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Von meinen Geschwistern um jene Zeit

Meine Schwester Wilhelmine

Während meines Aufenthaltes in dieser Fabrik verlor ich auch die Nähe meiner lieben Schwester Wilhelmine, die durch eine Verheiratung von Ludwigsburg hinweg wieder in die Gegend von Maulbronn kam. Schon im Kloster Maulbronn besuchte ein benachbarter Geistlicher, Pfarrer Steinbeis zu Ölbronn, öfters mein väterliches Haus. Es war ein Mann voll Geist und Humor. Durch sein Äußeres konnte er für ein gewöhnliches Mädchen nicht erobernd sein; denn schon im mittleren Alter hatte er ein Silberhaar, das nur in einem Kranze den kahlen glänzenden Schädel umgab, den er oft in seinem Humore dem Helme Mambrins verglich. Dabei waren seine Gesichtszüge sehr lang, aber sein hellblaues Auge war voll Geist, und was er nur sprach, mußte man gerne hören.

Im Jahre 1762 zu Vaihingen an der Enz von bürgerlichen Eltern geboren, durchlief er auf Zureden der dasigen Geistlichen die gewöhnliche Bahn württembergischer Theologen, trat aber, nachdem er Tübingen verlassen hatte, besonders längere Zeit als Erzieher in die Familie des Baron du Bos du Thil zu Braunfels ein.

Als dieser Mann schon damals den Wunsch äußerte, meine Schwester Wilhelmine zur Gattin erhalten zu können, schien ihr Herz noch von einer andern Neigung erfüllt zu sein; aber die späteren Verhältnisse traten dazwischen. Als er sie nun nach Jahren in Ludwigsburg zur Gattin begehrte, ging sie mit ihm den Bund ehelicher Liebe ein, was sie auch nie zu bereuen hatte. Lauterkeit und ein Herz ohne Möglichkeit einer Falte war der Grund und Boden dieses ihres Gatten, auf dem ein heiterer Humor und ein ungebeugter Lebensmut blühten, die ihn für jedermann liebenswürdig machten. Humanität war der Grundsatz seines Handelns, auch als Lehrer seiner Gemeinden, und die Regel, die er jenen gab, war: »Wenn dich neunundneunzig betrügen, so erwarte von dem hundertsten wieder Gutes.« –

Er starb mit einem beredten Zeugnis an den ihn umgebenden Kreis der Seinigen, daß die menschliche Wissenschaft das Höchste und Ewige nicht erreichen könne, wenn ihr nicht das Licht von oben hülfreich dazu erscheine.

Vier Mädchen und zwei Söhne gingen aus dieser Ehe hervor, braver Eltern würdige Kinder, von denen der älteste Sohn sich als Hüttenmann und Mechaniker auszeichnet. Meine gute Mutter hatte sich am Ende ihres Lebens zu diesem Tochtermanne und zwar an seinen letzten Aufenthalt, Ilsfeld bei Heilbronn, begeben, wo sie mit ihm längst auf einem Kirchhofe ruht. Aber der Tod beider fiel nicht in meine Knabenzeit, sondern in eine viel spätere.

Die Entfernung von meiner Schwester Wilhelmine war mir auch deswegen betrübend, weil ich ihr unter meinen Verwandten allein meine poetischen Versuche mitteilen konnte, da sie mich hierin allein verstand.

Mein Bruder Carl

Um diese Zeit (1803) war mein Bruder Carl mit Errichtung einer reitenden Artillerie in Ludwigsburg beschäftigt. Der damalige Oberstlieutenant, nachheriger General, Kammerer, der damit beauftragt war, setzte in ihn alles Vertrauen und übergab ihm dieses Geschäft, und es wurde auch bald eine Batterie von vier Geschützen geschaffen und eingeübt.

