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Neuntes Kapitel.

In diesem Abschnitt wird von einer Tigerjagd erzählt, von einem alten Tempel und seinem Wächter. Auch der fremde Freund des alten Obersten erscheint wieder, und es geschehen merkwürdige Dinge. Wir hören, was Sir Charles von einem alten Tempel weiß und von seinen Warnungen, und wir lesen von Affen und von der Mahulablüte, von Honig und anderen schönen Dingen und von einem betrunkenen Bären; dann aber lesen wir von der Gefahr des Triebsandes und von der kleinen Maus, vor der sich die Elefanten fürchten.

 

Einige Tage später waren die Jäger wieder in den Hügeln und hatten auch ihre Elefanten bei sich. Zu ihnen hatte sich der Maharadscha gesellt, der auf Radha gekommen war. Auf dessen Nacken saß wie immer Mali, sein Mahout, und Ghautal führte den zweiten großen Elefanten, in dessen Haudah der Sohn des Maharadschas mit einem Gaste saß. Man machte in einem Tal mitten in den Hills großes Lagerfeuer an und brachte aus Körben vielerlei Eßwaren zum Vorschein. Es war ein fröhliches Frühstück im Freien; denn die Jäger wollten sich vor der Jagd stärken. Als die Sonne über den Gipfeln stand, ritten die Haupttreiber mit ihren Elefanten davon, denn eine große Fläche von Kalamusrohr und Elefantengras, die zwischen den Hügeln lag, sollte abgetrieben werden. Eine Schar von 150 Treibern ging mit den Elefanten. Die Jäger ritten nach den von den Schikaris bezeichneten Stellen, um dort das Wild zu erwarten. Sie stellten sich am Fuße des Hügelrückens auf und spähten von ihrer Haudah Herab ins Dschungel. Treiberlärm tönte, Hühner gackerten, bunte Vögel schwirrten über das Rohr, ein Pfau segelte herrlich grüngolden glitzernd über die Baumwipfel, ein kleiner Faju, ein Dschungelfüchschen, flüchtete zwischen Sir Francis und dem Obersten durch die Schützenlinie, und ein Rudel Hirsche kam am Stande des Maharadschas vorüber. Jedoch es fiel kein Schuß; denn die Jagd galt dem Tiger. Als die Glocken der Treiberelefanten schon in der Nähe zu hören waren, richtete plötzlich Radha seinen Rüssel steil auf, um ihn gleich darauf ins Maul zu stecken. »Der Gestreifte kommt,« flüsterte Mali seinem Herrn zu, »Radha hat ihn gewittert.« Der Elefant war sichtlich in Aufregung, denn er bewegte die Ohren und ein leises Zittern ging durch seinen Körper. Aber er war wohlerzogen und klug, und darum bewegte er sich nicht. Da erschien plötzlich ein gelber Körper im Grase, verschwand und tauchte wieder am Rande des Dschungels auf: mit mächtigem Satze, den langen Schwanz weit ausgestreckt, rannte der Tiger den Hügel hinauf. Da knallte die Büchse des Maharadschas, der Tiger stieß ein schreckliches, hustendes Gröhlen hervor, warf sich fauchend herum und sprang mit einem Satz an Radhas Hinterteil hoch. Radha schüttelte sich, trompetete verzweifelt, denn die scharfen Krallen des Tigers zerrissen seine Haut. Er versuchte mit dem Rüssel nach hinten zu schlagen, er schritt rückwärts, um den Tiger gegen einen Baum zu quetschen, und Mali hatte alle Mühe, ihn zu beruhigen. Schon war der Tiger dicht an der Haudah und schlug mit der Tatze über die Brüstung. Da schoß der Maharadscha zum zweiten Male. Ein roter Sprühregen fiel auf den Rücken des Elefanten, und stöhnend ließ der Tiger den Rand der Haudah los! Sein schwerer Körper überschlug sich, plumpste zu Boden und blieb dort zuckend liegen. So wohlerzogen und klug auch Radha war – hier kannte sein Zorn keine Grenzen. Er trompetete wild, schlang seinen Rüssel um den Tiger, schleuderte ihn beiseite, stürmte hinter ihm drein und trat ihm mit seinen mächtigen Vorderfüßen den Schädel zu Brei. Erst nach vielem Zureden, Klopfen und Streicheln konnte Mali den Elefanten beruhigen. So wurde das herrliche Fell des großen, fast zehn Fuß langen Tigers nur wenig beschädigt, und sein Leib konnte auf dem Rücken eines der Treiberelefanten verschnürt und zum Sammelplatz gebracht werden. Noch mehrere Treiben wurden genommen, und es gelang, einige Hirsche und einen Bären zu schießen. Als die Jagd abgebrochen wurde, stand die Sonne schon ziemlich tief im Westen. Wieder flackerten die Lagerfeuer, und die Jäger saßen bei fröhlichem Mahl zusammen.

