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Sechstes Kapitel.

Hier hören wir, wie Ghautal und Mali ihre Elefanten belehren, wie Sir Charles zufrieden war und was Kara-Nagh, der alte Arbeitstusker, tat. Wir lesen von Kara-Naghs Manieren und seiner Klugheit, von der Arbeit der Elefanten am Meer und von Schiffen, lesen auch die Geschichte vom Nashorn, wie sie Kara-Nagh erzählte, und von allerlei anderem. Dann sehen wir zu, wie Sir Francis ein großes Krokodil angelt, und hören von Pudmi auch ein wenig, aber nur ein klein bißchen. –

 

Die alte Palmenreiße lernte schwerer als Radha, ihr Sohn. Der konnte zwar noch mit seinem Rüssel und den kurzen Stoßzähnen nicht viel arbeiten, aber er verstand bald, um welche Zwecke es sich handelte, denn der kluge, große Kara-Nagh machte den fremden Elefanten alles vor. Spielend hob Kara-Nagh die schwersten Teakholzbalken und legte sie auf die Stapel. Er ging von einem Ort zum anderen und schob mit dem Rüssel schiefgelegte Hölzer zurecht, er ordnete, er legte gerade, schob überstehende Balken zurück und zog andere vor. Das alles sah Radha mit Interesse und suchte es nachzumachen. Wenn Mali rief: »Mail, mail!«, dann wußte Radha, daß dies »vorwärts!« heißt, denn Mali packte ihn dabei am Rüssel und zog ihn vorwärts. Rief er aber »dhat, dhat!«, so mußte sich Radha hinlegen, kauernd aus allen vieren, damit man leichter auf seinen Nacken klettern konnte. Große Elefanten, die nicht »dhat« verstehen, sind sehr unbequem und als Reittiere nicht zu gebrauchen. Auch lernte Radha die Vorderfüße heben, und wenn Mali sich auf seinen Fuß stellte, hob Radha seinen Führer empor, er hob ihn auch bald mit dem Rüssel und setzte ihn sanft wieder nieder und machte noch manche andere Kunststücke.

Täglich gingen die Elefanten ein- oder zweimal zum Fluß, um zu baden, täglich gab es mehrere Mahlzeiten: ungeschälten Reis, Heu, Pferdebananen oder Bataten und mitunter einige süße Bananen. Auf dem Markt der Stadt verdarben viele Früchte ein wenig: Mangos und Pflaumen, Mispeln und Knollen und viele andere. Dann kamen die Früchte körbeweise zu den Elefanten und wurden dankbar verspeist. Zu leben gab es schon an der großen Strandstadt, und die Elefanten waren gut bei Kraft. Und darum arbeiteten sie willig, denn für die Arbeit gab es wohlschmeckende Nahrung. Nahrung aber ist das Wichtigste im Leben, und jedes Getier arbeitet dafür, die einen rauben und haben ihre Mühe dabei, die anderen müssen weit wandern, wieder andere aber müssen Balken und Steine schleppen, und noch andere müssen schnell laufen und Lasten ziehen. Auch das Tier der Wildnis lebt nicht ohne Mühsal.

Der alte Tusker Kara-Nagh leitete wieder das Stapeln. Ein großes Schiff lag im Hafen und lud schwere Teakhölzer und Ebenholz. Da hatten die Elefanten viel Arbeit, und auch Radha schleppte mit einem anderen jungen Bullen Holz zum Kai. Dort waren fremde Männer, die Ketten um die Balken schlangen. Dampf puffte, die Ketten rasselten, die Balken hoben sich und schwebten in der Luft, wurden oben von anderen Männern empfangen und drehten sich langsam. Dann sanken sie rasselnd in die Tiefe, in den Leib des großen Schiffes hinein. Anfangs fürchtete sich Radha, aber er gewöhnte sich schnell an das Pfeifen, Zischen und Rasseln. Und weil die fremden Leute nett und freundlich zu den Elefanten waren und ihnen oft Brot, Semmeln und Früchte zusteckten, konnte Radha den Beginn der Arbeit gar nicht abwarten. Der große Tusker Kara-Nagh half, wenn ein Balken zu schwer war. Dann packte er mit an und hob das Holz, als wäre es federleicht und legte es behutsam nieder, wo die Leute warteten.

