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»Nun werden wir ihn hinausschaffen, er wird schon welk!« sagte der Hausvater und meinte den Christbaum, der seit drei Wochen im Zimmer stand. Onkel Eberhard aber, ein hoher pensionierter Reichsbeamter, der – wie immer – am Familientisch ein wenig gedröselt hatte, erschrak bei diesen Worten und bezog sie in der ersten Überraschung auf sich selbst. Doch dann nickte er und sagte in halbschmerzlicher Ironie: »Jawohl, er muß hinausgeschafft werden; er wird schon welk!«
In der großen Reichsfamilie hatte Onkel Eberhard auch einmal so gestrahlt wie ein Christbaum. In einer gnadenreichen, aber engbemessenen Zeit. »Wie eine gute Gabe vom Himmel ist uns dieser herrliche Mann gekommen,« hatte damals eine Zeitung von ihm geschrieben. Allerdings sein Leibblatt, an dem er Aktionär war, aber immerhin doch eine Zeitung, eine gelesene Zeitung mit mehr als provinzieller Bedeutung! Nun, so sinnierte Eberhard, der Vergleich mit einem Christbaum auf ihn wäre gar nicht so übel: Hervorgeholt aus den stillen Wäldern seiner starken ländlichen Heimat, auf dem Weihnachts-Jahrmarkt der großen Welt von einem prüfenden Käufer als gerade gewachsen, edler Rasse und vielzweigig befunden, nach einigem hin und her als Christbaum erkoren, mit goldenem und silbernem Rauschgold ausgeschmückt und mit glitzernden Sternen behängt, eine Fahne an dem Wipfel und viel Zuckerzeug in alle seine Arme, damit bevorzugte Kinder es abpflücken durften und ihn dafür als »unsern lieben Christbaum« priesen – so war es!
Und »Stimmung«, viel Stimmung hatte er ausgeatmet, wahrhaftig gute Stimmung, die Kraft des Gnadenbringers, der von reinen Wäldern in enge Stuben kommt.
Klinglingling, – es war schön!
Schön, ob ihm auch der Fuß nicht mehr in heiliger, starker Muttererde, sondern in einem gußeisernen Fuß saß, der nach deutschem Reichspatent mit Leitungwasser gefüllt war, damit der Baum nicht allzu rasch welke.
Und er welkte doch. Als aber ein Paar Nadeln von ihm zur Erde fielen und die Stubenmädchen, zu faul, den kleinen Schaden zu reparieren, dem Hausherrn mit geschwätziger Dienstbotenzunge eilfertig die Tatsache berichteten, sagte dieser: »Er wird welk, schafft ihn hinaus!«
Tja – dachte Onkel Eberhard, daß man so einen welken Stubenschmutzer hinausschafft, ist sehr logisch – aber auch sehr grausam. Ständest du – alter dummer Christbaum – jetzt droben am Geisterbach, tief im Gebüsch der Waldkoppe, gerade dort, wohin sich nicht einmal die Schmuggler und Wilderer trauen, – dir wäre sehr viel wohler als hier in der Belletage des glänzenden Großstadthauses. Geschieht dir recht, alter Mucker und Streber, muß allen Eseln so gehen, die von der Natur zur Kultur desertieren. Denn die Natur ist Wahrheit, und die Kultur ist Schwindel, und aller Schwindel bricht einmal zusammen, und es wurde bis jetzt noch jeder betrogen, der auf die »Welt« vertraute. Geschieht dir recht!
»Schafft den alten Baum wirklich hinaus,« sagte Onkel Eberhard nach diesem Gedankengange zu Hausvater und Hausmutter; »er ist mir in seiner verdorrten, mit veraltetem Plunder behäuften Gestalt direkt widerlich. Eine ausgediente Kokette männlichen Geschlechts!«
Diese bitteren Worte der entthronten Exzellenz hörte ein junger Mann, der ihr gegenüber saß. Der blickte mit klaren, liebenden Augen auf den Alten, der sein Vater war. Er – Heinz, der Sohn – wohnte auch jetzt noch »droben« nahe am Geisterbach und hatte sich nicht einmal durch die Chance, Landrat zu werden, aus seiner Waldstille hervorlocken lassen. So stand er in keinem gußeisernen Fuß, hatte Gefühl und Phantasie und fügte ganz Wicht:
»Ja, hier hat der Baum ausgedient. Ich bitte, daß ihn mir der Hausvater überläßt; für den Holzhacker ist er viel zu schade.«
Und Heinz, der Sohn, bekam den alten Baum ausgeliefert. Spaßes halber!
Drunten in der Küche wollten sich die Dienstmädchen halbtot lachen. Heinz, der fesche, junge Herr, hatte sich als Koch bei ihnen niedergelassen. Er trug eine blaue Küchenschürze, hatte am hellen Feuer zwei Pfund Rindertalg zerlassen und rührte nun einen Brei zurecht, der den Mädchen einen entsetzten oder jubelnden Quietscher nach dem anderen entlockte: kleingehacktes Fleisch, Hirse, Brotkrümchen, Mohn, Hanf, Hafer wurden durcheinandergerührt und mit dem Rindtalg begossen. »Es ist ein Mahl für Götter,« sagte Heinz und schnalzte mit der Zunge, während die Mädchen ihr Grauen und ihren Abscheu gar nicht laut genug betonen konnten. Schließlich begab sich Heinz mit seinem »Menü« nach dem Garten, wo der alte Christbaum aufgerichtet stand und schmierte mittels eines Holzlöffels den ganzen Inhalt des Topfes auf die Zweige des Baumes.
Nach einer halben Stunde wimmelte es von hungrigen Spatzen auf dem Baum, aber auch zierliche Meisen kamen, niedliche Goldammern, Kleiber und Kirschkernbeißer und als größte der Gäste gelbschnäbelige Amseln, die an einigen auf dem Baume aufgehängten Speckschwarten eine innige Freude hatten. Heinz sah mit großem Vergnügen zu, und damit auch der Humor zur Sache nicht fehle, brachte er mehrere Schilder an mit den Aufschriften: »Etablissement zum grünen Baum« – »Diner und Speisen à la carte« – »An diesem Tische darf nichts übelgenommen werden« – »Die geehrten Gäste werden höflichst ersucht, nicht auf den Fußboden zu spucken!« – »Menschen sind an der Leine zu führen!«
Mit den anderen Hausgenossen kam auch die alte Exzellenz in den Garten und sah die »neue Bescherung«, bei der es nicht weniger lebhaft und nicht weniger glückselig zuging als bei der ersten.
Exzellenz kniff die Lippen zusammen. Der Junge hatte ihm wieder einmal ins Herz gesehen vorhin da oben. Wollte ihm demonstrieren: »Sieh mal, Papachen, ein ausgedienter Christbaum braucht noch lange nicht zerhackt zu werden, kann noch sehr vielen kleinen Leutchen eine Quelle des Segens und der Freude sein. Und steht dann eben, umflirrt von Liebe und frohem Sang, solange in reiner Winterluft, bis er von selbst fällt und Gottes warmer weicher Schnee ihn zudeckt.«
Die alte Exzellenz drückte dem Sohne, ohne ein Wort zu sagen, bewegt die Hand. Die anderen lachten derweil und lasen die Schilder.