Mit welchem Erfolge er das Eigentümliche dieser wichtigen Waffe aufgefaßt und bearbeitet hat, beweist die von ihm im Jahre 1803 herausgegebene Schrift: »Betrachtungen über die reitende Artillerie, deren Organisation, Gebrauch und Taktik«. Von dieser sagte ein Sachverständiger: »Sie hat durch die Gründlichkeit und Genialität, womit die wesentlichen Momente behandelt sind, einen solchen Anklang gefunden, daß sie alsbald in der Anwendung der damals noch jungen Waffe schöne Früchte getragen hat und dadurch in der Tat die Grundlage ihrer allgemeinen Brauchbarkeit in den nachfolgenden bedeutenden Feldzügen geworden ist.« Aber auch im Zivilbauwesen wußte General Kammerer das schöpferische Genie dieses jungen Mannes zu verwenden, als er von dem damaligen Kurfürsten beauftragt wurde, die dem Staat gehörenden Eisenwerke bei Freudenstadt zu heben und mittelst derselben dem württembergischen Gewerbsmanne inländischen Stahl und dem Landmanne einheimische Sensen zu verschaffen. Kammerer hatte auch von diesem Gewerbe wenig Begriffe, brachte aber durch Strenge und festen Willen Ernst und Tätigkeit in seine Umgebung, ein Verdienst, das diesem Manne nicht abzusprechen ist. Unter meines Bruders spezieller Leitung kam im Jahre 1802 und 1803 das projektierte Etablissement in Ausführung; der Kurfürst legte ihm den Namen Friedrichshammer bei; dieses Werk, von tüchtiger Hand fortgeführt, kann in Anlage und Betrieb noch heutiges Tages als ein Muster in jener Fabrikation betrachtet werden. Von dort an sammelte sich mein Bruder Carl im Fache der gewerblichen Technik und besonders vom Eisenhüttenwesen einen Schatz von Kenntnissen, welcher später dem Vaterlande so reiche Früchte bringen sollte.

In diese Zeit fällt wohl auch nachstehende Anekdote.

Die alte Einrichtung des Arsenals in Ludwigsburg entsprach dem Schönheitssinne des Kurfürsten Friedrich nicht, und es sollte unter der Anleitung jenes Oberstlieutenants Kammerer demselben eine geschmackvollere Ausstattung gegeben werden. Auch hiezu nahm Kammerer die Hülfe meines Bruders in Anspruch. Die Räume des Saales im obern Stocke des Arsenales wurden mit den kleinen Waffen malerisch dekoriert, und Kammerer war besonders darauf versessen, in aller Eile Statuen und Büsten alter Kriegshelden zu dieser Ausschmückung zusammenzutreiben, unter welche der gelehrte Conz Inschriften aus lateinischen Klassikern liefern mußte. Noch eine Büste fehlte, ich glaube die Caesars. »Springen Sie zum Bildhauer Ysopi«, rief Kammerer meinem Bruder zu, »es muß so ein Kerl noch her.« Ysopi versicherte meinen Bruder, er besitze keine Büste eines Kriegshelden, da sehe er die einzige Büste, die er habe, das sei aber die von Jomelli, dem alten Kapellmeister des Herzogs Karl. Diese Botschaft versetzte aber den Oberstlieutenant in keine Verlegenheit. »Das ist gleichgültig«, sprach er, »so ein Kerl muß eben her«; und so wurde die Büste des Kapellmeisters Jomelli in das Arsenal als die Caesars versetzt.

So auf ganz andern Seiten beschäftigt, kam mein Bruder während meines Aufenthalts in der Fabrik (der fast zwei Jahre lang dauerte) nur wenig mit mir in Umgang. Kam ich zu ihm, so wollte ich auch keine Klage über meine Lage führen und ihm meine Wünsche eröffnen, da ich wohl wußte, daß er dann den ihm dazumal spärlich zugemessenen Sold, um die Mutter zu erleichtern, zum Teil auf meine Studien verwenden würde. Meine poetischen Versuche verbarg ich vor ihm, da er keine anderen Gedichte als von Schiller und Seume, so verschieden diese auch voneinander sind, gelten ließ.

