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Roman eines jungen Mannes
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Roman eines jungen Mannes

I

Josuas Mutter saß jeden Abend am Fenster, träumte die graue Wand an und sah nach dem Kirschbaum herunter. Als sie Josua entdeckte, winkte sie ihm.

Josua setzte sich zu ihren Füßen auf die abgescheuerten Dielen. Sie holte vom Kochofen eine Tasse angewärmten, dünnen Kaffee und gab sie ihm. Er trank bedächtig und sah nach einer Spinne, die über ihm an einem Faden schaukelte. Nun fällt sie in den Kaffee, dachte er.

»Josi,« sagte sie, »jetzt kommt bald der Vater.«

»Welcher Vater?« fragte Josua.

»Dein Vater«, sagte sie.

»Ach so«, sagte Josua.

»Freut dich das nicht?« fragte sie. Sie hustete. Auf ihren Wangen flammte sekundenlang ein hektisches Rot.

»Nein«, sagte Josua.

»Warum denn nicht?«

Josua wußte keine Antwort, dachte aber angestrengt nach.

Sie seufzte.


Nach ein paar Tagen, gegen fünf Uhr nachmittags, die graue Wand warf nachtdunkle Schatten ins Zimmer, klapperte es die Treppe herauf. Hinter der Türe tuschelten Stimmen, dann klopfte es stark. Josuas Mutter faßte sich an ihr Herz, die Freude stieg ihr ins Gesicht, sie öffnete. Durch die Türe schob sich eine blaue Schifferbluse, an der zwei kurze energische Beine in schwarzsamtenen Pumphosen steckten. Oben aus der Bluse quälte sich ein gedrungener Hals, aus einem dicken, runden, glattrasierten Gesicht hoben sich zwei dunkelbraune Augen und ein schöner kleiner Mund hervor, der nach Kautabak roch. Er spuckte den gelben Saft mitten in die Stube.

»Guten Morgen, Lady! Salud, como le va? Wie jeht's?«

Paul Briegoleit lachte und packte sie mit den beiden rotaufgesprungenen Händen um den Hals. Sie bot ihm ihre Lippen und er küßte sie.

»Da bin ick, da bin ick! Wat macht de Josi?«

»Es geht ihm gut«, sagte sie leise und ein zärtlicher Blick streichelte Josua, der inzwischen aufgestanden war und neben den Vater trat.

»All right«, sagte Paul Briegoleit. »Büscht'n Prachtjung' worn! Ick häv di auch wat feins mitgebracht! Ha! Aber erst für Mutting.«

Sie sah ihn groß und freundlich an.

»Wo warst du, Paul?«

Paul klang in ihrem Munde wie Pol. Sie rundete alle Vokale dunkel ab.

»Señorita, wir waren in Australien, wo die Kannibalen wohnen, wo der Mensch man bloß als Frikassee oder Wiener Schnitzel gilt. Aber ick här min Mitgebrachtes draußen uf'n Korridor stehn jelassen, wegen der Überraschung.«

Damit trat er einen Schritt zurück, stieß die Türe auf – – und vor ihm stand mit schönen schwarzen, ängstlichen, fragenden Tieraugen, in blauem, baumwollenem Rock und schreiend roter Bluse eine Negerin, so groß wie ein Kind, aber ein ausgewachsenes junges Weib von vielleicht achtzehn Jahren. Auf ihren Armen hielt sie, wie einen Säugling an die Brust gebettet, einen kümmerlich häßlichen Affen.

Paul Briegoleit faßte sie an den Schultern und zerrte sie ins Zimmer. Josuas Mutter starrte halb entsetzt, halb lächelnd das fremde Geschöpf an.

»Di häv ick dir mitbracht, Mutting! Come on, Luda. Gib der Madame deine schwarze Dreckpote. Aber ein hübsches Mädl, wat? Erzähl mal der Lady, woher du kommst?«

Damit gab er ihr einen Puff in die Seite, so wie man etwa dressierte Pferde mit dem Peitschenstiel zur Schaustellung ihrer Kunststücke zwingt.