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»Hier in dieser Gegend,« sprach der Maharadscha, »gibt es einen uralten Tempel, dort drüben an jenen Hügeln steht er; es geht so manche Sage um diesen Tempel, und wir meiden den Ort, denn die Leute behaupten, es gäbe dort böse Geister.«

»Diese Geister möchte ich sehen«, meinte Sir Hutchison, der alte Lanceroberst lächelnd.

»Spotten Sie nicht, Colonel«, verwies der Maharadscha den alten Briten freundlich, aber bestimmt. »Sie müßten lange genug in Indien gewesen sein, um gelernt zu haben, daß es hier im Lande mancherlei Spuk gibt.« Der weißhaarige Oberst nickte. »Sie mögen recht haben, Hoheit«, sagte er dann nachdenklich. »In der Tat, es gibt in diesem Lande viel Wunderbares, aber gerade das Wunderbare reizt mich, das Geheimnisvolle, und ich hätte große Lust ...«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können,« sagte der Maharadscha, »aber bitte, zählen Sie nicht auf meine Gefolgschaft. Ich werde die Herren, die Lust haben, in jenem alten Tempel da oben ein Abenteuer zu bestehen, hier unten erwarten. Selbst Berge von Gold und Edelsteinen könnten mich nicht reizen, dorthin zu gehen.«

»Auch ich würde Ihnen nicht raten, Oberst,« sagte Sir Charles, »dies alte Heiligtum zu besichtigen. Ähnliche Tempel aus alter Zeit haben wir ja auch im Santal-Parganas. Wie schon der Maharadscha sagte: es geht dort nicht mit rechten Dingen zu, besonders aber, wenn die Sonne sinkt und die Nacht einbricht. Da könnte ich Ihnen mancherlei erzählen ...« »Ich bin gespannt, Mister Bridgeman,« meinte der Oberst, »denn ich höre gern Neues aus unserem Wunderlande.«

»Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen,« sagte Sir Charles, »und Sie werden mir recht geben, wenn ich Ihnen wiederhole, daß ein Ausflug nach solchen alten Grabmälern und Heiligtümern nicht ratsam ist. Auch in Gaur, der alten Ruinenstadt, gibt es sonderliche Dinge. Es sind Reste einer herrlichen alten Kultur dort zu sehen, aber es ist gefährlich, denn es ist ein Schlangennest, und viele Krokodile hausen in den Tümpeln. Weiß der Henker, dies Affenland hat seine Geheimnisse! Da sind Kräfte am Werke, die wir trotz aller Gelehrsamkeit nicht kennen. Gifte, von deren Wirkung wir Europäer keine Ahnung haben, und anderer Zauber ...«

Der Maharadscha lächelte, winkte abwehrend mit der Hand und meinte, die Europäer seien in der Herstellung chemischer Gifte vielleicht doch noch erfahrener als sämtliche Gaukler und Weisen Indiens zusammen.