Mein Bruder Georg in Schweden

Mit Betrübnis sah mein Bruder Georg um jene Zeit all seine Hoffnungen für Freiheit der Völker schwinden. Bonapartes Plane zu einer Alleinherrschaft nicht bloß in Frankreich, sondern zu einer Weltherrschaft, lagen ihm immer klarer vor Augen. Er hatte in Frankreich mit aufrichtigem Herzen der Sache der Freiheit gedient; der der Tyrannei zu dienen, wenn auch mit persönlichem Vorteil, der ihm auch reichlich angeboten wurde, dazu hatte er kein Gemüt. Wie die Franzosen ihre Freiheit aufgaben, die Republik sich in die absolute Herrschaft verwandelte, gab er mit betrübtem Herzen das sich selbst aufgebende Volk auf. Noch ehe er aber Paris und die französischen Dienste verließ, eröffnete er dem ihm wohlbekannten damaligen Minister Talleyrand, der im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten seinen Freund Reinhard, welcher nur kurze Zeit verwalten durfte, verdrängt hatte, seine antibonapartischen Gesinnungen frei, wobei er es nicht an Vorwürfen, die allen Helfershelfern zur Unterdrückung der Freiheit galten, fehlen ließ, so daß er genötigt war, Paris schleunigst zu verlassen. Er hatte seinen Wanderstab nach der freien Stadt Hamburg gesetzt, die er aus früherem Aufenthalt liebgewonnen, und wo sich nun sein Freund Reinhard zum zweitenmale als der Gesandte Frankreichs bei dem niedersächsischen Kreise befand.

Dort angekommen, gründete er bald ein politisches Journal mit dem Titel »Der Nordstern«. Dieses Journal war hauptsächlich gegen die despotischen Bestrebungen Bonapartes und seines Anhanges gerichtet, dem der Verfasser zu lang, zu tief in die Karten geschaut hatte, um nicht der verwundbaren Punkte genug treffen zu können. Bonapartes Arm erstreckte sich aber auch schon damals über die nachher durch die französische Tyrannei so unglücklich gewordenen Hansestädte; der französische Gesandte, obgleich sein innigster Freund, mußte die Unterdrückung des »Nordsternes« vom Senate fordern, und selbst die persönliche Sicherheit des Verfassers in Hamburg wurde gefährdet. So verließ er nun Hamburg und die Politik und begab sich, Ruhe dem verwundeten Gemüte zu verschaffen, nach Kopenhagen und von da, über den Sund schiffend, in die großartige Natur Schwedens. Seine Ansichten über Schweden legte er in einer Schrift nieder, die im Jahre 1803 in der Cottaischen Buchhandlung erschien und den Titel führte: »Reise über den Sund«. Dieses Buch enthält manches Merkwürdige über Schwedens damalige Staatsökonomie und seine politischen Zustände in der Vergangenheit und Gegenwart. Schwedens schöne Natur, sein üppiger Ackerbau, seine starken und freien Männer gewannen sein Herz, aber sein verwundetes Gemüt, der Gram über seine fehlgeschlagenen Hoffnungen, sein zunichte gemachter Glaube an ein freies Volk, blicken durch all das, was ihn dort erfreute, schmerzlich hindurch.

Nachdem mein Bruder zu Kopenhagen über eineinhalb Jahr lang sich wieder mit vielem Eifer der praktischen Medizin, Wundarzneikunst und Geburtshülfe gewidmet hatte, begab er sich im August des Jahres 1803 abermals nach Hamburg und ließ sich dort als praktischer Arzt nieder.

Seine Verheiratung mit einer Hamburgerin, Friedrike Dunker, die an Geist, Bildung und Liebenswürdigkeit unter die ausgezeichnetsten Frauen ihrer Zeit gehört, fiel in das Jahr 1804.

Ferneres Leben meiner Brüder Georg und Carl bis zu ihrem Tode

Was sich mit meinem Bruder Georg nach dem Jahre 1804 ereignete, gehört nicht mehr in dieses Bilderbuch aus meiner Knabenzeit, da dieses mit dem Jahre 1804 endigt; es müßte in das meines Jünglings- und Mannesalters gesetzt werden. Da ich aber nicht weiß, ob mir noch möglich wird, auch aus diesen Jahren Bilder niederzuschreiben, in manchem Leser aber durch das schon hier aus dem Leben meines Bruders Georg Gegebene der Wunsch erregt worden sein mag, es bis an dessen Ende fortgesetzt zu wissen, so schreibe ich, mich nicht an die Zeit bindend, noch folgendes aus dem späteren Leben dieses Bruders bis zu dessen Tod hierher.

