Eduard von Keyserling
Abendliche Häuser
Eduard von Keyserling

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Vierzehntes Kapitel

Egloff hatte sich nicht einmal ausschlafen können, der Graf Schutow fuhr am Morgen fort, und Egloff mußte aufstehen, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und rechnete. Er hatte gestern wie ein Wahnsinniger gespielt, da ging ja wieder ein großer Teil des Sirowschen Waldes darauf. Jetzt mußte er einen Brief an Mehrenstein schreiben, damit dieser Geld besorge. Am Nachmittag wollte Egloff ins Städtchen fahren, um das Geld dem Grafen Schutow zu bringen, der im »Kronprinzen« auf ihn wartete. Widerwärtig all das! Heute war wieder solch ein Tag, wie er in seinem bewegten Leben immer wiederkehrte, ein Tag, da alles um ihn her zu zerbröckeln schien, alles ungeordnet und häßlich war und ein großer Ekel ihn schüttelte. Und unnütz war das alles, er sah nicht ein, warum all solche Erlebnisse gerade zu ihm gehören sollten, aber sie hängten sich an ihn wie ein lästiger Hund, den wir immer wieder forttreiben und der sich doch immer wieder an unsere Fersen heftet. Nun, darüber nachzudenken machte die Sache nicht erträglicher.

Am Nachmittage fuhr Egloff nach Grobin. Er hatte sich einen bequemen Wagen bestellt, denn er wollte unterwegs schlafen, nichts denken und nichts sehen, sondern schlafen. Er drückte sich in die Wagenecke und schloß die Augen. Es war angenehm, wie in dem Halbschlummer, in den er verfiel, das Rauschen des Waldes, durch den er fuhr, ein Amselschlag, das Bellen eines Hundes, der Gesang eines Hüterjungen hineintönten wie Klänge einer Welt, die sehr fern von ihm war. Das Stoßen des Wagens auf dem Stadtpflaster machte ihn wieder munter. Es war Samstag, unter einem mit hellgrauen Wolken bedeckten Himmel sah das Städtchen alltäglich genug aus, die Fenster der Häuser waren geöffnet, und Mägde standen auf den Fensterbrettern und wuschen die Scheiben. Töchterschülerinnen gingen langsam über die Straße und schwenkten gelangweilt ihre Mappen. Adine von Dachhausen kam aus einem Laden; sie hatte einen Sommerhut auf mit zu viel roten Rosen; sie liebte stets das Auffallende. Egloff ließ am Klub halten, er wollte den Weg bis zu Mehrensteins Haus zu Fuße zurücklegen.

