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Achtes Kapitel.

Hier lesen wir, wie Schneezahn und Schlitzohr mit ihrer Herde gefangen wurden und wie Kara-Nagh und der starke Radha die wilden Elefanten bezwangen. Dann lesen wir von dem »großen Ruf« und vom Leben in der Stadt, von Tempeln und Götzen, vom Tempelfest, von Märkten und von anderen Sachen. Wir hören, was die Schlange mit den Vogelnestern treibt und wie sie die Affen erschreckt. Auch von Gauklern und Fakiren ist die Rede und von heiligen Zebus, von Geiern, Hunden und Affen und von der Lotosblume. Zum Schluß hören wir dann, wie Sir Francis und der Oberst mit den Schlangenriechern jagen.

 

Es war wieder Ostmonsunzeit, und Dürre herrschte im Dschungel. Die Wildelefanten hatten sich in bestimmte Gegenden zurückgezogen, und die Späher, die »Trachus«, hatten leichtes Spiel, die Herden zu bestätigen und einzukreisen. Da waren erfahrene, alte Mahouts mit ihren »Decoys«, den Lockelefanten: Mali auf dem schneezähnigen, mächtig starken Radha, Sudu auf dem riesenhaften Kara-Nagh, dem streitbaren Tusker, dessen Zähne mit kupfernen Ringen verziert waren, auch der alte Appa und sein Bruder Machua waren da, und Toomai mit seinen Söhnen war gekommen und sein Bruder. Sie waren seit Wochen schon in den Hügeln hinter den Elefanten her. Nun stand die Herde im Tiefdschungel am Flüßchen zwischen halbtrockenen Sümpfen. Unter Savis, des Headman, Leitung hatte man eine große, sehr starke Keddha angelegt, eine solche von Rotholz und Ebenholz, Eisenholzstämmen und Cooholz. Kein Elefant – auch der stärkste nicht, hätte diese Keddha zertrümmern können. Sir Charles Bridgeman und sein Sohn waren ständig im Dschungel und überwachten die Arbeit. Hunderte von Hindus waren da und viele Männer vom Norden, auch braune Tamilen und andere Leute. Die Keddha bestand aus einem langen, trichterförmigen Lauf aus leichteren Balken, verengerte sich allmählich und lief in einen großen, runden Hof aus, der aus gewaltigen Hölzern gebaut war. Dieser Hof konnte nach dem Lauf zu durch ein mächtiges, schweres Balkentor gesperrt werden. Rings um den Hof befanden sich hinter den Balkenwänden Bänke zum Sitzen für die Zuschauer, wohlverdeckt in den Zweigen und überhöht, weiter gab es Baracken; in ihnen sollten die Gäste wohnen, während der Fang, das Riesenschauspiel, vor sich ging. Es war alles schön vorbereitet – ein richtiges Dorf stand hinter der runden Keddha. Auch der Resident war erschienen, um mit seinen Damen dem Fang beizuwohnen, und einige indische Fürsten waren auf ihren Jagdelefanten gekommen.

Die unzähligen Treiber bewegten sich von der Flußseite auf die Herde zu. Die Zuschauer saßen mäuschenstill auf ihren Plätzen, und auch die rings um die Keddha aufgestellten Scheucher waren noch ganz still, denn es galt, die Elefanten langsam in den Zaun zu treiben und nicht vorzeitig zu erschrecken. Mann bei Mann gingen die Treiber vor, langsam, vorsichtig. Die Herde wich den vielen Menschen scheu aus, beeilte sich aber nicht. Eine uralte Kuh, deren Ohren einst von Tigerkrallen geschlitzt waren, machte den Anfang, ein riesiger, weißzähniger Bulle folgte. Dann wogten die Rücken der Mütter, der jüngeren Kühe und Bullen heran, am Schluß marschierten wieder zwei ältere Bullen, deren Stoßzähne hell blitzten. Es waren im ganzen siebenundzwanzig große Elefanten und neun kleine Tiere. Langsam wackelte die Masse fort vom Fluß, die ganze, schmale Landzunge zwischen den Sümpfen entlang, um nach den Wäldern der Blue-Hills zu gelangen. So erschienen die ersten Elefanten in der breiten Mündung des Keddhazaunes, des Einlaufes. Hier stutzten sie und wollten umkehren – aber die Treiber erhoben ein schreckliches Geheul, Schüsse dröhnten und Brände flammten auf. Mit schrillem Trompeten polterten die Elefanten weiter in den Lauf, liefen – dichtgedrängt – weiter, kamen in den schmalen Hals des Einganges und stutzten wieder, denn vorn erweiterte sich die Umzäunung, und Menschenlaute waren zu hören. Hier aber, hinter dem verbreiterten Raum, schien die Welt versperrt ...

