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Um fünf Uhr nachmittags war Frau Bergmann ermordet und beraubt in ihrer Wohnung aufgefunden worden; der Verdacht lenkte sich sofort auf den Geliebten des Dienstmädchens (die Hausbesorgerin hatte ihn um drei Uhr das Haus verlassen sehen), und um sechs Uhr waren sowohl das Mädchen wie auch Franz Polanski verhaftet und dem Sicherheitsdepartement eingeliefert.
Anstatt dort die Beendigung des Verhörs abzuwarten, das bei Raubmorden stundenlang zu dauern pflegt, eilte ich in die Wohnung des Festgenommenen. Polizeibeamte waren bereits dort gewesen, hatten den Schrank Franz Polanskis durchsucht und sich bemüht, seine Mutter einzuvernehmen. Aber diese verlor bei der Nachricht jede Zurechnungsfähigkeit, so daß sich die Beamten damit begnügten, sie für den nächsten Tag zur Polizei vorzuladen.
Als ich an die Wohnungstür klopfte, antwortete mir niemand. Frau Polanski, die allein in ihrer Stube saß, beachtete mein Eintreten und meinen Gruß nicht. Ihre Augen waren trübe, dennoch weinte sie nicht. Weshalb hätte sie denn weinen sollen? Sie verstand ja noch gar nichts, es war ein gräßliches Unglück geschehen, ihr einziger Sohn hatte . . . So etwas versteht man nicht gleich. Ich fragte sie etwas, erhielt jedoch keine Antwort.
»Verzeihen Sie, Frau Polanski, ich bin nämlich von der Zeitung.«
Da löst sich ihr Krampf, löst sich in einem Aufschrei. Sie begreift die Öffentlichkeit ihrer Schande. »Von der Zeitung!« wiederholt sie entsetzt und schluchzt Worte, eine Zusammenfassung ihres Lebens, die in eine Bitte mündet.
»In der Zeitung wird es stehen! Um Gottes willen, mein ehrlicher Name! Mein Seliger – achtzehn Jahre ist er schon tot, mein Seliger – in seinem ganzen Leben hat er nie etwas mit 146 der Polizei zu tun gehabt. Und ich, mein Gott, ich und die Polizei! Ich bin eine arme Waschfrau, seit fünfundzwanzig Jahren wasche ich für fremde Herrschaften, und noch nicht eine einzige Windel hat gefehlt, noch kein Paar Strümpfe habe ich vertauscht, und ich achte immer darauf, daß die Manschetten nicht zerfransen, und auf einmal soll ich in der Zeitung stehn, alle Leute werden es lesen! Geben Sie's nicht in die Zeitung, junger Herr!«
Ich verfluche meinen Einfall, diese alte Frau aufgesucht zu haben, die nichts mit dem Mord zu tun hat, nichts von der Welt weiß und nun noch vollends um den Verstand gekommen ist und mich anfleht: »Geben Sie's nicht in die Zeitung, junger Herr, um Gottes Barmherzigkeit willen, tun Sie mir und meinem toten Mann nicht eine solche Schande an, bitte, bitte, nicht in die Zeitung.«
Ich versuche ihr zu erklären, daß das nicht in meiner Macht steht, derartige Angelegenheiten ließen sich ja nicht verschweigen, über einen Raubmord müsse doch berichtet werden.
Das Wort »Raubmord« schmettert die Frau nieder. Sie sieht die Sinnlosigkeit ihrer Bitte ein und starrt von neuem aus verhängten Pupillen in die Ecke der Stube. Zu sich selbst spricht sie jetzt, ohne daß ihre Lippen sich bewegen: »Ein Raubmord. Daran hab' ich noch gar nicht gedacht – das heißt ja Raubmord, und mein Franz ist ein Raubmörder. Der Franz Polanski, wird in der Zeitung stehn, der Sohn von Frau Anna Polanski, Wäscherin, Brückengasse 4, das ist ein böser Raubmörder. Und ich bin die Mutter eines bösen Raubmörders, weiter gar nichts. Mein ganzes Leben lang bin ich fleißig und ehrlich gewesen, und niemand hat mir auch nur so viel nachsagen können, und jetzt wird die ganze Gasse mit Fingern auf mich zeigen.«
Auf irgendeine Weise möchte ich die Unglückliche trösten, mein plumper Ausdruck hat ihr den Rest gegeben. »Niemand wird Ihnen die Schuld geben, Frau Polanski, alle wissen, daß Sie eine brave Frau sind«, sage ich, aber sie hört gar nicht zu.
