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Der Winter neigte sich seinem Ende zu. Fastrade hatte über die schon feucht gewordenen Wege ihren Abendspaziergang gemacht und kam nach Hause, wo der gewöhnliche Padurensche Abend sie erwartete. Couchon saß bei ihren Karten, und es roch dort nach den Bratäpfeln, die sie stets im Ofenrohr hielt. Im Saal waren die Lampen noch nicht angezündet. Fastrade wollte, wie sie es jeden Abend tat, in das Zimmer ihres Vaters gehen, aber sie wurde unterwegs von der Baronesse Arabella aufgehalten, die im Dunkeln nach Fastradens Händen griff und flüsterte: »Der Egloff ist hier gewesen.« – »Oh, wirklich«, sagte Fastrade. Das klang gleichgültig, aber sie wußte sofort, daß sich etwas ereignet hatte, das diesen gewöhnlichen Padurenschen Abend für sie mit einem Schlage zu etwas sehr Bedeutsamem und Einzigem machte. »Und denke dir«, fuhr die Baronesse fort, »er hat bei deinem Vater um deine Hand angehalten.«
»Der tolle Mensch«, entfuhr es Fastrade.
»Nicht wahr?« meinte die Baronesse. »Dein Vater hat auch, glaube ich, sehr ernst mit ihm gesprochen, er hat ihm auch wohl gesagt, daß er diese Verbindung nicht wünschen kann. Im übrigen hat er alles von deiner Entscheidung abhängig gemacht. Du weißt, er entscheidet jetzt so ungern etwas allein. Aber ich freue mich, liebes Kind, daß du auch so denkst.«
»Wie denke ich?« sagte Fastrade schnell. »Ich weiß gar nicht, wie ich denke.«
»Aber, liebes Kind«, wandte die Baronesse ein, »ein so leichtsinniger, junger Mensch.«
»Nein, nein, nein, ich weiß nicht, wie ich denke«, wiederholte Fastrade; sie machte sich von der alten Dame los und setzte schnell ihren Weg zum Zimmer ihres Vaters fort.
Als Fastrade eintrat, richtete der Baron sich aus seiner gebückten Haltung stramm auf: »Komm, setze dich, meine Tochter«, sagte er feierlich. »Also der Dietz Egloff hat um deine Hand angehalten, du bist alt genug, um zu entscheiden.« Er hielt inne und machte ein unzufriedenes Gesicht. Er war enttäuscht, daß das, was er sagte, so mühsam und dürftig herauskam. »Nun ja«, fuhr er dann fort und gab seiner Stimme einen ernsteren, volleren Klang, »ich habe ihm gesagt, daß ich nicht in der Lage bin, ihn für den geeigneten Gatten meiner Tochter zu halten. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn sozusagen mißbillige, aber ich würde dich fragen, und du wirst entscheiden.« Er schwieg dann und hustete, denn die Rede hatte ihn ermüdet.
»Was sagte er?« fragte Fastrade, und die Andeutung eines Lächelns zuckte um ihre Lippen. »Er sagte nicht viel«, erwiderte der Baron, »er sagte, er sehe deiner Entscheidung entgegen, dann stand er auf und ging fort. Nun, ich denke, die Entscheidung kann dir nicht schwer fallen.« Eine Pause entstand. Fastrade hatte den Kopf auf die Lehne des Sessels zurückgebogen und schaute sinnend zur Decke auf, die Lippen noch immer wie bereit zu einem Lächeln. »Nun?« fragte der Baron endlich.