Da stürzten von allen Seiten Hunderte brauner Menschen herbei, zahme Elefanten drängten, Raketen knatterten, Schwärmer zischten! Die Herde polterte dröhnend, schrill trompetend, in den Hofraum – das schwere Balkengitter krachte herab, schloß sich! Die Elefanten waren in der Keddha! Dichtgedrängt, wütend mit den Rüsseln fuchtelnd, standen die Gefangenen in dem runden Raum. Die Menschen sprachen aufgeregt durcheinander, die Scheucher schrien und wehrten die gegen die Wände drängenden, tobenden Elefanten mit Stangen und Speeren ab. Allmählich legte sich der Lärm, doch mußten manche der Bullen erst durch blinde Schüsse ins Gesicht und Speerstiche in den Rüssel gebändigt werden. Dann, nach vielen Stunden wütenden Ringens, wurden die Gefangenen stiller. Sie waren sichtlich müde. Die Nacht über flammten rings um die Keddha große Feuer und beleuchteten die mächtigen, grauen Rücken der Herde mit rötlichem Schein.

Am nächsten Tage öffnete man das Tor der Keddha, und die großen »Boxer«, die Tusker, betraten mit ihren Mahouts auf den Rücken die Keddha. Es waren gewaltige Recken: Kara-Nagh, Radha, Bürstenwedel und zwei andere riesige Jagdelefanten des Maharadscha, ungeheure, erfahrene Tiere. Sie suchten die Gefangenen zu beruhigen, streichelten sie mit den Rüsseln, brummten und murmelten freundlich. Viele der Gefangenen kamen ihnen entgegen, als wollten sie Hilfe und Schutz haben, andere waren unwirsch. Dann machten die »Boxer« aber Ernst: mit Rüsselschlägen und wuchtigen Zahnstößen wurde Schneezahn, der wilde Führerbulle, eingeengt und in eine Ecke gepreßt. Gewandte Leute, die hinter den Mahouts saßen, sprangen zur Erde – mitten unter die Elefanten!

Das waren die »Roosers«, die Elefantenbinder. Sie übten ihr gefährliches Handwerk mit großer Geschicklichkeit und viel Mut aus. Auch drei Herren waren als Binder tätig, darunter Sir Francis selbst und der Sohn des Maharadschas. Die Binder schlangen hinterrücks ihre starken Manila- und Juteseile um einen Hinterfuß des Opfers, zogen die Schlinge sanft an und reichten das Seilende durch eine Lücke der Keddha. Dort warteten schon Leute, die die Stricke draußen um Bäume schlangen. Arbeitselefanten zogen die Seile fest an. So wurde Elefant nach Elefant gebunden.

Der schneezähnige, riesige Führerbulle war allein noch ungebändigt. Er tobte, er blies und stieß, drängte, trompetete wild. Ein Wunder, daß er die Männer auf den Nacken der Reitelefanten, der »Boxer«, nicht mit dem Rüssel herabriß und mit den Füßen zerstampfte – er schien die kleinen, schreienden Wesen da oben zu übersehen ... »Aie, aie! Somalo!« schrie Mali dem blitzzähnigen Radha zu, »arre, arre! Dant, do, Somalo!«, rief Sudu, und der ungeheure Kara-Nagh stürzte sich schnaubend auf den wilden Führerbullen und stieß ihm die Zähne in die Flanke. Radha aber schlang seinen Rüssel um den Nacken des Tobenden und riß ihn vorwärts! Staub wirbelte, ohrenbetäubender Lärm schallte. Von den ringenden Elefanten ging eine scharfriechende Dunstwolke auf. »Arre, arre! Dant! Mail, mail!« Die Mahouts stießen mit dem Ankus. Die Umzäunung wackelte unter den Stößen der ringenden Fleischberge, Damen kreischten, Männer schrien. Da rannte Radha den wilden Bullen mit der Stirn an! Ein Knall – die Masse wankte, fiel zurück!