Punkt zwölf Uhr läuteten täglich die Mittagsglocken. Bamm, bimmel, bimmel, bim, bam, bim, bam, klangen die Töne von der Kirche mit dem hohen Turm. Und auf den Schiffen klang Antwort, in schönen Akkorden, in Terzen: tong, ting, tang, tung – tongetingetangetunge, tong, tang, ting!

Die Elefanten hatten sich schnell an die Zeit gewöhnt. Kara-Nagh legte als erster den Balken fort, den er gerade trug, und alle Elefanten taten wie er. Dann gingen die Tusker und die anderen in langer Reihe zum Fluß und rauschten in die Flut, und die Mahouts riefen sich lustige Dinge zu. Auch die Mahouts badeten oft mit den Elefanten. Rüssel schöpften, spritzten Fontänen, behagliches Schnaufen tönte, Brummen. Und die Großen rissen Büschel und Zweige von den Ufermangroven ab und peitschten sich mit dem Rüssel die Flanken, rieben und bürsteten sich. Besonders Bürstenwedel verstand das gut und leitete Radha an. So standen in langer Reihe die Elefanten und spritzten sich an und vergnügten und kühlten sich. Dann zogen sie alle zum Futter, zu den Trögen. Dort bekam jeder sein Heubündel – je nach Größe –, und Kara-Nagh war der letzte, der fraß, denn er wog Bündel nach Bündel mit dem Rüssel, ob auch Gewicht und Güte stimmten. Später gab es Reis und Bataten, und nachher ging's wieder zum Trinken an den Strom.

Danach aber kam die große Pause, und die Elefanten legten sich in den Schatten der Coobäume und Mangroven und schliefen. Ein Elefant kann auch im Gehen schlafen, wenn er müde ist. Meistens schläft er im Stehen, und nur, wenn er sehr müde ist, legt er sich nieder. Wenn dann die Sonne tief über den fernen Hügeln stand, gingen die Elefanten wieder zur Arbeit und schafften, bis die Fledermäuse huschten. Da flogen die vielen Geier heim und die Kropfstörche und die andere Vogelwelt, und auf den Schiffen ging's wieder bing, bang, tingetongetang! Jetzt zogen auch die Elefanten nach Hause – Palmenreiße mit ihrem Mahout Mali und Radha, Trampelmann mit Ghautal, und Bürstenwedel mit Rhakna; es folgten die jungen Bullen mit ihren Führern, und zuletzt kam der Hauptmann der Arbeitselefanten, Kara-Nagh, der Tusker. –

Alle gingen in die Ställe, die breit und geräumig waren, und wurden angebunden. Nur Kara-Nagh blieb frei.

Es kam aber vor, daß Kara-Nagh von fernem früheren Leben erzählte und mitunter auch von alten Geschichten. Denn Kara-Nagh kannte viel Geheimes. So erzählte der Tusker eines Abends die Geschichte vom Nashorn: »Meine Freunde,« sprach Kara, »wißt ihr, was ein Nashorn ist? Ein Nashorn ist nichts weiter als ein verstümmelter Elefant. Es war einmal ein Elefant, der hatte eine Frau, die sehr stolz war. Und auch der Elefant war sehr stolz, denn er war stark. Die Götter aber wurden zornig über den Hochmut und trachteten, wie sie die Eitlen straften. Sie schickten einen Pfau zu dem Elefanten, und der Pfau sprach: ›Du bist so stark und bezwingst alle. Warum fürchtest du dich vor dem Krokodil im Wasser?‹

Da wurde der Elefant zornig und schrie: ›Wo ist das Krokodil? Ich werde es besiegen!‹

›Du mußt deinen Rüssel ins Wasser stecken und das Krokodil herausziehen‹, sagte der Pfau. Der Elefant rannte spornstreichs zum Fluß und rief das Krokodil. Er steckte seinen Rüssel ins Wasser!

