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Es war im Jahre 1887. Ich drückte noch die von mir mittels eines Taschenmessers arg verzierte Schulbank meines Heimatortes und hatte – obwohl mein zukünftiger Beruf schon bestimmt war – immer noch im Sinn, lieber auf alles andere zu verzichten und »Offizier« zu werden. Der Großvater hatte mir aus Eichenholz ein schönes breites Schwert geschnitzt und da ich wußte, daß es üblich sei, in die Degen angehender Helden einen schönen Spruch als Devise einzugravieren, so bat ich den Großvater, mit meinem Schwerte dasselbe zu tun, worauf er einen Zimmermannsbleistift ergriff und mit dicken deutlichen Buchstaben auf meinen Holzsäbel schrieb: »Du sollst nicht töten!«
Dieser Spruch befremdete mich zuerst, dann erzürnte er mich, denn ich merkte einen Hohn heraus und sprach mit dem Großvater drei Stunden lang kein Wort. Dann aber beschloß ich, »es ihm zu beweisen«. Ich hatte zwei Schulfreunde, Carl Siegert und Franz Hanschek, die gleich mir nicht abgeneigt waren, das deutsche Offizierkorps um einige Prachtgestalten zu bereichern. Carl Siegert war der Sohn eines Maurerpoliers und bestimmt, Tischler zu werden; Franz Hanschek hatte noch keinen Beruf. Er bekam nur von seiner blutarmen Mutter jeden Sonnabend ein weißes Säcklein umgehängt und mußte um milde Gaben bitten gehen von Haus zu Haus.
An einem Sonnabend nachmittag des Monats Februar versammelte ich mich mit den beiden anderen Offizierskandidaten auf dem Kirchberg unter der Friedenseiche und beschloß, sie in einen großen Plan einzuweihen. Ich trug mein Schwert, auf dem ich den in diesem Falle ehrenkränkenden Bibelspruch ausgekratzt und durch »Suum cuique!« ersetzt hatte; Carl Siegert hatte eine alte Soldatenmütze seines Vaters auf, die ihm allerdings über die Ohren herabfiel; Hanschek hatte kein militärisches Emblem aufzuweisen, es sei denn, daß man mit viel Phantasie in dem weißen ihm zur Seite hängenden Bettelsäcklein eine Ähnlichkeit mit einer Offiziersschärpe ersehen hätte.
Ich begann ohne weitere Umschweife mit meinem Plane. »Am nächsten 22. März,« so sagte ich, »hat unser Kaiser Wilhelm den 90. Geburtstag. Wenn wir ihm zum Geburtstag gratulieren, wird er sich nobel machen und uns alle drei umsonst Offiziere werden lassen.«
Das leuchtete den beiden andern sofort und aufs freudigste ein. Nur, meinte Siegert Carl, mit dem vielen Reisegeld nach Berlin werde es hapern, und Hanschek sagte, er habe keine ganzen Hosen. Ich widerlegte beide sofort, indem ich ihnen auseinandersetzte, von nach Berlin fahren sei keine Rede; wir würden einfach an den Kaiser schreiben. Ich würde ein sehr schönes Gedicht auf den alten Kaiser machen, das würden wir gut abschreiben, alle drei unterzeichnen, abschicken und das weitere käme dann von selbst; nur müßten sie beide »Wahrhaftig!« sagen, daß sie nichts vorzeitig verraten würden. Sie sagten beide »Wahrhaftig!« und dann wurde ihnen schlecht vor Aufregung. Hanschek lehnte sich mit seiner Schärpe an die Friedenseiche, Siegert Carl setzte sich auf ein Schänzlein Schnee, das vom Winter her noch dalag. Ich aber als Leiter der Versammlung behielt kühles Blut. Ich dachte an die Finanzierung des Unternehmens und daß es gar nicht so leicht sein würde, die nötigen Gelder aufzubringen. Also rechnete ich den beiden vor:
Umsonst sei sowas natürlich nicht. Erstens brauchten wir einen Bogen Papier. Wir müßten Weißes Papier nehmen, den Bogen zu 2 Pfennig; gelbes Papier sei zwar für einen Pfennig zu haben, nehme sich aber zu schäbig aus, wenn man an den Kaiser schreibe. Dann sei es streng verboten, an den Kaiser in einem Kuvert zu schreiben. Man müsse den Bogen brechen, zusammenfalten und hinten versiegeln. Ich hätte mich im Kramladen bereits erkundigt; die billigste Stange Siegellack koste 5 Pfennig. Ein Petschaft brauchten wir nicht; wir könnten mit einem Zehnpfennigstück siegeln, weil das auf der Rückseite den Reichsadler hat. Das mache sich dann sehr gut. Das Zehnpfennigstück selber müßten wir leider auf die Briefmarke ausgeben; die ganze Geschichte koste also 2 + 5 + 10 = 17 Pfennig. Billiger sei es nicht zu machen; da wir aber dazu drei seien, würde sich das Geld schon erschwingen lassen. Die Verteilung der Kosten hätte ich mir so gedacht, daß ich 5 Pfennige, die beiden andern aber jeder 6 Pfennig zusteuerten. Einen Pfennig ziehe ich mir ab, weil ich doch das Gedicht machen müsse. Scheinheilig setzte ich hinzu, ich sei aber auch bereit, mich mit 6 Pfennig zu beteiligen, falls Siegert oder Hanschek das Gedicht machen wollten.
