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In diesem Abschnitt fängt Toomai einen Gestreiften in der Falle. Was aus Schneezahn wurde und wohin er reiste, was der gute Trampelmann tat und wie höflich und wohlerzogen er war, ist zu lesen, dann aber, wie die Paria leben, und die Geschichte vom Barbier. Wir hören von dem Vollmondfest der Rodyas und von der Ernte. Der Maharadscha macht eine Hetzjagd – eine »Mrigaya«. Was Radha erlebte. Die Rache des Tamilen und Radhas wilde Flucht. Das Verhör vor dem Maharadscha. Ghautal und Mali gehen in das Dschungel. –
Toomai war ausgeschickt worden, um Raubtiere zu fangen, und Machua ging mit ihm. Sie wurden vor Sir Charles gerufen, und der Herr sprach: »Toomai und Machua! Gegrüßt seid mir, ihr tüchtigen Jäger! Ich will euch heimsenden, denn es kommt bald aus Europa ein großer Händler, der in einer Stadt am Meere wohnt und in seinem Park viele Tiere hält; viele verkauft er auch, damit sie in aller Welt gezeigt werden, denn das Volk da drüben will fremde Tiere sehen. Ich bin nun gebeten worden, ihm diese Tiere – Tiger, Leoparden, Elefanten und andere, zu besorgen. Und so sende ich euch heim ins Dorf im Dschungel, damit ihr dort welche fangt. Stellet Fallen aus, aber nur solche, die den Tieren nicht wehe tun und sie nicht verletzen, fanget Stachelschweine in Kastenfallen, kleine Katzen, Mungos und Schlangen und, wenn ihr könnt, auch Antilopen und junge Büffel. Manche Rupie, manchen Anna sollt ihr verdienen, denn ihr wißt, ich sorge für euch wie ein Vater. Und meine Elefanten sollen euch alles in den Busch bringen, was notwendig ist.« Also sprach der ältere Bridgeman, und die Leute machten sich fertig. Palmenreiße und drei andere Elefanten wurden mit den Teilen großer Eisenkäfige beladen, und es kam auch ein weißer Mann mit, der alles an Ort und Stelle zusammenzusetzen und zu leiten hatte. Das war ein Mann, den der fremde Sahib aus Europa geschickt hatte. Dieser Mann saß mit Toomai auf Bürstenwedels breitem Nacken.
Ghautal, den der Maharadscha für einige Zeit wieder zu Sir Charles gegeben hatte, damit er mit Kara-Nagh die Bahnarbeiten der Regierung förderte und die anderen Elefantenführer beaufsichtigte, arbeitete am Fluß, wo die Stapel der Balken und Schwellen lagen. Es waren viele Elefanten da, und die Arbeit ging gut vorwärts, trotzdem es heiß war und die Elefanten nur mit großen Pausen arbeiten konnten. Bei Ghautal aber war der tüchtige Sudu mit Trampelmann, dem Mächtigen, und Rakhna leitete die willige und starke Pyari, die Elefantin. Der Bahndamm zog sich durch die kleinen Hügel und in tiefe Wälder und Dschungel hinein, kreuzte Wege und führte mit Brücken aus Holz über die Bäche. Hier arbeiteten auch Elefanten mit ihren Mahouts. Wenn aber Mac Neil, der Ingenieur kam, oder Sir Charles, so begrüßte Trampelmann die Herren durch Heben des Rüssels und Scharren mit dem rechten Vorderfuß, denn Sudu hatte ihm manches Kunststück beigebracht und ihn gut dressiert. Wenn man von Radha und Kara-Nagh absah, war Trampelmann der manierlichste der Elefanten weit und breit. Was doch aus solch wild eingefangenen Riesen werden kann! Da war Schneezahn, der einst so unbändige, ungeheure Elefantensultan. Der arbeitete mutterseelenallein in den Hügeln, wo er Balken nach Balken anschleppte und stapelte, genau und ordentlich. Er hatte keinen Mahout, denn der Mann war gestorben. Und der einst so mächtige Pascha der Hügel und Dschungel war der arbeitsamste und fügsamste der Elefanten im Trupp, höflich, gutmütig und klug.
Einmal kam Sir Charles auf seinem Pferde geritten. An der Kreuzungsstelle des Weges aber stand Schneezahn und stapelte Schwellen. Das Pferd scheute – es fürchtete sich vor dem schwarzen Riesen. Der legte das Holz zurecht, trat rückwärts in den Busch und gab die Straße frei, damit das ängstliche Pferd vorbeikonnte. Als das dumme Tier noch immer scheute, verschwand der Elefant im Walde und kehrte erst zur Arbeit zurück, als Sir Charles längst vorübergeritten war. Wer hätte ihn wiedererkannt, den rasenden Kämpfer vom Fuße der Blue-Hills? Auch Kara-Nagh, seinem Überwinder, trug Schneezahn nichts nach – sie waren Freunde, die großen Elefanten.
