler und zudringliche Leute rate ich in der gehörigen Entfernung von sich zu halten, sich mit ihnen nicht gemein zu machen, ihnen durch ein höfliches, aber immer steifes und ernsthaftes Betragen zu erkennen zu geben, daß ihre Gesellschaft und Vertraulichkeit uns zuwider ist. Einer meiner Bekannten erzählte mir einst: Er habe in Holland über der Tür des Arbeitszimmers eines verständigen Mannes folgende Worte mit großen Buchstaben geschrieben gefunden: »Es ist erschrecklich beschwerlich für einen Mann, der bestimmte Geschäfte hat, von Leuten überlaufen zu werden, die keine Geschäfte haben.« – Der Einfall war nicht übel. Die, welche gern bei uns schmausen, kann man am leichtesten dadurch verscheuchen, daß man sie, ohne ihnen etwas zu reichen, wieder fortgehn lasse; aber gegen Schmeichler, besonders gegen die von feinrer Art, soll man seiner eigenen Moralität wegen auf seiner Hut sein. Sie verderben uns von Grund aus, wenn wir unser Ohr an ihren Sirenengesang gewöhnen. Dann wollen wir ohne Unterlaß gestreichelt und gekitzelt sein, finden die wohltätige Stimme der Wahrheit nicht harmonisch genug und vernachlässigen und versäumen die treuern, bessern Freunde, die uns aufmerksam auf unsre Fehler machen wollen. Um nicht so tief zu fallen, waffne man sich mit Gleichgültigkeit gegen die gefährlichen Lockungen der Schmeichelei. Man fliehe vor dem Schmeichler wie vor dem bösen Feinde! Allein das ist nicht so leicht, als man wohl glaubt; es gibt eine Art, Süßigkeiten zu sagen, die das Ansehn hat, als wollte man gerade das Gegenteil tun. Der schlaue Schmeichler, der Deine schwache Seite studiert hat, wird, wenn er Dich für zu verständig hält, um nicht die gröbern Schlingen dieser Art für gefährlich zu erkennen, Dir nicht immer recht geben; er wird vielmehr Dich tadeln; er wird Dir sagen: daß er nicht begreifen könne, wie ein so edler und weiser Mann, als Du seiest, sich einen kleinen Augenblick auch einmal habe vergessen können; er hätte geglaubt, so etwas könne nur gemeinen Leuten von seinem Schlage begegnen. Er wird an Deinen Schriften Fehler rügen, die Dir gleich beim ersten Anblicke unbedeutend scheinen müssen, und ihm nur dazu dienen, diejenigen Stellen um desto unverschämter zu loben, von welchen er weiß, daß Du Dir etwas darauf zugute tust. »Schade!« wird er ausrufen, »daß Ihre Sinfonien – ich bin kein Schmeichler, ich sage meine Meinung immer rundheraus – schade, daß diese herrlichen Sinfonien, die gewiß in allem Betracht ein klassisches Werk genannt werden können, so äußerst schwer vorzutragen sind. Wo findet man Meister, die würdig wären, so etwas aufzuführen? Und doch ist das ein wesentlicher Fehler, den Sie, verzeihen Sie meiner Offenherzigkeit! hätten vermeiden sollen.« Er wird Mängel an Dir finden und mit verstelltem Eifer dagegen deklamieren, Schwachheiten und Mängel, auf welche Deine Eitelkeit sich etwas einbildet. Er wird Dich einen Misanthropen schimpfen, wenn Du gern siehst, daß Deine abgezogene Lebensart Aufsehn erregen soll, er wird Dir vorwerfen, Du seiest intrigant, wenn es Dir behagt, für einen schlauen Hofmann angesehn zu werden. Auf diese Weise wird er sich bei Dir und andern Kurzsichtigen in den Ruf eines unparteiischen, wahrheitsliebenden Mannes setzen; sein honigsüßer Trank wird glatt hinuntergehn, und in der Berauschung werden Dein Herz und Dein Beutel dem verschmitzten Spötter offenstehn. Vielfältig habe ich besonders an Höfen dergleichen Männer angetroffen, die, unter der Maske der Bonhomie, und bei dem Rufe, den Fürsten tapfer die Wahrheit zu sagen, die ärgsten Maulschwätzer waren.

19.

Jetzt werde ich im allgemeinen von dem Betragen gegen Schurken, das heißt gegen Leute, die von Grund aus schlecht sind, reden, obgleich ich dafürhalte, daß – ein bißchen Erbsünde abgerechnet – eigentlich kein Mensch von Grund aus ganz schlecht, wohl aber durch fehlerhafte Erziehung, Nachgiebigkeit gegen seine Leidenschaften oder durch Schicksale, Lagen und Verhältnisse, so verwildert sein könne, daß von seinen natürlichen guten Anlagen fast keine Spur mehr zu sehn ist. Hier aber kommt es nicht darauf an, wie jemand ein Schurke geworden, sondern wie er, wenn er ein solcher ist, müsse behandelt werden. Ich beziehe mich dabei zuerst auf das, was ich über den Umgang mit Feinden und über das Betragen gegen Verirrte und Gefallene sagen werde, und füge nur noch nachstehende Bemerkung hinzu:

Daß man womöglich den Umgang mit schlechten Leuten fliehn müsse, wenn uns unsre Ruhe und unsre moralische Vervollkommnung am Herzen liegt, das versteht sich wohl von selber. Wenn ein Mann von festen Grundsätzen auch nicht eigentlich schlecht durch sie wird, so gewöhnt er sich doch nach und nach an den Anblick der Untaten und verliert jenen Abscheu gegen alles, was unedel ist, einen Abscheu, der zuweilen einzig hinreicht, uns in Augenblicken von Versuchung vor feinern Vergehungen zu bewahren. Leider aber zwingt uns unsre Lage zuweilen, mitten unter Schurken zu leben und mit ihnen gemeinschaftlich Geschäfte zu treiben, und da ist es denn nötig, gewisse Vorsichtigkeitsregeln nicht aus der Acht zu lassen.