»Ich denke«, sprach Fastrade endlich zur Decke hinauf, »ich denke, ich schreibe ihm, daß er kommen kann.«
Der Baron antwortete eine Welle nicht, er hustete, räusperte sich, endlich begann er zu sprechen, unsicher und mit Anstrengung: »Das heißt also so viel, daß du ihn nimmst, ganz ohne zu überlegen, einen Menschen, von dem du weißt, daß ich ihn mißbillige, einen leichtsinnigen Menschen, einen Spieler. Aber so warst du immer, auf meinen Rat hörtest du ja nie, du mußtest deinen Willen haben. Aber Kind, Kind«, die Stimme hob sich und wurde pathetisch, »zu spät einzusehen, daß ich recht habe, das bringt Kummer über alle. Du wirst sehen –« Aber er hatte sich überschätzt, die Stimme brach plötzlich ab, er lehnte sich in seinen Sessel zurück und schloß die Augen. »Tue, was du willst«, murmelte er kleinlaut und mutlos, »du willst ja nicht gehorchen.-
Fastrade beugte sich besorgt vor, legte ihre Hand auf die Hand ihres Vaters: »Doch, Papa«, sagte sie, »ich will gehorchen, aber wenn ich entscheiden soll, entscheide ich so.«
Der Baron verzog ärgerlich sein Gesicht: »Gut, gut, tue, was du willst, geh jetzt, ich bin müde.« Fastrade stand auf und ging. Drüben in ihrem Zimmer begegnete sie dem kleinen Stubenmädchen Trine. »Trine«, sagte sie, »liebst du noch deinen Hans, deinen Stallburschen?« Das Mädchen beugte verschämt den Kopf und lachte über das ganze Gesicht: »Ach was, der«, murmelte es. »Ja, liebe ihn nur«, fuhr Fastrade fort, »er betrinkt sich zuweilen, nicht?«
»Ja, mit dem Trinken«, erwiderte Trine, aber Fastrade unterbrach sie: »Das schadet nichts, liebe ihn nur, die armen Männer, sie stehen so im Leben, sie wissen nicht, wie sie in all diese Sachen hineinkommen, wir können ihnen vielleicht helfen.« Trine hob ihr errötendes Gesicht zu Fastrade auf und sagte treuherzig: »Ach, Fräulein, der Hans hat auch einen ganz freundlichen Rausch.« – »So, so«, meinte Fastrade, »um so besser.«
An Egloff schrieb Fastrade: »Sie dürfen kommen. Fastrade.«
Am Nachmittage des nächsten Tages wurde Egloff erwartet. Die Baronesse Arabella hatte ihr schwarzes Seidenkleid angezogen und ihre Scheitel frisch gebauscht. Mit kummervoller Geschäftigkeit ging sie durch die Zimmer und ordnete. Sinnend blieb sie vor Fastrade stehen: »Ich denke, wir machen das so«, sagte sie, »ich lasse die Lampen im Saale früher anzünden, du empfängst ihn hier, ihr sagt euch das Nötige, ich bin bei deinem Vater, dann kommt ihr zu uns herein. Lange dürft ihr nicht bleiben, es regt deinen Vater auf und könnte ihm schaden. Ich gebe euch das Zeichen, wann ihr gehen sollt. Gut, ihr geht dann in dein Schreibzimmer, und dort nimmt die Verlobung ihren weiteren Verlauf, bis Christoph zum Abendessen ruft. Dein Vater gibt eine Flasche Château Pape Clément und eine Flasche Roederer. Wir haben einen Fisch, Hühner und eine Charlotte, ich denke, so wird es gehen.«
»Also ein Fest«, sagte Fastrade spöttisch. Die alte Dame zuckte mit den spitzen Schultern: »Dein Vater meint, wie er auch über die Sache denken mag, es soll doch alles geschehen, was bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt.« Aber Fastrade schien das alles nicht zu gefallen, und es klang gereizt, als sie sagte: »Es ist gewiß sehr freundlich von Papa, daß er seinen geliebten Pape Clément opfert, aber ich finde, eine Verlobung ist ohnehin kein angenehmer Augenblick, und wenn nun noch eine Zeremonie daraus gemacht wird –«
»Das ist nicht zu ändern«, meinte die Baronesse und wandte sich wieder ihren Beschäftigungen zu, »jedes Ding hat seine Form.«
Es begann schon zu dämmern, als Egloff ankam. Fastrade stand mitten im Saal in ihrem schwarzen Spitzenkleide, eine blasse Monatsrose im Gürtel. Sie machte ein etwas böses Gesicht, wie stets, wenn sie befangen war. Als Egloff eintrat, lächelte er sein spöttisches Lächeln, aber Fastrade sah sofort, daß auch er befangen war, und das gab ihr Mut. Er trat auf sie zu, nahm ihre Hand, küßte sie und behielt sie dann in der seinen. Fastrade bemerkte, daß diese Hand sehr kalt und sehr vorsichtig war, als fürchtete sie, ihr wehe zu tun. »Ich danke Ihnen«, sagte Egloff, »ich hatte nicht geglaubt, daß es solch eine Qual sein kann, auf einen Brief zu warten, mit jeder Minute erschien mir mein Unternehmen gewagter, aber ich kann nicht warten, ich spiele gern Vabanque.«
Fastrade zog ein wenig die Augenbrauen zusammen. »Ach nein, nicht das«, meinte sie, »ich möchte nicht einer dieser unangenehmen Gewinste sein.«
Egloff lachte: »Nun gut, nennen wir es anders.« – »Aber wie kamen Sie darauf?« fragte Fastrade. »Wir kennen uns doch so wenig.« – »Das war eine Chance mehr für mich«, erwiderte Egloff, »denn, wenn man sich erst kennt –« Fastrade jedoch unterbrach ihn: »Sie dürfen heute nicht so – gottlos sprechen.« – »Gottlos«, wiederholte Egloff, »nein, ich fühle mich heute so fromm, wie es nur einer kann, an dem ein gutes Werk geschehen ist.« Er küßte wieder Fastradens Hand, und dann schwiegen sie. Fastraden ging es durch den Sinn, ich habe es gleich gedacht, daß dabei eine lächerliche Situation herauskommen wird. Endlich begann Egloff wieder zu sprechen: »Sie sehen, dieses Haus schüchtert mich so ein, ich unterlasse wahrscheinlich wichtige Dinge. Sind da nicht noch Formalitäten zu erfüllen?«
»Wir müssen zu meinem Vater hineingehen«, erwiderte Fastrade.
