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Man würde ungerecht handeln, wenn man behaupten wollte, alle Fürsten, alle sehr vornehmen und alle sehr reichen Leute hätten dieselben Fehler miteinander gemein, durch welche viele von ihnen ungesellig, kalt, unfähig zum echten Freundschaftsbande und schwer zu behandeln im Umgange werden; allein man versündigt sich wahrlich nicht, wenn man sagt, daß dies bei den mehrsten von ihnen der Fall ist. Sie werden in der Erziehung verwahrlost, von Jugend auf durch Schmeichelei verderbt, durch andre und sich selbst verzärtelt. Da ihre Lage sie über Mangel und Bedürfnis mancher Art hinaussetzt; da sie selten in Verlegenheit und Not geraten, so lernen sie nicht, wie nötig ein Mensch dem andern, wie schwer allein zu tragen manches Ungemach in der Welt, wie süß, teilnehmende, mitleidende Seelen zu finden, und wie wichtig es ist, andrer zu schonen, damit man einst zu ihnen seine Zuflucht nehmen könne. Sie lernen sich selbst nicht kennen, weil man sie aus Furcht oder Hoffnung die widrigen Eindrücke, welche ihre Fehler und Gebrechen wirken, nicht empfinden läßt. Sie sehen sich als Wesen besserer Art an, von der Natur begünstigt, zu herrschen und zu regieren, die niedern Klassen hingegen bestimmt, ihrem Egoismus, ihrer Eitelkeit zu huldigen, ihre Launen zu ertragen und ihre Phantasien zu schmeicheln. Auf die Voraussetzung, daß die mehrsten Großen und Reichen größtenteils diesem Bilde gleichen, muß man sein Betragen im Umgange mit ihnen gründen. Um desto wohltätiger zwar ist die Empfindung, wenn man unter ihnen einen antrifft, der mit einem gewissen edeln Stolze, mit mehr Feinheit, Großmut und besserer Kultur Vorteile, welche freilich eine zweckmäßige, vornehme Erziehung gewähren kann alle Privattugenden verbindet. Und noch einmal, es gibt deren selbst unter Fürsten aber sie sind dünne gesäet, und nicht immer macht der allgemeine Ruf sie uns bekannt. Auf diesen und auf die Posaunen der Zeitungsschreiber und Journalisten rate ich, nicht zu sehr zu bauen. Ich habe oft mit inniger Betrübnis gesehn, wie so ganz anders der allgemein bewunderte, als Wohltäter des Menschengeschlechts und Beförderer alles Edeln, Großen und Schönen gepriesene Erdengott und Liebling des Volks in der Nähe so klein, so erbärmlich war. Die besten Fürsten sind nicht selten die, von denen am wenigsten geredet wird, sowohl im Guten als im Bösen.
Der Umgang mit Großen und Reichen muß aber sehr verschieden sein, je nachdem man ihrer bedarf oder nicht, von ihnen abhängig oder frei ist. Im erstern Falle darf man wohl nicht immer so gänzlich seinem Herzen folgen, muß zu manchem schweigen, sich manches gefallen lassen, darf nicht so kühn die Wahrheit sagen, obgleich ein fester, redlicher Mann diese Geschmeidigkeit dennoch nie bis zu niedriger Schmeichelei treiben wird. Indessen verändern kleine Umstände, sowie die feinen Nuancen der Charaktere das Verhältnis, weswegen ich denn in dem Folgenden alle Regeln für den Umgang mit den Großen zusammenfassen und den Lesern überlassen werde, zu ordnen und auszuwählen, was in jeder Lage anwendbar ist.
Ein allgemeiner Satz für alle Fälle ist der: Dränge Dich den Vornehmen und Reichen nicht auf, wenn Du nicht von ihnen verachtet werden willst! Überlaufe sie nicht mit Bitten für Dich und andre, wenn sie Deiner nicht überdrüssig werden, wenn sie Dich nicht fliehn sollen. Laß Dich vielmehr von ihnen aufsuchen. Mache Dich rar; doch dies alles, ohne daß Deine Absicht merklich, ohne daß es gezwungen scheine.
Suche nicht, Dir das Ansehn zu geben, als gehörest Du zu der Klasse der Vornehmen oder lebtest wenigstens mit ihnen in engster Vertraulichkeit. Rühme Dich nicht ihrer Freundschaft, ihres Briefwechsels, ihres Zutrauens, noch Deines Übergewichts über sie. Wenn eine solche Verbindung ein Glück ist ich meine, man kennt hierüber meine Grundsätze so erfreue man sich in der Stille dieses unbequemen Glücks. Es gibt Menschen, die durchaus dafür angesehn sein wollen, eine größere Figur in der Welt zu spielen, in höherem Ansehn zu stehn, als wirklich der Fall ist. Sie führen auf Unkosten ihres Geldbeutels den Luxus der Vornehmen und Reichen in ihren Häusern oder drängen sich in deren Zirkel ein, wo sie eine elende Figur spielen, nur hinterherlaufen müssen und keinen frohen Genuß haben, indes sie lehrreichern und süßern Umgang gänzlich vernachlässigen und gute Freunde und weise Menschen von sich entfernen. Die geizigsten Leute sparen zuweilen keine Kosten, wenn sie Gelegenheit finden können, Zutritt in großen Häusern zu erlangen, und hungern gern Monate hindurch, um einmal einen Fürsten bei sich zu bewirten, der dieses Opfer gar nicht gewahr wird, nicht dankbar dafür ist, vielleicht Langeweile bei ihnen hat, alles sehr bürgerlich findet und nach vierzehn Tagen wohl gar den Namen des törichten Wirts vergessen hat. Andre lassen es sich wenigstens angelegen sein, die nichtsbedeutenden und verderbten Sitten der Großen pünktlich nachzuahmen, ihre hochmütige Herablassung, ihren geschäftigen Müßiggang, ihre Zerstreuung, ihr Wichtigtun, ihre leeren Vertröstungen, ihre seelenlosen Gespräche, ihre Zweizüngigkeit, Windbeutelei, Gefühllosigkeit, Nachahmung der Ausländer, die Verachtung ihrer Muttersprache, ihre fehlerhafte Schreibart, ja sogar ihre lächerlichen Gebärden, Gewohnheiten und Gebrechen, ihr Stammeln, Lispeln, Achselzucken, ihre Grobheit gegen Niedere, Kränklichkeit, ihr Podagra, ihre schlechte Hauswirtschaft, ihre dummen Launen und mehr dergleichen herrliche Vorzüge zu kopieren und sich eigen zu machen. Ihnen ist der beste Beweis für die Güte einer Sache der, daß sie sagen: Jedermann von Stande handle so und nicht anders, als wenn das eine Narrheit heiligen könnte! Handle selbständig! Verleugne nicht Deine Grundsätze, Deinen Stand, Deine Geburt, Deine Erziehung; so werden Hohe und Niedre Dir ihre Achtung nicht versagen können.