Da packte das Krokodil den Rüssel und biß ihn gänzlich ab. Und der Elefant schrie vor Schmerz und rannte gegen Bäume an, denn er war ganz wild geworden. Und der Rest des Rüssels bog sich nach oben und vernarbte. Aus dem Elefanten war ein Nashorn geworden. Als das die Frau Elefantin sah, entsetzte sie sich und wurde zornig. Und sie lief, um Rache zu nehmen. Sie steckte ihren Rüssel ins Wasser und rief das Krokodil: ›Komme, du böses Tier, du Sohn der schlechten Geister!‹ Da kam das Krokodil von unten hervorgeschossen und biß auch der Elefantin den Rüssel ab! Und seitdem sind die Nashörner so wie sie sind. Sie sind blindwütig und dumm und rennen immer geradeaus. Das ist die Geschichte vom Nashorn.« –

Sir Charles war sehr zufrieden mit seinen Arbeitselefanten. Auch Radha machte täglich Fortschritte und erstarkte. Er konnte »dhat« und »mail«, und es bedurfte kaum des Ankus mehr bei ihm. So verging ein Jahr und noch eins, und dann gingen wieder einige Jahre ins Land, und Radha war schon ein großer Elefant, und seine Stoßzähne wurden ganz stattlich. Ghautal hatte einen weißen Bart und Mali einen schwarzen. Immer größer wurde Ghautals und Malis Liebe zu Radha und Palmenreiße, und der große Tusker Kara-Nagh war aller Freund.

*

Eines Tages war Sir Francis in seinem Bungalow auf Urlaub und trank am Abend Whisky und Soda, wie man das so in Indien tut.

Unten am Fluß ist plötzlich lautes Geschrei – deutlich hört der Brite das Schreckenswort: »Krokodil!«

Einige Knaben hatten im Strom gebadet. Plötzlich ging der eine schreiend unter, tauchte noch einmal gegen die Mitte des Flusses hin auf, schrie nochmals jämmerlich – verschwand ...

Sir Francis ist am Ufer. Die Leute gestikulieren, reden aufgeregt durcheinander. »Es ist der Teufel, er ist wieder da!« jammern die Leute. Weit unterhalb an der Sandbank taucht ein großer, dunkler Körper auf. Er bewegt sich ruckweise – das Krokodil frißt seine Beute.

»Ein ganzes Jahr war es fort«, sagt einer der Männer. »Im vorigen Jahr raubte es mir das junge Zeburind ... Nun ist es wieder da.«

Auch die Elefanten merkten, daß sich Schreckliches zutrug. Kara-Nagh trompetete zornig. Eine Dampferbarkasse fuhr suchend nach der Sandbank, die heimkehrenden Bonitofischer stocherten mit ihren langen Stangen im Wasser herum – vergeblich: das Krokodil war schon wieder verschwunden und hatte seine Beute mitgenommen.

Der Buddhist am Holzstapel, kenntlich an dem runden, roten Pflästerchen zwischen den Augen, zuckt die Achseln: »Da kann man nichts tun.« – Der breitschulterige Nepalmann spuckt aus: »Der Scheitan ist wieder da – er war wohl in der See ... Wie Allah will – man kann nichts dabei tun.« »Schwatz nicht!« ruft Ghautal zornig. »Man sieht, daß ihr Stadtleute seid und keine Jäger!«

Die Elefanten marschieren langsam zum Strom, um zu trinken. Dann gehen sie heim zum Stall.