»Natürlich«, versetzte Egloff, »der väterliche Segen, natürlich. Muß man dabei knien?« – »Das ist wohl nicht nötig«, erwiderte Fastrade und ging voran in das Zimmer ihres Vaters.
Der Baron und Baronesse Arabella saßen ernst und erwartend da. Als Egloff eintrat, streckte der Baron ihm langsam die Hand entgegen und sagte: »Willkommen, meine Tochter hat für Sie entschieden, so haben wir alles andere der Vorsehung anheimzugeben. Setzt euch, Kinder.« Er wartete, bis sie sich gesetzt hatten, und fuhr dann fort: »Meine väterlichen Befürchtungen und Sorgen habe ich euch beiden mitgeteilt. Fastrade ist in dem Alter, selbst über sich zu bestimmen, so sei denn von dem allen nicht mehr die Rede.« Und nach alter Gewohnheit machte er mit der flachen Hand einen Querschnitt durch die Luft. »Es bleibt mir somit nur übrig, des Himmels Segen auf euch herabzuflehen. Eine Bedingung jedoch möchte ich noch machen, ich verlange eine Wartezeit, bis zum nächsten Winter, sagen wir. Sie können es mir nicht übelnehmen, wenn ich auf solcher Probezeit bestehe, wenn ich wissen will, ob der künftige Gatte meiner Tochter sich als meiner Tochter würdig bewährt.« Der Baron war fertig, er lehnte sich zurück, er hatte kräftig und geläufig gesprochen, wie einst auf der Kreisversammlung, und das befriedigte ihn. Egloff dagegen dachte, dies ist der fatalste Augenblick meines Lebens, man sitzt und muß sich unangenehme Dinge sagen lassen, und was antwortet man nun auf so etwas. Endlich fiel ihm eine gut abgerundete Redensart ein, die er schnell und nachlässig hersagte: »Ich bin mir der großen Verantwortung wohl bewußt, die mir dieses unverdiente Glück auferlegt.« Bei dem Worte Verantwortung horchte der Baron auf: »Verantwortung«, wiederholte er, »ganz richtig. Große Verantwortungen erziehen den Menschen, das ist ganz richtig.« Jetzt gab die Baronesse das Zeichen, und Fastrade und Egloff zogen sich zurück.
