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Roman eines jungen Mannes
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XXV

Josua war in der letzten Zeit jeden Tag mit Ruth im Automobil nach Hause gefahren. Es regnete, er konnte ihr doch nicht zumuten, zu Fuß zu gehen. Er brauchte jeden Abend durchschnittlich zehn bis fünfzehn Mark. Er begann schon keinen Mittag mehr zu essen. Seiner Wirtin schuldete er zwei Monate Miete und Wäsche und Frühstück dazu. Jeden Morgen trank er mit Ruth Schokolade, dazu gab es kalte Platte, Eier und Früchte. Die Wirtin weigerte sich, noch mehr für ihn auszulegen.

Ich brauche Geld, viel Geld.

Er überlegte, wo er es stehlen könne. Vielleicht mit Kolk zusammen. Sie müßten sich ein Automobil mieten, Kolk konnte ja steuern, und vor einem Bankgeschäft der stillen Vorstadt vorfahren. Er, Josua, müßte dann maskiert den Kassier mit vorgehaltenem Revolver zwingen, einige fünfzig- oder hunderttausend Mark herauszugeben. Mit dem Auto würde es leicht gelingen, zu entfliehen.

Am nächsten Morgen las er in der Zeitung von dem Überfall der Pariser Automobilapachen auf ein Bankhaus in irgend einem Faubourg: er war genau so ausgeführt, wie Josua seinen Plan bedacht hatte, und vortrefflich geglückt. Josua wütete: Jetzt tun es einem die Hunde zuvor.

Endlich fiel ihm ein: Fräulein Doktor. Sie hatte ihn ja längst schon zu sich eingeladen.

Eines Nachmittags um fünf Uhr beschloß er, dieser Einladung aus dem Stegreif Folge zu leisten. An der Ecke der Kaulbach- und Veterinärstraße kaufte er einer italienischen Straßenhändlerin ein Büschel gelber Margueriten ab.

Fräulein Doktor wohnte bei der Dichterin Gioconda Brumm im dritten Stock eines Gartenhauses, das auf eine Gärtnerei und die Gärten des Georgianums Front machte. Ein blaubeblümtes Dienstmädchen öffnete. Sie stellte sich als Kati vor und führte Josua über einen Vorraum, der die Bibliothek der Dichterin enthielt. Irgendwo aus dem Hintergrunde weinte eine Kinderstimme.

Wer hat nun ein Kind? Die Dichterin oder Fräulein Doktor? dachte Josua. Ist die Dichterin nicht eine geschiedene Frau? Aber ich weiß nicht, geschiedene Frauen scheinen immer am ehesten zum Kinderkriegen geneigt.

Am Eingang eines schmalen schwarzen Korridors wandelte Gioconda Brumm mit ihrer Tochter Ellinor unter Orangen. Rechts von dem Bild befand sich eine Tür. Hier klopfte Kati.

»Wen darf ich melden?« fragte sie.

Fräulein Doktor ließ bitten.

Er öffnete die Tür. In einen gelbseidenen Kimono gehüllt, wogte sie ihm entgegen. Ihr Gang hatte halb etwas Wackelndes und halb etwas Schwebendes.

»Wie nett! Wie reizend!«

Ihre stumpfen, kurzsichtigen Augen suchten ihn zu fassen.

»Sie haben mich also nicht vergessen?«

»Wer könnte Sie vergessen?«

Mit einer nachsichtigen Verbeugung überreichte er ihr die Margueriten.

»Gelb ist die Eifersucht«, lächelte sie fettig.

»Weiß ist die Unschuld«, sagte er und küßte ihre fischige Hand.

Sie lächelte spitz und sagte (es sollte frivol klingen): »Meinen Sie mich?«

»Keinesfalls«, verbeugte er sich.

Er trat einen Augenblick an das Fenster und betrachtete den Kampanile der Ludwigskirche.

»Möchten Sie mit mir Tee trinken?« Sie wartete seine Antwort nicht ab und klingelte. »Sie müssen mein legeres Kostüm entschuldigen. Ich gehe heute abend auf ein Kostümfest.«

»Auf welches?«

»Auf das Bacchusfest in der Schwabinger Brauerei.«

Josua erinnerte sich.

»Kommen Sie mit?«

»Gern,« sagte Josua, »wenn es Ihnen angenehm ist?«

»Ich habe zwar schon einen Partner, Herrn Tomischil, aber den versetzen wir einfach.«

»Laß fahren dahin!« sagte Josua. »Was für ein Kostüm nehmen Sie?«

Sie zwinkerte mit den Augen: »Wird nicht verraten. Sie sollen überrascht werden.«

Kati brachte Tee, Kuchen und belegte Brote.

Josua warf sich auf die Chaiselongue.

»Hören Sie, Kati«, sagte Josua. »Sie werden nachher, wenn Sie Zeit haben, bei Spendler in der Amalienstraße vorbeigehen und mir eine kleine Auswahl römischer Kostüme holen. Fräulein Doktor erlaubt es. Ich habe keine Lust, erst noch nach Hause zu gehen.«

»Gewiß«, sagte das Mädchen.

»Gewiß«, sagte Fräulein Doktor und sah ihn mit runden Augen an.

Das Mädchen ging.

»Aber ich habe kein Geld mehr«, sagte er.

»Darf ich Ihnen aushelfen?« fragte sie schüchtern.

Aber sie empfand eine förmliche Begierde, ihm Geld zu leihen, da sie fühlte, daß sie ihn auf diese Weise vielleicht an sich zu binden vermöge.