Glaube nicht, wenn Du einiges Verdienst von seiten des Kopfs und des Herzens hast, glaube nicht, es dahin zu bringen, daß Du von schlechten Menschen je gänzlich in Ruhe gelassen werden, noch mit ihnen in Frieden leben könntest. Es herrscht ein ewiges Bündnis unter Schurken und Pinseln, gegen alle verständigen und edlen Menschen, eine so sonderbare Verbrüderung, daß sie unter allen übrigen Menschen einander erkennen und bereitwillig die Hand reichen, möchten sie auch durch andre Umstände noch so sehr getrennt sein, sobald es darauf ankommt, das wahre Verdienst zu verfolgen und mit Füßen zu treten. Da hilft keine Art von Vorsichtigkeit und Zurückhaltung, da hilft nicht Unschuld, nicht Gradheit, da hilft nicht Schonung, noch Mäßigung, da hilft es nicht, seine guten Eigenschaften verstecken, mittelmäßig scheinen zu wollen. Niemand erkennt so leicht das Gute, das in Dir ist, als der, dem dies Gute fehlt. Niemand läßt innerlich dem Verdienste mehr Gerechtigkeit widerfahren als der Bösewicht; aber er zittert davor, wie Satan vor dem Evangelio, und arbeitet mit Händen und Füßen dagegen. Jene große Verbrüderung wird Dich ohne Unterlaß necken, Deinen Ruf antasten, bald zweideutig, bald übel von Dir reden, die unschuldigsten Deiner Worte und Taten boshaft auslegen – aber laß Dich das nicht anfechten! Würdest Du auch wirklich von Schurken eine Zeitlang gedrückt, so wird doch die Rechtschaffenheit und Konsequenz Deiner Handlungen am Ende siegen und der Unhold bei einer andern Gelegenheit sich selbst die Grube graben. Auch sind die Schelme nur so lange einig unter sich, als es nicht auf männliche Standhaftigkeit ankommt, solange sie im Dunkeln fechten können. Hole aber Licht herbei, und sie werden auseinanderrennen! Und wenn es nun gar zur Teilung der Beute ginge, dann würden sie sich untereinander bei den Ohren zausen und Dich indes mit Deinem Eigentume ruhig davonwandern lassen. Gehe Deinen graden Gang fort. Erlaube Dir nie schiefe Streiche, nie Schleichwege, um Schleichwegen zu begegnen, nie Ränke, um Ränke zu zerstören. Mache nie gemeinschaftliche Sache mit Bösewichten gegen Bösewichte. Handle großmütig! Unedle Behandlung und zu weit getriebenes Mißtrauen können den, welcher auf halbem Wege ist, ein Schelm zu werden, vollends dazu machen, und Großmut hingegen kann einen nicht ganz versteckten Unhold vielleicht auf einige Zeit wenigstens bessern und die Stimme des Gewissens in ihm erwecken. Aber er müsse fühlen, daß Du nur aus Huld, nicht aus Furcht also handelst. Er müsse fühlen, daß, wenn es auf das Äußerste kommt, wenn der Grimm eines unerschrocknen redlichen Mannes losbricht, der kühne, rechtschaffene Weise im niedrigsten Stande mächtiger ist als der Schurke im Purpur; daß ein großes Herz, daß Tugend, Klugheit und Mut stärker machen als erkaufte Heere, an deren Spitze ein Schuft steht. Was kann der fürchten, der nichts mehr zu verlieren hat, als das, was kein Sterblicher ihm rauben kann? Und was vermag in dem Augenblicke der äußersten, verzweifelten Notwehr ein feiger Sultan, ein ungerechter Despot, der in sich selbst einen Feind herumträgt, der ihm immer in die Flanke fällt, gegen den Niedrigsten seiner Untertanen, der ein reines Herz, einen hellen Kopf, Unerschrockenheit und gesunde Arme zu Bundesgenossen hat?

Es ist unmöglich, sich von gewissen Leuten geliebt zu machen, und da kann es nicht schaden, wenn diese uns wenigstens fürchten.

Es gibt Leute, die uns zu Vertraulichkeiten, zu gewissen Konfidenzen zu bewegen suchen, damit sie nachher Waffen gegen uns in Händen haben, womit sie uns drohen können, wenn wir ihnen nicht zu Gebote stehn wollen. Die Klugheit erfordert, davor auf seiner Hut zu sein.

Beschenke den, von dem Du fürchtest, er werde Dich bestehlen, wenn Du glaubst, daß Großmut noch Eindruck auf ihn machen könnte!

Ermuntre, ehre äußerlich Menschen, an denen Du irgendeine Tatkraft zum Guten findest. Bringe sie nicht ohne Not um Kredit. Es gibt Leute, die viel Gutes sagen, im Handeln aber heimliche Schalke sind, oder Menschen voll Inkonsequenz, Leichtsinn und Leidenschaften. Entlarve diese nicht, insofern es nicht der Folgen wegen sein muß! Sie wirken durch ihr Reden manches Gute, das nicht geschieht, wenn man sie verdächtig macht. Man sollte sie immer herumreisen lassen, um gute Zwecke zu befördern; allein sie müssen jeden Ort früh genug verlassen, um sich nicht zu verraten und durch ihr Beispiel nicht die Wirkung ihrer Lehren zu verderben.

20.

Zu übertrieben bescheidene und furchtsame gute Menschen soll man zu ermuntern, sie mit größrer Zuversicht zu sich selber zu erfüllen suchen. So verachtungswert Unbescheidenheit und Dünkel sind, so unmännlich ist zu weit getriebene Schüchternheit. Der Edle soll seinen Wert fühlen, und ebensowenig ungerecht gegen sich, als gegen andre sein. Übertriebenes Lob und zu weit ausgedehnter Vorzug aber beleidigen den Bescheidenen. Er müsse weniger aus Deinen Worten, als aus Deinen ungekünstelten, wahre Zuneigung verratenden Handlungen Deine Hochachtung zu ihm erkennen.

21.

Unvorsichtigen und plauderhaften Leuten darf man natürlicherweise keine Geheimnisse anvertraun. Besser wäre es, man hätte überhaupt keine Geheimnisse in der Welt, könnte immer frei und offen handeln, und alles, was im Herzen vorgeht, vor jedermann sehn lassen; besser wäre es, man dächte und redete nichts, als was man laut denken und reden darf; da dies indessen besonders bei Männern, die in öffentlichen Ämtern stehen oder sonst fremde Geheimnisse zu verwahren haben, nicht möglich ist, so muß man freilich vorsichtig in Mitteilung seiner Heimlichkeiten sein.