In Fastradens Zimmer drückte Egloff sich fest in die Sofaecke, zog Fastrade nahe an sich und sagte: »So, das wäre überstanden. Hier bei dir sitzt es sich gut, wunschlos behaglich.« – »Du Armer«, meinte Fastrade, »so streng mit dir zu sein.« Egloff zuckte die Achseln: »Das ist vorüber, aber die Redensart mit der Verantwortung brachte ich doch gut heraus, die paßte so ganz in die Stimmung.«
Vor ihnen lag die stille Zimmerflucht, kein Ton regte sich im Hause, im Kamine prasselte das Feuer, draußen an den Fensterläden rüttelte der Frühlingswind. Egloff hatte eine Weile geschwiegen, jetzt lachte er plötzlich auf: »Immer wenn ich sah«, sagte er, »daß zwei Verlobte feierlich und geheimnisvoll in einem Zimmer allein gelassen wurden, alles umher mußte still sein, niemand durfte sie stören, da sagte ich mir: Was sprechen sie? Sie lernen sich kennen, gut, wie machen sie das? Jetzt weiß ich es. Sie sprechen gar nicht. Man hat gar keine Lust zum Sprechen, man hat gehört, was man hören wollte, daß man angenommen ist, nun ist man so wohltuend satt, daß man vorläufig nichts zu sagen braucht.«
»Und ich dachte«, versetzte Fastrade, »wenn zwei Verlobte sich zurückziehen, dann bekommt man viele ganz süße Sachen zu hören.«
»Ach ja, natürlich«, meinte Egloff, »diese süßen Sachen sind immer zu haben, aber es sind immer dieselben, wie die Bonbons beim Konditor Kitsch im Städtchen. Die einen sind rosa, die anderen sind gelb, und alle sind in Silberpapier gewickelt.«
»Ach ja, die habe ich sehr geliebt«, gestand Fastrade, »die einen schmeckten nach Rosen und die anderen nach Zitronen, und sie waren so süß, daß, wenn man sie aß, einem die Luft verging und die Tränen in die Augen traten. Aber das ist nichts für uns, unsere Verlobung ist viel zu ernst.«
Egloff fuhr auf: »Ernst? Warum soll unsere Verlobung besonders ernst sein? Weil es hier im Hause gespenstisch still und feierlich ist, weil dein Vater streng war und ich mich bewähren muß. Davon wird sich unsere Verlobung nicht anstecken lassen. Ich werde ja natürlich hierherkommen, um zu zeigen, ob ich mich bewähre, aber uns wirklich sehen, uns eigentlich sehen wollen wir uns draußen. Wenn ich höre, wie es da draußen bläst und an den Fensterläden rüttelt, möchte ich dich gleich nehmen und hinaustragen.«
Fastrade lächelte: »Würde das nicht gegen das Gesetz sein, wie der Baron Port sagt?« Egloff schlug mit der flachen Hand auf die Sofalehne und lachte laut: »Gegen das Gesetz des Baron Port zu sündigen wird eine Wohltat mehr sein.«
Während sie sprachen, betrachtete Fastrade genau Egloffs Gesicht. So nahe gesehen, war es ihr fremd, die eigensinnige Knabenstirn unter dem glattgescheitelten Haar war ihr bekannt, aber da waren zwei sichelförmige Fältchen zwischen den Augenbrauen. Auch war die rechte Augenbraue ein wenig höher als die linke, das gab wohl dem Gesichte den hochmütig spöttischen Ausdruck. Die Augen waren sehr dunkel, aber wenn sie in die auflodernde Flamme des Kamins sahen, wurden sie braun wie die Flügel der großen, schwarzen Herbstfalter, wenn die Sonne sie bescheint. Sie sah auf seine Hand nieder, welche die ihre hielt, eine breite, weiße Hand mit langen, schmalen Fingern, die sich seltsam nervös zuspitzten. Fastrade dachte daran, gehört zu haben, daß Egloff sehr stark sei. Von diesen Händen genommen und in den Frühlingswind hinausgetragen zu werden mußte vielleicht gut tun.
»Ach Gott, meine Erziehung«, sagte Egloff, »meine Erziehung war dumm, ich wurde unmenschlich verwöhnt, und doch war alles wieder verboten. Als ich mich dann später gierig auf meine Freiheit warf, enttäuschte sie mich, ich hatte mehr erwartet. Überhaupt an meiner ganzen Generation hier in der Gegend ist etwas versäumt worden. Unsere Väter waren kolossal gut, sie nahmen alles sehr ernst und andächtig. Es war wohl dein Vater, der gern von dem heiligen Beruf sprach, die Güter seiner Väter zu verwalten und zu erhalten. Na, wir konnten mit dieser Andacht nicht recht mit, nach einer neuen Andacht für uns sah man sich nicht um. Und so kam es denn, daß wir nichts so recht ernst nahmen, ja selbst die Väter nicht, nicht einmal die Großmütter. Da entstand wohl auch die Lust, jedes brave Ideal einmal an die Nase zu fassen.«
Über Fastradens Gesicht ging ein schmerzlicher Ausdruck, plötzlich wie eine Vision sah sie die weißen Korridore des Krankenhauses, die Säle mit den Reihen der Betten, in denen auf weißen Kissen die bleichen Gesichter lagen, diese große Herberge der Leiden, in der sie numeriert und nach Klassen geordnet aufgespeichert waren.
»Und es ist doch eine so furchtbare Sache«, sagte sie leise.