Alles an dem Mehrensteinschen Hause war ihm zuwider, die hellpolierte Türe, der Kristallknopf der Hausglocke, ihr schriller, aufdringlicher Klang, der dunkle Flur, in dem es nach Gewürzen und Küche roch. Mehrensteins Tochter kam ihm entgegen, ein schönes, schweres Mädchen mit einem Wald schwarzer Haare auf dem Kopfe und mit ganz großen, braunen Augen. »Bitte, treten Sie näher, Herr Baron«, sagte sie ernst und traurig und öffnete die Türe zum Wohnzimmer. Egloff trat in dieses Wohnzimmer, das er so gut kannte. Die Möbel mit dem hellblauen Ripsbezug, all die vielen, ein wenig verstaubten Sachen, sie hatten sich seinem Gedächtnis eingeprägt, wie es eben nur Sachen tun, die den peinlichen Augenblicken unseres Lebens assistieren. Da war die Kommode mit den alten silbernen Kannen und Leuchtern, da war die große Landschaft an der Wand, ein Kastell, Bäume, ein Reiter, alles aus Kork geschnitzt und unter Glas. »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Fräulein Mehrenstein ernst, sie blieb jedoch stehen, als Egloff sich gesetzt hatte, »mein Vater wird gleich kommen, er ist bei meiner Mutter, unsere Mutter ist sehr krank.« – »Oh, das tut mir leid«, murmelte Egloff und schaute in die großen braunen Augen; da lächelten die vollen Lippen des Mädchens, ein mattes, gewohnheitsmäßiges Lächeln, aber das Gesicht wurde gleich wieder kummervoll. »Wir glaubten diese Nacht, es würde aus sein«, fuhr Fräulein Mehrenstein fort, »und jetzt ist es sehr schlimm.« Ihre Augen wurden feucht, und zwei dicke Tränen rannen ihre Wangen entlang. »Nun will ich den Vater holen«, schloß sie und verschwand hinter einem grünen Vorhang. Seltsam, Egloff hatte an dieses Haus immer nur als an den Ort gedacht, an dem man Wechsel und ungünstige Kontrakte unterschrieb, und nun wurde hier auch geweint und gestorben. Der grüne Vorhang raschelte wieder, und Mehrenstein erschien. Er trug einen Hausrock und Pantoffeln, auf denen große rote Rosen gestickt waren. Feierlich und traurig reichte er Egloff eine schlappe, feuchte Hand. »Sie haben Sorgen«, sagte Egloff. Mehrenstein zuckte ein wenig die Achseln und seufzte. »Eine entsetzliche Nacht«, murmelte er. Er ging zu seinem Geldschrank, holte ein Wechselformular herbei, legte Tinte und eine Mappe auf den Tisch, setzte sich und begann zu schreiben. »Das Geld ist da«, sagte er, »es war schwer, in so kurzer Zeit eine so große Summe zu beschaffen.« Er seufzte. »Die Bedingungen wie immer?« fragte er. Egloff machte eine Handbewegung, die bedeuten sollte, ihm sei alles gleichgültig. Da sah Mehrenstein auf und versetzte in vorwurfsvollem Tone: »Ja, ich muß meine Kinder sicherstellen, kommt der Waldverkauf zustande, so kann vielleicht einiges von den Prozenten abgerechnet werden.« Er schrieb weiter, nahm dann das Sandfaß und streute Sand über das Geschriebene. »Diese Nacht«, meinte er, »erwarteten wir jeden Augenblick das Ende. Gegen Morgen trat ein wenig Ruhe ein, aber Hoffnung ist keine. Bitte, Herr Baron«; er schob Egloff das Formular hin und reichte ihm die Feder. Während dieser unterschrieb, lehnte Mehrenstein sich in seinen Stuhl zurück, seine Augen wurden feucht, und seine Lippen zitterten. »Nach dreißigjähriger Ehe sich trennen zu müssen«, sagte er, »Sie wissen nicht, was das ist, Herr Baron, und ich kann sagen, in diesen dreißig Jahren hat es keine Minute gegeben, in der ich mit der Frau nicht zufrieden war, sie war eine gute Frau.« Er stand auf und ging zum Geldschrank, um ein Paket Banknoten zu holen. »Der liebe Gott weiß, was er tut«, fügte er seufzend hinzu. Langsam und aufmerksam zählte er das Geld auf den Tisch, schob es in ein Kuwert und legte es vor Egloff hin. »Ich habe getan, was ich konnte«, nahm er mit leiser Stimme, als spräche er in einem Krankenzimmer, die Unterhaltung wieder auf, »ich habe nicht gespart, was habe ich der Apotheke und den Doktoren Geld gezahlt, um das Geld wäre mir nicht leid, wenn es nur etwas geholfen hätte.« Egloff steckte das Geld zu sich und erhob sich. »Man muß die Hoffnung nie verlieren«, sagte er, »guten Abend, Herr Mehrenstein.« Mehrenstein schüttelte traurig den Kopf und reichte seine schlappe Hand hin. »Wegen des Waldes, Herr Baron, komme ich zu Ihnen hinaus«, bemerkte er noch kummervoll.

Egloff war froh, auf der Straße zu sein, diese Mischung von Tod, Geld und Wechseln hatte ihn wie ein Alp bedrückt. Langsam schlenderte er dem »Kronprinzen« zu. Dort erfuhr er, der Graf Schutow sei zwar im Bette, habe aber den Befehl erteilt, Baron Egloff vorzulassen. Egloff fand den Grafen im Bett, Tee trinkend. »Ah, unser Baron«, rief er ihm entgegen, »ich hoffe, Sie haben sich nicht meinetwegen inkommodiert.« – »Ich bringe Ihnen hier meine Schuld«, sagte Egloff.

