Egon Erwin Kisch
Asien gründlich verändert
Egon Erwin Kisch

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Zweifarbendruck von Taschkent

Graue Farbe: Die Stadt Taschkent ist von den kaiserlich russischen Kolonisatoren – die »Herren Taschkents« nannte sie der Klassiker Saltykow-Schtschedrin in seinem gleichnamigen Roman – in ein europäisches Settlement und ein Eingeborenenviertel geteilt worden. In der Europäerstadt residierte der Gouverneur, gewöhnlich ein abgesägter General, wie Kuropatkin, der gegen die Japaner seine Unfähigkeit bewies, Samsonow, der 1915 seine Soldaten in die masurischen Sümpfe jagte, und andere, die ihre als Kriegsmänner erlittenen Scharten durch Härte gegen die Usbeken auszuwetzen versuchten. An Seiner Exzellenz Seite walteten, ihm verwandt durch Stamm und Sinn, die Vertreter des Heiligen Synod, der Banken, der Zivilbehörden und der Baumwollfirmen. Die Altstadt aber, Ghetto der Usbeken, hatte in einer Distanz von zwei Kilometern abseits zu stehen und war ein jämmerlich vernachlässigter Bezirk.

Rote Farbe: Um den klaffenden Zwischenraum auszufüllen, werden jetzt fast alle Neubauten, deren die rasend emporschießende Hauptstadt bedarf, in der Altstadt aufgeführt, Fabriken, Arbeiterhäuser, Konsumgenossenschaften, Schulen, Klubs.

Graue Farbe: Trotzdem unterscheiden sich die Straßen 23 der Altstadt noch immer kilometerweit durch nichts von den Negerdörfern der nördlichen Sahara, durch nichts von den schmutzigen Außenbezirken von Tunis. Hier wie dort die fensterlose Wand aus Lehm, der mit Stroh, Häcksel, Urin von Kamelen verrührt, von den Händen der Menschen angeklatscht, von der Hitze der Sonne gebacken und vom Zahn der Zeit zerbissen ist. Im ersten Stockwerk ein freigelassener Raum als Veranda, zu ebener Erde Nischen, darin ein Hufschmied hantiert, ein Raseur, ein Sattler oder ein Brezelbäcker. Die Moscheen fraßen alle Architektur, für den Profanbau blieb nicht einmal ein Ornamentchen, nicht ein Ziegelchen übrig.

Rote Farbe: Jetzt erst wird das eintönige Gemäuer durch neue Häuser unterbrochen. Eine Straßenbahn-Remise und das Gebäude des Frauenklubs (Kinderkrippe, Säuglingsfürsorge, Mutterschutz, Aufklärungsarbeit) sind erstanden, eine große Druckerei, ein Technikum für Genossenschaftswesen, eine Filiale des Moskauer Zentralinstituts der Arbeit, eine gynäkologische Klinik, ein medizinisches Technikum zur Ausbildung von Krankenschwestern, Pflegern, Hebammen, von Hilfsarbeitern für Apotheken, Unfallstellen und Prophylaktorien. Die Moschee Scheich Anta-ur ist Aufnahmehalle der Filmfabrik »Roter Stern« geworden, – in Hollywood macht man aus den Aufnahmehallen der Filmfabriken Moscheen. Im Garten der Ex-Moschee spielen junge Usbeken Tennis, am Rand des Bassins steht ein Rotes Teehaus. Das usbekische Nationaltheater trägt den Namen des Dichters und Komponisten Chakimsade Hamsa, der . . . .

Graue Farbe: 1926 im Tal von Fergana wegen seiner freigeistigen Poesie von religiösen Fanatikern erschlagen wurde.

Rote Farbe: Bei der Uraufführung des Dramas »Der 24 erste Pfiff« von Mumtas setzte sich ein junger Mann neben uns, um uns, den einzigen Europäern im Zuschauerraum, die Bühnenvorgänge ins Russische zu übersetzen. Er tat das kritisch, und um so größer war unsere Überraschung, als er sich im Laufe der Unterhaltung als der Autor herausstellte. Gerufen wurde er nicht, obwohl das Stück allen außer ihm gefiel. Er war weniger aufgeregt als die Zuschauer bei dieser seiner ersten Premiere, in diesem Augenblick seines Eintritts in die usbekische Theatergeschichte. Das Stück spielt unter Baumwollbauern, und sein Thema sind . . .