Man traue nicht zu sehr den freundlichen Gesichtern der mehrsten Großen, glaube sich nicht auf dem Gipfel der Glückseligkeit, wenn der gnädige Herr uns anlächelt, die Hand schüttelt oder uns umarmt. Vielleicht bedarf er unsrer in diesem Augenblicke und behandelt uns mit Verachtung, wenigstens mit Kälte, sobald dieser Augenblick vorüber ist. Vielleicht fühlt er gar nichts bei seiner Freundlichkeit, wechselt Mienen, wie andre Kleider wechseln, ist grade in der Verdauungsstunde zu untätigem Wohlwollen gestimmt oder will einen andern seiner Sklaven dadurch demütigen. Man bleibe mit dieser Gattung Menschen immer in seinen Schranken, mache sich nicht gemein mit ihnen und vernachlässige nie die äußere unterscheidende Höflichkeit und Ehrerbietung, die man ihrem Stande schuldig ist, sollten sie sich auch noch so sehr herablassen. Früh oder spät fällt es ihnen doch ein, ihr Haupt wieder emporzuheben, oder sie verabsäumen uns, wenn ein andrer Schmeichler sie an sich zieht, und dann setzt man sich unangenehmen Demütigungen aus, die man mit weiser Vorsicht vermeiden kann.
Überschreite nicht bei Deiner Gefälligkeit gegen die Großen der Erde, in deren Händen Dein bürgerliches Glück ist, die Grenzen der wahren Ehre. Es ist eine große Versuchung für einen armen oder ehrbegierigen jungen Menschen, der in dem Dienst eines schwachen Fürsten sich emporschwingen will, ob er nicht dessen ränkevollem Minister, dem regierenden Kammerdiener oder einer tyrannischen Buhlerin huldigen soll; aber selten nimmt das ein gutes Ende. Solche Lieblinge stürzen sich früh oder spät selber und reißen dann ihre Kreaturen mit in ihr Verderben; und wäre auch das nicht, so werden doch die größten Vorteile, die man dadurch erlangen könnte, zu teuer erkauft, wenn man dafür die Achtung weiser und rechtschaffener Männer aufopfern muß; und das ist gewiß immer der Fall. Der grade Weg hingegen führt unfehlbar, wo nicht zu einem glänzenden, doch zu einem dauerhaften Glücke.
Auch lasse man sich von den Erdengöttern nicht nur zu keinen unedeln Geschäften mißbrauchen, sondern sei auch vorsichtig in allen Diensten, welche man ihnen erweist. Sie machen leicht aus jeder Gefälligkeit eine Pflicht und halten es nachher für Verabsäumung unsrer Schuldigkeit, wenn wir zu einer andern Zeit uns nicht grade aufgelegt zeigen, uns eben also preiszugeben. Wenigstens vergessen sie leicht, was man für sie getan hat. Es bat mich einmal der *** von ***, der sonst in der Tat viel gute Eigenschaften hatte, ihm ein paar Aufsätze in französischer und deutscher Sprache zu verfassen, die er bei einer gewissen Gelegenheit öffentlich vorlesen wollte, um die Gemüter zu lenken. »Es fehlt mir an Zeit, mein Lieber!« sagte er, »sonst würde ich Sie nicht bemühn; doch, Sie sind auch in dergleichen Arbeiten geübter als ich.« Ich wendete einige Stunden Fleiß und Anstrengung daran, und als ich ihm das Ganze brachte, drückte er mich an seine Brust, dankte mir unter vier Augen in den zärtlichsten, herablassendsten Ausdrücken dafür und schwur sehr übertrieben: meine Arbeit sei ein Meisterstück von Beredsamkeit. Kurz, er gebärdete sich, als wenn ich ihm den wichtigsten Dienst geleistet hätte, bat mich aber, die Sache zu verschweigen, welches ich auch tat. Nach ein paar Jahren kam ich des Morgens in *** zu ihm. Er erzählte mir allerlei zu seinem eigenen Lobe ich hörte demütig zu. »Und das alles«, fuhr er fort, »habe ich durch ein paar Memoires bewirkt, die mir, ohne mich zu rühmen, nicht übel geraten sind. Sie sollen sie selbst lesen. Nehmen Sie sie mit sich nach Hause!« Er überreichte mir darauf meine eigne Geistesware, nur von seiner Hand geschrieben, und ich steckte sie ein, legte aber zu Hause meine Konzepte dazu und schickte ihm dann die Papiere zurück. Er wurde ein wenig beschämt, und wir scherzten nachher darüber. Allein so sind auch die Besten unter ihnen.