Sir Charles fuhr fort: »Es war vor etwa fünfundzwanzig Jahren, als wir den Ganges mit einem kleinen Regierungsdampfer hinauffuhren, um dies Krokodil- und Schlangennest zu besuchen. Ich reiste in Gesellschaft zweier Damen und eines Franzosen, eines jungen Konsulatbeamten, der vor kurzem nach Kalkutta versetzt worden war. Außerdem hatte ich meinen Diener und ein paar Eingeborene bei mir. In den Ruinen und Tempelresten von Gaur hielten wir uns nicht allzu lange auf, weil es dort schrecklich viele Moskitos gab und wir fürchteten, wieder vom Fieber angesteckt zu werden. Allerlei scheußliche Giftschlangen waren auch da; boshafte Affen warfen mit allerhand Gegenständen nach uns. Wir begaben uns wieder zum Schiff und frühstückten an Bord. Da machte Monsieur Fournier, der Franzose, den Vorschlag, in den Hauptstrom zu fahren und bei Bajmahal an Land zu gehen, um von dort aus einen längeren Ausflug ins Gebirge zu machen. Mit dem Aufsuchen von Pandua und seinen Ruinen hätte es ja noch Zeit. Ich stimmte zu, trotzdem mein alter Diener mir zuflüsterte: ›Sahib – ich muß abraten! Der Ort ist schlecht, und man sagt, es seien böse Geister dort ...‹ Nun, ich war damals noch unternehmend, und jedes Abenteuer reizte mich. Ich riet den Damen, an Bord zu bleiben. Ms. Hunter, eine junge frische Sportdame, wehrte entrüstet ab – natürlich käme sie mit! Dagegen erklärte Mrs. Harrington, eine ältere Dame, sie sei müde und litte wieder ein wenig an Malaria, darum wolle sie an Bord bleiben. Am Abend erreichten wir Bajmahal, blieben die Nacht an Bord, brachen aber schon vor Tagesgrauen auf. Wir wurden von einem der Schiffsoffiziere, meinem Diener, einem Sepoy und einem der Matrosen begleitet. Natürlich führten wir Waffen bei uns: ich hatte meine Doppelflinte und einen guten Revolver, der Franzose einen Dolch und eine Pistole, der Schiffsoffizier führte seinen Dienstrevolver bei sich, der Sepoy sein Armeegewehr und mein Diener einen Karabiner. So stiegen wir denn guten Mutes in die Hügel hinein.

Nach etwa einer Stunde kamen wir an einen uralten, mit Gras überwucherten Steinpfad, der, vor vielen Jahrhunderten von Menschen angelegt, den Aufgang zu Tempel und Grabmal bildete. Die Stufen waren sehr hoch, und die Treppe führte überaus steil in die Höhe, so daß der kleine Franzose und Ms. Hunter Mühe hatten, uns zu folgen. Es war gegen Ende der kleinen Regenzeit, das Gras wucherte mit unerhörter Üppigkeit, große rote und blaue Blumen waren überall, bunte Vögel flatterten umher, Spinte und Atzeln kreischten und Pfiffen, ein Hutaffe schnatterte zornig über uns, und ein Pärchen Schikrahabichte kreiste über unseren Köpfen. Der Wald war hoch und dicht, Schlingpflanzen wucherten an den Stämmen, überall waren Mimosen und Lianen. Eine häßliche Ratte rannte über die Steinfliesen, und große schillernde Eidechsen lagen in der Sonne. Immer mehr war der Pfad verwachsen, und wir kamen nur langsam vorwärts. Endlich hatten wir die Höhe erreicht und sahen vor uns eine große Mauer, die gut erhalten, aber mit blühenden Büschen bewachsen war. Wir gingen durch das Tor, durch einen langen gewölbten Gang und standen mit dem Ausruf des Entzückens vor einem Teich, in dessen Fluten sich ein herrliches Grabmal, ein tempelähnliches Gebäude spiegelte. Wir genossen den wundervollen Anblick längere Zeit, ehe wir um den kleinen Weiher herumgingen und das mit schöner Stuckatur geschmückte ehrwürdige Heiligtum besichtigten. Ein niedriges, gewölbtes Tor führte in das Gebäude. Zunächst kamen wir in einen Vorraum, dessen Kuppel reich mit Mosaik verziert war und auf herrlich geformten Säulen ruhte. Elefantenbilder aus Stein schmückten die Wände, und die Säulen zeigten reichen Schmuck von Goldlack, der die Jahrhunderte überdauert hatte. Dann kamen wir plötzlich wieder ins Freie und standen in einem runden Hof, der von dem Gemäuer eingeschlossen und von Reihen großer Säulen umgeben war. Auf dem Dache hockten zwei Gänsegeier und krächzten uns an, ein bärtiger Höhlenaffe verschwand unter Gekreisch, eine Ratte schrie, über uns leuchtete der tiefblaue, indische Himmel. Es war schön hier wie in einer Märchenburg. Aber unheimlich war's doch; überall glitten Schlangen umher, eine ekelhafte Kröte kroch über meine Füße; dicht mit Garongras und Blumen waren die riesigen Steinfliesen des Hofes durchwachsen, und allerlei blühende Büsche und Bäume, die in mehr oder weniger regelmäßigen Reihen standen, verrieten, daß sie einst von menschlicher Hand gepflanzt und gepflegt worden waren ...