Als mein Bruder Georg seine goldenen Träume, die er so lange für das Wohl der Menschheit nährte, sich in nichts auflösen sah und er sich von dem Lande der Chimären, wie unser Vater Frankreich zur Zeit seiner Revolution nannte, losgerissen hatte, erblickte er nur eine neue Aufforderung für sich darin, alle seine Kräfte der leidenden Menschheit zu weihen, und gab er nie den Willen und die Hoffnung auf, ihr auf wirksame Weise zu helfen und zu nützen. Neun Jahre lang wirkte er als ausübender Arzt zu Hamburg. Die damals noch in ihrer ersten Ausübung begriffene Einimpfung der Kuhpocken wurde durch seinen Eifer in dieser Stadt hauptsächlich glänzlich durchgeführt. Er faßte den Gedanken, in Hamburg ein Entbindungshaus zu gründen, ähnlich dem in Kopenhagen. Da ihm dies durch die traurigen politischen Zustände nicht gelang, gab er sich nicht dem Unmute darüber hin, sondern unterrichtete Hebammen, und damit diese sich in der Praxis übten, bewarb er sich und erhielt die Erlaubnis: alle die Frauen, die in die Armenanstalt eingeschrieben waren, unentgeltlich zu entbinden. Neben dieser seiner ausgezeichneten ärztlichen Tätigkeit entsagte er aber doch noch nicht der politischen, wenn er dadurch das Wohl anderer, besonders der ihm so liebgewordenen Hansestädte befördern konnte. So gab er zu, daß die Städte Bremen und Lübeck ihn zu ihrem Agenten bei den französischen Oberbehörden in Hamburg (im Jahre 1807) erwählten, in dem Zeitpunkt, wo Marschall Brune als französischer Generalgouverneur der Hansestädte sich zu Hamburg befand. Dieser hatte ihn, wie schon erwähnt, während des Feldzuges von 1799 in Holland (als der Minister Reinhard zur Zeit seines kurzen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten ihm eine Sendung ins Hauptquartier anvertraute) kennengelernt und liebgewonnen. Er hatte ja damals selbst an seinen militärischen Operationen teilgenommen und eine Wunde davongetragen. Auch in Bernadotte, als dieser, vom Schlusse des Jahres 1807 bis zum Frühling, als Fürst von Ponte-Corvo die in Norddeutschland zurückgebliebene Armee befehligte, traf er wieder in Hamburg einen alten Freund und besuchte ihn nachher in seinem Hauptquartier in Fühnen.

Es ist bekannt, daß zu des Prinzen Armee auch ein spanisches Korps unter dem Marquis de la Romana gehörte, der mit dem größten Teile seiner Spanier den Prinzen verließ, um seinem bedrängten Vaterlande zu Hülfe zu kommen, wodurch die Expedition gegen Schweden, Bernadottes nachherigem Vaterlande, glücklich unterblieb.

Romana hatte zu meinem Bruder, da er sah, daß er mit ihm die gleichen politischen Gesinnungen hegte, vieles Vertrauen gefaßt, und hielt gegen ihn noch in Hamburg das patriotische Vorhaben, das er nachher so glücklich ausführte, nicht zurück. Mein Bruder hatte den Fürsten von Ponte-Corvo als General der Republik kennengelernt und liebte und verehrte jetzt hauptsächlich nur den Menschen in ihm, wie er auch seines Lobes immer voll war, an seiner damaligen Politik konnte er aber, Kraft seiner antinapoleonischen Gesinnungen, keinen Teil mehr nehmen, daher ihm auch der Spanier kühn sein ganzes Vertrauen schenken konnte. Voll Haß gegen die Unterdrücker seines Vaterlandes, trat Romana, seine Stellung auf der Insel Fühnen benutzend, zu derselben Zeit mit dem Befehlshaber der dort stationierten englischen Seemacht in geheime Unterhandlung, und verlangte englische Transportschiffe, um sich mit seinem ganzen Korps einzuschiffen. Diese erschienen, und glücklich schiffte Romana seine ganze Mannschaft mit Zurücklassung weniger Detachements, die wegen der zu weiten Entfernungen, in denen sie gestanden, nicht schnell hatten herbeigezogen werden können, im August zu Nyberg und Swendberg ein. Er langte, wirkungslos von Napoleons Acht verfolgt, nach einer günstigen Fahrt zu Carona an, und leistete bald seinem Vaterland durch Bildung der Guerillas die herrlichsten Dienste.