Man findet Menschen, denen es schlechterdings unmöglich ist, eine Sache zu verschweigen. Man sieht es ihnen an, wenn sie ängstlich umherlaufen, daß sie etwas Neues tragen, und daß sie leiden, bis sie einem andern Plauderer ihre Nachricht heiß mitgeteilt haben. Andern fehlt es zwar nicht an dem guten Willen zu schweigen, wohl aber an der Klugheit, sich nicht durch Winke, Blicke oder auf andre Art zu verraten, oder an der Festigkeit, sich nicht ausfragen zu lassen, oder sie haben eine zu gute Meinung von der Ehrlichkeit und Verschwiegenheit derer, welchen sie sich anvertrauen – gegen alle diese muß man verschlossen sein.

Es kann auch zuweilen nicht schaden, wenn man plauderhafte Leute bei der ersten Gelegenheit, da sie etwas über uns geschwätzt haben, dergestalt in Furcht setzt, daß sie es nicht wagen dürfen, hinter unserm Rücken auch nur einmal unsern Namen zu nennen, es sei im Guten oder Bösen. Die eigentlichen bekannten Zeitungsträger aber, deren es fast in jeder Stadt einige gibt, kann man nützen, wenn man ein Märchen im Publico ausgebreitet wissen will. Nur muß man dann nicht verfehlen, sie um Verheimlichung der Sache zu bitten, sonst halten sie es vielleicht der Mühe nicht wert, dieselbe auszuplaudern.

Vorwitzige und neugierige Menschen kann man nach den Umständen entweder auf ernsthafte oder spaßhafte Manier behandeln. Im erstern Falle muß man, sobald man merkt, daß sie sich im mindesten um unsre Angelegenheiten bekümmern, uns belauschen, behorchen, sich in unsre Geschäfte mischen, unsern Schritten nachspüren oder unsre Pläne und Handlungen ausspähn wollen, sich gegen die mündlich, schriftlich oder tätig so kräftig erklären, sie auf eine solche Weise zurückschicken, daß ihnen die Lust vergeht, auch nur von weitem sich an uns zu wagen. Will man aber seine Lust mit ihnen haben, so kann man ihrer Neugier ohne Unterlaß so viel zu schaffen machen, daß sie über die Kindereien, worauf man ihre Achtsamkeit lenkt, keine Muße behalten, sich um diejenigen Dinge zu bekümmern, woran uns gelegen ist, daß sie dieselben nicht beobachten.

Zerstreute und vergeßliche Leute taugen nicht zu Geschäften, wo es auf Pünktlichkeit ankommt. Jungen Personen kann man diese Fehler zuweilen noch abgewöhnen und es dahin bringen, daß sie ihre Gedanken beieinanderhalten. Manche, die aus zu großer Lebhaftigkeit des Temperaments leicht alles vergessen und nie da zu Hause sind, wo sie sein sollten, kommen von dieser Schwachheit zurück, wenn sie älter, kühler und sittsamer werden. Andre affektieren zerstreut zu sein, weil sie glauben, das sähe vornehm oder gelehrt aus, und über solche Toren soll man nur die Achseln zucken und sich wohl hüten, ihre Distraktionen artig zu finden. Es gilt von ihnen, was ich über sie sage, welche sich körperlich krank stellen, um Interesse zu erwecken. Wessen Gedächtnis aber wirklich schwach und nicht etwa durch Übung nach und nach zu stärken ist, dem rate man, sich alles schriftlich aufzuzeichnen, was er behalten will, und diesen Zettel täglich oder wöchentlich einmal durchzulesen; denn es ist wahrlich nichts verdrießlicher, als wenn uns jemand verspricht, eine Sache zu besorgen, an welcher uns gelegen ist, wir uns auch auf sein Wort verlassen, er aber nachher rein vergißt, wovon die Rede gewesen.

Sehr zerstreuten Leuten muß man es übrigens so hoch nicht anrechnen, wenn sie gegen uns zuweilen in Aufmerksamkeit, Höflichkeit, oder was man sonst im geselligen und freundschaftlichen Umgange fordert, unvorsätzlich fehlen.

22.

Es gibt eine Art Menschen, die man wunderliche (difficiles) Leute nennt. Sie sind nicht bösartig, sind nicht immer zänkisch und mürrisch; aber man kann ihnen doch nicht leicht etwas ganz recht machen. Sie haben sich zum Beispiel an eine pedantische Ordnung gewöhnt, deren Regeln nicht jeder so wie sie im Kopfe hat, und da kann es denn leicht kommen, daß man einen Stuhl in ihrem Zimmer anders hinstellt, als sie es gern sehen (wenn dies übrigens aus wahrem Ordnungsgeiste herrührt, so habe ich daran nichts auszusetzen); oder sie hängen gewissen Vorurteilen an, denen man sich unterwerfen muß, wenn man in ihren Augen Wert haben will, zum Beispiel in Kleidertrachten, in der Art laut oder leise zu reden, groß oder klein zu schreiben und dergleichen. Man sollte wohl sagen, daß ein vernünftiger Mann über solche Kleinigkeiten hinausgehn müßte; unterdessen trifft man doch Männer an, die über andre Gegenstände sehr verständig und billig denken, nur in solchen Punkten nicht; und was wichtiger als das ist, an dieser Männer Gunst kann uns vielleicht sehr viel gelegen sein. Wenn dies letztre nun der Fall ist, so rate ich, in Dingen von geringem Belange und die mit einiger Aufmerksamkeit so leicht zu befolgen sind, sich ihnen gefällig zu bezeigen. Andre aber, mit denen wir weiter in keinem Verhältnisse stehen, lasse man, insofern sie übrigens brave Männer sind, bei ihrer Weise und vergesse nicht, daß wir alle unsre Schwachheiten haben, die man brüderlich ertragen muß.

Leute, die etwas darin suchen, sich durch ihr Betragen in unwesentlichen Dingen von andern zu unterscheiden, nicht eigentlich aus Überzeugung, daß es so besser sei als anders, sondern hauptsächlich darum, weil sie das zu tun vorziehen, was andre nicht tun; solche Leute nennt man Sonderlinge. Sie sehen es gern, wenn man ihre Weise bemerkt, und ein verständiger Mann muß in seinem Betragen gegen sie wohl überlegen, ob ihre Bizarrerien von unschädlicher Art und ob sie Männer sind, die in irgendeiner Rücksicht Schonung verdienen, um darnach im Umgange mit ihnen zu verfahren, wie es Vernunft und Duldung fordern.