Als der fremde Sahib gekommen war, staunte er nicht wenig über diesen Elefanten und seine gute Lebensart. Er bat Sir Charles, ihn zu verkaufen. Und weil genügend Tusker da waren, erwarb ihn der Fremde und noch fünf junge Elefanten dazu.
Toomais Jagdgruppe hatte unterdessen das Dorf im Dschungel erreicht. Die kleine Außensiedlung, die er mit dem toten Appa gegründet hatte, war längst zerfallen, überwuchert von Rohr und Gestrüpp. Das wilde Dschungel siegt schnell über der Menschen Werk, und bald ist die Spur der Arbeit verschwunden ...
Das ganze Dorf war in Aufregung, als die Elefanten kamen. Toomai berichtete von Appas Tod, und man trauerte um den klugen Alten. Schon am nächsten Tage war große Versammlung beim Ältesten, die Späher wurden bestimmt und erhielten ihre Weisungen. Ein Bote wurde zu den Weddhas der Hügel geschickt, den Schlangenfängern, Stachelschweinfallen wurden gerichtet und Stellkästen für Mungos, für Affen stellte man Schlingen und hob Gruben aus, um Schweine und andere Tiere zu fangen. Toomai und seine Späher kundschafteten bald den Paß der Leoparden und Tiger aus, und Verhaue wurden rings um die Dörfer und Siedlungen gebaut. In die Durchlässe aber kamen die mächtigen Kastenfallen, eigens vom fremden Sahib zusammengesetzt. Hinten in jeder Falle befand sich ein Sonderraum, wohl abgegittert gegen den Eingang. Hier wurden zwei, drei Ziegen eingesperrt, als Lockmittel für Tiger und Panther. Wenn nun ein Raubtier die Fenz und den starken Verhau umschlich, fand es den Eingang der mächtigen Gitterfalle, die durch Strauchwerk und Gras gut versteckt war. Es kam an die offene Fallentür, hörte die Ziegen angstvoll meckern, sah sie im Käfig huschen – sprang in den Durchlaß und kam in die Falle! Wenn aber das Raubtier mitten in der Falle war, berührte es die feine Abzugsschnur, die quer durch den Gitterkasten lief – und hinter ihm schlug die schwere Gittertür zu, schnappte ins Schloß – und der Räuber war gefangen! Da konnte er toben, da konnte er fauchen – vorn sperrte ein Gitter den Raum gegen die Ziegen ab, hinten war die Tür geschlossen! Vier Leoparden und zwei Tiger gingen schon in kurzer Zeit in die Käfigfallen. Man lud sie auf Elefanten, und die fauchenden, wutschnaubenden Tiere traten die Reise zur Küste an ...
Eines Tages aber machte Toomai einen besonderen Fang. Ein mächtiger Tiger war ausgekundschaftet worden – seine Fährte stand täglich nach einer bestimmten Stelle am Bach. Man stellte die Ziegenfalle, doch der Gestreifte war mißtrauisch, klug und erfahren – er umging sie und kümmerte sich nicht um das Meckern und Springen im Gitterkasten. Wild gab es ja genug im Dschungel – Schweine und Böckchen und Büffelkälbchen ...
Da legte Toomai Schlingen auf des Tigers Paß. Er band die starken Leinen an Bäume, dünne, aber zähe Stangen, die er herabbiegen ließ, befestigte die Spitzen der Bäume gut und brachte eine Stellvorrichtung an, die sofort wirken mußte, wenn der Tiger mit einer Tatze in der Schlinge war und an ihr riß und zerrte.
Toomai und zwei seiner Söhne kletterten in der Nähe auf Bäume, schmierten ihre Gesichter und Körper mit Öl ein, damit die Moskitos nicht kämen und blieben hoch in den Ästen auf der Lauer.
Es war eine mondhelle, stille Dschungelnacht. In der Ferne sah man die langen, gewellten Linien der Hills im Glitzern des Mondes, die blauen, dunklen Wälder, unergründliche, unabsehbare Weiten. –
Gegen Mitternacht hörte Toomai Affen schimpfen und Nachtvögel kreischen. Ein Dürrast knickte – Gebüsch raschelte: der Tiger kam!
Plötzlich schallte der Wald von Wutgebrüll! Zweige knisterten, Büsche rauschten – furchtbares Fauchen tönte, hustendes Gröhlen ... Gefangen!