»Sahib,« spricht Toomai zu Sir Francis, »Sahib – morgen ist Feiertag. Da wollen wir den Teufel fangen.«

Der Brite nickt: »Freilich – fangen wir ihn! Macht euch fertig – du, Toomai, und auch ihr, Ghautal und Mali! Aber seht zu, daß wir einen Köder bekommen. Am besten besorgt mir ein Ferkel.«

Zwei Tage angelte Sir Francis. Drei Ferkel ersoffen, aber es fing sich kein Krokodil. Der Scheitan war wohl wieder in der Meeresbucht und jagte nach Fischen.

So vergingen Monate. Und eines Tages war wieder große Trockenheit, und schläfrige Stille lag über dem Strom. Die Glockenspiele läuteten auf den Schiffen, über dem Fluß kreiste ein Gänsegeier, Kropfstörche standen schläfrig auf der Sandbank. Von fern tönte die Glockensymphonie der anglikanischen Hochkirche. Sonst war es still. Auch die Elefanten ruhten im Schatten, und Toomai saß auf dem Stapel Bretterholz, kaute Betel und spuckte roten Saft vor sich hin.

Große Gaviale krochen drüben auf den Sand. Toomai blinzelte zu ihnen herüber: Fischkrokodile – langweiliges Zeug ... Ein paar Flamingos waren da, ein Flatterliest, rüttelte, ein Rotbussard. Neben den Kropfstörchen ließ sich ein Ibisreiher nieder, wieder schoben sich Gaviale vor, Punkte tauchten auf, Augen-Buckel. Sie kamen, um sich zu sonnen, die Gaviale.

Ein Dampfer fuhr durch die Hauptfahrt ein, Fischer kehrten zurück. Da öffneten sich plötzlich Toomais schläfrige Augen: das dort – diese Buckel – das war ja ...

»Ghautal! Der Teufel ist wieder da!« rief Toomai.

Der Inder kam eilig herbei. »Schnell zum Sahib!« rief er.

Der Mann lief eilig fort. Mali und Toomai aber beobachteten die Sandbank.

Jetzt lagen noch mehr Krokodile dort. Auch ein paar Leistenechsen ...

Und wieder tauchten dicke Augenhöcker auf, ein Riesenschädel erschien. –

»Er ist es«, meinte Mali. Die Punkte tauchten unter.

So lagen die Gaviale wohl eine Stunde, ohne sich zu regen. Allmählich waren es ihrer neun geworden – auch kleinere darunter. Nur hin und wieder legte sich eine der Echsen auf die Seite oder schob den langen Kopf über den Rücken eines Artgenossen.

Plötzlich hielt der rote Cheebussard im Schwebefluge inne, und die Flamingos reckten die rosigen Schlangenhälse: ein Nüsternpaar war dicht vor der Schlammbank aufgetaucht, der breite Kopf eines Leistenkrokodils tauchte auf – ein Ungeheuer schob sich neben den Kropfstörchen auf den Sand. Ebensolang wie die längsten Gaviale war das Krokodil. Die Vögel stelzten beiseite – dem Frieden war nicht zu trauen.

Auf der Nachbarbank sonnten sich einige Gaviale und Leistenechsen, ein kleiner Schwarm Uferschnepfen fiel wippend ein, trillerte, flog weiter, und ein Zwergfalke schoß über die Flußbreite.

Sonnenglast, Glut. Die Luft waberte. –

*

Als der Tamilenhirt seine Kühe und Kälber zum Ufer trieb, um das Vieh trinken zu lassen, sank schon der Abend. In den Mangroven lärmten Affen, schwirrten Prachtfinken, flatterten Atzeln, und über die Grasländer zogen Krähen ihren Schlafplätzen zu.

Der Tamile war ganz sorglos, rauchte seinen schlechten Tabak, den er vom Händler im Städtchen bekommen hatte, und brummte den Klang der Abendglocken mit – melodische Terzen, die von den indischen Schiffen im fernen Hafen herüberklangen. Plötzlich sah er, wie der junge Bulle seine Vorderhufe verzweifelt in den Schlamm stemmte – angestrengte Bewegungen mit Schultern und Hals machte, um von etwas loszukommen, was seinen Kopf im Wasser festhielt, hörte Wasserrauschen, Angstbrüllen fliehender Rinder ... Und hatte noch gerade Zeit, bis ans Ufer zu laufen, um zu sehen, wie das Jungrind im Strome verschwand und abtrieb. Weiter unterhalb tauchte der tote Bulle wieder auf. Sein Leib ruckte und zuckte hin und her.

