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Meine Geburt und erstes Leben in Ludwigsburg Die Zeit Herzog Karls

Mein Geburtsort ist Ludwigsburg, eine der Haupt- und Residenzstädte Württembergs. Der Tag, an welchem ich geboren wurde, war der 18. September 1786.

Mein Vater war Oberamtmann in dieser Stadt, mit dem Titel eines Regierungsrates. Meine Eltern hatten vor mir schon drei Söhne und zwei Töchter erzeugt. Am Tage meiner Taufe war mein Vater verlegen um den Namen eines vierten Sohnes. In seiner Unschlüssigkeit betrachtete er die Familienbilder, die im kleinen Bildersaale in großen Ölgemälden, von seinem Vater an bis zur Reformationszeit hinauf, an den Wänden hingen. Sein Blick fiel zuerst auf das Bild eines Mannes in geistlichem Gewande mit einem langen Barte, der, ganz breit und unten in einer geraden Linie abgeschnitten, ihm vom Kinn an bis auf die Brust wie eine weiße Serviette reichte. Dieser Mann führte den Namen Justinus Andreas, und lebte im Jahre 1650 als Spezialsuperintendent in Güglingen, wo noch jetzt die gleiche Abbildung von ihm sich in der Kirche befindet. Nach diesem nun schöpfte mir mein Vater die Namen Justinus Andreas, welche nicht gewöhnliche Namen aber meiner Mutter nach der Taufe große Skrupel machten (obgleich den Namen Justinus noch viele meiner Voreltern führten), so daß mein Vater zu ihrer Beruhigung in das Kirchenbuch auch den sehr christlichen Namen Christian einschreiben ließ, mit welchem ich dann gewöhnlich im Kreise meiner Familie genannt wurde.

Am Tage meiner Taufe benetzte mir mein Vater die Lippen mit Champagnerwein, was meiner guten Mutter auch oft ein Bedenken verursachte.

Während meiner ersten Kindheit regierte noch der Herzog Karl Eugen. Er hatte in Ludwigsburg seine Sommerresidenz, und in dieser Zeit füllten sich die weiten menschenleeren Gassen, Linden- und Kastanienalleen Ludwigsburgs mit Hofleuten in seidenen Fräcken, Haarbeuteln und Degen, und mit den herzoglichen Militärs in glänzenden Uniformen und Grenadierkappen, gegen welche die andern wenigen Bewohner in bescheidenen Zivilröcken verschwanden. Das prachtvolle Schloß mit seinen weiten Plätzen und Gärten, der nahe Park mit dem sogenannten Favoritschlößchen, die schattenreichen Alleen von Linden- und Kastanienbäumen, die in weiten Reihen auf die Stadt zuliefen und selbst in der Stadt die schönsten Schattengänge voll Blüten und Duft bildeten, der große weite Marktplatz der Stadt selbst, mit seinen Arkaden, waren oft der Schauplatz der Vergnügungen dieses weltlustigen Fürsten, Schauplätze von Festen, die, gedenkt man ihrer in jetziger Zeit, einem nur wie bunte Träume erscheinen. So fanden in der dem Schlosse gegenübergelegenen Favorite die ungeheuersten Feuerwerke statt, mit einem Aufwande, der dem am Hofe von Versailles gleichkam. Auf dem bei der Stadt gelegenen See wurden Feste gegeben, bei denen schöne Mädchen der Stadt als Seeköniginnen figurieren mußten. In seinen früheren Zeiten schuf der Herzog oft im Winter, in den sein Geburtstag fiel, Zaubergärten, ähnlich denen, die in den Erzählungen von »Tausend und eine Nacht« vorkommen. Er ließ in der Mitte des Herbstes über die wirklich bestehenden schönsten Orangengärten von tausend Fuß in der Länge und hundert in der Breite ein ungeheures Gebäude von Glas errichten, das sie vor der Einwirkung des Winters schützte. In dessen Wänden verbreiteten zahllose Öfen Wärme. Das ganze Gewölbe des großen Gebäudes trug das schönste Grün, und es hing so in der Luft, daß man keinen einzigen Pfosten bemerkte. Da bogen sich Orangenbäume unter dem Gewichte ihrer Früchte. Da ging man durch Weingärten voll Trauben wie im Herbste, und Obstbäume boten ihre reichen Früchte dar. Andere Orangenbäume wölbten sich zu Lauben. Der ganze Garten bildete ein frisches Blätterwerk. Mehr als dreißig Bassins spritzten ihre kühlen Wasser, und hunderttausend Glaslampen, die nach oben einen prachtvollen Sternenhimmel bildeten, beleuchteten nach unten die schönsten Blumenbeete.