»Raubmord«, wiederholt sie tonlos, »Raubmörder«. 147
Vielleicht können direkte Fragen sie ablenken. »Wie lange hat denn Ihr Sohn schon die Bekanntschaft mit dem Dienstmädchen von Frau Bergmann? Wie lange ist Ihr Sohn schon ohne Arbeit?«
»Raubmord! Raubmörder! Der Franz Polanski, der Sohn von der Frau . . .«
Nichts zu machen. Ich verabschiede mich mit der Phrase, ich hätte sie nicht belästigen wollen, hätte nur gedacht, sie könnte ihrem Sohn vielleicht helfen, wenn sie mir einige Auskünfte gäbe.
Da schreit sie wieder auf: »Helfen! Ich will ihm nicht helfen! Ein Raubmörder ist er, er hat die Frau Bergmann erschlagen, um ihr den Schmuck wegzunehmen. Wissen Sie, wie man das nennt, mein Herr? Das nennt man Raubmord, und das kommt in die Zeitung, mein Herr. Niemand kann ihm da helfen. Ich möchte ihm ja helfen, meinem Franz, er ist doch mein Junge, mein einziger Junge, – aber wie kann ich ihm denn helfen? Ich bin nur eine arme Wäscherin. Ich werde zu einem Rechtsanwalt gehn, ich werde schon das Geld dafür aufbringen. Sie haben doch gesagt, ich kann meinem Franzl vielleicht helfen. Wie denn? Sagen Sie's mir, junger Herr, bitte, sagen Sie's mir!«
Ich erkläre ihr, daß es für alles mildernde Umstände gäbe. Große Not, zum Beispiel, entschuldige vieles, oder vielleicht ist der Franz nicht ganz in Ordnung, leidet an krankhaften Anfällen oder so etwas. Auch Vererbung gelte vor Gericht, wenn er zum Beispiel vom Vater oder von der Mutter her ein jähzorniges Wesen hat.
»Vererbung? Wenn er etwas her hat vom Vater oder von der Mutter?«
Was habe ich da wieder angerichtet! Das Andenken ihres Mannes verdächtigt, ihren guten Ruf angetastet, den einzigen Besitz dieser Unglücklichen. »Sie dürfen mich nicht mißverstehen, Frau Polanski, ich weiß, daß Sie eine brave Frau sind.«
»Vererbung heißt das, wenn man etwas her hat von der Mutter – Es ist Vererbung! Von mir hat er's her, der Franz.« 148
»Frau Polanski, ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen, ich habe bloß gemeint . . .«
»Er kann nichts dafür, der arme Franz, von mir hat er's geerbt, von mir!«
Ach so, jetzt will diese Mutter alles auf sich nehmen, womöglich sich als eine Borgia hinstellen, weil sie glaubt, ihrem Sohn damit zu helfen.
»Ja, ja, ganz recht, ich will ihm helfen. Sie verstehen mich ganz richtig, aber Sie glauben es mir nicht, daß das in mir war, mein ganzes Leben lang, dieses Morden. Noch keinem Menschen habe ich es gesagt, nicht einmal gebeichtet hab' ich es, sooft ich auch zur Beichte gehe, aber Ihnen werde ich es erzählen, damit Sie es in die Zeitungen hineindrucken. Sollen sie mich nur holen kommen, die Polizisten! Soll man auch mit Fingern auf mich zeigen, das ist mir gleichgültig! Lange genug habe ich mich verstellt, jetzt pfeife ich auf alles! Meinem Jungen will ich helfen! Warum soll er um meinetwillen leiden – Vererbung ist das, weiter gar nichts – ich werde Ihnen die Wahrheit sagen: ich bin eine Mörderin!«
Ich wünsche mich weit weg von hier. Nun wird sie anfangen, ihre armseligen Sünden auszukramen. Das reicht bestenfalls für eine Notiz: Die Mutter des Unholds, eine brave Wäscherin, beschuldigt sich kleiner Vergehen, damit ihm eine vererbte Anlage als mildernder Umstand angerechnet werde.
»Ja, ich bin eine Mörderin, ich! Mein Junge hat nur mehr Kraft gehabt als ich, der hat es ganz durchgeführt.«
»Nun ja, so durch den Kopf geht einem vieles.«
»Nein, nein, das ist mir nicht bloß so durch den Kopf gegangen; da sehen Sie . . .«
Frau Polanski hat ihr Tuch vom Kopf gerissen, ihr Haar flieht wirr von Stirn und Schläfen. Sie eilt zum Tisch. Eine junge Frau ist sie jetzt, wie sie das Schubfach aufzerrt und ein Küchenmesser herausnimmt.