»Hundert Mark!« Er sprang vom Divan auf und warf das Wort leicht hin auf den Teppich.

»So viel Sie wollen.«

Sie schwiegen.

Die Dämmerung sank herein.

»Wissen Sie, wie ich mir hier vorkomme?« sagte er leise, »so ... so ... so ... familiär. Als wäre ich verheiratet ...«

Sie hielt den Atem an.

»Mit wem?«

Er trat von hinten an sie heran, beugte sich nieder und sprach in ihren Nacken: »Mit ... Ihnen!«

Insgeheim dachte er: ich brauche Geld für mich ... für Ruth ...

Sie erhob sich, ging an den Schreibtisch und kam mit einem in roten Samt gebundenen, mit Goldschnitt verzierten Buch zurück.

»Darf ich Ihnen etwas vorlesen?«

Die Rührung ließ ihre Stimme dunkel gurgeln.

»Die Poesie ist wirklicher als die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist poetischer als die Poesie«, sagte Josua.

»Ach, mein Freund! Bin ich es noch? Hören Sie –«

Und sie las ein Gedicht, eine laue Boudoirstimmung, parfümüberladen, mit einer anreizenden Pointe, die man ohne Einschränkung als unanständig bezeichnen konnte, besonders, da sie ganz auf Josua gemünzt war.

»Sehr schön – sehr fein – sehr intim«, sagte Josua und fuhr unvermittelt fort:

»Darf ich Sie um Ihre Hand bitten?«

»Für's Leben?«

Sie wollte sich zitternd in seine Arme gleiten lassen, da klopfte es und Kati kam mit den Kostümen.

»Suchen Sie sich etwas Originelles aus«, sagte Fräulein Doktor. »Ich werde mich derweilen umziehen. – Kati, bringen Sie dem Herrn ein Glas Portwein.«

»Eine Flasche Portwein«, sagte Josua.

Hüpfend und winkend verschwand sie im Nebenzimmer.

 

»Soll ich kommen?«

»Bitte ...«

»Ich schäme mich ...«

»Vor mir?«

Sie schien zu übersehen, daß sie sich noch mehr schämen müßte, wenn sie sich den Blicken der Gesamtheit der Festbesucher darböte.

»Venus Anadyomene ...«

Ein leichtes rosa Gazeröckchen, das den unangenehmen Schweißgeruch des fetten Körpers nicht dämpfte, eine goldene Krone im Haar, ein goldener Gürtel um die Lenden – zwei mächtige Goldplatten panzerten die riesigen Brüste.

»Salome!« flüsterte sie deutend.

»Sollen wir uns nicht gleich die Ringe anstecken?«

Er war unangenehm überrascht. »Jetzt zum Fasching? Bist du eifersüchtig?«

»Ich – eifersüchtig – wo denkst du hin?«

»Wo hast du die Ringe überhaupt her?«

Sie errötete schwitzend.

»Ich habe das Mädchen – zum Juwelier geschickt.«

»Du Liebe – du denkst auch an alles ...«

Sanft neigte er sich über sie und bot ihr den ersten Kuß. – Beim Eingang in den Saal der Schwabingerbrauerei vertraute sie ihm ihr Portemonnaie an.

»Ich habe keine Tasche, du bist wohl so gut.«

»Gern«, sagte er.

Der Saal war mit blau und rosa Lichtern und Tapeten geschmückt: Griechen, Römer, Nymphen, Götter, Sklaven und Mohren wimmelten durcheinander; ein Thyrsusschwinger mit fuchsroter Perrücke trat Josua auf die Hühneraugen.

Es war Klaus.

»Möchtest du dich nicht einen Augenblick meiner Braut annehmen?«

»Braut?« Klaus quietschte.

»Grinse nicht. Du kommst auch noch ran.«

Er versank im Getümmel der Farben und Masken. Zur Sicherheit fühlte er noch einmal nach dem Portemonnaie in seiner Tasche.

In einer Nische im ersten Stock öffnete er es und fand acht Hundertmarkscheine und einen Tausender. Dreihundert steckte er erstmal zu sich ... in die Strümpfe.

»Wie eine Hure«, lachte er. »Wie eine männliche Hure (die ich ja bin).«

Da traf er eine Bacchantin mit Rosen bekränzt, jung, hell, hellenisch.

»Trinken wir eine Flasche Heidsieck.«

Hinter einem Oleander entbrannten sie in Küssen.

Fräulein Doktor, halb Entenglucke, halb Mänade, wackelte wehklagend durch das Fest.

– Er hatte Ruth gefunden. Sie war in ihrem Kostüm als nackte Nymphe bis an die Grenzen des Möglichen gegangen. Aber der Wuchs ihres Leibes erlaubte ihr jede Freiheit.

Josua gab ihr erst einmal hundert Mark.

Auf einmal langweilten sie sich und fuhren zu Benz.

Fräulein Doktor suchte ihn. Sie weinte.

»Er hat doch mein Portemonnaie und meine Garderobenmarke. Und außerdem ist er doch mit mir verlobt ...«

Klaus beäugte sie schief von der Seite. Er schnüffelte. Wie ein Schwein, das Trüffeln spürt.

»Gestatten Sie gnädiges Fräulein, daß für heute abend ... ich mich mit Ihnen verlobe?«

Sie lächelte unbestimmt. Gereizt. Unter Tränen.

Er war häßlich – immerhin ein Mann.

Um drei Uhr früh fuhren sie zusammen nach Klaus Tomischils Wohnung.


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