Was endlich Leute betrifft, die von Launen regiert werden, so daß man ihnen heute der willkommenste Gast, morgen der überlästigste Gesellschafter ist, so rate ich – vorausgesetzt, daß diese Launen nicht ihren Grund in geheimen Leiden haben (denn wenn das ist, so habe Mitleiden!) – gar nicht zu tun, als bemerkte man solche Ebben und Fluten, sondern auf immer gleich vorsichtigem Fuß mit ihnen umzugehn.

23.

Dumme Leute, die ihre Schwäche fühlen, sich von vernünftigen Menschen leiten lassen, und zwar einem natürlich gutmütigen, wohlwollenden, sanften Temperamente gemäß, sich leicht zum Guten und schwer zum Bösen leiten lassen, die sind nicht zu verachten. Es können nicht alle Menschen hohen, erhabenen Geistesschwung haben, und die Welt würde auch sehr übel dabei fahren, wenn es also wäre, es müssen mehr subalterne als Herrschergenies unter den Erdensöhnen sein, wenn nicht alle in ewiger Fehde miteinander leben sollen. Daß ein gewisser höherer Grad von Tugend, zu welcher Kraft, Mut, Festigkeit oder feine Beurteilungskraft gehört, nicht mit Schwäche des Geistes bestehn kann, das ist wohl freilich gewiß; allein das gehört ja nicht hierher. Wenn im ganzen nur das Gute geschieht, und die dümmern Menschen zu diesem Guten sich die Hände führen lassen, so füllen sie ihren Platz nützlicher aus als die überschwenglichen Genies, die Feuerköpfe, mit ihrem sich durchkreuzenden, unaufhörlichen Wirken und Streben.

Unerträglich hingegen ist die Lage, wenn man es mit einem Stockfische zu tun hat, der sich für einen Halbgott hält, mit einem eiteln, eigensinnigen, mißtrauischen Pinsel, mit einem verzogenen, verzärtelten, vornehmen Schöps, der Länder und Völker zu regieren hat und alles selbst regieren will. Doch werde ich bei verschiedenen einzelnen Gelegenheiten in diesem Buche sagen, wie man mit dieser Art Menschen umgehn müsse.

Allein man tut oft den Leuten großes Unrecht, wenn man solche für schwach, dumm, gefühllos oder unwissend hält, die es wahrlich gar nicht sind. Nicht jeder hat die Gabe, seine Gedanken und Empfindungen an den Tag zu legen, am wenigsten auf unsre Manier. Nach seinen Taten muß man ihn richten, aber auch das nur mit Rücksicht auf seine Lage und auf die Gelegenheit, die er gehabt oder die ihm gefehlt hat, sich auszuzeichnen. Man überlegt selten, daß der Mensch schon sehr viel Wert hat, der in der Welt nur nichts Böses tut, und daß die Summe dieses negativen Guten zur Wohlfahrt des ganzen oft mehr beiträgt als der lange Lebenslauf eines tätigen Mannes, dessen heftige Leidenschaften in unaufhörlichem Kampfe mit seinen großen, edeln Zwecken stehen.

Und dann sind Gelehrsamkeit, Kultur und gesunde Vernunft wieder sehr verschiedene Dinge. Es herrscht unter Menschen von einer gewissen Erziehung und Bildung so viel Konvention, und wir verwechseln nur gar zu leicht die Grundsätze, welche auf diesen Übereinkünften beruhen, mit den unwandelbaren Vorschriften der reinen Weisheit. Wir sind nun einmal gewöhnt, nach jenem Maßstabe zu denken oder vielmehr Worte nachzulallen, deren zweideutigen Sinn wir Mühe haben würden, einem ganz rohen Wilden zu erklären; und so halten wir denn denjenigen für einen Schafskopf, der von allem diesen auswendig gelernten Zeuge nichts weiß und nur so redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wie oft haben mich über Kunstwerke die Aussprüche gemeiner Leute ohne Kultur, Aussprüche, die dem sogenannten Kenner sehr abgeschmackt vorkommen würden, aus dem Zauber einer falschen, erzwungenen Illusion gerissen und den Sinn für wahre, echte Natur in mir wieder erweckt. Wie oft habe ich im Schauspielhause erst das nüchterne Urteil der Galerie erwartet, habe erwartet, was für Eindruck eine Szene auf das unbestochene Volk, das wir Pöbel nennen, machen, habe erwartet, ob ein rührender Auftritt allgemeine Stille oder lautes Gelächter verbreiten würde, um mich zu bestimmen in meinem Glauben, wie treu der Schriftsteller und Schauspieler die Natur kopieren, oder ob er sie verfehlt hätte. Auf mich wirkt Illusion, weil ich in einer Welt voll Täuschungen von Jugend auf gewandelt habe; jene aber leben und weben in Wahrheit. Groß ist der Künstler, der durch das Spiel seiner Phantasie, durch seine die Natur nachahmende Darstellung auch unkultivierte Menschen vergessen machen kann, daß sie getäuscht werden. Groß ist ferner der Mann, der den Sinn für ungeschminkte Wahrheit nicht in dem Meere von Nebenideen, Vorurteilen und Konventionen ersäuft hat. Aber wie selten trifft man Kunst und Wahrheitssinn, Kultur und Einfalt, Arm in Arm an! Lasset uns also den nicht verachten, der den bessern Teil auf Unkosten des schlechtem gerettet hat, und lasset uns ihn ja nicht aufklären, sondern lieber bei solchen dummen Leuten in die Schule gehn.