Graue Farbe: . . . die Machenschaften der Kulaken und der mit ihnen verbundenen Schädlinge, die sich ihre Aufnahme in die Kommunistische Partei erschlichen haben. (Zum Unterschied von anderen Schädlingsdramen auf den sowjetrussischen Bühnen tritt hier kein Pfaffe als Bundesgenosse der Kulaken auf.) Die Reaktionäre dingen Banditen, um die Führer der Arbeiter-Stoßbrigaden ermorden und die Baumwollfabrik in die Luft sprengen zu lassen.

Rote Farbe: Aber die G.P.U. greift ein, da schon der Mordstrahl blitzend die Luft durchfährt, die G.P.U. greift ein, da die Lunte bereits glimmt, und jubelnd, minutenlang jubelnd – »bis«, »bis« – quittiert das keineswegs nur kommunistische Publikum dieses Einschreiten.

Graue Farbe (außerhalb des Rahmens um unseren Zweifarbendruck): Der Besucher aus dem Westen wirft die Frage auf: warum könnte es kein europäischer Dramatiker wagen, die politische Polizei seines Landes, etwa die »Abteilung IA« in Deutschland, die »Siguranza« in Rumänien, die »Defensive« in Polen, die doch alle das Prinzip ihres Staates vertreten, sympathisch auf die Bühne zu stellen? Der Besucher aus dem Westen wirft die Frage auf, warum 25 alle diese energisch staatserhaltenden Behörden geheime Behörden sind,

Rote Farbe: . . . während die G.P.U. bei der Maifeier oder bei der Oktoberfeier begeistert bejubelt wird, fast in jedem Haus das Bild ihres Gründers Dsherschinski hängt, Schulen, Fabriken, Klubs sich nach ihm nennen.

Graue Farbe: Im Theater Hamsa sitzen viele Frauen mit dem Tschadschwan, einem Schleier aus Pferdehaaren.

Rote Farbe: Sie sehen auf der Bühne Frauen ihres Stammes, die ihre Sprache sprechen, ihre Lieder singen und kein Schutzschild vor dem Antlitz tragen. Und die Verschleierten klatschen den Unverschleierten Beifall.

Graue Farbe: Dabei muß man wissen, daß es in Usbekistan noch Gegenden gibt, wo Frauen, die sich ohne Tschadschwan zu zeigen wagen, gesteinigt werden. – Neben einer der verschleierten Theaterbesucherinnen sitzt ihre Tochter.

Grau-rote Übergangsfarbe: Wie ihre Mutter ist sie in das Nationalgewand, Parandscha, gehüllt, das vom Kopf bis zu den Knöcheln reicht, aber sie ist nicht verschleiert.

Rote Farbe: Und das Mädchen neben ihr – Freundin? Schwester? – hat kurzes Haar, europäische Kleidung. Viele junge Usbekinnen und Tadschikinnen tragen schon die olivengrüne Uniform der Komsomolzen.

Graue Farbe: Auf der Hauptstraße der Altstadt schaut eine Gruppe von Frauen durch das Roßhaarschild zu, . . .

Rote Farbe: . . . wie ein Auto von einer Frau angekurbelt wird. Tschadschwan und Autobrille schützen gleichermaßen vor dem argen Staub Taschkents, aber die Autobrille nimmt man ab, wenn man sie nicht braucht. 26

Graue Farbe: Den Tschadschwan nimmt man nicht ab, zeitlebens steckst du hinter einem Gitter, durch das du die Welt schwarz siehst, und durch das die Welt dich schwarz sieht, in einer beweglichen Kerkerzelle, die nur dein Gebieter öffnen darf.

Rote Farbe: Ein Brückenkopf, tief in das dumpfe Lehmgesiedel der Altstadt vorgeschoben, ein Brückenkopf der neuen Zeit ist der Frauenklub von Taschkent. Wenn man einige Stunden in den Beratungsstellen dieses mächtigen Neubaus zubringt, dann erlebt man schaudernd den wahren Orient.

Graue Farbe: Ein Mädchen kommt herein, hebt den Schleier.

»Wie alt bist du?«

»Vierzehn Jahre.«

»Was willst du?«

»Ich – ich habe vor neun Wochen – geheiratet. Und ich – ich möchte – möchte weg von meinem Mann.«

»Wer hat dich verheiratet?«

»Meine Mutter. Sie ist sehr arm, und sie hat für mich ein großes Kalim (Kaufpreis) bekommen.«

»Wieviel hat er bezahlt?«

»Sechzehn Hammel.«

»Wie alt ist er?«

»Das weiß ich nicht. Seine Enkelsöhne sind älter als ich.«

»Er hat also außer dir noch eine Frau?«

»Nein. Er hatte drei Frauen, sie sind alle tot.«

»Was ist er von Beruf?«

»Händler. Er ist Lischenez.« (Einer, dem die Bürgerrechte abgesprochen sind.)