Der Tamile wußte Bescheid: Krokodile rissen an ihrem toten Opfer. –

Er kam heim und klagte seinem jungen Weibe sein Leid: wenn's noch die alte Kuh gewesen wäre oder ein Stück Rind vom Sahib selbst – aber der junge Bulle; den er sich aufzog als Zugtier ...

*

Einige Tage später waren unterhalb einige Jungen beschäftigt, Muscheln am Ufer und im flachen Wasser zu suchen. Es war an der Mündung – das Meer flimmerte durch die Stammreihen der Kokospalmen, Dampfer fuhren aus dem Hafen, ein großer Ostindienfahrer hatte am Kai festgemacht, weißgekleidete Passagiere gingen ans Ufer. Deutlich tönte das Rufen der Händler herüber – singhalesische Laute. Da hieß es, sich sputen – denn viele der Fremden, die zum erstenmal in Indien sind, kaufen immer bunte Muscheln und zahlen so manchen Penny ...

Gerade hat sich einer der Jungen im knietiefen Wasser gebückt, um eine zackige Rosenmuschel aufzuheben – da schießt ein dunkler Schatten unter der glitzernden Oberfläche heran – ein langer, schwarzer Gegenstand fliegt empor, ein Klatschen ertönt – ein Schrei ...

Entsetzt flohen die Knaben. –

Als die Bonitofischer von der See heimkamen und die gelbe Frühfledermaus über dem Flusse gaukelte, sahen sie ein riesiges Krokodil aufs Ufer kriechen.

»Allah,« sagte der alte Tamile furchtsam, »da ist der Menschenfresser wieder, der vor drei Monaten hier hauste ...«

»Der wird in der See gewesen sein oder oben im Strom«, meinte der andere, ein brauner, weißhaariger Hindu.

»Oder beim Scheitan«, sagte der dritte. »Wenn dies ein gewöhnliches Krokodil ist, so will ich kein Gläubiger sein ...«

Eine Woche später verschwand eine Kuh in den Fluten, ein junges Zebu des Sahib Bridgeman, nicht weit von den Reisfeldern am Strom.

Als aber die junge Frau des Tamilenhirten am Ufer war, um Wasser zu schöpfen, haute eine dunkle Masse aus dem Wasser heraus – ein Klatschen tönte, ein schriller Angstschrei ...

Der Cheebussard rüttelte erschreckt steil in die Luft, als er den Graus sah, und die Hutaffen machten ein großes Gezeter.

Der Tamile wartete auf seine Frau, bis es Abend wurde, denn er dachte, sie hätte sich verspätet und schwätzte mit den anderen Tamilenfrauen, die vom Dorf heraufkamen, um Bataten zu holen oder frische Betelblätter zum Kauen.

Dann aber machte er sich auf und suchte sein Weib. Er fand Spuren im Uferschlamm – Blut, einen Tuchfetzen ...

Er lief zum Sahib. –

Der saß auf der Veranda seines Bungalow, rauchte seinen Shag und trank Whisky und Soda.

Mit der eigentümlichen Ruhe und Gefaßtheit mohammedanischer Tamilen berichtete der Unglückliche von seinem Mißgeschick.

»Sahib – fünf Kälber und eine Ziege mußte ich für sie geben«, erzählte der Inder traurig.

»Das ist freilich viel«, meinte der Sahib und verbiß sein Lachen. »Wenn du dir nun wieder ein Weib nimmst, dann mußt du wohl wieder einige Rinder zahlen?« Der Tamile nickte.

»Mache dir keine Sorgen,« meinte der Brite lächelnd, »ich zahle für deine nächste Frau.« Über die braunen Gesichtszüge des Eingeborenen huschte ein Schimmer von Freude ...

