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Die französischen Emigranten in Ludwigsburg und mein weiteres Knabenleben daselbst

Bald nach Herzog Ludwigs Tode wurde Ludwigsburg eine Zeitlang durch eine Menge französischer Ausgewanderter wieder lebhaft. Es befanden sich unter ihnen viele in ihrem Vaterlande einst hochgestellte Männer und Frauen.

Nach und nach erschienen in Ludwigsburg und in Stuttgart Prinz Condé, Prinz Conti Duc de Bourbon, Duc d'Enghien (der im Jahre 1804 in Ettenheim verhaftet und in Vincennes erschossen wurde), eine Duchesse de Liancourt, eine Äbtissin von Nemiremont, ein himmellanger Mann, von dem es hieß, er sei der Erzbischof von Paris, mit einem Zuge von Geistlichen und Pfaffen, Graf Artois, Comte Castelneau. Dieser lebte lange in Ludwigsburg und kehrte nach Zernichtung der Emigrantenliste in sein Vaterland zurück.

Im April 1793 logierte Philipp Egalité der jüngere (Exkönig Philipp) mit General Dumouriez einige Tage zu Ludwigsburg im Gasthofe zur Kanne. Alles lief dahin, sie zu sehen. Sie wollten den Herzog zu Hohenheim besuchen, der sie aber aus Furcht vor den damaligen Machthabern Frankreichs nicht annahm. Mein Vater hatte mit ihnen, da er der französischen Sprache sehr mächtig war, besonders aber auch als Oberbeamter, vielen Umgang.

Ich erinnere mich noch mancher schönen Frauengestalt aus jener Zeit, die unser Haus besuchte, die freundlich gegen mich, den Knaben, war, deren Mienen wohl, aber deren Sprache ich nicht verstand.

Vor allen blieb mir ein Mädchen von ungefähr sieben Jahren im Gedächtnis, das die feinsten Züge an sich trug, immer ganz weiß gekleidet war und ein schwarzes Samtkäppchen auf den blonden Haaren trug. Eine schwarz gekleidete Dame war seine Begleiterin. Ich wurde öfters zu ihnen geschickt, sie aus dem Gasthofe, in dem sie wohnten, ins elterliche Haus zu rufen, was mir immer Freude machte. Aber bald durfte ich dieses nicht mehr. Das Mädchen war vom Scharlachfieber befallen worden und in wenigen Tagen eine Leiche. Meine Betrübnis war sehr groß, und ich blickte den Blumen, die die Mutter ihm zu seinem Sarge sandte, mit Tränen nach, weil man mich nicht mit ihnen gehen ließ.

Dieses weiße Mädchen ist mir oft später noch in Träumen ganz wie es lebte vorgekommen und hat für mich heute noch etwas mysteriöses Heiliges. Noch erinnere ich mich einer Gräfin Bouaclareau. Diese wohnte in dem väterlichen Hause unseres Dichters Eduard Mörike, der Kanne gegenüber, spielte die Harfe und begleitete sie oft noch in stiller Nacht mit den Tönen eines klagenden, tief eindringenden Gesanges. Da war unser Dichter noch nicht geboren, mich aber zog damals als Kind die romantische Erscheinung dieser Frau und ihres Gesanges oft zum Hause seiner Geburt hin. Die Emigranten hatten ein eigenes Spiel mitgebracht, das bald in ganz Ludwigsburg und Stuttgart zur Mode wurde; das waren die sogenannten Joujous, Rädchen, die durch eine geschickte Schwingung an einer seidnen Schnur auf und ab liefen. Auf allen Spaziergängen begegnete man Herren und Damen, die dieses Spiel trieben, ja, selbst aus den Fenstern der Häuser rollten diese Rädchen auf und nieder. Man sah sie von Holz, von Elfenbein, von Stahl; und es wurde sogar zuletzt ein Luxus mit in sie eingelegten Steinen und andern Verzierungen getrieben. Dies war nun auch ein erwünschtes Spiel für uns Kinder und blieb mir eine so liebe Erinnerung, daß ich noch jetzt im 60. Jahre einen Joujou mit Vergnügen auf und nieder treibe. Der Aufenthalt vieler reicher Emigrés zog damals auch manche Schauspieler und Künstler, wie zum Beispiel auch Seiltänzer, englische Reiter und einen Besitzer komödiespielender Hunde herbei. Diesem Manne wurde das Theater im Schlosse eingeräumt, und wir Kinder vergnügten uns am Spiele dieser Tiere natürlich viel mehr, als an dem der belobtesten Schauspieler; ja, es kam durch die lange Anwesenheit dieser Hundekünstler so weit, daß die Kinder zu Hause und unter den Arkaden des Marktplatzes und in den Alleen wie jene Hunde gingen, tanzten und bellten und ihnen noch lange diese Unart, trotz aller Rüge der Eltern und Schullehrer, blieb. Ein Fremder, der damals nach Ludwigsburg kam, ohne die Veranlassung zu solcher Gewohnheit der Kinder zu wissen, muß geglaubt haben, es bewohne diese Stadt ein Völklein von ganz eigener Abstammung.

Auch Aventuriers versuchten in jener Zeit in dieser Stadt ihr Glück – und es ist jetzt unbegreiflich, aber gewiß, daß einmal ein solcher mit der Annonce erschien: er werde auf den Abend im Schloßtheater ein Kanonenkonzert geben. Soviel ich mich erinnere, spiegelte er vor: durch Losschießen kleiner Kanonen von verschiedenem Kaliber Melodien hervorzubringen. – Alles strömte in das Theater, und der Künstler sammelte ein gutes Entrée ein. Als man ins Parterre und in die Logen trat, war natürlich der Vorhang noch gefallen, allein er zog sich nie auf; der Betrüger war mit der Kasse bereits über die Mauern der Stadt, bevor die Menge einsah, daß sie wirklich betrogen worden. Ein redlicherer Unterhalter des Publikums war damals ein Herr Enslin, welcher seine kunstreichen Automaten aufs Theater brachte und in dem Schloßgarten Ritter auf Rossen und eine ganze wilde Jagd von Tieren und Jägern sich in die Luft erheben und unter den Wolken verschwinden ließ. Noch erinnere ich mich auch aus dieser Zeit eines armen Emigrierten, welcher nebst andern Kunstgebilden, die er selbst verfertigte, eine Dose vorzeigte, unter deren überglastem Deckel zwei sich bewegende, ganz wie lebendige, Figürchen sich befanden; es war ein junges Mädchen, welches von dem weißen Barte eines alten Einsiedlers herabspann. Das Bildchen sah unsäglich fromm aus und blieb mir bis heute noch ganz farbig im Gedächtnisse.


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