Die Jäger verbrachten den Rest der Nacht auf ihrem Baum voller Aufregung. Endlich wurde es hell, und Toomai schlich sich zum brüllenden Tiger. Das Ungeheuer hatte sich mit der rechten Vorderpranke gefangen und stand nun hilflos da, wütend in seine eigene Brante beißend, fauchend und gröhlend. Da der elastische Baum nach oben geschnellt war, stand der Tiger schräg, halb aufgerichtet und war auch außerstande, den Strick mit den Zähnen zu erreichen. Bei jeder Bewegung gab das Seil ein wenig nach, um aber sofort wieder in die alte Lage zurückzuschnellen, denn der Baum war zähe und stark gespannt.
Als der Gestreifte die Männer erblickte, fauchte er grimmig und suchte sich auf sie zu stürzen. Aber der Baum schnellte zurück und riß ihn wieder in die Höhe, so daß der Tiger im Wirbel um den Stamm geschleudert wurde und schließlich, dicht an die Baumborke gedrückt, hängenblieb. Seine Seher waren grün funkelnd, sein Atem keuchte.
Da warf Toomai eine zweite Schlinge, und es gelang, das Juteseil um eine Hinterpranke des Wütenden zu winden! Sofort packten die Männer zu und fesselten die Urante an einen Coobaum, so daß der Leib des Tigers fast unbeweglich zwischen den Bäumen hing. Ein zweiter Wurf! Der Kopf des Raubtieres wich aus! Noch ein Wurf – ein vierter: die fuchtelnde, krallige Tatze war gefangen, wurde an einen Baum gebunden, war unschädlich! Run gelang es leicht, auch die vierte Pranke in die Schlinge zu ziehen und mit starken Schnüren erst die hinteren Gliedmaßen zu fesseln und dann die vorderen. Sieben Mann waren unterdessen zu Hilfe geeilt und verschnürten nun auch vordere und hintere Gliedmaßen des brüllenden, schon ermatteten Tigers. Jetzt wurde eine starke Stange abgehauen, zwischen den gefesselten Branten durchgeschoben – und der Tiger trat die Reise nach dem Sammelplatz an. Näherte sich ein Mensch, so fauchte das Raubtier furchtbar, hin und wieder aber tönte ein wimmernder, klagend heulender Laut, der rühren konnte, denn ein gefangener König ist zu bedauern. Dieser Tiger aber war ein wirklich königliches Tier – er maß über neun Fuß und war besonders schön und dunkel gezeichnet; ein »Bergtiger«, wie die Hindus sagen.
Nun wurde die Falltür eines Eisenkäfigs geöffnet und ein Seil durchgezogen. An diesem Jutestrick zogen die Männer den wehrlosen König des Dschungels in sein Verließ, schlossen hinter ihm die Tür, legten das starke Vorhängeschloß vor, schlossen ab und begannen mit der neuen, gefährlichen Arbeit: mit dem Entfesseln des Tigers. Der weiße Mann stand dabei und kommandierte – die Eingeborenen merkten wohl, daß er erfahren war.
Man löste allmählich die Branten, indem man sie dicht an das enge Gitter zog und schnitt die Schlingen mit einer Zwickschere durch. Als der Tiger sich entfesselt fühlte, brüllte er rasend und warf sich gegen die Eisenstäbe. Der ganze Käfig wackelte, die Bohlen dröhnten – aber die Eisen gaben nicht nach. In ohnmächtiger Wut biß der Gestreifte in die Gitter, brüllte, fauchte und verkroch sich endlich traurig in eine Ecke des Käfigs, wo er liegenblieb, sein grüngelbes Augenpaar auf die dreisten, verachteten Menschen richtend, auf seine Überwinder. Noch am fünften Tage verweigerte die stolze Katze jede Nahrung. –
Die Karawane brach auf: an der Spitze wanderte der Fleischberg Bürstenwedel, gelenkt von Toomai. Auf einem besonderen Gestell war der Käfig mit dem Tiger angebracht, und Bürstenwedel hatte schwer zu tragen. Aber er ging unverdrossen durch das Dschungel. Hinter ihm trabte Palmenreiße mit ihrem Mahout und einem zweiten Tiger, dann kamen drei Elefanten mit Mungos, Stachelschweinen und anderen Tieren in Kisten und Körben, ein großes Weibchen trug zwei Leopardenkäfige, es folgte Pyari mit einem Tiger, und so ging es weiter – Elefant nach Elefant mit Fracht. Den Schluß machte Machua mit einem Elefanten, den man aus Assam geholt hatte, einem großen, gutartigen Tier, das unverdrossen seinen Tigerkäfig trug.