Viel Trost und Genuß gewährte meinem Bruder der Aufenthalt seines Jugendfreundes Reinhold und seiner Gattin in Hamburg. Reinhold befand sich daselbst als holländischer Gesandter bis zum Jahre 1809. Das alte noch von der Karlsakademie herstammende Freundschaftsverhältnis schloß sich immer fester, und beide Familien lebten bald ganz in- und miteinander.

Im Jahre 1809 ging Reinhold als Gesandter nach Berlin ab. Während seines ungefähr einjährigen Aufenthaltes daselbst schrieben sich die Freunde sehr häufig. Als Reinholds Gesandtschaft in Berlin, infolge der damaligen Vereinigung Hollands mit Frankreich, aufhörte, kam Reinhold im September 1810 wieder nach Hamburg, und da sahen sich die Freunde zum letztenmale. Reinhold verweilte nur noch vierzehn Tage in Hamburg und ging dann nach Paris ab. Am 8. März 1810, dem Geburtstage Reinholds, wurde meinem Bruder sein erster und einziger Sohn geboren. Im Schmerz über die Trennung von seinem Freunde, den er auf keine Weise zu überwinden wußte, gab ihm dieses Ereignis wieder einige Freude, und er gab seinem Sohn den Namen Reinhold. Dieser Sohn widmete sich der Wasserbaukunst und dient seiner Vaterstadt schon längere Zeit in Cuxhaven mit vieler Auszeichnung. Außer diesem Knaben wurden ihm noch zwei Mädchen, Bonafine und Clara, geboren, von denen das jüngere, Clara, das Ebenbild des Vaters wurde.

Immer trüber gestaltete sich für meinen Bruder auch nun der politische Himmel, aber nie hörte er zu hoffen auf. So wie aber die Hoffnung sich wirklich in ihm nicht für sich verdunkelte, denn sein Ich kam eigentlich nie bei ihm in Betracht, sondern für die Menschheit, als Hamburg, und man könnte sagen, ganz Deutschland, Frankreich einverleibt ward, da versiegte auch sein Lebensquell, nicht seine Liebe noch Bereitwilligkeit zu helfen, wie gerade sein Tod beweist.

In äußerer Tätigkeit und Eifer für alles Gute, besonders in seinem ärztlichen Berufe, ließ aber mein Bruder bei allem innern Gram und Trauer und körperlicher sichtbarer Ermattung nicht nach, ja, es mußte einem oft vorkommen, als wollte er mit solchem Treiben und Schaffen in die Außenwelt einen doch immer mehr erwachenden Schmerz des Innern überwältigen. Seine Reizbarkeit, sein Eifer, sein Schaffen steigerte sich immer mehr; sein Leben wurde das eines gejagten Hirsches, und die Kräfte mußten sich verzehren. Wohl war es schon eine Vorahnung eines höhern Heimgehens, daß ihn auf einmal eine Sehnsucht nach seiner Heimat befiel, es trieb ihn, mit Frau und Kindern dahin zu ziehen, und im Schoße des Vaterlandes zu ruhen. Es war alles zur Abreise bestimmt und die frohe Botschaft schon der liebenden Mutter verkündet, als er in eine Krankheit verfiel, aus der er nicht mehr erstand und die er wohl schon lange in sich fühlte.