Vor allen Dingen hüte man sich, von ihnen in gefährliche Händel gezogen zu werden. Sehr gern pflegen sie das zu tun und schieben dann entweder die Schuld auf uns, wenn die Unternehmung nicht gelingt, oder lassen uns gar darin stecken und alles Ungemach allein auf uns fallen, wenn die Sache schiefgeht. Auch von letzterer Art habe ich in den Jahren meiner unvorsichtigen Jugend Erfahrungen gemacht, wovon indessen die Erzählung hier um so weniger Platz finden kann, da ich mir fest vorgesetzt habe, keine Anekdote einzumischen, wobei eigentlich irgend jemandes Charakter in ein schlechtes Licht gesetzt würde. Kurz, man lasse sich ihre Geheimnisse nicht mitteilen. Sie schonen des Mannes, der um ihre Heimlichkeiten weiß, nur so lange, als sie seiner unumgänglich bedürfen; aber sich fürchten ihn und suchen sich von ihm loszumachen, sobald sie können, möchte man ihnen auch noch so deutlich zeigen, daß man unfähig ist, dies Übergewicht und ihr Zutrauen zu mißbrauchen.
Überhaupt darf man auf die Dankbarkeit der mehrsten Vornehmen und Reichen sowie auf ihre Versprechungen nicht bauen. Opfre ihnen also nichts auf! Sie fühlen den Wert davon nicht, glauben, alle andern Menschen seien ihnen einen solchen Tribut schuldig, für den Schutz, für die gnädigen Blicke, ja für eine ungestörte Existenz, oder man wolle dadurch kleine Vorteile erringen. Schenke ihnen also auch nichts. Das heißt einen Tropfen köstlichen Balsams in einen Eimer trüben Wassers fallen lassen. Ich besaß ein altes kostbares Gemälde; ein geschickter Maler schätzte den Wert desselben auf hundert Pistolen. Die Hälfte dieser Summe, die ich leicht dafür bekommen haben würde, wäre bei meinen damaligen häuslichen Umständen mir äußerst nützlich gewesen; mein gutmütiges Temperament aber, oder vielmehr meine Torheit verleitete mich, das Gemälde dem Durchlauchtigsten *** von *** zu schenken, welcher es auch annahm. Ich dachte dadurch nichts zu erschleichen, aber teils wollte ich diesem Fürsten hiermit meine Zuneigung bezeugen, teils hoffte ich, da ich im Begriffe stand, ihn um etwas zu bitten, das er mir, weil er mir's versprochen, längst schuldig war, er werde sich nun endlich seines Worts erinnern, sooft er das Gemälde erblickte; allein ich betrog mich. Er umarmte mich, als ich zu ihm kam, und zeigte mir den Ehrenplatz, welchen er meinem Geschenke angewiesen, doch sein Versprechen erfüllte er nicht, und als ich mich nach Jahresfrist eines Abends, zugleich mit einem Gesandten, dem er seine Schätze der Kunst zeigte, in seinem Kabinette befand, sagte er diesem Fremden in meiner Gegenwart, indem er von meinem teuren Gemälde redete: »Es ist wahrlich ein schönes Stück, und ich bin ziemlich wohlfeil daran gekommen.« Er hatte also vergessen, daß ich es war, der ihm diesen sehr wohlfeilen Preis gemacht hatte, und ich beseufzte die verschwundene Hoffnung und die verlorne Summe, von welcher ich mit den Meinigen eine Zeitlang hätte leben können.
Ebensowenig rate ich, den Großen Geld zu leihn oder von ihnen zu borgen. Im erstern Falle sehen sie nicht nur ihre Gläubiger als Wucherer und als solche an, die sich eine Ehre daraus machen müssen, den gnädigen Herrn mit ihrem Vermögen aufzuwarten, sondern auch, wenn sie saumselig in Wiederbezahlung der Schuld sind, wie man denn das sehr oft erlebt (da sie mehrenteils großem Aufwand machen, und unordentlicher in ihren häuslichen Geschäften zu sein pflegen, als sie sollten), so hat man unerhörte Weitläufigkeiten, hat zuweilen Mühe, Gerechtigkeit gegen sie zu erlangen, und macht sich wohl noch obendrein eine mächtige Partei zu Feinden. Im andern Falle aber, nämlich wenn man von ihnen borgt, wagt man, tausendfältig ihr Sklave zu werden.
Trage nichts dazu bei, sie und ihre Kinder noch mehr zu verderben, moralisch zu verschlimmern. Schmeichle sie nicht. Nähre nicht ihren Stolz, ihre Üppigkeit, ihre Eitelkeit, ihren Hang zu nichtigen und wollüstigen Freuden. Bestärke die Großen nicht in den Grundsätzen von angebornen Vorzügen, von Herrscherrechten, von Gesalbtheit und dergleichen Grillen. Heuchle nicht. Verleugne nicht Wahrheit, selbst die bittre Wahrheit nicht. Sei freimütig, aber ohne grob zu werden, und ohne Dich selbst zugrunde zu richten. Nimm Dich der verkannten Unschuld, des verleumdeten Edeln, des durch Hofränke verschwärzten Ehrenmannes an; doch mit Vorsicht, ohne seine Feinde dadurch noch mehr zu erbittern, und soviel Deine Lage es Dir erlaubt. Befördere, unterstütze, wo Klugheit es gestattet, die Wünsche, den guten Ruf und die billigen Gesuche derer, die zu schüchtern, zu arm, zu bescheiden oder zu sehr niedergedrückt, verkannt, von zu geringem Stande sind, um sich den Palästen zu nähern. Man sollte es kaum glauben, welchen Einfluß die Reden eines verständigen, allgemein geschätzten Mannes auf diese Menschen haben können, sowohl im Guten als Bösen, wie gern sie alles zum Vorteile ihres Dünkels auslegen, und wieviel man auf sie wirken kann, wenn auch die Folgen nicht sichtbar werden.