Anderen Tages hat der Sahib sich ein Boot genommen, und Toomai und zwei der Bonitofischer ruderten ihn in die Nähe der Sandbank im Strom. Drei Pariahunde hatte er für einige Pence gekauft, hatte schwere Stahlhaken an den Halsbändern, die er ihnen umgetan, angebracht, mächtige Vorfächer darangelegt. An jedem Vorfach und Haken aber war eine lange, starke Leine mit einem dicken Schwimmer daran.

Im Strom warf der Engländer die Hunde aus. – Langsam, doch nur wenig behindert, streben die lebenden Köder dem Ufer zu. Die Männer im Boot lauerten.

Da begann einer der Hunde zu eilen, zu jaulen – ein dunkles Etwas tauchte auf – der Hund verschwand im Strom.

Schnell schwamm der Schwimmer stromab – tauchte unter, kam an der Sandbank wieder an die Oberfläche. Der Sahib ließ sich Zeit – er rauchte seine Pfeife.

Dann gab er ein Signal: drei Boote mit Männern stießen vom Ufer ab, näherten sich. Das Jagdboot schoß den Fluß hinab.

In schneller Fahrt schwamm jetzt der Korkschwimmer davon – stromaufwärts. Das Boot eilte hinterdrein.

Kreuz und quer ging die Jagd über den Strom. Ängstlich flatterten die Flamingos von der Schlammbank auf, die Kropfstörche strichen fort.

Da erreichte das Boot den Schwimmer – der Brite bückte sich, faßte den Korkballen, zog die Leine ein wenig aus dem Wasser, knüpfte schnell eine lange, sehr starke Manilaschnur daran, ließ sie ruhig ablaufen. Die anderen Boote ruderten herbei – im Bogen, trieben das flüchtende Krokodil. –

Das Jagdboot stieß auf der Sandbank auf. Drei Männer sprangen ans Ufer, faßten die Leine, holten sie langsam ein. Bis zum Schwimmer.

Da gab es einen mächtigen Ruck – Wasser schäumte auf – ein dunkler Schatten glitt fort – fast wären die Männer ins Wasser gefallen. Wieder ließ der Brite die Manilaschnur ablaufen, ruhig, gelassen.

Die Treibboote ruderten mit aller Kraft, um das Krokodil von der Tiefe in flaches Wasser zu treiben. Es gelang: trotz Wut und Schmerz ist die Echse furchtsam.

Jetzt zogen sieben Paar Hände an der Schnur – faßten den Schwimmer, die Hauptangel ...

Ein Paar Nasenlöcher tauchten auf – ein bezahntes Riesenmaul, ein gezackter Rücken, Wasser rauschte, schäumte ...

Der Sahib nahm die schwere Korditbüchse an den Kopf – als der Riesenschädel des Sauriers auftauchte, donnerte der Schuß. –

Ein Aufbäumen, wüstes Peitschen des blutigen Wassers – der Schwanz der Echse schlug empor ... Mit Brüllen zogen die Leute am Seil ... Dumpf dröhnte der zweite Schuß. Das Tier lag nun still.

Sieben Männer zogen den schweren Leib auf die Sandbank.

Zäh, fest ist Krokodilhaut, Moschusgeruch reizte die Leute zum Husten, fast zum Speien.

Endlich lag der Magen offen. Der Tamilenhirt bückte sich, wühlte mit dem ganzen Arm im Innern. Warf den toten Pariahund heraus – spuckte zornig aus, als er Schweineknochen fand, zog einen Rinderknochen, menschliche Reste hervor. Und Spangen, Silberringe, wie sie Frauen in Indien um Fuß- und Handgelenke tragen. Dann Glasschmuck, Ohrringe.

»Sie sind von meinem Weibe«, meinte er dann ruhig. »Den Glasschmuck kaufte ich vor einigen Wochen von einem Singhalesen, die Ohrringe auch. Sie sind aus englischem Metall ...«

Ein Geier, drei Kropfstörche kreisten über der Sandbank, warteten auf Fraß.

