Eduard von Keyserling
Abendliche Häuser
Eduard von Keyserling

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Achtzehntes Kapitel

Die Baronin Port hatte ihren Strickrahmen auf die Veranda hinaustragen lassen; da saß sie mitten unter den Schatten des wilden Weines und arbeitete. Sie stickte an einem jungen Hunde, der nach einer Wespe schnappt auf hellblauem Grunde. Auch Gertrud hatte sich hier in einem Liegestuhl ausgestreckt und sah müßig auf das Land hinaus. Sylvia aber las still für sich einen englischen Roman. Der Baron Port kam auf die Veranda heraus im Reitanzug, denn er war im Begriff, seinen gewohnten Abendritt zu machen. »Ihr sitzt hier ganz gut«, meinte er, »ich wollte nur sagen, daß ich in Paduren anreiten will und vielleicht später nach Hause komme.« – »Tue das«, erwiderte die Baronin, »sieh etwas nach den armen Padurenschen.« – »Ach was, arm«, versetzte der Baron, »ich finde, Warthe ist in letzter Zeit sehr guter Laune. Nun, und Fastrade kommt allmählich auch darüber hinweg, sagt mir die Tante. Vernünftiges Warthesches Blut. Es ist gut, daß auch die dümmsten Geschichten vorübergehen.« Er stand noch einen Augenblick da und schaute auf den Garten hinunter, »ein Wetterchen, ein Wetterchen«, murmelte er, »wenn das so weiter geht, kriegen wir ein Heu wie Zucker. Na ja, dann auf Wiedersehen«, und er ging.

Sylvia, die, während ihr Vater sprach, ruhig weitergelesen hatte, ließ jetzt das Buch sinken. »Du weinst ja«, sagte Gertrud. Sylvia lächelte und hatte die Augen voller Tränen. »Ja«, erwiderte sie, »die kleine Mary, die den Lord liebt, stirbt an gebrochenem Herzen, das ist sehr rührend.« Gertrud lehnte sich befriedigt in ihren Stuhl zurück. »Gewiß, das gibt es«, meinte sie, »und es ist ein Trost, daß solche schöne, heiße Sachen wirklich in der Welt passieren, wenn sie auch nicht zu uns kommen. Mit dem armen Egloff und Fastrade und Lydia und Dachhausen waren sie uns schon ganz nahe.«

Die Baronin hob den Kopf und sah ihre Tochter unzufrieden über die Brille hin an. »Wie du wieder sprichst«, sagte sie, »danke Gott, daß du hier ruhig und glücklich leben kannst und daß wir von deinen dummen, heißen Sachen verschont bleiben.«

Gertrud lächelte überlegen. »Ich sage ja nichts«, versetzte sie, »aber ich kann mich doch darüber freuen, daß es da draußen ein Leben gibt, in dem Interessanteres sich ereignet, als daß das Heu gut hereinkommt.« Die Baronin zuckte die Achseln und suchte in ihrem Wollkorbe nach einem passenden Faden. »Draußen, draußen«, murrte sie, »du warst ja draußen und die Fastrade auch, was hat es geholfen? Ihr kommt ja doch zurück, ihr könnt dort ja doch nicht leben.« – »Vielleicht können wir es nicht«, erwiderte Gertrud gereizt, »aber ich kann mich doch darüber freuen, daß es Menschen gibt, die das können.«

Unterdessen ritt der Baron Port auf seiner alten Schimmelstute gemächlich zwischen seinen Feldern hin. Der Tag war sehr heiß gewesen; von der Abendsonne angeleuchtet, schwebte der Staub wie ein rötlicher Dunst über der Landstraße, das Korn war schon in Ähren, die Wiesen in ihrem vollen Blühen hatten einen schönen Kupferglanz. Die Arbeiter kamen von ihrer Arbeit und grüßten den Baron, und er nickte wohlwollend, rief dem einen oder anderen etwas zu: »Heiß gewesen heute, was?«, und als sie schon vorüber waren, behielt sein Gesicht noch eine Weile das leutselige Lächeln. Er liebte es, auf seinen abendlichen Ritten nicht nur seine eigenen Felder, sondern auch die Felder der Nachbargüter zu besichtigen. So schlug er den Weg nach Barnewitz ein. Als er am Hause vorüberkam, sah er die Baronin Dachhausen und Adine in ihren Trauerkleidern auf der Hofestreppe stehen und zum Stall hinüberschauen, in den gerade das Vieh eingetrieben wurde, eine lange Reihe schöner, schwarz und weiß gefleckter Tiere, die langsam vorüberzogen und eine Atmosphäre von Gemächlichkeit und Sattheit um sich her verbreiteten. Der Baron grüßte hinauf, und die Damen winkten. Von Barnewitz machte er einen Umweg über Sirow. Die Felder standen auch dort gut. Durch das Gartengitter sah er die beiden Frauen mit wehenden Trauerschleiern in der kleinen Wandelhalle auf- und abgehen. Das kannte er, das hatte er oft schon gesehen, wenn er vorüberritt, nur fiel es ihm heute auf, daß die Baronin Fräulein von Dussa den Arm gab und langsam zu gehen schien.