Wir kamen am Ende des Hofes an einen Gang, der schmal und steil in die Tiefe führte. Wir entzündeten die mitgebrachten Laternen und Fackeln und gingen hinunter. Moderluft umgab uns, drückend und schwer, Fledermäuse flatterten, eine Horneule flog über unsere Köpfe hinweg, ein paar Schlangen raschelten fort.

Tief unten befand sich ein Kellerraum, der sich allmählich verbreiterte und reich geschmückt war. Der Vorraum zum Fürstengrab ... Hier fanden wir einen Altar, dessen Stufen herrlichstes Mosaik aufwiesen. Goldeinlagen, Standbilder aus Ebenholz und Elfenbein von Elefanten und Rindern waren zu sehen. Der Franzose brach mit seiner Messerklinge einige große Rubine und Smaragde aus den Augen der Standbilder und nahm auch ein kleines Figürchen aus Goldbronze an sich. Trotz meines dringenden Abratens konnte er sich nicht enthalten, auch noch in das Innere des Grabmals zu gehen. Plötzlich hörten wir einen fürchterlichen Schrei! Der Franzose erschien in der gewölbten Grabespforte, taumelte in den Vorraum und fiel vor dem Altar nieder. Er zuckte in Krämpfen und starb.

Als wir mit dem Toten beschäftigt waren, zeigte der Sepoy plötzlich mit ausgestreckter Hand nach der Grabespforte und schrie mir zu, wir sollten fliehen, denn die Geister kämen ...

Ich sah noch ein paar hellgraue Gestalten durch den Raum huschen, hörte ein Sausen, die Lichter erloschen und tiefe Finsternis herrschte! Ich fühlte, wie mich irgend etwas umklammerte, wie ich hochgezogen wurde – ich wehrte mich mit Aufbietung aller meiner Kräfte, erreichte die Treppe, kroch hinauf, kam ans Tageslicht ... Draußen fand ich den Schiffsoffizier und meinen Sepoy – von den anderen aber keine Spur! Nachdem wir uns ein wenig erholt hatten, entfachten wir große Lagerfeuer, gingen wieder in das unterirdische Gewölbe. Wir suchten unsere Gefährten, fanden aber nur Blutspuren, ein Stückchen vom Kleide der Lady, den Revolver meines Dieners und die Büchse – sonst nichts!

Der Eingang zum Grabe war verschlossen, eine schwere Bronzetür trennte uns vom Innern des Grabmals! Ich lief an die Tür, hieb dagegen, wir stemmten uns mit den Schultern gegen das Metall ... Innen tönte ein dumpfer Ton, fast wie Lachen! Da fiel plötzlich irgend etwas Schweres, Hartes von der Decke. Ich bekam einen Schlag gegen die Stirn, Funken tanzten vor den Augen ... Als ich wieder zu mir kam, war ich auf der Haupttreppe im Walde. Der junge Schiffsoffizier, mein Sepoy waren um mich bemüht. Erst nach Stunden erreichten wir wieder das Schiff. Dort bekam ich schweres Fieber.