»Da sehen Sie dieses Messer, mit dem habe ich einen erstechen wollen. Das ist schon fast dreißig Jahre her, als ich Stubenmädchen war beim Finanzrat Martin in der 149 Marienstraße, ein ganz junges Mädel war ich noch, eben vom Lande gekommen.«
»Wen wollten Sie denn damals erstechen?«
»Wen ich erstechen wollte? Den ersten Menschen, der lieb zu mir war in meinem Leben. Niemand war vorher lieb zu mir gewesen, in meinem Elternhaus waren wir acht Kinder und haben nie ein gutes Wort bekommen. Und dann kommt einer und sagt mir: ›Sie sind hübsch, Fräulein‹, und streichelt mich, küßt mich, verführt mich.«
»Und heiratet Sie dann nicht. Das alte Lied.«
»Ach, daran hab' ich nie gedacht. Er war ja der Bruder von meiner Gnädigen. Mit seinen Schmeicheleien hat er mich eingeweicht wie in Seifenwasser. Wenn die Wäsche einmal drin liegt in dem Trog da, dann kann man alles mit ihr machen, man muß sie nur zwischen die Finger nehmen, und alles geht weg – freilich, wenn man zu heftig anpackt, auch die Farbe und die Fasern.«
Ganz gut gesagt, denke ich, ich nehme den Notizblock aus der Tasche und schreibe mir auf: »Vergleiche einer Wäscherin« oder »Die Philosophie am Waschtrog«. Das kann man als Titel geben, zweispaltig.
»Ich bin zu ihm in die Wohnung gekommen, und ein paar Wochen lang war ich glücklich. Dann aber hat er mich nicht mehr aufgefordert, zu ihm zu kommen.«
»Wollten Sie ihn deshalb umbringen?«
»O nein, ich war ja ein solches Gänschen und hab' alles genommen, wie es gekommen ist, und hab' geglaubt, es muß so sein. Aber dann ist etwas geschehen, wo ich gewußt hab', es muß nicht so sein, es kann so nicht in Ordnung sein. Er hat mir gesagt, ich soll die blaue Bluse anziehen, die er mir geschenkt hat, und abends zu ihm kommen, er gibt ein kleines Fest. Also habe ich mir Ausgang genommen, bin hingegangen. Es waren noch zwei Freunde von ihm da, zwischen die er mich gesetzt hat, und eine Dame, die hat neben ihm gesessen – ›eine Dame‹ – ich hab' bald gesehen, was das für eine Dame war. Sie hat zu ihm gepaßt, das Weibsbild!«
»Ich kann mir schon denken«, nicke ich. 150
»Wir haben belegte Brötchen gegessen und Wein getrunken, und dann haben sie Halbdunkel gemacht. Nur eine Tischlampe mit rotem Seidenschirm hat gebrannt. Seine beiden Freunderln sind zudringlich geworden, sie haben mir zugesetzt, mehr zu trinken, und er hat mir gesagt, ich soll mich nicht zieren, wir sind hier nicht bei der Dorfmusik. Ich war so unsicher, ich bitte Sie, ein Gänschen vom Land, ich hab' nicht recht gewußt, was ich machen soll, und erzürnen wollte ich ihn auch nicht – da hab ich mir genug gefallen lassen. Plötzlich sagt einer: ›Die Damen sollen sich ausziehn.‹ Die andere war gleich dabei, aber ich wollte nichts davon wissen. Da hat er mich beiseite genommen und hat mir einen Krach gemacht, er müsse sich für mich schämen, ich sei doch sonst nicht so zimperlich gewesen – wenn ich Geschichten machen will, ist's aus mit uns – oder ob ich nicht doch lieber sein nettes Annerl bleiben wolle? Ich wollte unbedingt weg.«
»Sind Sie weggegangen?«
»Er hat die Tür abgesperrt, und da hab' ich Schnaps und Wein in mich hineingeschüttet, um mir Mut zu machen, und die Schweinekerle haben mich ausgezogen. Die andere hat das alleine besorgt, sie hat eins-zwei den Rock und die Bluse unten gehabt, na ja, die wollte sich zeigen, weil sie Batistwäsche angehabt hat mit Spitzen, und ich hab' mich geschämt für meine langen Barchenthosen, aber die geilen Kerle haben nicht Ruhe gegeben, ehe sie mich ganz ausgezogen hatten bis auf die Strümpfe – die hätte ich mir aber nicht runterziehen lassen, um nichts in der Welt – und jetzt hab' ich doch besser ausgesehen als die andere!«
Vor wenigen Minuten war ich in einer Stube voll Seifengeruch mit einer weinenden alten Wäscherin, einem Waschtrog und einem Küchenherd, und an der Wand hingen zwei Heiligenbilder. Das alles ist jetzt verschwunden. Um mich ist das rot abgedämpfte Licht eines Junggesellenzimmers und vor mir ein junges Mädchen, das man zwingt, sich zu entkleiden.