Vier Tiger, fünf Leoparden, drei Wildschweine, vierzehn Affen, neun Stachelschweine, drei große Riesenschlangen, fünf Mungos und viele Giftschlangen waren zusammengebracht von den Jägern und ihren Helfern, den Weddhas. Dazu kam noch ein Büffelkalb, das unbändig und böse war, eine kleine Pantherkatze und ein junger Lippenbär. Das war eine große Ausbeute, und Toomai freute sich auf die vielen, silbernen Rupien, die der Stamm bekommen würde.
Die Karawane kam an, und die Käfige und Körbe wurden auf ein großes Schiff gehoben – mit Knarren und Zischen schwankten die Behälter an Deck. Ein Bild furchtbarer Wut, grausigen Schreckens gaben Tiger und Panther ab. Zuletzt wurden einige Elefanten, die der fremde Sahib gekauft hatte, an den Kai geführt, darunter auch der mächtige Schneezahn. Breite Gurte wurden um die Riesen geschnallt – ein mächtiger Haken, der an langer Kette hing, kam oben durch den Gurt – knarrend, knatternd strafften sich die Ketten – der wuchtige Körper Schneezahns begann zu schwanken, seine Beine suchten strampelnd nach einem Halt – der Elefant schwebte! Trompetend vor Schreck hob sich die Masse immer höher, schwenkte über Bord, senkte sich – stand auf den Schiffsplanken! So kam Elefant nach Elefant auf den Dampfer, um die weite Reise anzutreten, die Reise über das große, wogende Meer ...
»Lebe wohl, o Schneezahn, o du Herrlicher, du Starker!« riefen die Männer. Und die Elefanten am Ufer stießen helle Trompetenrufe aus.
Bald stieß das Schiff ab – schwenkte langsam, fuhr geradeaus, den Strom hinab, dem Ozean zu ...
Und gerade läuteten die Mittagsglocken auf den indischen Schiffen im melodischen Dreiklang: tonge, tinge, tange, tonge – Pang, pang, pung ...
*
Das Hinduvolk in Indien ist in Kasten eingeteilt. Diese schließen sich fast ganz gegeneinander ab und verachten die niederen, auch heiraten die Hindus nur innerhalb ihrer eigenen Gesellschaftsklasse. Bei den Singhalesen auf Ceylon sind die Kasten noch schärfer getrennt als bei ihren Verwandten, den Hindus. Überall in Indien, wo Hindus und Singhalesen leben, gibt es die »Parias«, die auf Ceylon »Rodyas« genannt werden und die allerniedrigste Kaste darstellen, verachtet von jedermann. Die jungen Mädchen und Weiber der Parias sind Freiwild, ihre Männer sind verachtet und ausgestoßen. Und wenn ein Angehöriger einer anderen Kaste eine ehrlose Handlung begeht, wird er aus der Gesellschaft gestoßen und Paria. Wer sich aber einmal den Rodyas angeschlossen hat, ist tot für die Gesellschaft der Menschheit. Aber den Ursprung der verachteten Parias gibt es viele alte Berichte. Es heißt, man stieß einst die Parias aus, weil sie Kuhfleisch gegessen hatten, sich also versündigten, denn das Rind ist heilig. Andere alte Berichte erzählen, die Rodyas seien Menschenfresser gewesen und ausgestoßen worden, da sie unrein geworden waren. Aber sie sind Hindus, Tamilen, oder Singhalesen, wie die anderen auch, müssen jedoch in besonderen Dörfern wohnen und außerhalb der Stadt. Wer einen Paria berührt, muß sich baden, um wieder rein zu werden, und bestimmte Gebete verrichten. Die Engländer haben viel getan, um das Los der Ausgestoßenen zu mildern, aber der Sinn der Inder ist unbeugsam, und der Rodya blieb unrein und verachtet bis heute, ja vogelfrei – denn es gilt weder bei brahmanischen Indern noch bei Buddhisten für unrecht, einen Paria zu erschlagen.