Das lehnten sie ab, und mein ganzer Vorschlag wurde in Bausch und Bogen angenommen. Darauf überkam mich eine feierliche Stimmung. Ich hatte damals bereits den Wilhelm Tell gelesen und gedachte, meine Eidgenossenschaft nicht weniger ergreifend zu begründen, wie ehedem die Männer der Vierwaldstaaten.
»Jetzt tretet in einen Kreis um die Friedenseiche herum,« gebot ich, »und legt die linke Hand an diesen heiligen Baum von anno 70 und 71!«
Sie taten, wie ich gesagt, und ich tat das Gleiche. Ich fuhr fort:
»Jetzt erheben wir alle die rechte Hand und sagen zu gleicher Zeit: »Wir schwören!««
Dreimal ging es im Takt: »Wir schwören!« Was wir eigentlich schworen, wußte keiner von uns dreien; aber es war sehr schön. Die kahlen Aste der Friedenseiche schwangen über uns im Winde und die Wintersonne blinzelte lachend vom Himmel. – – –
Drei Tage lang dichtete ich Wilhelm I. an. Ich hatte ein Gedicht von 54, eines von 48 und eines von nur 23 Strophen. Ich legte diese Poeme meinen beiden Kompagnons zur Begutachtung vor; sie entschieden sich ohne weiteres für das vierundfünfzigstrophige. In einer ganz besonders lichten Stunde aber kam mir ein seltsamer Gedanke. Ich dachte daran, daß außer unserem Glückwunsch Kaiser Wilhelm wahrscheinlich noch andere bekommen würde, und es fiel mir ein, daß in der kleinen »Poetik«, die ich besaß, stand: Uhlands »Kapelle« und Goethes »Wanderers Nachtlied« seien eben deshalb so wertvoll, weil sie so kurz seien. So begab ich mich auf den Heuboden, vergrub mich tief ins Heu und dichtete, bis mich schwitzte, ein Gedicht von drei Strophen zu je vier Zeilen.
Dieses neue Opus sagte ich am andern Morgen meinen Kameraden auf, worauf sie mich für »verrückt« erklärten und meinten, auf so ein kurzes Ding riskierten sie doch ihr Geld nicht. Ich berief mich auf Uhland und Goethe, aber sie meinten, mit denen zusammen wollten sie ja gar nicht Offiziere werden und wegen eines so kurzen Quarges werde sich der Kaiser schön hüten, sich unseretwegen zu verausgaben. Ich aber war von der Richtigkeit meiner Idee so überzeugt, daß ich sie unbedingt retten wollte. Also sagte ich: Gut, sie sollten das vierundfünfzigstrophige Gedicht nehmen, aber sie sollten es selbst »ins Reine« schreiben und wenn sie sich verschrieben oder – was bei dieser Länge nicht ausbleiben könne – einen Klex machten, so möchten sie den neuen Bogen oder die neuen Bögen aus ihrer eigenen Tasche bestreiten.
»Man kann ja radieren,« meinte Siegert Carl.
Ich sah ihn mit einem mitleidigen Blick an.
»Radieren darf man nicht mal beim Lehrer, viel weniger beim Kaiser.«
Da gaben sie endlich ihre Zustimmung zu dem »dreistrophigen«.– – – – –
Alles war bereit. Hanschek hatte mir schon an jenem selben Sonnabend nach seinem Umgang »ums Dorf« die versprochenen sechs Pfennige gebracht; ich hatte meine fünf Pfennige hinzugelegt, Papier und Siegellack gekauft, das Gedicht fein säuberlich abgeschrieben und neben meiner Unterschrift die beiden andern unterschreiben lassen. Das Gedicht selbst kann ich leider nicht mitteilen. Ich habe keine Abschrift. Damals dichtete ich derart, daß ich alles auswendig wußte, also alle Urniederschriften nur in meinem Kopfe hatte. Im Laufe der Zeiten aber habe ich das Gedicht vergessen, und wenn sich die einzige Niederschrift nicht einmal irgendwo in den »Denkwürdigkeiten der Hohenzollern« vorfindet, so ist das schöne Heubodengedicht leider verloren.
Wieder an einem Sonnabend nachmittag sollte der Brief unter der Friedenseiche geschlossen und versiegelt werden. Streichhölzer, Siegellack und ein Kerzenstumpf waren bereit, ich hielt den bedeutungsvollen Bogen in der Hand und wartete mit Hanschek auf Carl Siegert, der versprochen hatte, sich zur bestimmten Stunde mit seinen noch rückständigen sechs Pfennigen einzufinden. Darauf wollten wir gemeinsam in den Kramladen gehen, eine Zehnpfennigmarke erstehen und ebenso gemeinsam den Brief in den Postkasten stecken. Es war ausgemacht, daß beim Einwurf in den Kasten Hanschek den Brief an einer Ecke, Siegert an der andern, ich aber in der Mitte halten und daß er auf das Kommando: »Eins, zwei, drei!« in den Kasten befördert werden sollte.