»Warum willst du von ihm fort?« 27

»Ich bin ein Jahr lang zur Schule gegangen und möchte weiterlernen oder wenigstens lesen. Das erlaubt er nicht. Ich hatte ein Buch, er hat es verbrannt und mich geschlagen. Ich habe einmal gesagt, daß ich den Schleier ablegen will. Darauf hat er gedroht, er wird mich töten, wenn ich so etwas auch nur sage. Er läßt mich nicht ausgehen. Ich kann aber nicht den ganzen Tag auf der Erde sitzen und mit dem Halsband spielen. Heute bin ich weggelaufen.«

Rote Farbe: »Gut. Du kannst vorläufig hierbleiben.«

»Aber ich – ich bekomme ein Kind.«

»Der Arzt wird dich untersuchen, vielleicht kann er dir helfen.«

»Wird meine Mutter die sechzehn Hammel zurückgeben müssen?«

»Nein. Wir werden ein Protokoll aufnehmen und schicken es ans Gericht.«

Graue Farbe: Zwei Frauen treten ein, jede mit einem Kind, das kleinere hat Beinchen und Händchen verbunden, es ist eben im Ambulatorium unten im Haus behandelt worden. Die beiden entschleiern sich nicht, sprechen durcheinander. Man schickt die eine hinaus. Aus den Worten der Zurückbleibenden geht hervor:

»Wir sind Frauen des gleichen Mannes. Er ist 75 Jahre alt, Lischenez. Ich bin die jüngere, er zieht mich ihr vor und mein Kind dem ihren. Aus Eifersucht hat sie mein Kind an den Backofen gestoßen. Ich habe mich bei unserem Mann beschwert, und er hat sie geschlagen, bis sie zusammenbrach. Acht Tage mußte ich sie pflegen . . .

Rote Farbe: . . . dann haben wir beschlossen, beide von ihm fortzugehen. Aber wir wissen nicht, wovon wir leben werden. Kannst du uns einen Rat geben?« 28

»Wollt ihr gleich hierbleiben?«

»Nein. Heute gehen wir noch nach Hause.«

»Gut. Wir werden eine Anzeige machen. Für die Kinder muß er auf jeden Fall sorgen.«

»Da wird er doch erfahren, daß wir ihn angezeigt haben!«

»Nein. Ihr müßt nur die Wahrheit sagen, wenn das Gericht euch verhört.«

Graue Farbe: In der konservativen frommen Altstadt von Taschkent blühte früher die Prostitution. Auch heute empfinden noch manche Frauen Arbeit beschämender als den mit verhülltem Gesicht ausgeübten Männerfang. Gewöhnlich sind es die älteren Frauen im Harem ihres Gatten, er gibt ihnen und ihren Kindern kein Geld mehr, so daß sie zwischen Nationaltheater und Zirkus auf den Strich gehen, während er im Teehaus sitzt.

Rote Farbe: Eine Nachtklinik, drei Prophylaktorien, drei Ambulatorien arbeiten in der Nähe des Basars; die Bordelle sind aufgehoben, an ihrer Statt sind Arbeitsstellen eingerichtet, in denen die Prostituierten bleiben müssen, bis sie lesen, schreiben und eine Arbeit erlernt haben.

Graue Farbe: Im ehemaligen Gouvernement Turkestan waren die mohammedanischen Frauen ausnahmslos Analphabeten.

Rote Farbe: Noch immer stößt die Durchführung der allgemeinen Schulpflicht für Mädchen auf steile Hindernisse; den Mädchenschulen müssen Lehrerinnen zugewiesen werden, die Knabenschule darf nicht im gleichen Haus sein. Allerdings besuchen Frauen auch schon Mittelschulen, – vor dem Krieg gab es hier überhaupt keine den Mohammedanern zugängliche Mittelschule. Im Frauenklub werden Tageskurse und Abendkurse zur Liquidierung des Analphabetentums 29 abgehalten. Die Klubmitglieder, durchwegs usbekische, tadschikische oder kirgisische Frauen, bilden verschiedene Zirkel: Sport, Theater, Musik und Landesverteidigung. Der Zirkel der Gottlosen nennt sich hier »Naturwissenschaftlicher Kurs« und man lehrt dort Biologie und Völkerkunde, Allah möglichst aus dem Spiel lassend. Eine Filiale der staatlichen Sparkasse amtiert im Klubgebäude, verschleierte Frauen legen erspartes Geld auf ihren Namen ein, – ein großer Schritt zur Befreiung aus der Sklaverei. (In Deutschland darf keine verheiratete Frau ohne Zustimmung ihres Mannes ein Bankkonto eröffnen.)