Nach Wochen, die ich im Krankenhause verbracht hatte, erfuhr ich, daß die Schiffsmannschaft die Garnison von Baghalpur alarmiert hatte und eine Expedition nach dem Grabmal unternommen wurde. Man fand, nachdem man die Bronzetür mit Dynamit gesprengt hatte, die – Knochen der Unglücklichen im Innern des Grabmals. Drei Soldaten erkrankten an schweren Vergiftungen und büßten ihre Pflichttreue fast mit dem Tod. Der Regimentsarzt meinte, es gäbe in solchen uralten Gräbern geheime Gifte, die weder durch Geruch noch durch Geschmack auffielen, gasartig seien und die Jahrhunderte überdauerten. Wem aber mein Freund zum Opfer gefallen war, wurde niemals festgestellt ...«

Die anderen hatten gespannt zugehört. »Ja,« meinte der Maharadscha, »es gibt schon mancherlei Sonderbares bei uns in Indien.«

»Verstehen Sie nun, mein lieber Oberst, daß ich Sie warne, das Grabmal da oben zu besuchen?« Der Oberst nickte. »Gewiß verstehe ich, Mister Bridgeman, ich verstehe vollkommen! Dennoch aber reizt es mich, einen Versuch zu machen, hinter solche geheimnisvolle Dinge zu kommen.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können,« erwiderte Sir Charles, »ich bleibe jedenfalls hier beim Maharadscha, denn ich habe genug von solchen Dingen ein für allemal! Ich bitte Sie aber, wenigstens den Morgen abzuwarten!«

Die Nacht war kühl und mondklar. An den großen Lagerfeuern ruhte es sich warm und behaglich, und kein Abenteuer störte den Schlaf der Jäger. Nach dem Morgenfrühstück brachen der Maharadscha und Sir Charles mit noch einigen Gästen zur Jagd auf, während der Oberst, begleitet von Sir Francis, dem alten Toomai, Ghautal und Machua den Weg nach dem Tempel einschlug. Sir Francis und der Oberst saßen zusammen in der Haudah auf Kara-Naghs Rücken, die übrigen folgten auf zwei anderen Elefanten. Etwa in der Mitte des Hügelhanges zeigten sich breite, mit Moos überwachsene Steinstufen, die in flachen Windungen den Berg hinaufführten. Plötzlich standen die Reisenden vor einem schneeweißen, halbverfallenen Tempel. Es war ein viereckiges Gemäuer mit einem runden Tor, das noch deutliche Spuren von Mosaik und Malerei zeigte. In der Mitte des Tempelhofes befand sich das eigentliche Heiligtum, ein trotz der vielen Jahrhunderte noch gut erhaltener Bau. Über dem Tempel wölbte sich, spitz zulaufend, eine Kuppel, fast in der Form eines stumpfen breiten Zuckerhutes, dessen äußerste Spitze durch einen ziemlich langen vergoldeten Pfahl gekrönt war. Mit dick vollgefüllten Backentaschen hockten Affen auf den Tempelmauern und Zäunen und erhoben ein wildes Gekreisch. Kaum hatten die Männer den Hof des Tempels betreten, als ein furchtbares Poltern und Schnauben ertönte. Aus dem Innern kam ein zahnloser, riesenhafter Elefant, ein Elefant mit großen weißen Nacken- und Ohrenflecken, seine Haut war faltig und schlackerte um die mageren Gliedmaßen, die kleinen zornigen Augen waren rot, blutunterlaufen, der ausgestreckte Rüssel trompete fürchterlich. Den Männern standen die Haare zu Berge. Sie flüchteten nach den Ausgängen – der Elefant polterte hinter ihnen her! Da stand der zornige Tempelwächter der mächtigen Gestalt Kara-Naghs gegenüber! Mit hoch erhobenen Rüsseln starrten sich die Elefanten wütend an. In diesem Augenblick gelang es dem Oberst, sich hinter den Reitelefanten zu bergen. Er erstarrte plötzlich, deutete mit der Hand auf einen Fleck zwischen den Elefanten und rief Francis zu: »Sehen Sie, sehen Sie!« Da klang, als käme sie aus weiter Ferne, Ghautals Stimme: »O Erhabener, o Weisester, o Pudmi, du Perle unter den Elefanten! Hüte dein Heiligtum, kehre um, die Sahibs werden es nicht stören. Pudmi, Pudmi, Schönster, Herrlichster im Dschungel!« Und es geschah etwas Wunderbares: der alte zahnlose Elefant klappte mit den Ohren, ließ den Rüssel sinken, kehrte langsam, schwerfällig um und verschwand im Tempelhof. Jetzt bestiegen Sir Francis und der Oberst wieder Kara-Naghs mächtigen Rücken, und langsam schritten die Reitelefanten den Berg hinab. Als sie auf halbem Wege zum Fuße des Berges waren, rollte schwerer Donner, und die Erde schien sich zu verschieben, Bäume neigten sich, drückten sich durcheinander, dumpfes Rollen brüllte durch die Landschaft, mit rasender Schnelligkeit zog eine schwarze Gewitterwolke über die Hügel, Blitze zuckten, blaue Lichter flammten, Einschläge krachten! Und wieder ertönte das unterirdische Rollen und Donnern, und die Erde hob sich, die Steinstufen rissen auseinander, rollten polternd zu Tal, krachten gegen die Stämme ... »Sehen Sie, sehen Sie«, rief Sir Francis dem Oberst zu und wies mit der Hand rückwärts. Entsetzt sahen die Männer, wie der Tempel dort oben auf dem blumigen Abhang auseinanderfiel, versank! Eine große, weiße Staubwolke noch, ein Feuerschein ... dann war alles still. Nur noch ein dumpfes Grollen zeigte, daß eben ein fürchterliches Erdbeben gewütet hatte. Der Platz aber, auf dem das uralte Heiligtum gestanden hatte, war leer. Eine dünne, braune Rauchwolke quoll aus der Erde.