Über seine letzten Tage und seinen Tod schrieb der damalige dänische Geschäftsträger Rist in Hamburg an Reinhold nach Paris folgendes:

Hamburg, den 12. April 1812

Sie werden Mühe gehabt haben zu glauben, daß die Hand des Todes so schnell, dieses vor allen andern regsame Leben bezwungen, diesen Feuerbehälter erstarrend gemacht. Wenn Sie unsern Freund in den letzten Monaten gesehen hätten, wäre es Ihnen leichter begreiflich. Mehr als seine Klagen und Prophezeiungen eines nahen Endes erschreckten mich oft die abwechselnde gänzliche Mattigkeit und Erschlaffung, die mit dem tiefsten Unmut über alles, was ihn umgab, abwechselte. Hoffnungslos auf eine bessere irdische Zukunft, schien er dazustehen nur für andere, denen er mit eigener Zerstörung zu helfen fortfuhr. Am Tage, wo er mit einem schleichenden Fieber, das ihn eigentlich schon lange gepackt hatte, noch seinen letzten rasenden Ritt nach der hohen Luft (?) machte, am 30. März, und sich dann mit heftigem Fieber nachmittags zu Bett legte, soll schon sein Tod für die Ärzte gewiß gewesen sein. Ich ahnte nichts Ähnliches, denn oft erschien er mir an einem Tage sehr krank und am andern Tage sah ich ihn wieder zu Pferd. Wir Freunde hielten ihn für unüberwindlich, aber am siebten nachmittags schlief er sanft ein. Er hatte seine Krankheit für ansteckend gehalten und wahrscheinlich ist es allerdings, daß er im Zuchthause, wo er eine große Anzahl Nervenfieberkranke zu behandeln hatte, den Samen der Krankheit in einem nur zu wohl vorbereiteten Körper aufgenommen hat.

 

Ein Glück ward meinem Bruder, der andern zulieb so vieles entbehrte – der, wenn auch kurze, Besitz einer Gattin reich an Geist und Gemüt, die ihn nach seiner ganzen Eigentümlichkeit erkannte und nach ihr zu behandeln verstand.

Seine letzten Wünsche, mit seiner Familie in seine Heimat zu kehren, erfüllte sie aus Pietät für ihn. Sie siedelte sich bald nach seinem Tode mit ihren drei Kindern für mehrere Jahre in Stuttgart an, und erfreute sich des Umgangs mit den Verwandten ihres teuren Vorangegangenen, bis endlich Verhältnisse ihrer Familie sie wieder in ihre Heimat nach Hamburg zurückriefen, wo sie noch jetzt, ein Segen ihrer Kinder und Enkel, lebt.

Mein Bruder Carl schrieb mir nach seinem Tode folgende charakteristische kurze Worte über ihn:

»Unseres Georgs Charakter entwickelte sich sozusagen aus seiner eigenen Natur, sie war so, wie er war, in der Jugend wie im Alter äußerst empfänglich für das Gute, Edle und Große, feurig, tätig und gutmütig. Diese Eigenschaften in hohem Grad miteinander verbunden machten ihn zum Original, und in Vergleichung mit so vielen andern Alltagsmenschen zu einem seltenen Menschen.«

 

Mein Bruder Carl nahm im Jahre 1806 an der Belagerung von Glogau, Breslau, Schweidniz, Neisse und Glaz teil, wo die reitende Batterie, die er kommandierte, vielseitig im Feld- und Belagerungsdienst verwendet wurde. Im Jahr 1807 wurde er zum Oberstlieutenant in der Artillerie befördert. Er bereicherte hier die Artillerie mit einer neuen Konstruktion der Munitionswagen, die allgemein als große Verbesserung anerkannt und selbst von Kaiser Napoleon als solche gewürdigt wurde. Während der kurzen Zeit der Waffenruhe 1808 wurde ihm von König Friedrich das Amt eines Chaussee-Ober-Intendanten übertragen, während welcher Zeit er zum Obersten vorrückte. Im April 1809 rief ihn sein eigentlicher Beruf wieder ins Feld. In den Gefechten von Abensberg und Eckmühl machte sich sein militärisches Talent durch schnelles Urteil und Tatkraft geltend und fand bei Napoleon gerechte Anerkennung durch Aufnahme in die französische Ehrenlegion. Bei der glänzenden Waffen tat der Württemberger am 16. Mai 1809 gegen ein überlegenes feindliches Armeekorps bei Linz wurde sehr viel seiner kaltblütigen Umsicht verdankt, und er mit dem Kommenturkreuz des Militärverdienstordens von seinem König, von Napoleon mit dem Offizierskreuz der Ehrenlegion bedacht. Er war in diesem Feldzug Generalquartiermeister-Lieutenant. Aus ihm zurückgekommen, widmete er sich den Künsten des Friedens, als Direktor der Straßenbauten, der sämtlichen Berg- und Hüttenwerke, der Gewehrfabrik Oberndorf. Seine gelungenen Bestrebungen auch in diesen Fächern belohnte der König Friedrich mit dem Kommenturkreuz des Zivilverdienstordens. Im Jahre 1812 machte er als Chef des württembergischen Generalstabs den russischen Feldzug mit, wo er eine unermüdliche Tätigkeit entwickelte, mit der besten Gemütsstimmung die zahllosen auf dem Rückzüge sich häufenden Drangsale ertrug, und sich alle erdenkliche Mühe gab, den Truppen ihre Lage zu erleichtern. Seine Leistungen vor Smolensk in der mörderischen Schlacht an der Moskwa brachten ihm das Kommenturkreuz erster Klasse des Militärverdienstordens, welchem auch bald darauf das Großkreuz des Zivilverdienstordens und die Erhebung in den Freiherrnstand folgten.