Man hüte sich, mit ihnen von Plänen und Projekten zu reden, von denen man nicht gewiß ist, daß sie, wenn sie auf dies bloße Wort also unternommen werden, ausführbar sind, teils aus Furcht, sie zu mißleiten (besonders wenn sie uns vielleicht nur halb verstanden haben und nun gleich für sich an das Werk gehen), teils damit nicht die Schuld auf uns falle, wenn der Erfolg nicht der Erwartung gemäß ist. Ich erinnere mich (um nur ein ganz kleines Beispiel zu geben), daß einst ein gewisser Prinz mit mir von einem platten Dache redete, das er auf sein Gartenhaus hatte legen, aber wieder abnehmen lassen, weil er es zu schwer befunden. Mir fiel grade ein, daß ich von einem französischen Ingenieuroffizier gehört hatte: Man könnte ein wohlfeiles, leichtes und dauerhaftes plattes italienisches Dach aus einer Menge Lagen von blauem Zuckerpapiere, zwischendurch und obenauf mit Schiffteer beschmiert und mit Kies (Flußsand) bestreuet, verfertigen. Dies erzählte ich dem Prinzen beiläufig, ohne jedoch für die Güte der Sache einzustehn. Lange nachher erfuhr ich, daß er den Versuch wer weiß wie? gemacht hätte, daß dieser mißlungen war und daß er nicht undeutlich zu verstehn gegeben hätte, ich sei ein Mann, auf dessen Projekte man sich nicht zu sicher einlassen dürfte.
Überhaupt kann man kaum vorsichtig genug in seinen Reden mit ihnen sein. Man enthalte sich daher in ihrer Gegenwart aller nachteiligen Urteile über andre Leute, aller Medisance. Sie pflegen dergleichen ganz gern zu hören, aber die Folgen sind oft sehr unglücklich. Zuerst setzt man dadurch sich und andre in ihren Augen herab, denn sie lachen zwar mit, hassen aber doch den Lästerer und Ausspäher fremder Fehler, bei dem heimlichen Bewußtsein ihrer eigenen vielfachen Gebrechen (so gern sie dies auch unterdrücken), und da sie schon alle übrigen Menschen verachten, so wächst diese Verachtung durch Aufdeckung fremder Schwachheiten. Sodann mißbrauchen sie wohl gelegentlich unsern Namen, kompromittieren uns, indem sie unsern Einfall nacherzählen, hetzen uns mit andern zusammen. Endlich weiß man zuweilen nicht, ob nicht das zeitliche Glück solcher Menschen, von denen man nachteilige Begriffe erweckt, in ihren Händen ist, und da erstaunt man, wenn man erfährt, wie oft ein einziges, ohne böse Absicht hingeworfenes Wort feste Wurzel faßt und nach langer Zeit noch die schädlichsten, unglücklichsten Folgen haben kann. Das Gute gleitet auf ihren unteilnehmenden Herzen ab, das Böse hingegen setzt sich fest sind wird so leicht nicht ausgelöscht. Ich könnte davon die sonderbarsten Beispiele anführen, wenn ich nicht fürchtete, dadurch die Geduld der Leser zu ermüden. Am allervorsichtigsten aber soll man in seinen Gesprächen über andre Personen von höherem Stande sein. Obgleich die Erdengötter sich untereinander selten lieben, sondern mehrenteils durch allerlei Leidenschaften getrennt sind, so hören sie doch nicht gern, daß man die privilegierten Lieblinge des Himmels in ihrer Gegenwart ohne Ehrerbietung nennt. Übrigens wollen die Vornehmen und Reichen angenehm unterhalten und in fröhliche Laune gesetzt sein. Tue dies auf unschuldige Weise, wenn Dir an ihrer Gunst gelegen ist. Aber erniedrige Dich nicht zu ihrem besoldeten Spaßmacher, der Schwänke liefern muß, so oft sie winken, und von dem sie kein vernünftiges Wort hören mögen.
In den Herzen der mehrsten Großen wohnt Mißtrauen. Es herrscht bei ihnen der Gedanke, alle übrigen Menschen hätten einen Bund gegen sie gemacht. Deswegen sehen sie es so ungern, wenn unter denen, welche ihnen unterworfen sind, enge Freundschaften entstehen. Wer sich um Fürsten und Vornehme nicht zu bekümmern braucht, der kann sich hierüber gänzlich hinaussetzen, Verbindungen nach seinem Herzen schließen, und überhaupt wird kein redlicher Mann aus niedriger Gefälligkeit gegen irgendeinen Beschützer und Gönner einen wahren Freund vernachlässigen, noch einen würdigen Mann, der ihm die Hand reicht, von sich stoßen. Wer aber an Höfen sein Glück machen will, der tut doch wohl, wenn er vorsichtig in der Wahl seines Umgangs, seiner Vertraueten und der Gesellschaften ist, welche er am häufigsten besucht. Es herrschen da immer Parteien und Kabalen, in welche ein wohlwollendes, teilnehmendes Herz gar zu leicht hineingezogen wird; und wenn nun eine dieser Parteien über die andre siegt, so muß oft der Unschuldigste, insofern er nur irgend Mitwissender bei dem, was vorgefallen, gewesen ist, die Zeche bezahlen helfen. Ich habe an einem Orte, wo ich mich wahrlich wider meine sündliche Natur äußerst vorsichtig aufgeführt hatte, unbeschreiblichen Verdruß bloß dadurch gelitten, daß man mutmaßte, ich habe eine gewisse Sache, die vorgegangen, gewußt oder wenigstens gemerkt, weil ich viel mit den Personen umging, welche darin verwickelt waren. Und doch konnte man leicht schließen, daß ich keine Rolle dabei gespielt, ja, daß ich diese Sache nicht eher erfahren haben konnte, als bis sie schon geschehn, folglich durch meinen Rat oder Angabe nicht mehr zu hindern gewesen. Man hätte mir also meine Verschwiegenheit in jedem Betrachte und auch deswegen zum Verdienste anrechnen sollen, weil ich meine Freunde nicht verraten hatte. Man hätte überlegen sollen, daß ich ein freier, dienst- und pflichtloser Mensch war, folglich keine Obliegenheit hatte, den Fiskal oder Angeber zu machen und mich in solche Händel zu mischen. Aber man ist denn nicht so billig, und ich rate angelegentlichst, an Höfen sich zu keiner Partei merklich zu schlagen, sondern seinen graden Gang fortzugehn und sich um nichts zu bekümmern, was uns nicht unmittelbar betrifft, höflich gegen jedermann, vertraulich aber nur unter vier Augen gegen die Allergeprüftesten zu sein.