»Das sind die Götter«, flüsterte Toomai.

»Ja, die Götter«, sagte Ghautal. »Sie dulden nicht, daß man ihr Heiligtum betritt. O Pudmi, Pudmi,« klagte er dann, »du Hüter des Heiligtums, jetzt bist auch du bei den Göttern ...«

Als der Oberst und Sir Francis am Lagerfeuer anlangten, fanden sie den Maharadscha und Sir Charles schon vor. »Am Gottes willen, wie sehen Sie aus,« rief der alte Bridgeman, »das Erdbeben ...«

»Nein, es war nicht das Erdbeben allein,« sagte der Oberst stockend, »es war noch vieles, vieles andere dort. Ein schrecklicher Elefant als Tempelwächter, der uns fast zerstampft hätte, wenn nicht Kara-Nagh und ...«

»Und?«

»Er war wieder da, jener Herr, wissen Sie, Bridgeman, jener, von dem ich Ihnen erzählte. Er stand zwischen mir und dem wütenden Elefanten, gerade vor Kara-Nagh! Als ich wieder zu mir kam und meinen Schrecken überwunden hatte, zerfloß seine Gestalt wie ein Nebel, und ich sah noch, wie er mir winkte: fort, nur fort ...«

Die Männer schwiegen längere Zeit; dann nickte der junge Bridgeman. »Vater, der alte Tempel dort oben ist nicht mehr, er ist von der Erde verschlungen worden und sein Wächter mit ihm.«

»Brechen wir auf,« meinte der Maharadscha, »es ist nicht gut hier sein.« Sein braunes Gesicht war erblaßt, seine Haut schimmerte gelb wie altes Elfenbein. »Mich friert«, sagte der Fürst. Er bestieg Radhas Rücken, hüllte sich in seinen Mantel und ritt schweigend davon. Die anderen folgten.

*

Wenn die Mahulabaumblüte fällt, ist Festzeit für den Bären. Denn die Blüte ist klebrig – süß wie Honig. Dann sucht der Bär kaum mehr nach wilden Bienen, denn Mahula ist berauschend, und den Rausch liebt der Bär. Gewöhnlich sucht er Ameisen, denn er mag die Säure der krabbelnden Tierchen gern, aber er frißt auch Mäuse und Vogeleier, und wenn er Honig findet, ist er glücklich. Süße Früchte, Nüsse und Wurzeln frißt der Lippenbär und vielerlei Sachen, die auch die Affen lieben. Darum hassen die Affen ihn und werfen nach ihm mit Zweigen und Nüssen und anderen Sachen und machen ein großes Geschnatter, wenn er sich zeigt.

Einmal fand ein großer, borstiger, rabenschwarzer Lippenbär viele Mahulablüten und fraß, daß es schnalzte. Der Saft berauschte ihn, und schließlich war er ganz betrunken. Er hockte unter einem Mahulabaume, lehnte sich an den Stamm, rieb sich den Bauch mit den Branten, schloß die Augen und brummte behaglich.