Eine Sage berichtet von einem Jäger, einem Tamilen, der Menschen jagte und zur Strafe Paria wurde. Er heiratete die Tochter eines hohen Maharadschas, die Menschenfleisch gegessen hatte; sie ließ sich Kinder durch den Tamilen schießen. Eines Tages kam nun ein Barbier und wurde am Hofe gespeist. Als er aß, bemerkte er zu seinem Entsetzen im Gericht den krummen Fingerknöchel seines Sohnes, der seit einigen Tagen verschwunden war. Er lief zum König und klagte sein Leid. Sofort ordnete der Maharadscha eine strenge Untersuchung an, und seine Tochter wurde überführt, nicht nur ein Liebesverhältnis mit dem verachteten Tamilen zu haben, sondern auch Menschenfresserin zu sein. Man entkleidete das schöne Mädchen, peitschte es und gab es dem Tamilen zur Frau. Der Jäger mußte Bethel kauen und den Saft der Braut in den Mund speien. Wer aber den Speichel eines Parias in den Mund bekommen hat, ist von Stund an selbst Rodya, Unreiner.
Die Parias haben ihre besonderen Bräuche und Feste. Unter diesen steht das Vollmondfest obenan. Nackte Gestalten tanzen dann auf Wiesen bei flammenden Feuern, bis der Mond verblaßt und der Morgen graut. Mit Blumen geschmückt sind Männer und Mädchen, und sie feiern die Hochzeit des Leibes zu Ehren der Mondgöttin, ihrer Schutzpatronin.
Wenn die Ernte kommt, arbeiten die Parias gesondert in den Pflanzungen der Engländer, denn kein anderer würde mit ihnen zusammen arbeiten. Sie klettern wie Affen auf die Kokospalmen der Küstengebiete und werfen die Früchte herab, sie öffnen sie und nehmen das Fleisch der Nuß heraus, dörren es an der Sonne und bereiten die »Kopra«, die getrocknete Kokosnuß, die auf die Schiffe verladen wird und in alle Welt geht. Nebenan, in der anderen Plantage, arbeiten Leute der gemeinen Arbeiterkaste unter Aufsicht Angehöriger höherer Kasten. Sie schenken den Parias keinen Blick.
Wo Kopra dörrt, riecht es nach Fett und ranzigem Öl. Käferchen, kleine, rabenschwarze Dinger, fliegen herum und legen ihre Eier in die Kopra, sie machen die Reise nach dem fernen Europa mit und sterben dort wie ihre Maden. Aber auf den Schiffen brummt und summt es. Schwärme spielen, fliegen, verschwinden in den Luftschächten, krabbeln wieder herauf und belästigen das Schiffsvolk ärger noch als der brenzlich-süße Gestank der Kopra. Wenn der Reis geerntet wird, stampfen die Inderfrauen ihn in Bottichen, um ihn von den Hülsen zu befreien. Gummi gewinnt man dadurch, daß man den zähen Saft in Schnitten herabquillen läßt, er rinnt in die Wunden der Baumborke und wird in Gefäßen gesammelt. Oben im Hügellande pflücken Tausende von Weibern und Kindern Teeblüten und -blätter, sammeln sie und verpacken sie nach Sorten, in den Baumwollfeldern ist reges Leben, im Norden erntet man Mais und Weizen; in den Hills wird der grobe Bergmais geschnitten und die Hirse. Im Winter aber, zur dürren Zeit, gibt es die meisten Früchte: Mangos und Mangosteans, stinkende Durians, die wie Nuß und Sahne schmecken, Tamarinden und Leichies und viele andere. Auch die Mispelernte ist im Gange, und die Süßkartoffel wird gegraben.
Den Briten ist's gleich, wer die Felder aberntet. Doch nur dort nimmt man Parias zur Arbeit, wo ungenügend andere Arbeiter zu haben sind. Das aber ist gar selten. Und der Paria ist träge – darum nimmt man ihn nur ungern, den Wilden. ... Oh – sie hungern und leiden Mangel, die Parias. Sie fressen Hunde und Wurzelzeug und die Abfälle der anderen ... Scheu sind ihre Blicke, schleichend ist ihr Gang. Und doch gibt es Gestalten unter ihnen, die schön sind wie die der Könige. Sie können zaubern und hexen, die Parias, sie haben den bösen Blick. Und sie verstehen die Sprache der Schlangen.
Ein Paria aber verstand eine besondere Kunst: er suchte und fand die Eier der Krokodile. Denn die Parias essen nichts lieber als Echseneier. Der Mann ging an das Ufer der Ströme, den Blick am Boden. In den Händen hatte er eine kleine Schaufel, auf dem Rücken einen Sack. Von Zeit zu Zeit entdeckte sein scharfes Auge die winzigen Spuren im Sande, kaum wahrnehmbare Zeichen, die kein Weißer erkennen würde. Rasch grub er nach, warf die großen, weichschaligen Krokodileier aus der Grube, steckte sie in seinen Sack und wanderte weiter. Auch junge Krokodile grub er aus und verkaufte sie an Sir Charles, der sie in Drahtkäfige sperrte und nach Europa schickte. Die Kinder der Parias jagten am Ufer des Meeres und der Flußmündungen die langbeinigen Meerspinnen und rissen ihnen die Glieder aus, um sie roh zu verschlingen, ganz wie die Affen, die am Ufer zwischen den Wurzeln der Mangroven Jagd auf Krustentiere machen. So ist der Paria gleich dem Affen in seiner Lebensart und der Affe gleich dem Paria. Und wie die Menschen die Rodyas verachten, so verachten die Elefanten die Affen.