Rede mit den Großen der Erde ohne Not nicht von Deinen häuslichen Umständen, von Dingen, die nur persönlich Dich und Deine Familie angehen. Klage ihnen nicht Dein Ungemach. Vertraue ihnen nicht den Kummer Deines Herzens. Sie fühlen ja doch kein warmes Interesse dabei, haben keinen Sinn für freundschaftliche Teilnahme; es macht ihnen Langeweile; Deine Geheimnisse sind ihnen nicht wichtig genug, um sie treu zu bewahren; immer meinen sie, man wolle bei ihnen betteln, und sie verachten den Mann, der nicht glücklich, nicht frei ist. Von Jugend auf glauben sie, jedermann mache Plan auf ihren Geldbeutel, auf ihre Wohltaten. Überhaupt sehen uns die Leute von dem Augenblicke, da wir etwas zu suchen, andrer zu bedürfen scheinen, mit ganz andern Augen an als vorher. Man läßt uns Gerechtigkeit widerfahren, ja man zeigt sich bezaubert von unsern angenehmen Talenten, von unsern Kenntnissen, von unsrer Herzensgüte, von den glänzenden Vorzügen unsers Geistes, solange wir mit allen diesen schönen Eigenschaften nichts als höfliche Behandlung und Gefälligkeit verdienen wollen, solange wir als Fremde, als unabhängige Menschen niemand im Wege stehen, niemand verdunkeln; aber viel genauer, strenger und unbilliger fängt man an, uns zu beobachten und zu richten, wenn wir unsre Vorzüge im Staate gelten machen und die erlaubten Vorteile damit erringen wollen, worin sich so gern die vornehmen Dummköpfe und deren Kreaturen teilen. Am besten wird man von den Vornehmen und Reichen behandelt, wenn sie erkennen, daß man ihrer gar nicht bedarf; wenn man ihnen dies auf feine Art zeigt, ohne sich dessen laut zu rühmen; wenn ihnen im Gegenteil unsre Hilfe, unsre Einsicht unentbehrlich ist; wenn wir dabei nie die Bescheidenheit und äußere Huldigung außer Augen setzen; wenn unser Scharfsinn, unsre größere Weisheit, unsre Festigkeit und Gradheit ihnen Ehrerbietung einflößen, ohne daß sie uns eigentlich fürchten; wenn wir uns bitten, uns aufsuchen lassen, nicht aber unsern Beistand aufdrängen. Einen solchen Mann schonen sie sorgfältig.
Hüte Dich aber, einen Großen, der Ansprüche auf Verstand, Witz, hohe Tugenden, Gelehrsamkeit, Kunstgefühl, oder worauf es immer sei, macht, hüte Dich, ihn deutlich oder gar in Gegenwart andrer merken zu lassen, daß Du Dir bewußt bist, Du übertreffest, Du übersehest, Du verdunkelst ihn. In der Stille darf er das wohl fühlen, aber er muß es nur allein zu fühlen glauben. Vor allen Dingen ist diese Vorsicht nötig gegen Vorgesetzte, die ungeschickter in ihrem Fache sind als Du. Gern mögen sie Dir Deine bessern Einsichten, gleichsam als prüften sie Dich, abfragen, sich zu eigen machen, Dir nach Gelegenheit Deine eigene Ware wieder verkaufen; doch wehe Dir, wenn Du das rügst, wenn Du nur einmal tust, als merktest Du das, oder gar wenn Du den unterrichtenden Ton gegen sie annimmst. Wie werden sie Dir das Leben sauer machen! Wieviel werden sie von Dir fordern, das sie selbst nie zu leisten imstande sein würden, damit sie Gelegenheit haben, Dich eines Fehlers zu zeihen.
Es gibt aber geringe, unschuldige Gefälligkeiten gegen die Großen der Erde, die man ihnen, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, erweisen, und unwichtige Forderungen von ihrer Seite, die man ohne niedrige Schmeichelei erfüllen kann. Diese verzogenen Schoßkinder des Glücks sind nämlich von Jugend auf daran gewöhnt worden, daß man sich in Kleinigkeiten nach ihren Phantasien fügt, ihren Geschmack zur Richtschnur annimmt, ihre Liebhabereien artig findet und alles vermeidet, was ihnen aus Vorurteil oder kindischem Eigensinne zuwider ist. Auch die Besten unter ihnen sind von solchen Grillen und Einbildungen nicht ganz frei, und wenn man nun auf einen sonst redlichen, edeln Fürsten dadurch zum Guten wirken kann, daß man sich hierzu bequemt, oder wenn unser und unsrer Familie zeitliches Glück in seinen Händen ist wer wird da nicht nachgebend sein und sich ein wenig nach einem solchen richten? So reden zum Beispiel manche Fürstenkinder sehr geschwind und undeutlich und sehen es nicht gern, wenn man noch einmal fragt, sondern wollen gleich verstanden sein. Freilich wäre es besser, wenn man ihnen diese Unart in der Kindheit abgewöhnt hätte; aber es ist nun einmal nicht geschehen; oder sie lieben Pferde, Hunde, bunte Soldätchen, Schauspiele, Pfeifenköpfe, Bilder, Geiger, Fiedler, komponieren auch wohl selbst, bauen, pflanzen, errichten Akademien, Museen und dergleichen. Wie unschuldig ist es nicht da, zuweilen mit einzustimmen, einige Kennerschaft zu zeigen? Nur muß man sie in ihren Lieblingsfächern nicht übersehn, nicht übertreffen wollen, welches leicht zu geschehn pflegt, da sie oft von den Dingen, womit sie sich am mehrsten beschäftigen, am wenigsten verstehen (wie sich denn über den vorsichtigen Umgang mit vornehmen Komponisten und unwissenden Mäzenaten ein weitläufiges Kapitel schreiben ließe). Auch was gewisse Kleidertrachten, Manieren, den Ton der Stimme, was Stil, Handschrift und mehr solche Dinge betrifft, darüber haben sie zuweilen gewisse eigene Meinungen, die man schonen muß, wenn man sich ihnen nicht unangenehm machen will. Übrigens versteht sich's, daß diese Gefälligkeit aufhören soll, sobald dieselbe schädlichen Einfluß auf den Charakter haben kann, wenn sie dadurch im Egoismus merklich bestärkt, von ernsthaften Beschäftigungen abgezogen, unbillig gegen andre, ungerecht gegen wirkliche Verdienste werden, oder wenn ihre Liebhabereien von solcher Art sind, daß dadurch ihr Herz verwildert, verhärtet, grausam wird.