Da kamen viele, langgeschwänzte Hutaffen in den Wipfeln dahergehuscht. Sie bemerkten den Betrunkenen, machten ein großmächtiges Geschrei und warfen mit allerlei Gegenständen nach ihm. Er aber brummte nur ein wenig und kümmerte sich nicht um die Geschwänzten.

Es kam aber zufällig der alte Appa des Weges. Er hörte das Schnattern und Brummen und schlich herbei, um nachzusehen, was es gäbe.

Und da sah er den betrunkenen Bären am Stamm. Schnell nahm Appa seinen Speer zur Hand und stach nach ihm.

Mit schrecklichem Gebrüll fuhr das verwundete Tier auf und warf sich auf den Mann! Der Stiel des Speeres brach, und die Bestie, vor Schmerz und Mahularausch rasend, erreichte den Mann. Sein schwaches, lückiges Gebiß hätte dem erfahrenen und geschickten Inder nicht viel anhaben können, aber die furchtbaren, langen Krallen zerfetzten den nackten Oberkörper, gruben sich in den Leib ... Gröhlend nahm der Bär Rache, selbst tödlich verletzt, taumelnd im Rausch. Die Affen kreischten, warfen mit Früchten und Zweigen, Appa stieß Hilferufe aus, der Bär grunzte und brüllte. Dann fiel er sterbend neben dem armen Appa hin, sein Opfer noch immer umklammernd.

»Ist das nicht Appas Ruf?« fragte Mali seinen Vater.« »Ja – es ist Appas Stimme«, rief Ghautal erschreckt und trieb Kara-Nagh mit dem Ankus an. »Mail, mail!« schrie auch Mali, und Radha setzte sich hinter Kara-Nagh in Bewegung.

Als die Elefanten vor den Toten standen, trompeteten sie laut. Mali und Ghautal aber streiften den Bären ab, als sie sahen, daß dem alten Appa doch nicht mehr zu helfen war, luden die Haut des Bären auf Kara-Nagh und den Leib Appas auf Radha und ritten traurig zum Sammelpunkt, wo der Maharadscha und Sir Francis am Lagerfeuer saßen und die Rückkehr ihrer Jagdspäher erwarteten.

Der Maharadscha war sehr traurig, als er von dem Unglück hörte. Er ließ die Jagd sofort abbrechen und befahl, Appa würdig zu bestatten. Er selbst aber ließ die Haudah auf Radhas Rücken schnallen, bestieg den Leibelefanten und ritt heim.

*

Eines Tages badeten Radha mit Mali, Kara-Nagh mit Ghautal, Bürstenwedel mit Rakhna und die alten Arbeitselefanten mit ihren Mahouts oberhalb im großen Strom. Es wurde ein neuer Eisenbahnstrang in der Nähe gelegt, und da ließ Sir Charles seine Arbeitselefanten unter Kara-Naghs Führung dort arbeiten, Schwellen und Schienen tragen. Mali aber war mit dem goldzähnigen Radha gekommen, da er dem Elefanten Bewegung machen sollte und der Maharadscha ihm gern erlaubte, die Gesellschaft seines Vaters aufzusuchen. Ghautal war Arbeiterführer und Kara-Nagh Elefantenführer. Es kam nun so, daß Radha neugierig in den Holzschwellen am Strom kramte und einige Hölzer in den Rüssel nahm und nach alter Art zum Bau trug, obwohl er das gar nicht durfte, waren doch seine Zähne mit goldenen Spitzen und goldenen Ringen geschmückt. Auch soll ein Reitelefant, der den Mahardscha zu Festen und zur Jagd trägt, nicht Balken tragen, denn er käme ja aus seiner Kaste. Mali aber hatte nicht acht gehabt, denn er hockte mit Ghautal und Toomai im Schatten.

Plötzlich raschelte es im Grase neben den Balken, und – eine kleine, braungraue Maus lief über die gestapelten Schwellen!

Radha schrillte, brüllte, rollte den Rüssel, steckte die Spitze ins Maul und rannte sinnlos fort, am Flusse entlang und ins Wasser ...