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Es war aber der Tamile, der Mahout, böse auf Gauthal und Mali, weil sie eine so gute, besondere Stellung bei Sir Francis und Obmann Savi hatten und bei Mister Singh, dem Stapelmeister, und beim Maharadscha gar und Sir Charles, dem großen Farmer und Kaufmann, weil sie seidene Turbane und Hüfttücher trugen und mitunter so schöne Kleider.
Der Tamile ging zu Mister Savi, dem Halfcast, der die Elefanten unter sich hatte, und erzählte, daß Radha beinahe ertrunken wäre und nur mühsam gerettet wurde, und Ghautal und Mali seien im Baumschatten während der Arbeit und kümmerten sich um nichts, außer um Bethelkauen und dummes Geschwätz. Und er, Mister Savi, solle doch dem Sahib melden, wie unverläßlich Ghautal sei, und dem Maharadscha, welch gewissenloser Bursche sein Mahout. Der Halbinder hörte ruhig zu, nahm seine Peitsche und zog dem Angeber ein paar tüchtige Hiebe über die Rückseite. Und dann wickelte er sich eine Zigarette und vergaß den Fall. –
Der Tamile schwor Rache. Er schlich tagelang herum und dachte nach, wie er Mali und Ghautal verderben und Savi, dem Obmann, Ungelegenheiten bereiten könnte.
Und Sikhal, der Tamile, traf den Paria am Ufer. Der Ausgestoßene wollte dem Mahout aus dem Wege gehen, denn so will es die Sitte. Der Tamile aber redete den Unreinen an und flüsterte lange auf ihn ein. Der Halbwilde hörte zu, grinste, nickte und meinte, er würde die Sache schon machen, wenn er ein paar Annas bekäme und etwas Bethel und Tabak dazu.
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Es traf sich, daß der Maharadscha in dieser Zeit eine »Mrigaya« veranstaltete, zu der Sir Francis geladen hatte und den Oberst auch. »Mrigaya« ist eine Hetzjagd, die man mit Jagdleoparden macht und mit Hunden. Sie hat ihren Namen von der flüchtigen Antilope der nördlichen Steppen und Feldländereien, die »Mrigaya« genannt wird und ein beliebtes Jagdwild der indischen Großen ist. Man hetzt die Antilope zu Pferde. Dabei kommt oft anderes Wild vor: wilde Schweine, die man mit dem Speer sticht, und mitunter auch ein Hirsch. Alles wird, soweit es nicht von den Jagdleoparden, den hochläufigen Geparden, niedergerissen wird, mit dem langen Spieß vom Pferde aus erstochen. Die Engländer betreiben dies »Pigsticking« gern als aufregenden und nicht ungefährlichen Sport.
Der Maharadscha und seine Gäste reisten ab und hatten ein paar Leute mit, die die vier schönen, zahmen Leoparden führten. Auch Sir Charles hatte sich der Gesellschaft angeschlossen, so daß die Elefanten und Mahouts, die man ja bei solchen Jagden nicht nötig hat, unter Leitung des Obmanns zurückblieben. Mali war nun häufig mit Radha bei Ghautal, der als Obermahout am Bahnbau tätig war, und sah dem Treiben zu, wenn er seinen Schützling spazierenritt.
Als eines Tages die Sonne sehr schlimm brannte, brachte man sämtliche Elefanten erst in den Fluß zum Baden und dann in einen großen Schuppen, wo sie Schatten hatten. Ghautal, Mali, Rhakna und die anderen Mahouts aßen ihren trockengekochten Reis und Curry dazu, saßen unter den Bäumen am Damm und gaben sich der Ruhe hin.
»Was will dieser schmutzige Paria in der Gegend?« fragte Sudu ärgerlich. »Mir war es, als ob Sikhal, der Tamile, mit ihm sogar gesprochen hätte«, ergänzte Mali.
»Wer Schmutz anfaßt, wird selbst schmutzig«, meinte Ghautal, während er sich ein grünes Bethelblatt mit Rotpfeffer füllte und es zusammenrollte. Ruhig kaute er den erfrischenden Bissen.