Auf gutmütige aber schwache Leute soll man zum besten zu wirken, soll, wenn man kann, edle Freunde um sich her zu versammeln suchen, von denen sie nicht mißbraucht, sondern zu Taten gelenkt werden, die eines wohlwollenden Herzens würdig sind. Es gibt Personen, die nichts abschlagen können, wenigstens nicht mündlich; und da geschieht es dann, daß, um niemand zu kränken, oder damit man nicht glaube, daß es ihnen an gutem Willen fehle, sie mehr versprechen, als sie erfüllen können, mehr hingeben, mehr Arbeit für andre übernehmen, als sie gerechterweise tun sollten. Andre sind so leichtgläubig, daß sie jedem trauen, sich jedem preisgeben und aufopfern, jeden für einen treuen Freund halten, der die Außenseite des ehrlichen, menschenliebenden Mannes trägt. Noch andre sind nicht imstande, für sich etwas zu erbitten, sollten sie auch darüber nichts in der Welt von demjenigen erlangen, worauf sie die billigsten Ansprüche machen dürften. Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie sehr alle diese Schwachen gemißhandelt werden; wie man auf die Gutherzigkeit und Dienstfertigkeit der ersten losstürmt, und wie den andern die Unverschämtheit alles vor dem Munde wegnimmt, weil sie nicht den Mut haben, zuzugreifen. Mißbrauche keines Menschen Schwäche! Erschleiche von keinem Vorteile, Geschenke, Verwendung von Kräften, die Du nicht nach den Regeln der strengsten Gerechtigkeit, ohne ihm Verlegenheit und Last aufzuladen, von ihm fordern darfst. Suche auch zu verhindern, daß andre dergleichen tun. Mache dem Blöden Mut! Verwende Dich, rede für ihn, wenn seine Schüchternheit ihn abhält, sein eigener Fürsprecher zu sein.

Manche Leute haben die Schwachheit, mit ganzer Seele gewissen Liebhabereien nachzuhängen. Sei es nun irgendeine noble Passion, Jagd, Pferde, Hunde, Katzen, Tanz, Musik, Malerei oder die Wut: Kupferstiche, Naturalien, Schmetterlinge, Petschafte, Pfeifenköpfe und dergleichen zu sammeln, oder Baugeist, Gartenanlage, Kindererziehung, Mäzenatenschaft, physikalische Versuche oder was für ein Steckenpferd sie auch reiten, so dreht sich doch der ganze Zirkel ihrer Gedanken immer um diesen Punkt herum; sie reden von keiner Sache so gern als von diesem ihrem Lieblingsgegenstande; jedes Gespräch wissen sie dahin zu lenken. Sie vergessen dann, daß der Mann, welchen sie vor sich haben, vielleicht von keinem Dinge in der Welt weniger versteht als von diesem, verlangen aber auch dagegen nicht grade, daß derselbe mit großer Kenntnis davon rede, wenn er nur die Geduld hat, ihnen zuzuhören, oder wenn er ihre Sächelchen nur mit Aufmerksamkeit betrachtet, nur bewundert, was sie ihm als die größte Seltenheit empfehlen, und Interesse daran zu nehmen scheint. Nun, wer wird denn wohl so hartherzig sein, diese kleine Freude einem Manne, der übrigens redlich und verständig ist, nicht zu gewähren? Vorzüglich empfehle ich Aufmerksamkeit auf die doch wie sich's versteht, unschuldigen Liebhabereien der Großen, an deren Gunst uns gelegen ist; denn, wie Tristram Shandy anmerkt, so wird ein Hieb, welchen man dem Steckenpferde gibt, schmerzlicher empfunden als ein Schlag, den der Reiter selbst empfängt.

24.

Mit muntern, aufgeweckten Leuten, die von echtem Humor beseelt werden, ist leicht und angenehm umzugehn. Ich sage, sie müssen von echtem Humor beseelt werden; die Fröhlichkeit muß aus dem Herzen kommen, muß nicht erzwungen, muß nicht eitle Spaßmacherei, nicht Haschen nach Witz sein. Wer noch aus ganzem Herzen lachen, sich den Aufwallungen einer lebhaften Freude überlassen kann, der ist kein ganz böser Mensch. Tücke und Bosheit machen zerstreut, ernsthaft, nachdenkend, verschlossen, mais un homme, qui rit, ne sera jamais dangereux. Daraus folgt indessen nicht, daß jeder, der nicht von fröhlicher Gemütsart ist, deswegen etwas Böses im Schilde führen sollte. Die Stimmung des Gemüts hängt vom Temperamente sowie von Gesundheit und von innern und äußern Verhältnissen ab. Echte muntre Laune aber pflegt ansteckend zu sein, und diese Epidemie hat etwas so Wohltätiges; es ist ein so wahres Seelenglück, einmal alle Sorgen und Plagen dieser Welt weglachen zu dürfen, daß ich irgend anrate, sich zur Munterkeit anzufeuern, und wenigstens ein paar Stunden in der Woche auf diese Weise der gesitteten Fröhlichkeit zu widmen.

Allein es ist schwer, in lustiger Stimmung, und wenn man dem Witze den Zügel schießen läßt, nicht in einen satirischen Ton zu fallen. Was gibt uns reichern Stoff zum Lachen als das unzählige Heer von Torheiten der Menschen? Und diese Torheiten treten am lebhaftesten vor unsre Augen, wenn wir uns die Originale dazudenken, in welchen sie wohnen. Lachen wir nun über die Narrheit, so ist es fast unvermeidlich, auch über den Narren mitzulachen, und da kann dann dies Lachen sehr ernsthafte, verdrießliche Folgen haben. Wenn ferner unsre Spöttereien Beifall finden, so werden wir verleitet, unsern Witz immer feiner zuzuspitzen, und andre, denen es außerdem vielleicht an Stoff zu muntrer Unterhaltung fehlen würde, schärfen durch unser Beispiel verführt ihre Aufmerksamkeit auf die Mängel ihrer Nebenmenschen, und was daraus entstehn könne, das ist teils bekannt genug, teils habe ich darüber schon etwas im ersten Kapitel gesagt. Ich halte es daher für Pflicht, im Umgange mit sehr satirischen Leuten auf seiner Hut zu sein. Nicht, daß man sich persönlich vor ihrer spitzen Zunge oder Feder fürchten müßte, denn das zeigt wirklich den höchsten Grad von innerm Bewußtsein eigner Erbärmlichkeit an; sondern daß man nicht durch sie verführt werde, mit zu lästern, daß man sich und andern dadurch nicht schade, und daß der Geist der Duldung nicht von uns weiche. Man zeige daher satirischen Leuten keinen zu lauten Beifall, bestärke sie nicht in der Gewohnheit, ihren Witz auf andrer Menschen Unkosten spielen zu lassen, und lache nicht mit, wenn sie lästern und schmähen!

25.