Warum hat sich die Alte in ihre Jugend verwandelt? Warum holt sie vergangene Sünden hervor? Bringt die Verzweiflung sie auf den Gedanken, daß es ihr nichts genützt hat, als 151 anständige Frau zu gelten, daß es sie nicht davor bewahrt hat, zur Mutter eines Raubmörders zu werden? Warum rühmt sie sich ihres einstmals schönen Körpers? Berauscht sie sich an dieser Erinnerung? Warum erzählt sie:
»Und dann haben sie ganz dunkel gemacht. Am Morgen haben mich meine beiden neuen Liebhaber in einer Droschke nach Hause gebracht, ich habe gespien und nichts von mir gewußt. In der Küche konnte ich kaum stehen, Fieber hab' ich gehabt, und die Gnädige hat gefeixt: ›Freilich, Bummeln gehn, lauter Vergnügungen und Genüsse, dann kann man natürlich nicht arbeiten!‹ Am Ersten soll ich meine Sachen packen und gehn. Ich habe sie gehaßt für jedes Wort, das sie gesprochen hat. ›Lauter Vergnügungen, lauter Genüsse‹ hat sie mir vorgeworfen – das Kotzen war noch in meinem Mund und das Heulen in meinen Augen, wenn ich an die ›Genüsse‹ gedacht habe. Und die Gnädige kanzelt mich ab, genau wie ihr Herr Bruder gestern nacht, als ich seine Vergnügungen und Genüsse nicht mitmachen wollte. Da ist etwas in mir hochgestiegen, ich weiß nicht, ob es der Satan war, ich hab' mich nicht dagegen wehren können. Am Abend, wie der Bruder der Gnädigen zum Essen gekommen ist, war ich schon ganz verrückt, ich habe das Küchenmesser genommen, dieses Küchenmesser da, und bin auf ihn zugerannt und hab' auf ihn eingestochen.«
Jetzt sieht sie in der Tat wie Lukrezia Borgia aus. Unheimlich, wie sie das Messer schwingt. Man versteht den Sohn, der mordet. Sicherlich war sie eine Mörderin, damals, als sie so alt war, wie ihr Sohn heute ist. Ohne Zweifel liegt erbliche Belastung vor.
»Ins Herz hab ich ihn treffen wollen – aber vielleicht ist er ausgewichen, oder vielleicht ist die Klinge abgerutscht von der Brieftasche, ich weiß es nicht, mein Messer ist ihm in den Arm gegangen, und das Blut hat nur so gespritzt.«
»Hat man die Polizei geholt?«
»Die haben sich schön gehütet! Die ganze Familie hat sich auf mich gestürzt, alle haben mich festgehalten, ich bin aber ohnmächtig zusammengebrochen, und sie mußten mich auf 152 mein Bett tragen. Am nächsten Tag hab' ich meine Siebensachen ins Holzköfferchen gepackt, so krank ich war, und bin gegangen. Das Küchenmesser habe ich mitgenommen, zum Andenken. Dafür hab' ich meinem Herrn Liebhaber die blaue Bluse dortgelassen, die er mir geschenkt hat.«
Eine Liebesgeschichte also wie viele andere, weder Polizei noch Gericht haben sich damit befaßt, davon nimmt die Zeitung nicht Notiz. Da hat nun diese Frau ihr Innerstes entblößt, ihre Lebenslüge eingestanden, und es ist unmöglich, damit ihrem Sohn zu helfen.