Mit einem Satz hatte der Sohn des Maharadschas den Elefanten erreicht, hatte seinen linken Hinterfuß gefesselt. Zwei schwere Tusker zogen an – Radha schob, Kara-Nagh stieß – der zornige, keuchende Bulle stand zwischen zwei Bäumen, außerhalb der Keddha! Die Nooserelefanten nahmen die Seile ins Maul, schlangen sie fest – Männer eilten herbei, banden ... Zwischen mächtigen Bäumen angebunden war Schneezahn, der riesige Führer der Herde!

Der Kampf war zu Ende. Die Mütter der Kleinsten und ihre Kälber wurden freigelassen. Sie wollten – wie immer – anfangs nicht, sie drängten zurück. Aber ein paar Feuerwerkskörper machten sie fliehen – trompetend liefen sie fort! »Auch zu Glück und Freiheit muß man gezwungen werden«, meinte Sir Charles. »Ist Freiheit – Glück? Siehe unsere Tusker! Welcher von ihnen sehnt sich nach Freiheit?« sagte der Sohn. Auch alte Kühe sind mitunter ungebärdig. So wurde denn auch die Schlitzohrige neben den größten, wildesten Bullen zwischen Bäumen angebunden. Die Tusker brachten Bananen, Gras, Blätter, Reis – wütend warfen die Gefesselten die Nahrung beiseite! Mochten sie warten ... Nun aber näherten sich die Arbeits- und Jagdelefanten den jüngeren Tieren, streichelten sie und redeten ihnen gut zu. Sie führten sie fort, zunächst zur Tränke, dann weiter, immer weiter. In die Gefangenschaft ...

Nach einigen Tagen würden sie wiederkehren und die wilden, gefesselten holen. Vielleicht waren sie dann zahmer ...?

Ein paar Tage noch – und die große Keddah, die Hüttchen, die Baracken stehen leer. Bis sich wieder buntes Volk sammelt, um neue Elefanten zu fangen, eine neue Herde, die hierher gedrückt wird.

»Es ist sonderbar,« meinte Sir Francis beim Fortreiten zum Maharadscha, »daß man den Elefanten nur durch den Elefanten besiegen kann und – noch sonderbarer, daß dies fast immer glückt ...«

Der Maharadscha blickte den Briten von der Seite an. »Ja – sonderbar ... Das ist nicht nur bei den Elefanten so! Das ist auch so bei den Indern und bei anderen Völkern! Ihr Briten versteht das ja ...«

Der Engländer schwieg. Denn er sah im Blick des anderen ein Glimmen ...

*

Nach dem Kampf, dem großen Elefantenfang, hatte der Maharadscha wieder den weißgefleckten Reitelefanten bestiegen. Der Fürst lehnte in einer schönen, mit bunten Teppichen und Tüchern geschmückten Haudah. Vor ihm saß, in der Hand den Ankus mit dem goldbeschlagenen Stiel, gekleidet mit seidenem Hüfttuch und weißem Turban, Mali, der Mahout, auf dem Nacken Radhas. Drei andere mächtige Reitelefanten des Fürsten folgten. Der größte und stärkste aber war von Ghautal geführt. Der Zug Sir Charles und seines Sohnes und der übrigen Briten bewegte sich der Küste zu, während der Fürst mit seinen Elefanten nach Norden aufbrach, um auf dem kürzesten Wege seine Residenz zu erreichen, sein schönes Schloß, das zwischen den Hügeln an einem Nebenflusse des heiligen Stromes lag.