In diesem Zaubergarten nun wurden die großartigsten Spiele, dramatische Darstellungen und Ballette und Tonstücke von den größern Meistern damaliger Zeit ausgeführt. Das war noch die Zeit der stürmischen Periode dieses Herzogs, wo er bei einem solchen Feste einmal in weniger als fünf Minuten für fünfzigtausend Taler Geschenke in geschmackvollen Kleinodien an die anwesenden Damen austeilte.

Auf dem großen Marktplatze, auf dem die Oberamtei, das Haus meiner Geburt, stand, wurden venetianische Messen gehalten. Der große Marktplatz war zeltartig mit Tüchern bedeckt, Verkäufer und Käufer waren maskiert. Es war ein buntes Getümmel von Masken, welche die tollsten Aufzüge und Spiele ausführten, worunter nicht das stärkste ein riesenhafter Heiducke des Herzogs war, der in die Maske eines Wickelkindes gekleidet, in einer Wiege herumgeführt und mit Brei von einer Amme, die ein Zwerg war, gespeist wurde. Von den Fenstern des Oberamteigebäudes konnte man den Marktplatz am besten überschauen, daher nahm der Herzog in solcher Zeit mit seiner Gemahlin Franziska den Aufenthalt daselbst.

Meine Eltern mußten da jedesmal Raum schaffen, ja, auch die unteren Gelasse des Hauses, wo die Schreibstuben waren, mußten geleert werden: denn hier wurde in solcher Zeit eine Pharobank eingerichtet.

Der Herzog mit seinem goldbordierten Hütchen, seiner mit Buckeln versehenen, gepuderten Frisur mit einem Zöpfchen, seinem kirschroten Rocke, seiner gelben Pattenweste, seinen gelben Hosen, hohen Stiefeln und Stiefelstrümpfen, und die Herzogin in weitem Reifrocke mit schlanker Taille, hoher gepuderter Frisur, auf der hoch oben eine gelbe Bandschleife wie ein Kanarienvogel saß, sind meine ganz im Nebel schwimmenden, traumhaften Erinnerungen.

Etwas heller blieb in meinem Gedächtnisse ein Mann, der zu jener Zeit und auch noch später öfter unser Haus besuchte und um dessen Stock, um auf ihm zu reiten, sich oft meine Brüder schlugen. Es war eine kräftige Gestalt mit großen Augen, einer etwas aufgestülpten Nase und einer toupetartigen Frisur, ein Mann mit lebhaften Bewegungen und kräftiger Stimme, der Dichter Schubart.

Er war ein Jahr nach meiner Geburt von seiner zehnjährigen Gefangenschaft befreit und zum Hofdramaturgen in Stuttgart ernannt worden, wo er dann Ludwigsburg, seinen frühern Wohnort, und meinen Vater, hielt sich der Hof und das Theaterpersonal in Ludwigsburg auf, öfter besuchte.

Mein Vater liebte ihn seines Genies wegen, war aber öfter als Beamter genötigt, gegen sein exzentrisches, ja sittenloses Wesen einzuschreiten. Dennoch gedenkt Schubart desselben dankbar in seiner Lebensgeschichte. So sagt er von ihm: »Regierungsrat Kerner, die beste, gütigste Seele, liebte und schätzte mich bei allen meinen Fehlern, in der menschenfreundlichen Erwartung, der Sturm werde sich legen.« Schubart hatte ihn zum Taufpaten eines ihm zu Ludwigsburg geborenen Sohnes erwählt.

Schubart kam meistens zur Abendzeit zu uns, wo meine Schlafstunde war, setzte sich bald ans Klavier, spielte und sang, wobei ich selten einschlief, aber mich vor Angst oft schlafend stellte.

Außer den venetianischen Messen gab es auf dem großen Marktplatze vor dem väterlichen Hause auch noch andere Auftritte, die sich in eine kindliche Phantasie fest einprägten.

Hier marschierten oft die riesigen Grenadiere, man hieß sie Legioner des Herzogs, zur Parade, oder bezogen die nahestehende Hauptwache. Sie waren nach dem Schnitte der Leibgarde Friedrichs des Großen gebildet, in Größe und Gestalt von Pappelbäumen, in roten Fräcken mit schwarzen Aufschlägen, und hatten auf den gepuderten Häuptern über den steinharten Zöpfen hohe spitze Grenadiermützen sitzen, die mit gelbem Bleche beschlagen waren. Oft hatte man hier auch derben Ohrenschmaus von einer Versammlung von Tambours, nach deren Trommelschlag ein gnädiger Pardon den diesem Soldatenjammer entlaufenen Landeskindern verkündigt wurde. Nicht selten fand auch auf diesem Platze die leidige Exekution eines Spießrutenlaufens statt, oder konnte man aufgerichtete Galgen bewundern, an denen die Namen Desertierter angeschlagen waren.