»Ja, schreiben Sie nur alles auf, junger Herr, geben Sie das ruhig in die Zeitung; die Frau Polanski ist gar keine anständige Frau, müssen Sie hineinschreiben«, mit ihrem Zeigefinger diktiert sie: »sie ist eine böse Mörderin, sie hat nur nicht die Kraft gehabt, ihre Morde ganz auszuführen, aber ihr Sohn, der hat die Kraft gehabt; der Franz Polanski ist ein ganz unschuldiger Mensch, müssen Sie hineinschreiben, er ist nur ein Opfer von der, alles hat er nur geerbt von der, von dieser Frau Anna Polanski und von ihren Morden – so schreiben Sie doch!«
»Morden? Haben Sie denn noch ein zweites Mal so etwas gemacht?«
»Gemacht! Mein Sohn hat einen Mord gemacht und ist unschuldig, und ich bin schuldig, schuldig an den Morden, zu denen ich keine Kraft und keine Zeit gehabt habe. Da drinnen, in dem Waschtrog da, da drinnen liegt meine Kraft begraben und meine Zeit.« Sie trommelt auf den Waschtrog. »Das ist meine Wiege und mein Bett und mein Sarg, das sag' ich immer. Da drinnen stecke ich mein Leben lang und wasche Batist und Seide und zartes Leinen, die nicht mir gehören, und ich habe die Frauen beneidet, die das getragen haben, auch ich war jung und hübsch.«
Mit jugendlichem Haß schlägt sie auf den Rand des Trogs. Auch sie sei hübsch und jung gewesen, wiederholt sie, »ob Sie mir's glauben oder nicht, und gerne hätte ich die feine Wäsche getragen. Aber ich habe die Fäuste geballt und . . .« jetzt lacht sie konvulsivisch: ». . . mit den geballten Fäusten 153 hab' ich die Wäsche gerieben, bis sie sauber war, blitzsauber. Alles für die anderen.«
Manchmal freilich habe auch sie sich schöngemacht und habe ein Paar fremde Ajour-Strümpfe angezogen und ein Hemd aus Batist, das sei aber schon ewig her, ihre Jugend und ihre Schönheit und all ihre Hoffnungen seien ertrunken in dem Seifenwasser, und ausgeschüttet habe sie alles. Längst sei es vorbei, daß Männer ihr nachstellten.
»Mein Geliebter war Polizist«, erzählt sie, »huh, war der eifersüchtig, nicht einmal tanzen hab' ich mit einem anderen dürfen. Aber wie ich schwanger geworden bin, hat er mir lang und breit auseinandergesetzt, daß er nur provisorisch angestellt ist, ans Heiraten darf er gar nicht denken, und ich muß mir das Kind nehmen lassen. Ich hab' Glühwein getrunken mit Gewürznelken, wie es mir die Freundinnen geraten haben, das hat aber nichts genützt. Da hat er mir zugeredet, ich soll einmal mit dem Polanski schlafen, damit ich dem das Kind aufbinden kann.«
Soll auch der tote Gatte einbezogen werden in diese zwecklosen Selbstbeschuldigungen der verwirrten Frau?
»Nein, bleiben Sie, junger Herr, jetzt kommt eine Mordgeschichte für die Zeitung. Mein Herr Polizist hat also wollen, ich soll mit dem Polanski gehn, damit er das Kind auf ihn schieben kann. Vorher hat er sich über den Polanski lustig gemacht, einen soliden Geschäftsdiener aus unserer Straße, der mir immer Blumen gebracht hat und rot geworden ist, wenn er mich gesehen hat. Ich wollt' nichts davon wissen, den armen Menschen so hereinzulegen, aber mein sauberer Freund hat so lange auf mich eingeredet, bis ich vom Tanzsaal mit dem Polanski nach Hause gegangen bin. Mein Freund ist uns nachgeschlichen bis an die Haustür, er wollte verhindern, daß ich mir's noch überlege. Mir hat es den Hals zugeschnürt wie damals nach jener ekelhaften Nacht beim Bruder der Gnädigen, und wieder hat mich der Haß gepackt, und am Abend hab' ich das Messer mitgenommen zum Stelldichein mit meinem Herrn Polizisten. Damals habe ich es mir klar 154 und kalt überlegt, und hab' gewußt, dieser Stich wird nicht danebengehn.« – »Haben Sie ihn wirklich . . .?«