»Das hatte ja keine Eile«, bemerkte der Graf und warf das Kuwert auf den Tisch neben seinem Bette, »aber wollen Sie Tee? Oder einen Kognak? Nicht, hier sind Zigaretten, so setzen Sie sich doch.« Egloff zündete sich eine Zigarette an und setzte sich: »Sind Sie krank?« fragte er. Der Graf lehnte sich behaglich in seine Kissen zurück. »Durchaus nicht«, erwiderte er, »es ist nur meine Gewohnheit, nach einer durchspielten Nacht den folgenden Tag bis zum Abend im Bett zu bleiben. So bin ich denn gleich zu Bett gegangen, als ich hier ankam. Auf diese Weise holt man am besten die ausgegebene Nervenkraft wieder ein.«

»Praktisch!« bemerkte Egloff. »Wer nur stets Zeit hätte, sich so für das Spiel zu trainieren.«

»Der soll auch nicht spielen«, entgegnete der Graf etwas feierlich, »mit kranken Nerven zu spielen ist Dilettantismus, und der ist gefährlich. Sie waren gestern auch viel zu nervös und hitzig.«

Egloff blies nachdenklich den Rauch seiner Zigarette vor sich hin. »Sagen Sie, Graf«, begann er, »warum spielen Sie eigentlich? Um zu gewinnen?« Dabei klang ihm Fastradens Stimme im Ohr, wie sie an jenem Abend in Sirow dieselbe Frage an ihn richtete. Der Graf verzog sein Gesicht: »Erbarmen Sie sich, wie Sie fragen, warum? Ich weiß nicht, natürlich um zu gewinnen. Charles Fox sagte: ›Das Beste im Leben ist im Spiel Gewinnen, das Nächstbeste im Spiel Verlieren.‹«

»Also dann ist es nicht das Gewinnen«, wandte Egloff ein.

Der Graf warf sich unbehaglich im Bette hin und her: »Sie wollen philosophieren«, sagte er, »ein Zeichen des schlechten Zustandes Ihrer Nerven. Nun hören Sie, was ein Freund von mir, ein gewisser Klebajew, sagte. Er war ein Narr, zuletzt verrückt und erschoß sich. Er sagte also: ›Ich spiele jede Nacht, weil es mich jede Nacht wieder interessiert, mich mit dieser geheimnisvollen und unbegreiflichen Kanaille, die wir Glück nennen, herumzuschlagen.‹«

»Ein wenig pathetisch«, bemerkte Egloff, »aber es läßt sich hören. Warum erschoß er sich denn?«

»Weil er verrückt war«, entgegnete der Graf. »In letzter Zeit sprach er immer davon, er sei es gar nicht selbst, der jeden Abend spielte, das sei der andere, und der andere spiele absichtlich schlecht, und er, Klebajew, müsse immer die Spielschulden des anderen bezahlen, und er habe es nun satt, die Spielschulden des anderen zu bezahlen. Nun, und da schoß er sich tot. Eben ein Verrückter.«

Egloff schwieg eine Weile und sprach dann nachdenklich vor sich hin: »Ja, darauf kommt es immer heraus, die Schulden des anderen zu bezahlen.«

Der Graf richtete sich ein wenig auf und schaute Egloff verwundert und besorgt an. »Hören Sie, Baron, Sie sollten sich doch noch ein Zimmer nehmen und zu Bett gehen, Sie tun ja so, als ob Sie das verrückte Zeug verstehen.«

Egloff lachte und erhob sich: »Ein Spaziergang wird wohl dieselben Dienste tun«, meinte er, »leben Sie wohl, lieber Graf, gute Besserung.«

»Danke, danke«, sagte der Graf, »vielleicht kommen Sie heute abend in den Klub, ich bin jeden Augenblick zur Revanche bereit.«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Egloff, »ich fürchte, die Kanaille, wie Ihr Freund sagt, ist jetzt nicht auf meiner Seite.«