Graue Farbe: Ein Museum im Wartezimmer gibt den Müttern Anschauungsunterricht in Säuglingspflege. An Bildern und Schaustücken wird die Schädlichkeit der bisherigen Methode gezeigt. Das Usbekenbaby, in einer mit weißen Tüchern verhängten Wiege, dem »Beschik«, festgebunden, kommt während seines ersten Lebensjahres nur beim Wechseln der Windeln aus diesem schaukelnden Kerkerchen heraus. Die Mutter beugt sich über die Wiege, um das Kind zu stillen. Wenn es Pipi macht, so läuft das Wasser zwischen zwei schrägliegenden Miniaturmatratzen in ein Töpfchen unter der Wiege. Blasenkatarrhe sind die Folge, durch das unbewegliche Liegen wird das Köpfchen flach, die Einschnürung der Ärmchen durch Armbänder stört den Blutkreislauf, und das landesübliche Abwischen des Popos mit Steinen ist auch nicht das richtige. (Auf allen Abtritten der Altstadt sind Steine bereit, alle für einen, einer für alle, und bilden neben der kollektiven Benützung der Teetasse und des Tschilims, der Schlauchpfeife, die Hauptursache für die Verbreitung der Syphilis.)

Rote Farbe: Modelle und Bilder stellen diesen 30 Landesübeln die moderne Säuglingspflege gegenüber. Tief verschleiert sitzen die Mütter da, aber ruhig entblößen sie vor den eintretenden Männern die Brust, um ihr Kind zu stillen, sie lassen sich vom Arzt gynäkologisch untersuchen, wenn nur ihr Gesicht verdeckt bleibt. Manche befolgen den Rat, ihr Kind in der Krippe zu belassen. Wir durchwandern den Kindergarten, wo die Erziehung zur Gemeinschaft beginnt. Bei den Dreijährigen ist eben Mittagessen. Der Diensthabende, schrecklich stolz auf sein Amt ist der Stöpsel, wackelt mit einem Löffel zu einer beim Tisch sitzenden Altersgenossin und legt ihn vor sie hin, wackelt zurück zum Löffelschrank und bringt dem Nächsten einen Löffel, – einen vollendeten Kellner kann man ihn nicht nennen. Die Sanitätskommission der vierjährigen Usbeken hält Sitzung ab. Sie entscheidet mit leidenschaftslosem Ernst, ob die Fingernägel ihrer Kollegen sauber sind und genügend kurz geschnitten. Im Garten wird gespielt, die Kinder – was spielen die Kinder in der Sowjetunion? – sie spielen Kolchos (Kollektivwirtschaft).

Graue Farbe: Viele der Kleinen leiden an Würmern, die vom Wasser der Kanäle und Bassins stammen, Säuglinge (ein bläulicher Rhombus auf der Rückenhaut, der Mongolenfleck, ist das Kennzeichen der Rasse während der ersten Lebensmonate) saugen die Infusorien mit der Muttermilch ein.

Rote Farbe: Mit Ausnahme des Arztes sind alle Funktionäre des Frauenklubs Usbekinnen, wie auch alle Ämter und fast alle Betriebe von Einheimischen geleitet werden. Die Befreiung der Frau vollzieht sich gleichzeitig mit der Befreiung der ganzen Nation, vollzieht sich ersprießlich, während . . . 31

Graue Farbe: . . . die Kolonialmächte ihre Sklavenhalterei mit der Behauptung begründen, die Kolonialvölker – alte Kulturvölker wie Inder oder Araber! – seien unfähig zur Selbstverwaltung. Freilich, noch gibt es viel Grau im Zweifarbendruck Taschkents, oft wird die neue Zeit mißverstanden.

Rote oder graue Farbe? Da putzen sich junge Leute im Kanal der Altstadt die Zähne und gurgeln das trübe Wasser, in dem der Nachbar, von der hygienischen Agitation beeinflußt, sich die Füße wäscht.