Stunde um Stunde waren die Elefanten langsam durch das Dschungel gezogen. Es dunkelte, Sterne flammten auf, und zwischen den Wipfeln der Bäume strichen Eulen und große Fledermäuse hin und her. Man hörte das Schnauben der Büffel vom Wasser her und das Grunzen eines Nashorns, das Brüllen des Tigers und das Keifen der Nachtaffen. Immer enger, immer verwachsener wurde der Weg und verlor sich endlich in einer Wirrnis von Busch und Elefantengras. Der Sohn der Wildnis hat mehr Sinne als der Mann der Stadt. Er hat den Richtungssinn, der dem Menschen im Gedränge der Zivilisation verlorengeht. Aus fremdester Steppe, aus wildestem Walde findet er heraus. Nur mitunter, in der Zeit, wenn der trockene Nordwest weht, kann sich der Sohn des Dschungels irren. Sind auch seine Ohren fein und sein Auge scharf – seine Nerven stumpfen ab. Es ist die Dürre, die trockne Hitze, die seinen Leib fühllos machen, seine Sinne stumpfer als zur feuchten Regenzeit.

Immer dichter wurde der Busch, immer dichter der Wald, und es herrschte tiefe Finsternis. Dünne Wolkenschleier ließen die Sterne nur schwach schimmern und verdeckten sie für Stunden. Über dem Dschungel lag Dunst wie stets zu Ende der großen Trockenheit, wenn bald die Regen rauschen: er ist der Vorläufer der Juliwolke, die das erquickende Naß vom Südwesten bringt.

»He, Mali, kennst du den Weg?«, fragte der Maharadscha ärgerlich und besorgt.

»O Erhabener, großmächtigster Sohn der Götter, ich kenne den Weg nicht mehr«, flüsterte Mali mit bebender Stimme. Da wandte sich der Maharadscha in der Haudah um und rief den alten Ghautal an: »Ghautal, kennst du den Weg?« »Erhabener, großmächtigster Fürst, ich kenne den Weg nicht mehr. Wie sollte ich Alter ihn kennen, wenn das frische junge Blut ihn nicht fühlt? Doch Mali hat den »großen Ruf«, den er Radha, deinem Liebling, beibrachte! Besser als Menschensinn ist der Sinn des klugen Elefanten!«

»So gib ihm den großen Ruf«, befahl der Fürst.

»Halte dich wohl fest. Erhabenster, o Sohn der Götter«, sagte Mali. »Denn es gibt jetzt große Bewegung, und die Haudah könnte arg schwanken.« Der Maharadscha und sein Sohn hielten sich an der Brüstung der Haudah fest. Und Mali beugte sich zum rechten Ohr Radhas herab und stieß den großen Ruf aus. Der große Ruf aber ist ein Zischen und ein Jauchzen hinterher, ein gellender langgezogener Schrei.

Radha blieb einen Augenblick stehen, klappte mit den Ohren, hob den Rüssel wie suchend hoch über sein Haupt, stieß einen schrillen Trompetenruf aus und stürmte plötzlich in reißendem Trabe durch den Busch. Er krachte Stämme nieder, er riß Bäume mit dem Rüssel zusammen und schleuderte sie beiseite, und er lief und lief, daß die Zweige um die Haudah klatschten, daß Lianengeschlinge und Äste Mali fast von seinem Sitz geschleudert hätten. Moorboden schmatzte und quatschte, Buschwerk raschelte, Dürrholz brach krachend zusammen. Und hinter Radha, dem weißgefleckten Reitelefanten des großen Fürsten, dröhnten die massigen Leiber der anderen Elefanten des Maharadschas.

»Hei, jei, mail, mail!« schrien die Mahouts. So rasten die Elefanten wohl eine Stunde lang und standen plötzlich am Rande einer großen Flußaue, in der das Wasser glitzerte.

»Ei schau, Erhabenster, Sohn der Götter,« rief Mali, mit der Hand vorwärts deutend, »das ist hier unser Fluß. Sieh, großer Fürst, wie Radha ihn gefunden hat!«

»Woher nimmt der Elefant soviel der Weisheit?«, sagte der Maharadscha staunend.

»Das ist das Geheimnis der Größten und Ältesten im Dschungel«, erwiderte Mali.