Zu den mehrenteils schädlichen Liebhabereien großer, besonders regierender Herrn gehört auch die Lust, außer Lande zu reisen. Ungern möchte ich einen Fürsten darin bestärken. Sie rennen da gewöhnlich in fremden Himmelsgegenden herum, bevor sie ihr eigenes Land kennen, in welchem tausend Gegenstände mehr als die Karnevals von Venedig und die Pferderennen in England ihrer Aufmerksamkeit wert sind, kaufen für den sauren Erwerb ihrer Untertanen ausländische Possen, Krankheiten des Leibes und der Seele und bringen nicht selten große Forderungen, Hang zur Verschwendung, Wollust und Üppigkeit, böse Laune, Müßiggang, Avantüriers u.dgl. in ihre arme Residenz zurück.
Fürsten, Vornehme und Reiche pflegen zuweilen sich so weit zu Leuten von geringerm Stande herabzulassen, daß sie dieselben um Rat fragen oder sie um Beurteilung ihrer Spielwerke, ihrer Schriften, Anlagen, Pläne, Meinungen und dergleichen bitten. Ich empfehle da Behutsamkeit und daß man sich erinnere, wie übel das Ratgeben und Warnen dem armen Gil Blas von Santillana in dem Hause des Kardinals bekam, obgleich dieser ihn so dringend aufgefordert hatte, ihm zu erzählen, was die Leute von seinen Predigten redeten Der Kardinal fand die Kritik unberechtigt und Gil Blas verlor seine Vertrauten-Stellung. . So wie fast alle übrigen Menschen, so legen besonders die Großen der Erde uns mehrenteils nur darum solche Dinge zur Beurteilung vor, damit wir sie loben sollen, und fragen nicht eher um Rat, als bis sie schon entschlossen sind über das, was sie tun wollen.
Noch möchten alle diese Regeln der Vorsichtigkeit nicht so gefährlich zu übertreten sein im Umgange mit solchen Personen, die zwar nicht frei von den Fehlern einer vornehmen Erziehung, übrigens aber gut geartet, wohlwollend und verständig sind; allein doppelt wichtig wird ihre Befolgung, wenn man es mit vornehmen Pinseln, mit Menschen zu tun hat, die zugleich hochmütig, unwissend, dumm, von jedem wie ein Rohr hin und her zu leiten, mißtrauisch, kalt und rachsüchtig sind, und ich bedaure jede Christenseele, die von dergleichen kleinen und großen Tyrannen abhängen muß.
Wenn Du das glänzende Unglück hast, der Liebling eines schwachen Erdengötzen zu sein, so bereite Dich nicht nur selber dazu vor, daß diese Freude nicht lange dauern, daß ein Schmeichler Dich aus Deinem Posten verdrängen wird; sondern zeige auch sowohl Deinem Sultane, daß Du nicht gänzlich von seinen Blicken lebst, als auch dem Volke, wie wenig Du Dir auf diesen nichtigen Vorzug zugute tust, wie unwesentlich zu Deiner moralischen Existenz ein solcher unbedeutender, zufälliger Glanz ist. Wenn Du dann in tiefe Ungnade fällst, so fliehen doch wenigstens die Bessern nicht vor Dir wie vor einem vernichteten verweseten Menschen, und der undankbare Despot fühlt, daß es noch Leute gibt, die seiner entbehren können. Baue überhaupt nicht auf die Freundschaft, Festigkeit und Anhänglichkeit der Großen. Sie achten Dich, solange sie Deiner bedürfen, sind wankelmütig, glauben lieber das Böse als das Gute, und der letzte hat bei ihnen immer Recht.
Nütze aber die Zeit ihrer Gunst, um sie zur Gerechtigkeit, Treue, Wahrheit und Menschenliebe zu ermuntern. Stimme ihnen nicht bei, wenn sie je vergessen wollen, daß sie, was sie sind und was sie haben, nur durch Übereinkunft des Volks sind und haben; daß man ihnen diese Vorrechte wieder nehmen kann, wenn sie Mißbrauch davon machen; daß unsre Güter und unsre Existenz nicht ihr Eigentum, sondern daß alles, was sie besitzen, unser Eigentum ist, weil wir dafür alle ihre und der Ihrigen Bedürfnisse befriedigen und ihnen noch obendrein Rang und Ehre und Sicherheit geben und Geiger und Pfeifer bezahlen; endlich, daß in diesen Zeiten der Aufklärung bald kein Mensch mehr daran glauben wird, daß ein einziger, vielleicht der Schwächste der ganzen Nation, ein angeerbtes Recht haben könnte, hunderttausend weisern und bessern Menschen das Fell über die Ohren zu ziehn, daß sie aber ohne Trabanten und Wachen ruhig schlafen können, wenn das dankbare Volk, dessen treue Diener sie sind, sie liebt und für das Wohl der Edlen Segen vom Himmel erfleht. Es versteht sich, daß diese Wahrheiten einiger Einkleidung bedürfen, wenn sie den verwöhnten Ohren der Großen harmonisch klingen sollen.