»Unsinn«, protestierte der Graf, »also leben Sie wohl.«

Egloff ging hinaus, draußen nahm er seinen Hut ab, der Kopf schmerzte ihn; er schlug den Weg zu den Stadtanlagen ein. Gewaltsam grün standen die Alleen gegen den lichtgrauen Himmel, die Amseln lärmten in den Zweigen. Die Anlagen waren um diese Zeit noch leer. Hie und da saß ein Gymnasiast mit einem Buche auf einer Bank, und ein Kindermädchen schob schläfrig einen Kinderwagen vor sich her. Wunderlich abgelöst und wie nicht zu ihm gehörig, erschien Egloff diese Umgebung heute wie eine Traumwelt, die wir über uns ergehen lassen. Aber das kannte er von früheren durchzechten und durchspielten Nächten, ja er selber, der Herr im hellen Frühlingsanzuge, empfand sich als etwas nicht Zugehöriges, als etwas, das er über sich ergehen ließ.

An einer Biegung des Weges blieb er stehen. Das war ja die echte Traumwelt, in der das Unwahrscheinliche vor uns steht, wie selbstverständlich. Da kam Lydia Dachhausen auf ihn zu im hellbraunen Frühjahrskostüm, einen weißen Flügel auf dem grauen Hut, das Gesicht rosig, die Augen blank. Lächelnd blieb sie vor ihm stehen und reichte ihm die Hand. »Da sind Sie«, sagte sie. »Haben Sie mich denn erwartet?« fragte Egloff erstaunt.

»Ja«, erwiderte Lydia, »Adine sagte mir, Sie seien in der Stadt, und da dachte ich, Sie würden hier sein. Wollen Sie mich die Allee hier hinunterbegleiten«, und sie begann langsam neben ihm herzugeben.

»Wenn Sie darauf Gewicht legen«, erwiderte Egloff nicht eben höflich.

»Gewiß lege ich darauf Gewicht«, versetzte Lydia. »Ich muß es eben schon früher gewußt haben, daß ich Sie hier treffen werde, denn ich wachte heute morgen auf mit dem Entschlusse, in die Stadt zu fahren. Ich wußte nicht, warum, aber es stand fest bei mir. Ja, so was gibt es, nicht wahr?« Sie schaute lächelnd zu ihm auf.

»Es freut mich, Sie so heiter zu sehen«, bemerkte Egloff trocken.

»Ja, es ist seltsam«, plauderte Lydia weiter, »zuweilen wache ich am Morgen auf und bin heiter. Es scheint mir dann, daß alles, was traurig und schwierig war, gut werden wird, das Leben ist plötzlich wieder angenehm, und ich freue mich darauf ganz ohne Grund. Passiert Ihnen das nicht auch zuweilen?« Da Egloff nicht antwortete, fuhr sie fort: »Dieses Licht bekommt mir auch gut, zu viel Sonne vertrage ich nicht, aber heute geht man ja wie unter einem lichtgrau seidenen Lampenschirm. Ach ja, denken Sie sich, die rosa Lampenschirme, über die Sie einmal gespottet haben, kommen fort, und ich schaffe mir lichtgrau seidene an, die werden mit weißer Seide gefüttert, damit sie recht hell sind, das kann hübsch sein, nicht wahr?«

»Das kann hübsch sein«, wiederholte Egloff. Dieses zuversichtliche Geplauder beruhigte ihn, er wollte es weiter hören.

»Gertrud Port«, berichtete Lydia, »behauptet, das würde den Teint bleich und grau machen, aber sehen Sie doch, wie heute die Farben rein und deutlich sind. Nun ja, die arme Gertrud ist immer besorgt, daß sie nicht wie eine kleine Leiche ausschaut.«

Am Ende der Allee stand ein Kiosk, in dem sich eine Konditorei befand, Stühle und Tische waren davor aufgereiht. »Ich werde hier ein wenig Gefrorenes essen«, sagte Lydia, »und Sie werden mir assistieren.«

»Sollte diese Situation besonders ratsam sein?« versetzte Egloff kühl.