*

Viele, viele Tempel der Inder liegen in der Stadt am heiligen Strom. Eng sind die Gassen, klein sind die Häuser, die sich in krummen Zeilen am Ufer entlang, von der Höhe hinab in den Strom zu schlängeln scheinen. Viel Volks ist am heiligen Strom, um sich in den Fluten zu baden, um die heiligen Waschungen vorzunehmen und zu beten. Auch Allahs Gläubige haben hier ihre Moscheen mit spitzen Minaretts und runden Kuppeln. Auf den Straßen kläffen Hunde, am Rande der Dächer hocken gefräßige träge Geier, Gabelweihen schweben zwischen den Türmen und kämpfen um den Fraß. Zwischen dem Getümmel der Menschen und der Karren liegen Zebus wiederkäuend in der Sonne, vor den Tempeln stehen sie, liegen sie, heilig dem frommen Inder. Zwischen den Reihen der kleinen und großen Häuser, der Tempel und Paläste sind die Verkaufsbuden der Marktleute, langgestreckte, niedere Gerüste mit flachen Dächern, gegen die Sonnenseite mit Tüchern verhängt. Da gibt es vielerlei Frucht: süße und herbe, Mispeln liegen hier und Bataten in Haufen Mangos und Mangosteans, Bananen und vieles andere. Da sieht man Mais in Säcken, in Körben, Reis in Haufen, geschält und ungeschält; Bethel und roter Pfeffer wird ausgeboten, und das Volk auf der Straße drängt sich um die Stände und feilscht um Bohnen und Erbsen aus dem Norden, kaut grüne Bethelblätter und speit den roten Saft auf die Straße, daß es aussieht, als hätten Tausende von Kranken ihren Lebenssaft in den Staub gehustet. Die Zähne und Lippen der Leute sind blutigrot und von der Farbe der Mauerziegel. In den Bäumen springen Affen und lauern, ob sie nicht in einem unbewachten Augenblick eine Frucht vom Verkaufsstand erhaschen können. Oder sie sitzen neben den Geiern in langen Reihen auf den Dächern, klettern steifschwänzig umher, kreischen und keifen. Ein Heer von Dohlen und Krähen gackert und krächzt, und kleine bunte Vögel schwirren auf und ab. Tauben klatschen mit den Flügeln, und über den Strom fliegt der Schikrahabicht. Es ist viel Stimmengewirr, viel Lärm und Glockenton in den Straßen, Ausrufer schlagen die Tamtams; doch zum Strome dringt nur verworrener Lärm, denn er ist still und heilig. Da stehen die Gläubigen im Wasser, sie breiten die Arme nach der ausgehenden Sonne am Morgen, nach der sinkenden am Abend; sie beten, und sie tauchen nieder in das heilige Wasser.