»Ich hab' ihn nicht erstechen können, er ist nicht gekommen. Er hatte mich ja verkuppelt und keine Verpflichtungen mehr gehabt. Ein Ehrenmann! – Lange hab' ich nicht den Mut gefunden, dem Polanski zu sagen: ich bin schwanger. Erst wie man mir's schon angesehen hat, bin ich damit herausgerückt. Der arme Narr hat sich so gefreut, gejubelt hat er vor Freude, daß er Vater wird, und daß wir gleich Hochzeit machen müssen. Da hat mir der Gefoppte so leid getan, und ich wollte das Kind nicht austragen, um keinen Preis der Welt, auch wenn es mein Leben kosten sollte. Aber keine Hebamme hat es machen wollen, ich war schon im siebenten Monat. Wieder hab' ich Glühwein getrunken, zwanzigmal bin ich vom Tisch gesprungen, vor der Mutter Gottes hab' ich gekniet und gebetet und gebeichtet und gefastet und Gelübde getan; nichts hat geholfen. An diese Teufelswand von dem Waschtrog da, hier in der Mitte, wo ich immer stehe, hierher hab' ich meinen Bauch gedrückt und hab' gewaschen mit zusammengepreßten Fäusten, die Frauenhemden, die blutig waren; nur ich hab' kein Blut gehabt. Da hab' ich mein altes Messer genommen und hab' es mir in den Bauch gestoßen, damit Blut kommt, damit das Kind krepiert und ich mit ihm . . .«
»Haben Sie sich schwer verletzt?«
»Man hat mich ins Spital gebracht, zwölf Tage habe ich dort im Fieber gelegen. Wie ich wieder zu mir gekommen bin, hat man mir mein Kind gezeigt, den Franzl. Ich hatte ihn nicht getroffen – vielleicht war es gut so; ich hab' ihn liebgewonnen. Auch den Polanski hab' ich liebgewonnen, der hat den ganzen Tag an meinem Bett gesessen und mich nachher geheiratet. Er hat nur eine Sorge gehabt, der arme Narr, ob der Bub nicht tuberkulös sein wird wie er. Ich hab' eine andere Sorge gehabt: ob der Bub nichts erben wird von meinem Blut, das nicht hat fließen wollen ohne das Messer da. Aber ich werde ihnen das sagen, den Herren vom Gericht, ich werde mir kein Blatt vor den Mund nehmen bei der Verhandlung, ich werde denen schon sagen . . .« 155
Da wird die Tür aufgerissen: »Guten Abend, Mutter.«
Frau Polanski schaut ihren Sohn an, der seine Mütze aufs Bett schleudert; sie ist ganz woanders, sie steht vor Gericht.
Wie kommt ihr Sohn in ihre Stube? Wie kommt die Stube hierher?
»Weißt du schon, daß man mich wegen Raubmord verhaftet hat? Was sagst du dazu, Mutter?« Er sieht die durchwühlten Schubfächer. »Aha, hier waren sie auch schon, die gescheiten Herren von der Polizei.«
Frau Polanski schaut ihren Sohn groß an. Wo kommt er her, kommt er vom Galgen?
»Was schaust du so, Mutter? Hast du vielleicht auch geglaubt, daß ich der alten Bergmann den Schädel eingeschlagen hab'?«
Ich trete auf ihn zu. »Verzeihen Sie, ich bin Berichterstatter. Wieso hat man Sie entlassen?«
Franz Polanski lacht: »Da wär' ich ja beinahe in die Zeitung gekommen! Mutter, was sagst du, fast wäre ich berühmt geworden. Leider haben sie schon den Mörder, es ist der Sohn von der Hausbesorgerin. Aber ich hab' seit Mittag nichts gegessen; Hunger hab' ich, Mutter.«
Sie steht noch immer da mit wirrem Haar und dem Blick einer aus der Vergangenheit hervorgeholten Jugend.
Sie schaut auf mich: die Mutter eines Mörders hat die Dunkelheiten ihres Lebens einem Mann von der Zeitung enthüllt, und jetzt ist sie nicht mehr die Mutter eines Mörders, und der Mann von der Zeitung hat hier gar nichts zu suchen in dieser ehrlichen Stube. Sie hat sich vor ihm entblößt, weil sie gehofft hat – was hat sie nur gehofft?
»Hunger hab' ich, Mutter, hörst du nicht? Seit Mittag hab' ich keinen Bissen im Mund gehabt! Was starrst du denn so? Fressen will ich, wie oft soll ich es noch sagen?«
Da zuckt Frau Polanski zusammen, sie bindet ihr Kopftuch um, und gebückt, eine alte Wäscherin, stapft sie zum Herd: »Na ja, na ja, ich geh' ja schon.«
Und ich verlasse die Wohnung, ohne eine Notiz, ohne auch nur eine Zeile zu haben. 156