»Das Leben? Natürlich«, meinte Egloff ruhig, »eine Bestie, die nicht zu zähmen ist, da ist nichts zu machen. Früher ließ ich die Bestie Bestie sein, jetzt werde ich acht geben müssen, daß sie dir nicht zu nahe kommt«, und er drückte Fastrade fester an sich. Sie lächelte wieder: »Aber hier in Paduren«, sagte sie, »darfst du niemanden an die Nase fassen.«
»Aber das Portsche Gesetz«, rief Egloff lustig, »das fassen wir an die Nase, wir wollen ein Brautpaar sein, über das sie hier in der Gegend auf allen Schlössern die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen.«
In der Zimmerflucht begann es jetzt lebendig zu werden, Baronesse Arabella ging hin und her, der Baron ließ sich durchführen, und endlich erschien Christoph und meldete, es sei serviert.
Im Eßzimmer saß der Baron bereits am Tische, den Kopf gebeugt, das bleiche Gesicht müde und kummervoll, Baronesse Arabella und Couchon standen wartend hinter ihren Stühlen. Als Fastrade ihren Verlobten Couchon vorstellte, sah die alte Französin mit ihren fast hundertjährigen Augen kokett zu Egloff auf, lächelte mit dem zahnlosen Munde und murmelte: »Joli garçon.« Hier setzt man sich mit Gespenstern zu Tisch, ging es Egloff durch den Sinn. Dann begann die Mahlzeit. Die Baronesse führte eine fast fieberhaft angeregte Unterhaltung, es war, als fürchte sie, eine Pause könnte entstehen und Unliebsames bringen. Sie sprach von den Egloffs, die sie gekannt hatte, von einer Fürstin Coronat, Dietz Egloffs Großmutter mütterlicherseits, sie machte Verwechslungen in der Verwandtschaft, worüber man dann lachen konnte. Als nun aber doch eine Pause entstand, sah der Baron Egloff streng an und fragte: »Wird noch viel Wald geschlagen werden in Sirow?« Fastrade blickte zu Egloff hinüber, wirklich, er errötete wie ein Knabe, als er antwortete: »Ach nein, ich denke, das wird genügen.« – »Ja, unsere Wälder«, fuhr der Baron mit erhobener Stimme fort, »unsere Wälder –«, dann brach er jedoch mutlos ab, wie es ihm jetzt oft geschah, wenn er den Anlauf dazu nahm, wie früher eine bedeutsam Ansicht auszusprechen. Die Baronesse begann wieder schnell zu sprechen, sie sprach von dem Fisch, der eben gegessen worden war, einem großen Schlei, die Schleie aus dem kleinen See dort unten im Park waren ja berühmt ihres reinen Geschmackes wegen, und nun sprach man auch von anderen Fischen. Die Hühner wurden serviert, als der Baron wieder den Kopf erhob und fragte: »Werden durch die Verwüstung die Auerhähne nicht gestört?«
Dieses Mal antwortete Egloff ruhig und mit kaum merklichem Lächeln: »O nein, den Auerhähnen geschieht nichts.« Der Baron nickte: »Ja, ja, die korrekte Pflege der Jagd ist auch ein Stück adeligen Idealismus'.«
Christoph schenkte jetzt den Roederer ein, eine feierliche Pause entstand, mit zitternder Hand erhob der Baron sein Glas und sagte mit bekümmerter Stimme: »Nun, Arabella, wir können unserem neuen Verwandten jetzt wohl das Du anbieten, Gottes Segen über euch, meine Kinder.« Die Gläser klangen aneinander, Christoph stand hinter dem Stuhle seines Herrn, faltete die Hände und machte ein Gesicht, als wollte er weinen. Während die Charlotte verzehrt wurde, schleppte die Unterhaltung sich nur mühsam hin, alle waren erleichtert, als Baronesse Arabella die Tafel aufhob. Nach der Mahlzeit hielt man sich noch ein wenig im Saale auf, um eine Zigarette zu rauchen, der Baron sprach vom Nutzen der Drainage, und dann verabschiedete sich Egloff. Fastrade begleitete ihn ins Vorzimmer hinaus, sie beugte den Kopf zurück, um ihm in die Augen zu sehen, und lachte. »Das war ein Prüfungstag«, sagte sie, »wenn ich bei euch bin, ist die Reihe an mir.« – »Es gibt eben eine Gerechtigkeit«, erwiderte Egloff, faßte Fastrade um die Taille, hob sie empor und küßte sie. Christoph sah das mit maßlosem Erstaunen und wandte sich ab.