Trunkenbolde, grobe Wollüstlinge und alle andern Arten von lasterhaften Leuten soll man freilich fliehn und ihren Umgang, wenn man kann, vermeiden; ist dies aber durchaus unmöglich, so bedarf es wohl keiner Erinnerung, daß man sich hüten müsse, von ihnen zur Untugend verführt zu werden. Allein das ist nicht genug; es ist auch Pflicht, ihren Ausschweifungen, möchten sie solche auch in das gefälligste Gewand hüllen, nicht durch die Finger zu sehn, sondern vielmehr, wo es mit Klugheit geschehn kann, einen unüberwindlichen Abscheu dagegen zu zeigen, sich auch wohl zu enthalten, an unzüchtigen schmutzigen Gesprächen beifälligen Anteil zu nehmen. Man sieht in der großen Welt die sogenannten agréables débauchés mehrenteils die glänzendste Rolle spielen, und in manchen, besonders männlichen Zirkeln, die Unterhaltung auf Zoten und Zweideutigkeiten hinausgehn, wodurch die Phantasie junger Leute erhitzt, mit schlüpfrigen Bildern erfüllt und die Korruption weiter ausgebreitet wird. Zu diesem allgemeinen Verderbnisse der Sitten, zu Unterdrückung, vielleicht gar zu Verachtung der Keuschheit, Nüchternheit, Mäßigkeit und Schamhaftigkeit darf kein redlicher Mann auch nur das mindeste beitragen. Er muß vielmehr, soviel an ihm ist ohne Ansehn der Person sein Mißfallen daran bestimmt zu erkennen geben und, wenn er Menschen, die auf dem Wege des Lasters wandeln, durch freundschaftliche Warnung und Hinlenkung ihrer Tätigkeit auf würdigere Gegenstände, nicht bessern kann, ihnen wenigstens zeigen, daß er den Sinn für Reinigkeit und Tugend nicht verloren habe, und daß in seiner Gegenwart die Unschuld respektiert werden müsse.

26.

Einen ganz eignen Abschnitt verdienen die Enthusiasten, überspannten, romanhaften Menschen, Kraftgenies und exzentrischen Leute. Sie leben und weben in einer Atmosphäre von Phantasien wie ein Fisch im nassen Elemente, und sind geschworne Feinde der kalten Überlegung. Modelektüre, Romane, Schauspiele, geheime Verbindungen, Mangel an gründlichen wissenschaftlichen Kenntnissen und Müßiggang stimmen einen großen Teil unsrer heutigen Jugend auf diesen Ton, man trifft aber auch Schwärmer mit grauen Köpfen an. Sie streben ohne Unterlaß nach dem Außerordentlichen und Übernatürlichen; verachten das naheliegende Gute, um nach fernen Erscheinungen zu greifen; versäumen das Nötige und Nützliche, um Pläne für das Entbehrliche zu machen; legen die Hände in den Schoß, wo es Pflicht wäre zu wirken, um sich in Händel zu mischen, die sie nichts angehen; reformieren die Welt und vernachlässigen ihre häuslichen Geschäfte; finden das Wichtigste zu klein und das Abgeschmackteste erhaben; verstehen das Deutlichste nicht und predigen das Unbegreifliche. Vergebens stellst Du ihnen die Gründe der gesunden Vernunft vor; sie werden Dich als einen gemeinen Menschen, ohne Gefühl, ohne Sinn für das Große, verachten, Mitleiden mit Deiner Weisheit haben und sich lieber an ein paar andre Narren von ähnlichem Schwunge schließen, die in ihren Unsinn einstimmen. Ist Dir's also darum zu tun, einen solchen Schwärmer von etwas zu überzeugen oder auch nur irgend in Ansehn bei ihm zu stehn, so müssen Deine Gespräche warm und feurig sein, und Du mußt mit ebensoviel Enthusiasmus der gesunden Vernunft das Wort reden, als womit er die Sache seiner Torheit verficht. Selten aber richtet man überhaupt etwas mit solchen Menschen aus, und es ist am besten getan, der Zeit ihre Kur zu überlassen. Indessen steckt zum Unglücke Schwärmerei an wie der Schnupfen. Wer daher eine sehr lebhafte Einbildungskraft hat, und nicht ganz sicher von der Herrschaft seines Verstandes über dieselbe ist, dem rate ich, im Umgange mit Enthusiasten jeder Gattung auf seiner Hut zu sein. In diesem Jahrhunderte, in welchem die Wut nach geheimen Verbindungen, die fast alle auf solchen Grillen beruhen, so allgemein geworden ist, hat man sogar Mittel gefunden, alle Arten von religiöser, theosophischer, chymischer und politischer, oder wer weiß von was für Schwärmerei in Systeme zu bringen. Ich mag nicht entscheiden, welche von diesen Gattungen die gefährlichste ist, halte aber doch dafür, diejenigen, welche auf politische, halb phantastische, halb jesuitische Pläne und auf Weltreformation hinausgehen, gehören wohl wenigstens nicht zu den unschädlichsten Donquixoterien; ich glaube dies um so fester, da grade diese Art von Schwärmersystemen am mehrsten Verwirrung im Staate anrichten kann und die blendendste Außenseite zu haben pflegt, statt daß die übrigen bald Langeweile machen und nur schiefe und mittelmäßige Köpfe dauerhaft beschäftigen. Man gewöhne sich daher im Umgange mit den Aposteln solcher Systeme die großen Wörter: Glück der Welt, Freiheit, Gleichheit, Rechte der Menschheit, Kultur, allgemeine Aufklärung, Bildung, Weltbürgergeist und dergleichen für nichts anders als für Lockspeisen oder höchstens für gutgemeinte leere Worte zu nehmen, mit denen diese Leute spielen wie die Schulknaben mit den oratorischen Figuren und Tropen, welche sie in ihren magern Exerzitien anbringen müssen.

Kraftgenies und exzentrische Leute lasse man laufen, solange sie sich noch nicht gänzlich zum Einsperren qualifizieren. Die Erde ist so groß, daß eine Menge Narren nebeneinander Platz darauf haben.

27.

Reden wir jetzt ein Wort von Andächtlern, Frömmlern, Heuchlern und abergläubischen Leuten!