Lydia war erstaunt: »Warum nicht? Daß Sie zusehen, wie ich Gefrorenes esse, dagegen können die Grobiner doch nichts haben.« So setzten sie sich denn. Das Konditorfräulein trat heran, bleich und blond, einen Kneifer auf der Nase, und sagte mit einer Stimme, die in ihrer gleichgültigen Ruhe es zu unterstreichen schien, daß sie an der Situation nichts Auffallendes fand: »Erdbeeren und Vanille.« Lydia bestellte Erdbeeren. »Erdbeergefrorenes«, erzählte sie, »war von Jugend auf mein Lieblingsgefrorenes. Als kleines Mädchen, wenn es im Jahre wieder zum ersten Male Erdbeergefrorenes gab, dann schloß ich beim ersten Löffel die Augen und dachte, ich hatte ganz vergessen, daß dies das Schönste auf der ganzen Welt ist. Ich glaube, es wäre sehr gut, wenn wir alles, was uns Vergnügen macht, von einem auf das andere Mal vergessen würden, dann wäre es immer neu für uns.«

Das Gefrorene kam; Lydia schob ihren Schleier zurück, um ihre Lippen zu befreien, und begann langsam und mit Genuß zu essen. Egloff sah ihr zu, das war die Beschäftigung, die seiner trägen, zerfahrenen Stimmung gerade wohltat. Was sie nur vorhat? dachte er dabei.

Als Lydia mit dem Essen fertig war, lehnte sie sich befriedigt in ihren Stuhl zurück. Sie warf einen flüchtigen Blick zum Konditorfräulein hinüber; dieses hatte einen Leihbibliothekenband aufgeschlagen und las. Da sagte Lydia leise: »Ich schlafe jetzt auch besser.«

»Das freut mich«, erwiderte Egloff und schaute erstaunt auf.

»Ja«, fuhr Lydia fort, »ich habe mir ein neues Schlafmittel erdacht. Wenn die Nacht schön ist, gehe ich so um Mitternacht mit meiner Amalie in den Garten hinaus. Ganz wie voriges Jahr schleichen wir leise durch den Wintergarten. Das erinnert mich dann so an voriges Jahr, die Heliotrop- und Oleanderbüsche, an denen wir im Dunkeln vorüberkommen, und im Garten sitzen wir auf derselben Bank, auf der ich voriges Jahr saß. Ich sitze da, als ob ich warte, und wenn ich müde werde und ins Haus gehe, um mich zu Bett zu legen, dann kann ich schlafen.«

Egloff hörte aufmerksam und lächelnd zu. Die naive Schlauheit dieser Frau überraschte ihn. »Fällt das im Hause nicht auf?« fragte er.

»Es fällt auf«, erwiderte Lydia ruhig, »man hat mich auch darnach gefragt, nun, ich sagte, ich habe Beängstigungen in der Nacht, und ich muß hinaus. Man ist eine Nacht auch hinausgegangen, Amalie und ich standen hinter einem Busch, als er an uns vorüberging. Aber jetzt hat man sich beruhigt.«

»Der arme Junge«, murmelte Egloff. Da sprühten kleine böse Lichter in Lydias Augen auf: »Mich bedauert niemand«, sagte sie. Egloff zuckte leicht mit den Schultern, da beruhigte sich Lydia gleich wieder, sie stand auf, legte Geld auf den Tisch, zog ihren Schleier zurecht: »Jetzt muß ich gehen«, sagte sie, »ich werde bei meiner Schwiegermutter erwartet.« Sie reichte Egloff die Hand. »Ich danke Ihnen für Ihre Gesellschaft, besonders unterhaltend waren Sie nicht, aber Sie hörten mir aufmerksam zu, das erkenne ich an.« Sie sah ihm dabei mit der unverhohlenen Koketterie, die ihr eigen war, in die Augen.

Als sie gegangen war, setzte Egloff sich wieder. Es tat ihm fast leid, daß sie fort war: Diese kleine Frau hatte ihn unterhalten. Wie sie stark wollen konnte! Wie unbedenklich und eigensinnig sie festhielt!

Die Anlagen füllten sich jetzt, die Grobiner Bürger mit ihren Frauen und Töchtern machten ihren Abendspaziergang, ließen sich wohlig von der Abendsonne vergolden. Egloff saß noch da und dachte darüber nach, ob er heimfahren oder in den Klub gehen sollte. In den Klub zu gehen war natürlich töricht und widersinnig, dennoch schien es ihm wahrscheinlich, daß er da hingehen würde.


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