»Vier junge Rinder willst du mir geben, Sahib?«

»Fünf meinethalben«, sagte der Brite lachend. »So ist das Leben ...«

*

Der alte Pudmi lebte als einsamer, zorniger Rogue tief hinten in den Hills. Elefanten haben, wenn sie alt werden, geheime Wissenschaft, und sie wissen um die Geister und Götter besser Bescheid als alle Tiere und Menschen der Welt, und so kam es, daß Pudmi in seiner Wanderung durch die Hügel auf ein altes, längst vergessenes und verlassenes Grabmal stieß, einen Hindutempel aus uralter Zeit. Wenn der erste Dschungelhahn krähte, kehrte die schlotterige Riesengestalt Pudmis nach dem alten Tempel zurück. Sie schritt langsam durch das halbverfallene Tor in den Hof, und die Affen, die in den Tempelruinen lebten, flohen furchtsam auf die Dächer. Manchmal legte sich Pudmi im Tempelhof zur Ruhe nieder; wenn aber die Sonne über die Wipfel der mächtigen alten Bäume schien, ging er in den langen Tempelgang. Der alte, halbverfallene Tempelgang endete in einem großen unterirdischen Gemach, das mit bunten Bildern ausgeschmückt war. Unzählige Mosaiken stellten Szenen aus alter Zeit dar, Festumzüge mit Elefanten und heiligen Zebus, prunkvolle Radschas und schöne Frauen, Tempel und Götter. Hier war es kühl und still, und darum schlief der alte Elefant im Saal des alten Grabmals den Tag über, wenn die Sonne brannte.

Wenn dann die Eulen im alten Gemäuer schrien und die Fledermäuse, die von den Decken hingen, rege wurden und über dem Tempelhof hin und her schwebten und flatterten, kam der alte Elefant schlürfenden Schrittes aus dem Gemäuer und ging in die Hills. Weitab vom Tempelhof brach er Bäume und Äste und stillte seinen Hunger. Und dann zog er Meile um Meile und kam an die Hütten der Menschen.

Der schweigende Nachthimmel funkelt voller Sterne, und es ist, als senkte er sich tief auf die Erde herab. Das ist der Tropenhimmel in der Nacht; seine Sterne flammen hell und brennen in grünem, weißem und rotem Feuer. Es ist, als wollten sie auf die Erde niederfallen, und als könne man nach ihnen greifen, so niedrig leuchten sie über den Wipfeln des Waldes, und wenn die Wolken unter der liegenden Mondsichel hinziehen, scheint es, als fegten sie durch die Spitzen der hohen Baumriesen.