Willst Du Dich in Gunst erhalten, so mache, daß nie der eitle Große merke, daß Du Dich Deiner Gewalt über ihn freuest, noch daß Du gern Deine Meinung gegen die seinigen durchsetzen wollest. Zeige ihm, daß wirklich Achtung und Liebe zu seiner Person und das Verlangen, nützlich zu sein, Deine Schritte leiten, nicht aber Eigennutz oder kindische Eitelkeit. Aber sei auch nicht so närrisch, billige Vorteile, Belohnungen Deiner Dienste zurückzuweisen, Dein Vermögen aufzuopfern und nachher vielleicht, wenn er Deiner müde ist, Dich mit einem weißen Stabe fortschicken zu lassen.
Über alle Geschäfte, die Dir von Fürsten aufgetragen werden, führe so genaue pünktliche Rechnung und Kontrolle, daß Du zu jeder Zeit die Rechtmäßigkeit Deiner Schritte gegen Verleumder und Ankläger beweisen könnest.
Ungebeten übernimm kein Geschäft, das nicht zu Deinem Amte gehört.
Vermeide es, ihnen durch trocknen, langweiligen Vortrag die Geschäfte noch unangenehmer zu machen, als sie ihnen schon gewöhnlich sind.
Bist Du des Fürsten Günstling, so fehlt Dir's nicht an Neidern und Ausspähern; sei daher dann doppelt vorsichtig in Deinem sittlichen Betragen.
Es gibt immer an Höfen Leute, denen daran gelegen ist, genau zu wissen, wie groß Dein Einfluß auf den Kopf und das Herz des Fürsten ist. Um diese nie in Deine Karte blicken zu lassen, und damit sie nicht wissen mögen, von welcher Seite etwa der Herr gegen Dich gewonnen werden könnte, so vermeide alle Gelegenheit, in andrer Gegenwart mit ihm von Geschäften oder sonst von Gegenständen, über welche Du vielleicht mit ihm nicht gleicher Meinung bist, zu reden.
Sei vorsichtig, höchst vorsichtig in bestimmter Anempfehlung andrer Leute zum Dienste des Fürsten.
Baue nie auf die Anhänglichkeit Deiner sogenannten Kreaturen, das heißt solcher Menschen, die Dir ihr Glück zu verdanken haben.
Versprich nicht Dein Fürwort, wenn Du des Erfolges nicht gewiß bist.
Begünstige die Gesuche der Kreaturen Deiner präsumtiven Feinde in billigen Dingen.
Wenn Dein Beschützer, wenn ein Großer, dem Du in der Zeit seines äußern Glücks aus Not, Höflichkeit, Politik oder gutem Willen gehuldigt hast, von seiner Höhe herabstürzt, wenn er Stand, Vermögen, Einfluß oder Glanz verliert, so schlage Dich nicht zu der Partei der Niederträchtigen, die dem Unglücklichen, der ihnen zu nichts mehr helfen kann, den Rücken zukehren. Verdient er Deine Hochachtung, so zeige ihm nun mit doppeltem Eifer, daß Dein Herz nicht von der Stimme des Pöbels abhängt; ist er aber Deiner Zuneigung unwert, so schone seiner wenigstens darum, weil er von jedermann verlassen ist und also zu Mißhandlungen schweigen muß. Räche Dich auch eben deswegen nie an dem, von welchem Du verfolgt, gedrückt worden, solange er Gewicht hatte. Sammle vielmehr feurige Kohlen auf sein Haupt, damit er in sich gehe und womöglich durch Großmut gebessert werde.
Sammle nicht leicht für Arme bei Vornehmen und andern Leuten von der großen Welt. Sie geben mehrenteils nur aus Prahlerei und behandeln Dich, als wäre es ein Almosen für Dich. Überhaupt hilf selbst, wo Du kannst! Gib nicht Assignationen auf fremde Hilfe. Tadle aber auch nicht sogleich den Reichen, wenn er Dir eine Wohltat für einen Dürftigen versagt, die ein Ärmerer Dir gewährt. Denke immer, daß seine größern Bedürfnisse (ob wahrhafte, oder eingebildete gleichviel!) und die größern Anforderungen andrer auf seine Wohltätigkeit ihn mit dem, der weniger hat, in eine Klasse setzen, und daß, wenn man gegen alle freigebig sein will, man nicht gegen einige wohltätig sein kann.