Die bedeckten Gänge unter den Häusern des Marktplatzes waren zu jeder Jahreszeit ein bequemer Spielplatz für die Jugend, wo allein der oberste Teil desselben, die gegen das Rathaus schauende linke Ecke (nun eine Apotheke), für uns Knaben oft gefährlich war. Hier hatte ein alter, in seinem ganzen Wesen eigentümlicher Italiener, namens Minoni, seinen Spezereiladen und nebenbei in den Arkaden einen großen Hühnerstall.

Alle Abende sah man ihn zur Sommerszeit mit seiner alten bald hundertjährigen Schwester in seinen entfernten Garten fahren. Dieselbe sah man nie, ohne daß sie auf dem Schöße ein uraltes Hündchen barg. Am Chaischen war ein fünfzigjähriger, kaum mehr beweglicher Rappe angespannt, dessen Schweif und lange Mähnen altersgrau waren, während ein ebenfalls uralter Ladendiener, Pietro Morano, den Laden und die Hühner hütend zurückblieb, die uns im Räume der Arkaden spielenden Knaben oft zur Übung unseres Mutwillens dienten. Kamen wir mit unseren Spielen in ihren Bereich, und flatterten sie aufgestört mit Geschrei davon, so kam der ergrimmte Morano mit aller Wut auf uns los. Aber je wütender er ward, je neckender und wagender wurden wir Knaben. Sobald er wieder in seinen Laden zurückgekehrt war, standen wir wieder ihn zu erwarten da; der neue Angriff und abermaliges Entfliehen begann, das sich den Tag über zur Zeit unserer Muße öfter wiederholte und eigentlich auch zu unsern Spielen und damaligen Turnübungen gehörte.

Zum Spiele, Drachen steigen zu lassen, war dieser große Marktplatz und das windige Ludwigsburg auch sehr geeignet. Mancher Drache aber fand seinen Untergang an den Kränzen der beiden Stadtkirchentürme, wo wir sie dann den ganzen Sommer durch, an den Schwänzen aufgehängt, bewunderten.

Wir wetteiferten miteinander, solche Drachen in den verschiedensten Formen zu machen. Drachen, die auf der Erde die Größe eines Mannes überboten, hatten in der Höhe kaum die Größe einer Schwalbe, auch wußten wir solche zu verfertigen, die im Steigen und in der Luft brummende Töne von sich gaben, ein Spiel, das ich noch im Alter zu Weinsberg auf meinem Turme fortsetzte.

Wie im großen und in natura, so dienten mir diese Stadttürme mit ihrer Kirche auch nachgemacht und im kleinen oft zum Spielzeuge. Mehr die Arbeit eines Schreiners als eines Steinhauers scheinend, wurden sie auch sehr oft von Schreinern als Kinderspielzeug in Holz gebildet, so auch die Garnisonskirche und die Hauptwache auf dem gleichen Platze.

Sie brachte mir einmal der von mir so gefürchtete Mann, der ehemalige Organist dieser Kirche, der Dichter Schubart, in einer Schachtel zum Geschenk aus Stuttgart mit, wodurch meine Furcht vor ihm nach und nach verschwand.

Es ist mir auch noch wie ein Traum, daß ich die letzte späteste Lieferung der von dem Herzog Karl an Holland verkauften, nach dem Kap bestimmten Truppen, unter dem Gesänge des schönen Liedes von Schubart: »Auf, auf ihr Brüder, und seid stark!« die Schloßallee hinabziehen sah.

Noch lebendiger aber erinnere ich mich eines andern Zuges – des nächtlichen Leichenzuges des Herzogs zur Gruft seiner Väter im Corps de Logis des Schlosses. Wachskerzen und brennende Pechkränze waren von dem Tore an, durch das man von Stuttgart kommt, bis zur Schloßkirche aufgestellt. Durch diese ging der Zug mit der Leiche des Herzogs, von acht schwarzbehängten Schimmeln gezogen, gefolgt von Wagen, Trabanten und Reitern, aber nicht langsam und feierlich, sondern unbegreiflicherweise rasch, dem Dunkel zu, in dem aller Erdenglanz auf immer erlischt.

Der zum Himmel aufwirbelnde Rauch der Wachsfackeln und Pechkränze bildete, wie mir noch wohl im Gedächtnis steht, hoch über den Alleen, dem Schlosse und den Häusern der Stadt, in dem erhellten Nachthimmel die sonderbarsten Gestalten, gleichsam einen gespenstischen Zug, mit dem mir der Geist des Herzogs über seiner Leiche zu schweben schien. Später, als nach der Regierung des Herzogs Ludwig eine große Stille eintrat und die Räume des Schlosses sehr verlassen standen, gebrauchten wir Knaben gerade oft jenen Teil des Corps de Logis des Schlosses, wo die Gruft sich befindet, zu unsern Soldatenspielen und blickten da oft durch das am Erdgeschoß befindliche Gitter auf den mit rotem Sammet beschlagenen Sarkophag des Herzogs Karl und die anderen fürstlichen Särge nieder.


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