»Eine Maus, eine Maus!« Alle Elefanten trompeteten, flohen – es war ein schrecklicher Aufruhr. Nur die alte Palmenreiße und Kara-Nagh blieben mit gerollten Rüsseln stehen und flohen nicht.

Nach längerer Zeit erst gelang es den Mahouts, die Elefanten zu fangen und zu beruhigen.

»Wo ist Radha?« rief Mali besorgt. »Radha, Radha!«

Alle machten sich auf die Suche – Ghautal und Mali, Toomai und Machua, Rakhna und die anderen. Da trompetete Kara-Nagh plötzlich laut und rannte zum Fluß! Zu ihrem Schrecken sahen die Männer, daß Radha im Triebsand steckte, im Schlammsand! Er war schon ziemlich tief eingesunken und brüllte kläglich. Schnell brachten die anderen Elefanten Balken, Bretter und Eisenbahnschwellen, die Männer schoben sie um Radha, hüteten sich aber, dem verzweifelten Elefanten zu nahe zu kommen, denn in der Angst ergreift der Sinkende alles, was er fassen kann, mit dem Rüssel, um es sich unterzuschieben, um daraus zu treten ... Das gütigste Tier wird zum wahnsinnigen Wüterich, wenn es in Schlamm und Triebsand gerät, es tritt selbst seinen Mahout unter sich ... Endlich gelang es Radha, sich vorn auf zwei Balken zu stützen. Er wurde ruhiger, und Ghautal, Machua und Mali konnten ihm ein Langholz unter die Brust schieben. Jetzt brachte man weitere Hölzer. Der Elefant lag ruhig, verschnaufte.

Mali und Ghautal zitterten. Wehe ihnen, wenn Sir Charles und der Maharadscha von der Ursache des Unglücks erfuhren! Wehe, dreimal wehe, wenn Radha zu Grunde ging!

Die Männer arbeiteten, als gälte es ihr Leben. Sie führten Gurte unter Radha durch, während sie selbst auf Bahnschwellen und Brettern standen, banden die Gurte an Seile aus bestem Manila und Jute, spannten Kara-Nagh und Palmenreiße vor, und ließen die Elefanten ziehen. Vorsichtig arbeiteten die klugen Tiere. Der fette Schlammsand schmatzte, Wasser gurgelte – die Tiere schnaubten. Langsam, ganz langsam wurde der mächtige Körper Radhas frei, der Elefant faßte Fuß auf Bohlen, Planken, Schwellen – konnte endlich hinten Grund bekommen, arbeitete selbst mit – stand zitternd, voller Schlamm auf dem Trockenen!

»O – Radha, Radha, Göttersohn, du Wiedergeschenkter! O Radha – kein Sohn kann seiner Mutter solche Trauer bringen wie du mir, Radha!« Mali weinte vor Freude, und Radha schlang den Rüssel um seinen Freund. Und Kara-Nagh trompetete, und Bürstenwedel kam und Palmenreiße. Und alle streichelten Radha mit dem Rüssel.

Dann aber mußte Radha zur Landungsbrücke und ins Wasser. Palmenreiße und Kara-Nagh spritzten ihn mit sauberem Wasser ab, bis die weißen Ohrenflecken wieder zu sehen waren und die Nackenzeichen auch, und bis Radha wieder der schöne, saubere Lieblingselefant des Maharadschas war.

Die Mahouts schworen untereinander, zu schweigen, damit Radha nicht aus seiner Kaste käme und Mali und Ghautal nicht gestraft würden.

Es war aber Sikhal, ein kleiner, dunkler Tamilmann, dabei. Der neidete Mali und Ghautal ihre Stellung, denn er wollte gern selbst einen Hauptelefanten führen und nicht eine junge Kuh. Der Tamile mag überhaupt den Hindu nicht gern – denn alle Völker Indiens hassen sich untereinander. Sie sind verschiedenen Glaubens und Blutes, die Hindus und die Gurkhas, die Parsi und die Tamils und die Sikhs und wie sie alle heißen. Denn jener Turm hat nicht zu Babel gestanden, sondern in Indien ...


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