Das Schreckliche geschah. Siegert kam nicht. Siegert war zahlungsunfähig. Er hatte die sechs Pfennige nicht aufgebracht. Unsere Gesellschaft war gesprengt.
In bleichem Zorn stand ich mit Hanschek unter der Friedenseiche.
»Er hat einen Meineid geschworen!« sagte Hanschek.
»Ja,« pflichtete ich ihm bei. »Er ist ein Schuft!«
Außer uns vor Zorn und Trauer setzten wir uns auf die Schneeschanze, die immer noch dalag, obwohl es längst März war. Was sollten wir tun? Der Vorfrühlingswind spielte mit dem Kaisergedicht, daß es knitterte. Ich erwachte wie aus schwerer Betäubung.
»Sechs Pfennige fehlen,« sagte ich; »wir müßten uns teilen und es allein machen. Auf jeden kämen noch drei Pfennige.«
Hanschek klopfte auf seine Schärpe und sagte, drei Pfennige könne er leicht beschaffen, und ich erwog, daß ich unter Verzicht auf neue Munition für meine Zündblattpistole das Gleiche erübrigen könne. Also einigten wir uns, und neben dem Haß und der Verachtung für Carl Siegert keimte Hoffnung und Freude wieder auf in unserem Herzen.
Ich wollte, da wir gerade bei der Friedenseiche waren, eigentlich einen neuen Schwur in Szene setzen, aber ich hatte genug vom Schwören und ließ es bleiben. – – –
Noch ehe es dunkel wurde, kam Hanschek zu mir mit seinen drei Pfennigen. Eben wollten wir den Brief siegeln, da sagte Hanschek:
»Nu hat ja der Siegert mit unterschrieben! Nu wird er ja auch Offizier.«
Richtig! Dieser Lumpazius, der nicht mal sechs Pfennige hatte, sollte auch Offizier werden. Das ging nicht. Wenn einer Offizier werden will, muß Vermögen da sein.
»Wir radieren ihn aus!« schrie Hanschek.
»Radieren ist nicht erlaubt!« wandte ich bekümmert ein. »Wir müssen einen neuen Bogen kaufen und die Sache noch einmal schreiben.«
»Das kost' ja wieder zwei Pfennige!« sagte Hanschek, dem die fortwährende Kostenvermehrung sehr gegen den Sinn war. »Da mach ich nicht mehr mit.«
Also blieb nichts anderes übrig, als Carl Siegerts Unterschrift mit nach Berlin zu senden.
»Vielleicht kriegt's der Kaiser raus,« sagte Hanschek; »da kommt er sowieso nicht daran.«
Also schlossen wir den Brief, trugen ihn abwechselnd jeder hundert Schritte weit die Dorfstraße hinunter, kauften die Zehnpfennigmarke und begaben uns mit vor Aufregung brennenden Wangen zum Postkasten.
Eben wollten wir den Brief hineinschieben, jeder an einer Ecke festhaltend, da trat jemand an uns heran. »Laßt mich doch auch mit anfassen!«
Siegert Carl war es. Er war uns nachgeschlichen. Er sah uns mit seinen braunen gutmütigen Augen traurig und bittend an, wir aber verhärteten unsere Herzen, schoben den Brief allein in den Kasten und logen ihm höhnisch vor, wir hätten natürlich einen neuen Brief geschrieben und seinen Namen weggelassen. Gesenkten Hauptes, ein von den höchsten Ehren der Welt Ausgeschlossener, ging er allein nach Hause, während wir, die Nasen hoch in die Luft streckend, hoffärtig dahinstolzierten und sich Hanscheks Schärpe, durch die günstige Ausbeute des heutigen »Umgangs« wohl gefüllt, vornehm an seiner Seite blähte. – – –
Ob wir vom Kaiser Wilhelm Antwort bekommen haben?
Gewiß!
In den Zeitungen, selbst in den kleinsten, stand ungefähr folgendes zu lesen:
»Zu Meinem neunzigsten Geburtstage sind Mir aus allen Teilen des Reiches unzählige Glückwünsche zugegangen. Ich sage allen, die Meiner in Liebe und Treue gedacht haben, auf diesem Wege herzlichen Dank.
Wilhelm, I. R.«
In diesen Dank waren also auch Hanschek und ich mit einbegriffen. Einen andern erhielten wir nicht. Siegert Carl grinste leise.
Es ist keine Gerechtigkeit auf der Welt. Siegert Carl hat es nachmals zum Wachtmeister gebracht, während Hanschek und ich überhaupt keine militärische Staffel erklommen haben. Und Hanschek zürnt mir vielleicht noch heute, daß ich nicht lieber das vierundfünfzigstrophige Gedicht eingesandt habe.