Graue Farbe: Im Hof der usbekischen Häuser schwält eine Pfütze, an deren Rand ein Teppich ausgebreitet ist, darauf manchmal ein Damebrett, immer geleerte Teetassen und Brotreste. Der Hausherr führt uns ins Taschkari, die Männerabteilung. Möbellose Zimmer ohne Ofen. Zusammengelegte Steppdecken sind bereit, jederzeit als Stühle, und ein Teppich, jederzeit als Tisch zu dienen. Nachts sind Decken und Teppich das Bett. Wir möchten das Frauenhaus sehen. Ungern willigt der Hausherr ein, tritt auf die andere Seite des Hofes, von wo ein gedeckter Korridor hinüberführt zum Itschkari, klatscht in die Hände, ruft »ej, kotschinglar« (verschwindet!) und geht voraus, um zu sehen, ob die Luft rein ist. Nur eine mit bunten Metallen und Perlmutter eingelegte Truhe schmückt den Frauenraum. An der Wand hängt der Susaneh, ein Teppich, der unvollendet ist, weil man stirbt, wenn man ihn zu Ende webt. So will es Allah, und Allah will, daß die Frau hier ihre Zeit verbringt, ohne einen anderen Mann zu sehen als ihren »Gebieter«, – er soll dein Herr sein, das hat Mohammed aus der Bibel plagiiert – ihm hat sie, Lebenszweck, ihre Liebe zu geben, bis er eine jüngere kauft, mit der sie nun, der verhaßten, höhnischen, 32 zeitlebens auf dem gleichen Teppich hockt. Sogar den Namen verliert das Mädchen, das heiratet. Von dem Tage an, da sie den ersten Knaben geboren, heißt sie »Mutter des Achmed« oder »Mutter des Ibrahim«.

Rote Farbe: Die Sowjetgesetze verbieten die Vielweiberei. Der, der mehrere Frauen besitzt, darf sie behalten, jedoch keine neue Ehe schließen.

Graue Farbe: Aber welcher Usbek, hoch oben in den Bergen, wird nach dem Gesetz fragen, wenn ihm jemand für seine Tochter zwanzig oder gar sechzig Hammel bezahlt? Und welche Behörde kann in alle Geheimnisse des Familienlebens eindringen, solange die Register nicht die ganze Bevölkerung erfassen? Fast in allen alten Häusern erhält man auf die Frage, wer im Itschkari wohne, die Antwort: »Meine Mutter, meine Gattin und meine Töchter.«

Rote Farbe: Am Rand der Altstadt fängt eine neue Stadt an. Kein Viertel mehr grau in grau, ein Viertel im Grünen, ein rotes Viertel im Grünen. Arbeiterhäuser. Über den Ziegeldächern hängen Antennen, den fünfzackigen Stern mit Sichel und Hammer als Schmuck. Gärten mit Gemüsebeeten und Obstbäumen. Gorodok Selenskowo heißt der neue Bezirk. Auch hier wohnen Usbeken. Wir können eintreten, selbst wenn der Hausherr nicht daheim ist. Die Kinder führen uns umher, knipsen das elektrische Licht an, drehen den Hahn der Wasserleitung auf, schalten das Radio ein, – ungeahnte Wunder. Eine junge Frau sitzt auf dem Teppich, wie ihre Schwestern in der grauen Nachbarschaft, ihr Töchterchen ist mit breiten Armreifen behängt wie die Töchterchen ihrer Schwestern in der grauen Nachbarschaft, in der Ecke steht der Beschik, die verhängte Wiege, wie bei ihren Schwestern in der grauen Nachbarschaft. Aber die Wiege 33 wird nur nachts benützt. Und niemand hat in die Hände geklatscht und »ej, kotschinglar« gerufen, als wir nahten. Die Hausfrau sieht uns, die fremden Männer, unbefangen an, obwohl sie unverschleiert ist – sie trägt überhaupt keinen Schleier mehr – und antwortet auf unsere Fragen: »Fünfzehn Rubel kostet das Haus monatlich und nach sechzehn Jahren gehört es uns. Mein urtak (Genosse) ist 28 Jahre alt, er arbeitet bei der Straßenbahn. Ja, ich bin Mitglied des Frauenklubs, aber mein Töchterchen ist noch zu klein, es läßt mir jetzt keine Zeit hinzugehen, kaum Zeit zum Lernen.« Sie zeigt auf die Fibel, ein Heft und einen Bleistift, die neben ihr liegen. 34

 


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