Da trat das fremde Geschöpf auf Josuas Mutter zu, sah ihr fest in die Augen und sagte mit leiernder, zerhackter Stimme: »Vom Himmel hoch da komm ich her!«

Paul Briegoleit stand daneben, er quietschte wie eine getretene Katze, pruschte los wie eine Barkasse, der der Dampf ausgeht, und klopfte sich die Schenkel vor Vergnügen.

»Dat ist das einzige Deutsch, wat sie kann, wo ick dem schwarzen Fräulein unterwegs beigebracht hab'. Und treu is sie und ehrlich, man bloß stehlen tut sie, wenn man nicht aufpaßt.«

Jetzt meldete sich der Affe und sprang mit einem Satz Josua auf den Rücken.

»So is recht, Jack,« lachte Paul Briegoleit, »such dir dein Herrchen. Magst ihn behalten, Josi?«

Josua nickte.

»Ist das mein Bruder?« fragte er.

»Ja, min Jung«, sagte Briegoleit. »Dat is dein Bruder.«

Briegoleit sah sich um.

»Wieviel Betten habt ihr?«

»Zwei,« sagte lächelnd Josuas Mutter, »aber das eine ist nur so klein wie Josi.«

»Halloh,« sagte Paul Briegoleit, »no importa, da schlafen wir drei in einem Bett.«

»Wer wir drei?« fragte, doch ein wenig erschrocken, Josuas Mutter.

»Nun du, ich – und Jamaika.«

»Jamaika?«

Briegoleit hatte sich eine Pfeife aus der Tasche geholt und zeigte mit dem Pfeifenstiel nach der Negerin. Die wurde auf einmal lebendig, als sie die Pfeife sah. Ihre Augen griffen lüstern nach dem Tabaksbeutel, den er hervorzog.

»Dat is die einzige Leidenschaft, die sie hat«, sagte Briegoleit. »Sie qualmt wie sieben Doppelschraubendampfer.«

»Ist sie nicht ein wenig schmutzig?« fragte Josuas Mutter.

»Du mußt ihr eben waschen, Mine.«

»Und wie sie angezogen ist!«

»Gefällt dir die Tante, Josi?« lächelte sie zu Josua hinüber.

»Ja«, sagte Josua.

»Das war des Schicksals Stimme«, sagte Briegoleit. »All right. Übrigens ist sie ausgezogen janz repräsentabel.«

Der Affe krähte.

»Wenn er nur nicht die Schwindsucht hat?« sagte Josuas Mutter. »Alle Affen haben in unserem Klima die Schwindsucht.«

»Und du?« fragte Briegoleit leise.

Sie wurde kalkblaß und hustete.

Er küßte sie auf ihre geschlossenen Augen.

Jamaika stand ruhig dabei, nur ihre Hände zitterten in Eifersucht.

So lebten sie zu Fünfen und blühten wie die Lilien auf dem Felde und waren eine Familie. Die Negerin entpuppte sich als ein sanftes gutes Kind.

Besonders mit Josua freundete sie sich an.

Nach knapp fünf Monaten genas sie eines Mädchens von ganz hellbrauner Hautfarbe, welches Lili genannt wurde. Es war Josuas Mutter noch vergönnt, in der Stunde der Geburt der Negerin hilfreich beizustehen.

Drei Wochen darauf war Josuas Mutter tot.

Briegoleit kaute verzweifelt anstatt seines Tabaks Erbsen und Kaffeebohnen.

Jamaika schrie wie ein Tier.

Josua sah stumm die gebrochenen Augen der Mutter. »Wo ist sie hingegangen?« dachte er. »Liebt sie mich nicht mehr?« Wie ein Symbol hockte der verkümmerte häßliche Affe auf den Kissen zu ihren Füßen, knackte Haselnüsse und warf die Schalen der Toten ins Gesicht.


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