Die Sonne glühte, die Luft waberte. Insekten schwirrten um die Blüten, ein paar winzige, bunte Vögel flatterten an den Büschen und Blumen. In großen Schwärmen flogen die Tauben um die Türme der Tempel und Moscheen, und der Gänsegeier kreiste über dem Flusse.
Plötzlich hörte man schreckliches Trompeten! Die Bretterwände des Schuppens barsten, wankten, Staub flog, Splitter und Bretter fielen – krachend brach die Wand, und zwei Elefanten brachen ins Freie.
Der mächtige Bürstenwedel raste zum Fluß und warf sich brüllend ins Wasser hinein, der ungeheuere Leib Kara-Naghs erschien und tobte in den Busch, mehrere andere Elefanten folgten! Aus dem Schuppen quoll Rauch ... »Der Schuppen brennt! Das Heu im Schuppen ist angezündet!« schrie der Obmann. »Schnell, bringt Wasser!«
Ein anderer Elefant aber, dem eine alte Kuh folgte, raste durch die Straßen der Stadt, ein hellhäutiger, riesiger Reitelefant mit vergoldeten Zähnen. Die Stände der Obst- und Blumenverkäufer fielen krachend zusammen, die Wagen und Zebukarren der Bauern kippten, Pferde rissen aus, Affen kreischten, Menschen schrien und flohen ...
Es knallte, knatterte. Und hinter Radha, dem wild gewordenen Elefanten des Maharadschas züngelte ein dünner, bläulicher Rauch.
Endlich war es geglückt, den kleinen Brand zu löschen. Die Panik war schrecklich, und es dauerte bis spät abends, bis man die Elefanten, die vor Angst halb wahnsinnig waren, zusammenbringen und in den Heimatstall führen konnte.
Radha aber, des Fürsten Lieblingselefant, fehlte und Palmenreiße, seine Mutter, auch. Sie waren in wilder Hast durch die Stadt gestürmt, über die Pflanzungen und Felder, durch den kleinen Fluß und in den Busch hinein. Ins Dschungel!
Mali und Ghautal liefen ins Dschungel nach. Sie waren in Verzweiflung: was würde geschehen, wenn Radha nicht wiederkehrte? Mister Singh fluchte, Savi schimpfte und in der ganzen Bahnbauniederlassung war Aufregung und Trauer.
Erst am fünften Tage kehrten Ghautal und Mali heim. Sie hatten Radha und Palmenreiße nicht gefunden!
Als der Maharadscha zurückkehrte, rief er Savi zu sich und hörte, was geschehen war. Ghautal und Mali waren schon längst wieder im Dschungel. Sie würden nie wiederkehren, wenn sie Radha nicht fänden ...
Sir Francis und der Maharadscha machten ein großes Verhör. Der Obmann und Singh berichteten, es sei alles ordnungsgemäß gegangen: die Elefanten seien gebadet und gefüttert worden und in den Schuppen gebracht, wie dies immer geschehen sei. Nichts Ungewöhnliches sei es gewesen, daß Radha dabei war, da Mali die Erlaubnis gehabt hätte, mit ihm zu den anderen Elefanten zu reiten, damit sich der Liebling Seiner Hoheit nicht langweile. Natürlich – ohne daß sich Radha an der Arbeit beteiligte, denn er wäre ja sonst in die Kaste der Arbeitselefanten gekommen. Savi, der Headman, schilderte genau, wie sich alles zugetragen hatte, der Oberaufseher, Mister Singh, bestätigte es und sprach die Vermutung aus, ein böser Mensch habe Schwärmer und Frösche im Schuppen angezündet – die Elefanten aber fürchten sich ja vor Knallen und Feuer mehr noch als vor Mäusen und Triebsand. Man habe nun Verdacht auf einen der Mahouts, einen Tamilen, Sikhal mit Namen, der von Sir Charles angeworben sei, aber nur eine Kuh zu führen habe. Dieser Sikhal sei ein finsterer Bursche und habe schon einmal den Versuch gemacht, Mali und Ghautal zu verdächtigen, wahrscheinlich, um einen der großen, berühmten Tusker an ihrer Stelle zur Führung zu bekommen oder gar Obermahout zu werden. Savi, der Headman, habe ihm bei einer solchen Gelegenheit die Peitsche gegeben ... Auch sei dieser Mahout in der Nähe der Schuppen gesehen worden – und zwar im Gespräch mit einem Paria, dem »Krokodilsucher«, der sich immer am Strome herumtreibe. –
»Man bringe mir diesen Paria!« befahl der Maharadscha. Sofort machten sich die Läufer auf den Weg – und schon nach einer Stunde erschien Sudu und brachte den Verdächtigten mit.