In diesem Feldzuge wurde er von einer Kartätschenkugel getroffen, ohne jedoch wesentlich verletzt zu werden. Seine Gesundheit aber fand er von da an geschwächt und er fühlte sich zum Militärdienst nicht mehr tüchtig. Vom König zum Staatsrate und Chef des Berg- und Hüttenwesens ernannt, widmete er sich nun ausschließlich den ausgedehnten Eisenwerken des Staates bis zum Ende seines Lebens mit dem größten Eifer und mit dem schönsten Erfolge. Ein Landgut, das er sich durch eine vom König Friedrich im Jahre 1810 erhaltene Dotation erwarb, gab ihm Gelegenheit, auch hier seinen schöpferischen Geist zu entwickeln und aus einem ganz heruntergekommenen Gute eine Musterwirtschaft für die ganze Umgegend zu bilden. In dem für die vaterländische Staatsorganisation so wichtigen Jahre 1817 wurde er von König Wilhelm zum Geheimerat und provisorischen Minister des Innern ernannt. Doch behielt er sich dabei den Rücktritt in seinen bisherigen Geschäftskreis bevor, an welchem er mit so vieler Liebe hing und in welchen ihn auch sein Geschick bald wieder führte. Er stimmte während seiner Laufbahn als Geheimerat immer für die freisinnigsten bürgerlichsten Einrichtungen, besonders in den Gemeinden, war ein Mitschöpfer des Instituts der Bürgerdeputierten und ein Beförderer der Preßfreiheit, die unter seinem Ministerium im vollsten Maße ausgeübt wurde. Seine Bestrebungen gingen auch immer dahin, den Boden von Feudallasten freizumachen, und er verfeindete sich mit dem Adel, da er nach Verwerfung des königlichen Verfassungsentwurfes, besonders von Mitgliedern des höhern Adels, in einem ministeriellen Reskripte sagte, sie wollen einen Staat im Staate bilden und nicht dulden, daß ihre Hintersassen zu Staatsbürgern erhoben würden. Er war ein Feind der Formen, und als ihm der König die interimistische Verwaltung des Ministeriums des Innern übergab, wollte er es anfänglich zurückweisen mit der Äußerung: er verstehe die Formen nicht, aber da entgegnete ihm der König: »Eben deswegen wünsche ich, daß Sie es übernehmen.«

Er bedauerte damals die Verwerfung des königlichen Verfassungsentwurfs, weil er freiere, bürgerlichere Institutionen gab, als nachher errungen wurden. Er war ein Feind der Vielschreiberei und stimmte im Geheimerat gegen die Organisation der Kreisregierungen, weswegen er damals aus dem Geheimerate treten mußte.

Im Jahre 1817 nahm er als Kommissionsmitglied an den neuen Militäreinrichtungen großen Teil und wirkte bis zu seinem Tode als Mitglied des Vereins für Wohltätigkeit, Landwirtschaft, Gewerbe, Kunst und die Verbesserung der Strafgefangenen. König Wilhelm erteilte ihm im Jahre 1830 den Friedrichsorden. – Er starb am 12. April 1840. Seine in Eisen gegossene Büste ist in dem Saale der Modelle in Wasseralfingen aufgestellt.


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