Wem es mit seinen Empfindungen für die Religion, mit seiner Wärme für Gottesliebe, Gottesfurcht und Gottesverehrung und mit seiner Anhänglichkeit an die gottesdienstlichen Gebräuche der Kirche, zu welcher er sich in seinem Herzen bekennt, ein aufrichtiger Ernst ist, der hat die gegründetsten Ansprüche auf unsre Achtung. Sollte er auch das Wesen der Religion, mehr als wir für gut halten, in bloßem Gefühle, ohne allen Gebrauch seiner ihm von Gott verliehenen Leiterin, der Vernunft, setzen; sollte auch, unsrer Meinung nach, eine erhitzte Phantasie sich in seine religiösen Empfindungen mischen; sollte er auch zu anhänglich an gewisse Zeremonien, Gebräuche und Systeme sein, so verdient er, wenn er übrigens ein redlicher Mann, ein praktischer Christ ist, Duldung, Schonung und Bruderliebe. Allein um desto verachtungswürdiger ist ein Schuft, ein gleisnerischer Bösewicht, der hinter der Larve der Heiligkeit, Sanftmut und Religiosität den wollüstigen Verführer, den tückischen Verleumder, Aufrührer, Anhetzer, rachgierigen Bösewicht oder den fanatischen Verfolger versteckt. Beide Arten von Leuten sind aber nicht schwer zu unterscheiden. Der fromme Edle ist grade, offen, still und heiter, nicht übertrieben höflich, nicht übertrieben zuvorkommend, noch übertrieben demütig, aber liebevoll, einfach und zutraulich in seinem Betragen. Er ist nachsichtig, milde und duldend, redet auch nicht viel außer mit vertrauten Freunden über religiöse Gegenstände; der Heuchler hingegen pflegt süß, kriechend, schmeichelnd, immer auf seiner Hut, ein Sklave der Großen, ein Anhänger der herrschenden Partei, ein Freund der Glücklichen, nie ein Verteidiger der Verlaßnen zu sein. Er führt Rechtschaffenheit und Religion ohne Unterlaß im Munde, gibt seine reichen Almosen und erfüllt seine christlichen Liebespflichten mit Geräusch und Aufsehn, tobt und schäumt über den Gottlosen und Lasterhaften oder entschuldigt fremde Fehler auf solche Weise, daß sie dadurch tausendfältig vergrößert erscheinen. Hüte Dich, diesem auf irgendeine Weise in die Hände zu fallen! Fliehe ihn! Tritt ihm nicht auf den Fuß! Beleidige ihn nicht, wenn Dir Deine Ruhe lieb ist!

Abergläubische Leute, die an Ammenmärchen, Gespensterhistörchen und dergleichen hängen, sind nicht durch Gründe der Philosophie und durch vernünftige Zweifelserweckung von ihrem Wahne zu befrein, am wenigsten aber durch Deklamationen, Persiflage und Ereiferung. Es ist da kein anders Mittel, als ihnen nicht eher zu widersprechen, bis man zugleich eine einzelne Tatsache strenge und kaltblütig untersuchen, und sie mit eigenen Augen von dem Betruge oder Ungrunde überzeugen kann, obgleich es wahrlich unbillig ist, daß man dem, welcher eine übernatürliche Erscheinung behauptet, den Beweis erläßt, und ihn demjenigen auflegt, der die Rechte der Vernunft verteidigt.

28.

Nicht toleranter als die Frömmler pflegen ihre Gegenfüßler, die Deisten, Freigeister und Religionsspötter von gemeiner Art zu sein. Ein Mann, der unglücklich genug ist, sich von der Wahrheit, Heiligkeit und Notwendigkeit der christlichen Religion nicht überzeugen zu können, verdient Mitleiden, weil er ein sehr wesentliches Glück, einen kräftigen Trost im Leben und Sterben entbehrt; er verdient mehr als Mitleiden, er verdient Liebe und Achtung, wenn er dabei seine Pflichten als Mensch und Bürger, soviel an ihm ist, treulich erfüllt und niemand in seinem Glauben irremacht; wenn aber jemand, der aus bösem Willen, aus Verkehrtheit des Kopfes oder des Herzens ein Religionsverächter geworden oder gar zu sein nur affektiert, allerorten Proselyten zu werben sucht, öffentlich mit schalem Witze oder nachgebeteten voltairischen Floskeln der Lehren spottet, auf welche andre Menschen ihre einzige Hoffnung, ihre zeitliche und ewige Glückseligkeit bauen; wenn er jeden verfolgt, verachtet, schimpft, jeden einen Heuchler oder heimlichen Jesuiten schilt, der nicht wie er denkt, so ist ein solcher bösartiger Ton unsrer Verachtung wert, ist wert, daß man ihm diese Verachtung zeige, wäre er auch ein noch so vornehmer Mann; und wenn man es für vergebliche Mühe hält, seinem Gewäsche ernsthafte Gründe entgegenzusetzen, so stopfe man ihm wenigstens, wenn es irgend möglich ist, sein Lästermaul!

29.

Über die Art, wie man schwermütige, tolle und rasende Menschen behandeln müsse, sollte billig ein philosophischer Arzt ein eigenes Werk schreiben. Dieser Mann müßte Leute von der Art in und außer den Hospitälern aufsuchen, dieselben genau und in verschiedenen Jahreszeiten und Mondveränderungen beobachten und aus den Resultaten dieser Untersuchungen ein ganzes System ausarbeiten. Mir fehlt es an der Menge von Tatsachen, sowie an medizinischen Kenntnissen dazu, und hier würde eine weitläuftige Abhandlung über diesen Gegenstand auch zu viel Raum wegnehmen, da ich schon so manches Blatt mit Bemerkungen über den Umgang mit nicht eingesperrten Narren anzufüllen habe. Also nur noch wenig Zeilen darüber.