Winselnd krümmte sich der Paria vor dem Maharadscha und den Engländern. Er gestand: für fünf Annas, ein wenig Tabak und Bethel hatte er sich in den Schuppen geschlichen und zwei Feuerwerkskörper an den Schwänzen von Radha und einer großen, alten Elefantin angebunden und zur Entzündung gebracht. Einer der Mahouts habe ihn angestiftet ...
Man gab dem Paria fünfundzwanzig Peitschenhiebe und ließ ihn laufen. Denn man befaßt sich nicht gern mit Schmutz und bringt darum auch keinen Paria ins Gefängnis. Aber man ließ Sikhal kommen, schlug ihn, entkleidete ihn des Hüfttuches und des Turbans, ließ ihm von einem Paria gekautes Bethel in den Mund speien und jagte ihn zu den Unreinen hinaus. Er hatte seine Kaste verloren und war ein Paria für Lebenszeit. Seine Kinder wurden unrein und sein Weib dazu – in alle Ewigkeit. Denn unrein ist der Schlechte, der Böses tut, um anderen zu schaden, um sich zu rächen, dessen Herz voller Neid ist und Mißgunst.
»Ihr habt recht,« sprach Sir Charles zum Maharadscha, »wenn ihr die Unreinen ausstoßt! Leider, leider kennen wir das nicht in Europa. Wir sperren die Leute ins Zuchthaus, bringen sie in die Strafkolonien, lassen sie für einige Zeit die Ehrenrechte verlieren, äußerlich natürlich, denn innerlich haben diese Menschen ja nichts zu verlieren. Und geben diesen Parias unserer Länder Rechte und »Ehre« wieder, wenn die befristete Zeit um ist ... Lassen diese Menschen wieder auf die menschliche Gesellschaft los, lassen sie Kinder zeugen, die vor dem Gesetz »ehrlich« sind und wiederum Kinder zeugen und die Rasse des Volkes, seinen gesunden Sinn, seine Art verderben! Richtig täten wir, solch Volk, soweit es nicht dem Beil des Nachrichters verfiel, zu Parias zu machen, zu Rodyas, die ausgestoßen bleiben für alle Zeit.«
»Sie würden euer Land überschwemmen«, meinte der Fürst. »Das Unedle vermehrt sich, ist fruchtbarer denn das Edle. Sehet euch vor! Auch bei uns in Indien wächst die Gefahr: Niedere und Parias sind fruchtbar ... Hättet ihr Briten nicht eure sentimentale, verlogene Moral mitgebracht – verzeiht, Mister Bridgeman – eure »Nächstenliebe«, die eure Priester predigen, euren »Cant« – wir Inder entledigen uns der Wölfe in Menschengestalt. Es klingt hart – gewiß. Aber wer den Verbrecher schont, wird des Verbrechers Knecht! Hütet euch, ihr Weißen – vor euch selbst und eurem Glauben, vor euren Gesetzen und eurer Moral!«
Der Fürst schritt langsam, tief sinnend, die Stufen des Bungalow hinab. Er reichte den beiden Briten die Hand und sagte beim Abschied: »Doch – was ist das alles? Wer bringt mir Radha wieder, den schönsten der Elefanten unter der Sonne?« Der Maharadscha seufzte – man sah ihm die Trauer an. »Vierzehn Schikari und meine besten Elefantenspäher sind unterwegs«, beruhigte Charles Bridgeman den Fürsten. »Sendet auch Ihr, Hoheit, Eure Leute!« Sir Francis aber versprach, selbst in den Busch zu ziehen, um Ghautal und Mali zu finden. Denn nur durch Ghautal und Mali könne man hoffen, den Geflüchteten zu finden und zu fangen. Und – mit Hilfe Kara-Naghs, des Obertuskers.
Radha war geflohen – weiter und weiter, und Palmenreiße raste hinter ihm drein. Die Schwärmer waren im Fluß verlöscht – doch der Schmerz hinten blieb lange. Drei Tage rannten die Elefanten, ehe sie endlich, tief in den Hills, zur Ruhe kamen.
Die Wildnis heilt, und der Sohn des Dschungels hat innere Heilkraft. So verharschten die Brandwunden, und die beiden Elefanten vergaßen Menschen und Menschentücke. Auch ihre Mahouts vergaßen sie, denn sie fanden eine Herde wilder Elefanten und schlossen sich ihnen an.
Auf ihrer breiten Fährte aber gingen zwei Männer, nackte, braune Inder. Das waren Ghautal und Mali, sein Sohn.