In solchen Nächten harrte Pudmi, bis es finster wurde am Bach, bis sich der Himmel auf die Erde zu senken schien. Dann aber brach er in die Pflanzungen der Menschen ein, heute hier, morgen da, manchmal tief unten im Flachlande an den großen Strömen, manchmal auf der hohen Tafel der Treppenberge. Er schmauste in den Reisfeldern und trat große Löcher und Rinnen in den schlammigen Brei des Ackers, er wütete in Bananen- und Mangopflanzungen, er stampfte durch Mais und Weizen und riß aus Übermut die Baumwollpflanzen aus und schleuderte sie in die Luft. Oft kam er im Drang der Rachlust mitten ins Dorf und riß Zäune, Schuppen und Hütten auseinander, unbekümmert um das Kreischen der Weiber, um das Brüllen der Kühe und das Kläffen der Hunde und ohne Furcht vor dem Lärm der erschreckten Männer. Wie ein Gespenst kam er an; leise, wie ein Fuchs, wie ein grauer Schatten, der im Nebel zerfloß, als wäre er selbst Dunst des Wassers; unheimlich still machte er sich an das Werk der Zerstörung. Weithin im Lande sprach man von Pudmi, dem furchtbaren Rogue, und Schrecken war um seinen Namen. Jäger zogen nach ihm aus, manche Treibjagden wurden abgehalten, große Dschungel wurden mit Menschen und Elefanten umstellt, um des schrecklichen Wildelefanten habhaft zu werden, doch der alte zahnlose Riese war schon lange vor Tau und Tag in seinen Hügeln und stand im alten Grabmal fernab von Menschenlärm, Jagd und Gefahr. Dort aber hielt er Zwiesprache mit Geistern und Göttern, und die alte Zeit kam herauf und wurde wieder neu vor seinem inneren Auge. Was seine Väter vor tausend Jahren gesehen, sah Pudmi, wenn die Mittagsgöttin durch das Dschungel schritt, er hörte die Glocken und die Gongs läuten und die Flötenmusik klingen, und er hörte, wenn die Sonne stieg, das fromme Morgengebet längst verklungener Erdentage. Dann kamen die Geister toter Brahmanen und ihrer Fürsten aus der Gruft und breiteten die Arme aus und streckten die Hände der Sonne entgegen, wenn sie rotglühend sich im kleinen Tempelsee spiegelte, dann stiegen sie ins heilige Wasser, und heilige Elefanten mit vergoldeten Zähnen und edelsteingeschmückten Stirnen standen rings um den Weiher und Pudmi hörte sie Gebete murmeln und den großen Morgenruf:

O Morgenlicht, o Rosenblut am Himmel!
O Sonne, die der Nacht gefolgt!
Erhabnes Licht, o Feuer, brenne helle.
Verdränge Finsternis und nächtliche Gefahr!
O warmes Himmelslicht, erhabne Götterfackel –
Führ' in das Leben alle uns zurück.
Laß uns vergessen unsre Not, den Kummer,
Führ' unsre Seelen aufwärts, friedevoll!
Leucht' uns auf unsrem schweren Lebenspfade
Und führ' uns in die Unvergänglichkeit,
Du Weckerin der keuschen Lotosblume,
Du Mutter allen Lebens in der Welt!

So träumte Pudmi mit geschlossenen Augen von der alten, längst verrauschten Zeit, er träumte, bis die Sonne im Zenit stand und bis das Mittagsläuten klang wie einst vor tausend Zähren. Dann aber schritt der alte Elefant hinab in den Tempelgang und Geistersaal und kauerte sich zwischen die Götterbilder auf die Marmorfliesen. So träumte er, und seine Seele war in alter Zeit.

Das sind die Geheimnisse der alten Elefanten, wenn sich ihre Zeit erfüllt, in ihnen leben die Geister der Väter. Denn alles ist ewig in der Welt, und nichts ist vergänglich, und alles bleibt bestehen vor denen, die das innere Augenlicht besitzen. Kein Mensch des Alltags hat das innere Augenlicht, kein Tier des Alltags, nur den Brahmanen gaben die Götter das innere Auge und den alten Elefanten, deren Väter heilig waren und im Tempel dienten.

*

Wenn auch das Gemäuer zerfällt, schwaches Menschenwerk – das Dschungel und der Wald sind ewig wie die Geister, die in der Wildnis leben. Der Mensch dringt in das Dschungel und rodet Wald und Busch mit Axt und Säge, er schürft den Boden und sät sein armes Korn. Doch immer wieder weicht er den Geistern des Dschungels, immer wieder schlagen die Wogen des Waldes zusammen über ihm und seinem schwachen Werk. Lange, lange, ehe es braune und weiße Menschen gab, war das Dschungel, unabsehbar stark und reich, und lange, lange, nachdem das letzte Menschenwerk in Staub zerrann, wird das Dschungel rauschen, und der ewige Wald und die Schneeberge werden in die Wolken ragen, und die heiligen Flüsse werden durch die Auen fließen, und Regen wird wechseln mit Sonnenschein.

Ewig ist das Dschungel, ewig wie die Götter, und ewig sind die Geister des Waldes und der Berge.

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