Der wichtigste Punkt scheint bei solchen Kranken anfangs der zu sein, daß man die erste Quelle ihres Übels aufsuche, daß man bewahrheite, ob und wie dieselbe, durch Zerrüttung einzelner körperlicher Werkzeuge oder durch Gemütslagen, heftige Leidenschaften oder Unglücksfälle entstanden sind. Zu diesem Endzwecke muß man acht darauf geben, womit sich ihre Phantasie in den Augenblicken der Raserei oder Verwirrung und außer denselben beschäftigt, worauf ihre Einbildungskraft brütet. Da würde sich's dann zeigen, daß man, um diese Unglücklichen nach und nach zu heilen, mehrenteils nur auf einen einzigen Punkt zu wirken, in ihnen auf vorsichtige Weise nur eine einzige herrschende Grille zu zerstören oder zu modifizieren brauchte. Ferner würde es wichtig sein, darauf achtzugeben, welche Art von Wetterveränderung, Jahreszeit und Mondwandelung Einfluß auf ihre Krankheit hätte, um die glücklichen Augenblicke zur Behandlung zu nützen. Endlich habe ich bemerkt, daß das Einsperren und jede harte Verfahrungsart fast immer das Übel ärger macht. Ich muß bei dieser Gelegenheit mit wahrem, aufrichtigem Lobe der Einrichtung Erwähnung tun, welche im Tollhause in Frankfurt am Main herrscht, und welche ich vielfältig zu beobachten Gelegenheit gefunden habe. Man läßt dort die Wahnsinnigen, wenn es nur irgend ohne Gefahr geschehn kann, wenigstens in den Jahreszeiten, von welchen man weiß, daß alsdann ihre Tollheit weniger heftig ist, unter unmerklicher Beobachtung frei im Hause und Garten herumgehn, und der Zuchtmeister verfährt so sanft und liebreich mit ihnen, daß viele derselben nach einigen Jahren völlig geheilt wieder herauskommen, und eine größere Anzahl wenigstens nur melancholisch bleibt, allerlei Handarbeit zu verrichten imstande ist, indes diese Menschen in manchen andern Hospitälern durch Einsperren und Härte vielleicht im höchsten Grade wütend geworden sein würden.

Man kann aber auch schwache Menschen stufenweise um ihren Verstand bringen, wenn man eine heftige Leidenschaft, von welcher sie regiert werden, sei es Liebe, Hochmut oder Eitelkeit, nährt, reizt und dann wieder kränkt. Zwei solcher elenden Geschöpfe erinnere ich mich gesehn zu haben. Der eine trug ein Hofnarrenkleid an dem Hofe des Fürsten von***. Er war in der Jugend ein Mensch von feinem Kopfe, guten Anlagen und voll Witz gewesen; noch loderten davon in ruhigen Augenblicken Flammen hervor. Er hatte studieren sollen, aber nichts gelernt, sondern sich einem liederlichen Leben überlassen. Als er darauf in sein Vaterstädtchen zurückkam, behandelte man ihn als einen unwissenden Müßiggänger, und er selbst fühlte, daß er weiter nichts war. Er hatte aber einen ungeheuren Hochmut und war nicht gänzlich arm. Von seiner Familie und den Leuten seines Standes verstoßen, fing er nun an, mit den Hofoffizianten des Fürsten von*** sich herumzutreiben. Seine lustigen Einfälle zogen sogar die Aufmerksamkeit dieses fast sehr muntern Herrn auf ihn. Er wurde bald vertraut mit demselben und mit dem ganzen Hofe, wodurch anfangs seine Eitelkeit gekitzelt wurde; doch endigte sich das natürlicherweise damit, daß man ihn mißbrauchte und als einen privilegierten Spaßmacher betrachtete. Dies war indessen immer noch eine Art von Existenz, die ihm behagte, Solange das Ding in gewissen Schranken blieb und es ihm erlaubt war, auf vertraulichem Fuße mit vornehmen Leuten umzugehn und ihnen zuweilen derbe Wahrheiten zu sagen. Weil diese aber sich nicht umsonst so weit herablassen wollten, auch nicht zu aller Zeit gleich gut aufgelegt waren, seinen Witz, der zuweilen in das Grobe fiel, anzunehmen, so erfuhr er Demütigungen aller Art, bekam zuweilen Schläge und konnte doch nun nicht mehr zurück, indem ihm seine Verwandten und Bekannten in der Stadt mit äußerster Verachtung begegneten und sein kleines Vermögen geschmolzen war und so sank er denn immer tiefer. Er wurde gänzlich abhängig vom Hofe; der Fürst ließ ihm eine buntscheckige Kleidung machen, und es war kein Küchenjunge im Schlosse, der nicht das Recht zu haben glaubte, einen Spaß von ihm zu begehren oder ihm für einen Schoppen Wein einen Nasenstüber zu geben. Aus Verzweiflung berauschte er sich nun täglich, und war er ja einmal nüchtern, so nagten die Vorstellung seiner fürchterlichen Lage, das Gefühl der unedlen Rolle, welche er spielte, die Anstrengung, neue Späße zu erfinden, um nicht auf immer verstoßen zu werden, und sein aufwachender Hochmut an seiner Seele, indes er seinen Körper durch Ausschweifungen zerrüttete. Er wurde wirklich ein Narr und einmal so rasend, daß man ihn ein halbes Jahr hindurch an der Kette verwahren mußte. Als ich ihn sah, war er ein alter Mann, trieb sich in einem armseligen Zustande umher, wurde als ein verrückter Mensch angesehn, war aber mehr ein Gegenstand des Widerwillens als des Mitleidens, und hatte doch noch helle Augenblicke, in welchen er ungewöhnlichen Scharfsinn, Witz und Genie verriet, auch, wenn er einen halben Gulden erbetteln wollte, auf eine feine Weise zu schmeicheln und mit so schlauer Menschenkenntnis die schwachen Seiten der Leute zu fassen verstand, daß ich nicht wußte, ob ich nicht mehr über die Leute, die ihn so tief hinabgestoßen hatten als über seine Verirrungen seufzen sollte.

Der andre Mensch, von welchem ich reden wollte, war einstens Verwalter auf einem adeligen Gute gewesen, nachher aber in Pension gesetzt worden. Da nun solchergestalt die Herrschaft nichts mit ihm anzufangen wußte, so trieb sie ihren Spaß mit ihm, indem er sehr dumm und zugleich hochmütig und verliebt war. Sie nannten ihn Fürst, gaben ihm einen Orden, ließen erdichtete Briefe von hohen Potentaten an ihn schreiben, in welchem ihm entdeckt wurde, daß er eigentlich aus einem großen Hause abstammte, aber in seiner Jugend entführt worden sei; daß der Großsultan, welcher unrechtmäßigerweise seine Länder besäße, ihm nach dem Leben trachtete; daß eine griechische oder hebräische Prinzessin in ihn verliebt sei, und dergleichen mehr. Es mußten lustige Freunde, als Gesandte verkleidet, in Unterhandlungen mit ihm treten und kurz, nach wenig Jahren brachte man es dahin, daß der arme Tropf wirklich verrückt wurde und diese Torheiten glaubte.

Ich enthalte mich aller Anmerkungen über diese beiden Geschichten; der Leser wird sie ohne meine Anweisung machen können.


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