Um Sonnenuntergang langte er in Paduren an. »Die Herrschaften sind unten im Park«, meldete der Diener. »Ich weiß, ich weiß«, sagte der Baron Port und ging zum kleinen See hinunter. Dort fand er den Baron Warthe in seinem Rollstuhle, die Baronesse Arabella und Fastrade. Sie saßen still beisammen und warteten auf den Einfall der Enten. »Kommen sie schon?« fragte Baron Port. »Die kommen schon«, erwiderte Baron Warthe und lachte, »nach dem heißen Tage haben sie es eilig.« – »So, so«, meinte Baron Port und setzte sich zu seinem alten Freunde: »Ja, ein Wetterchen, wenn das so fortgeht, so kriegen wir alle Arbeit zugleich auf den Hals«, und er erzählte von den Witzowschen Feldern und von den Barnewitzschen und Sirowschen Feldern, und sie sprachen von den früheren Ernten. Wenn eine Schar Enten herangeflogen kam und sich rauschend in das Schilf niederließ, dann hielten die alten Herren in ihrem Gespräch inne und lachten.

»Nichts Neues in der Gegend?« fragte der Baron Warthe. »Nein, nichts«, erwiderte der Baron Port, »Gott sei Dank ist hier alles wieder ruhig.« – »Das ist gut«, meinte der Baron Warthe in belehrendem Stimmtone, »man hat im Leben ja auch seine Unruhe gehabt, man hat seine Tätigkeit und seinen Wirkungskreis gehabt, nun will man Ruhe im windstillen Winkel.« – »Da hast du ganz recht, Bruder«, bestätigte Baron Port.

Fastrade saß schweigend da und schaute auf den See hinaus. Die behaglich plaudernden Stimmen der Alten drangen zu ihr wie etwas, gegen das sie sich wehrte. Alles wieder ruhig. War diese Ruhe nicht etwas Drohendes und Feindliches? Sie hatte Angst um ihren Schmerz, der jetzt ihr heiligstes Erlebnis war. Würde er in dem windstillen Winkel stille werden, schläfrig werden, untergehen?

Die Dämmerung nahm zu, Enten kamen nicht mehr, der See wurde still, nur zuweilen rauschte ein Flügel im Schilf, eine Ente schnatterte im Traum, oder eine Unke plätscherte leise auf ihrem Wege durch das seichte Wasser am Ufer. Irgendwo im Rasen begann ein Erdkrebs seinen einsamen Liebesgesang. – In der Finsternis still vor sich hinzuweinen tat Fastrade wohl, es tat ihr wohl, in sich hineinzuhorchen auf das Schlagen ihres Herzens und das Fiebern ihres Blutes, sie fühlte sich dann wunderbar eins mit dem verstohlenen Schluchzen, Liebkosen und Seufzen, mit dem ganzen geheimnisvollen Leben, das durch die Junidämmerung atmete. – »Es wird dunkel«, sagte der Baron Warthe, und man machte sich auf den Heimweg. Am Parkgitter ließ der Baron halten. »Sieh, Port«, meinte er, »drüben bei dir haben sie schon Licht gemacht.«

»Ja«, erwiderte der Baron Port, »und dort in Sirow auch. Und das dort ganz weit sind die Lichter von Barnewitz.«

Die goldenen Lichtpünktchen blinzelten friedlich über die Ebene hin, auf deren Felder, fette Wiesen und stille Wege flüsternd die Sommernacht herabsank. »Aber kühl wird es doch abends«, bemerkte Baron Port. »Ja, kühl«, bestätigte Baron Warthe, »da wird ein Glas von meinem Rotwein gut tun, du kennst ihn ja.« – »Den kenne ich gut«, schmunzelte der Baron Port, und die beiden alten Herren lachten behaglich bei dem Gedanken an den guten Padurenschen Rotwein. –


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