Und nun noch einmal! Wenn ich hier sehr viel zum Nachteile des Charakters der mehrsten Großen und Reichen gesagt habe, so bin ich doch weit entfernt, dies ohne Unterschied auf alle Personen der höhern Klassen ausdehnen zu wollen. Es ist mir immer äußerst zuwider gewesen zu sehn, wie manche unsrer armseligen neuern Schriftsteller es sich zum Geschäfte machen, auf die höhern Stände zu schimpfen. Viele von ihnen sind so wenig mit den erhabnern Menschenklassen bekannt, daß es die höchste Impertinenz verrät, wenn sie über Sitten und Denkungsart derselben ein Urteil wagen. Von ihren Dachstübchen herunter schielen sie neidisch und hämisch nach den Palästen der Glücklichern hinunter; wenn bei grober Kost und dem Wasserkruge die süßen Düfte aus den Küchen und Kellern derer, die im Überflusse leben, zu ihnen hinaufsteigen, so reizt das ihre Nerven, erregt ihre Galle; es ärgert sie, daß ihre Glücksumstände ihnen nicht wie jenen erlauben, ihre Leidenschaften zu befriedigen; sie verwünschen den Mann im vergoldeten Wagen, den sie zu Fuße nicht einholen können, schimpfen auf den hartherzigen Mäzen, der nicht ebenso überzeugt scheint von ihren großen Verdiensten, als sie selbst es sind, und fluchen auf das Geschick, welches die Güter der Erde so ungleich ausgeteilt hat. Da müssen es dann die armen Fürsten, Minister, Edelleute und Reichen entgelten, die sie als Tyrannen, Bösewichte, Toren und hartherzige Unterdrücker alles dessen, was edel und gut ist, abschildern. Ein so fanatischer Eifer kann wohl nie mein Gehirn ergreifen. Selbst im Überflusse und mit großen Erwartungen aufgewachsen, kenne ich recht gut die Vorteile und Nachteile einer reichen und vornehmen Erziehung. Meine nachherigen Schicksale aber, mein Aufenthalt an Höfen und der Umgang mit Menschen aller Art, das alles hat mich gelehrt, wie nötig es sei, denen, die nicht durch widrige Erfahrungen vollends ausgebildet werden, und die so selten reine, lautre, unparteiische Wahrheit hören, ohne Leidenschaft zu sagen, was ihnen so nötig ist zu hören. Viele von ihnen sind wahrlich herzlich gut; selbst die Schwächern haben oft manche Temperamentstugend, deren Wirkungen für die Welt viel wohltätiger werden können als die sanften Aufwallungen ärmerer und ohnmächtigerer Sterblicher. Sie haben von ihrer ersten Jugend an alle Muße und Gelegenheit, ihren Geist zu bilden, sich Talente zu erwerben, Welt und Menschen kennenzulernen, haben Veranlassungen in Menge, Gutes zu tun, die Freuden der Wohltätigkeit zu schmecken. Ihr Charakter wird nicht niedergedrückt, verschoben durch Unglück und Mangel, durch die Notwendigkeit, sich zu schmiegen und zu beugen. Und wenn von einer Seite Schmeichelei sie leicht verderben kann, so ist von der andern der Gedanke, daß jede ihrer edeln Handlungen bemerkt wird und ihre Verirrungen oft noch der späten Nachwelt vorerzählt werden, ein Sporn mehr, groß und vortrefflich zu werden. Auch nützen viele von ihnen alle diese Triebfedern, und es ist ein Glück, an der Seite eines Fürsten zu leben und Einfluß auf ihn zu haben, der die Würde seines Standes kennt und sich seines hohen Berufs wert zeigt. Ich kenne deren einige, die es auch gewiß nicht übel aufnehmen, wenn man ihnen die Klippen zeigt, an welchen so viele von ihnen scheitern.
Zum Schlusse noch ein paar Worte über den Umgang der Großen und Reichen unter sich. Sie verderben sich größtenteils einer den andern. Die Kleinern beeifern sich, es den Größern nach, ja es ihnen an Aufwande und übel verstandener Erhabenheit zuvorzutun, und so verewigen sie ihre Torheiten, welche von noch kleinern Magnaten bis auf den geringsten, der nur einen Schuhputzer in seiner Livree herumlaufen hat, nach möglichsten Kräften nachgeahmt werden. Lustige Beispiele von dieser Art sieht man an den kleinen deutschen Höfen; wie sie einander aufpassen, sich wechselseitig kontrollieren, beneiden, zu übertreffen suchen; wie, wenn der durchlauchtige Herr in Y*** an seinem Geburtstage einen Ball und zugleich eine Illumination von sieben Pfund Talglichtern gegeben hat, der Fürst in V*** an seinem Feste ein Feuerwerk von acht Pfunden Pulver hinzutut; wie, wenn der eine sich einen Oberhofmarschall für dreihundert Gulden Gage und zwölf Scheffel Haber hält, der andre dem Chef seines Hofes noch obendrein ein breites Ordensband über den hungrigen Magen hängt. Der eine regierende Graf verschreibt sich eine Meute Jagdhunde, wie sie kein Potentat in Europa hat, der angrenzende besoldet eine Meute Hofmusici, die wenigstens ebensoviel Lärm macht. Der dritte, voll Verzweiflung darüber, daß er es seinen Nachbarn nicht zuvortun kann, verzehrt lieber den sauern Erwerb seiner geplünderten Untertanen in Paris, spielt lieber da eine elende Rolle, als in seiner Residenz den guten, treuen Landesvater vorzustellen. Und so geht das weiter hinunter! Man fange nur in Städten an, ein Konzert oder dergleichen zu geben, welches abwechselnd von einer geschlossenen Gesellschaft gehalten wird, und womit etwa ein Abendessen verknüpft ist. Der erste, bei welchem sich der Zirkel versammelt, wird ein paar Flaschen Wein und kalte Küche hergeben; der andre fügt einen Punsch hinzu; und ehe ein Vierteljahr vergeht, ist die Anstalt in eine kostspielige Fresserei ausgeartet. Das sollte nun unter verständigen vornehmen und reichen Leuten nicht also sein. Sie sollten den Niedern Beispiel geben von Ordnung, Einfalt, Hinwegsetzung über steife Etikette und Mäßigkeit in Speise, Kleidung, Pracht, Bedienung, Hausrat und allen solchen Dingen. Sie sollten das Vorurteil vernichten, daß die Herzen der Großen zu keinen dauerhaften Freundschaften fähig seien mit einem Worte, sie sollten nicht vergessen, daß die Augen so vieler auf sie gerichtet sind.
Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen. Besser so, als wenn ein Herr über vier Quadratmeilen Landes Garden zu Fuß und zu Pferde, Ministers, Hofkavaliere in Menge hält und Schulden über Schulden macht. Es ist nur alles relativ klein und ist immer gut, wenn es nur nicht zwecklos und voll abgeschmackter Forderungen ist. Dreißig Mann, die abwechselnd Ordnung in der Stadt halten, sind mehr wert als dreißigtausend, die man von nützlicher Arbeit abzieht, um auf Kosten des fleißigen armen Untertanen Spielwerk mit ihnen zu treiben.