*

Es ist Tempelfest heute. Abgelegen von der Stadt, hoch über dem Ufer liegt der Tempel des Janath-Raij, des mächtigen Gottes. Viele Stufen führen zu ihm hin. Oben ist der Tempelhof. Dort sind die Feilscher und Händler, die Schmuck und Tand verkaufen und in großen Körben gelben und weißen Jasmin und blutrote Rosen. Das Volk drängt sich auf den Stufen des Tempels, steht und hockt zwischen den steinernen Standbildern der heiligen Elefanten, umgibt das große Standbild Wischnus, des größten der Götter. Fromme Männer in weißen Kleidern ziehen herbei. Sie tragen Ketten von Blumen um Hals und Hüfte, Kinder trippeln bunt geschmückt neben schwarzgekleideten Frauen, Silbersternchen auf den Gewändern, Turbane leuchten in Goldstickerei. Die Beter neigen sich auf die Stufen, dürre, schmale Gestalten werfen sich nieder und küssen die heiligen Steine. Tamtams dröhnen, Gongs brüllen, Bettler gehen die wenigen Weißen und die Vornehmen ihres Volkes vor dem Tempel um Almosen an, Musik tönt, Glockenspiele läuten in herrlichen Terzen. Der Straßenboden ist gefegt und mit weißem Sand und Kalkstaub bestreut, mit Blumen geschmückt sind alle Ecken und Winkel, vor dem Tempel sind heilige Figuren aus weißem Pulver gestreut. Uralte Götzen, viele, viele Türmchen glänzen im Sonnenschein. Rings um die Beter stehen heilige Elefanten, behangen mit läutenden Glöckchen und mit Blumen geschmückt. Zwischen den Säulen hocken braune Kinder und stammeln den Eltern heilige Worte nach. Jetzt kommen die hohen Brahmanen, mächtige, ernste, würdige Gestalten, zu Ehren Schiwas mit Asche bemalt; denn Schiwa ist der Gott der Toten. Sie gehen langsam die hohe Treppe hinauf und verschwinden im Tempel. Dort hockt, umgeben von Eisengittern, der schwarze Schreckensgott Ganesa, der Gott mit Elefantenohren und Elefantenrüssel, der Götze mit dem dicken Wulstleib, mit dem grauen, zerfetzten Gewand. Es ist der Gott der Vernichtung und des Schreckens, der böse Gott. Damit er nicht ausbräche und Unglück in die Welt brächte, wird er von Brahmanen bewacht und im Käfig gehalten. Jetzt klingen laute, dröhnende Gongs, und die Musik setzt mit vollem Spiel ein; denn es kommt der Zug der vornehmen Pilger. Ein großer, bunt geschmückter Wagen mit zwei weißen schön geschnitzten hölzernen Pferden schwankt heran und hält vor dem Tempel. Menschengruppen und riesige Elefanten sind aus bemaltem Papier hergestellt und werden mit leichten Bambusgerüsten in den Tempelhof getragen und aufgestellt. Dann aber kommt der Zug der großen, heiligen Elefanten. Bunt bemalt sind die Tiere, mit Blumen und Decken behangen, mit Ketten und Goldflitter. Auf ihren Köpfen sind Kapuzen mit bunten Glasperlen und runden, goldenen Schalen. Auf ihren Rücken sitzen die Mahouts und die vornehmen Gäste unter kleinen schirmähnlichen Baldachinen. Dann aber kommen die weißen Rosse des Maharadschas mit ihren Führern. Und mit Edelsteinen geschmückt, mit Teppichen über kostbare Seide behangen, Radha, der Lieblingselefant des Fürsten. Die goldenen Spangen an seinen Stoßzähnen glänzen in der Sonne, weiß nachgemalt sind die hellen Flecke auf seinen Ohren und in der Haudah sitzt der Fürst, der vornehmste Diener der Götter. Radha bleibt vor dem Tempel stehen, richtet sich gewichtig und würdevoll, Mali aber, sein reichgeschmückter Führer, ruft das befehlende »Dhat«! Da knicken die Gelenke des Riesen ein, und der Elefant kauert, den Rüssel gerollt, vor den Stufen, damit sein großer Herr leicht aus der Haudah steigen kann, um in den Tempel zu gehen und die Götter anzubeten.

*

Viele Tage wird das Fest dauern, das Fest am heiligen Strom, in den Tempelhallen und vor den Säulen, auf dem Hof des Gotteshauses und auf den Stufen. Viele Tage wird man beten und feilschen, Büßer werden über Nägel zu den Gottheiten schreiten und sich die Füße zerschneiden zu Ehren der Himmlischen, und vor den hohen Steintreppen werden die Flöten der Schlangenbeschwörer klingen, aus den Körben sich gezähmte Kobras schlängeln, ihren platten Kopf zischelnd aufrichten und ihren langen Körper im Takte der Flötenmusik wiegen, um ihrem Herrn ein paar Annas von milder Fremdenhand einzutragen. Unter Wischnus Standbild werden die Fremden, die nicht Brahmas Glauben teilen, in Reihen stehen, um das bunte Bild zu bestaunen, und sie werden ein paar Pennies stiften für die ärmlichen Künste dürrmagerer halbverhungerter Gaukler und der Fakire, die sich auf Nägelbrettern wälzen, die sich ins Erdreich eingraben lassen, die sich Nägel und Dolche durchs Fleisch jagen oder Gerüste auf den Schultern tragen, gespickt mit Bambuspfeilen, deren scharfe Spitzen langsam in ihr mageres Fleisch dringen. Männer mit weißem, nach oben gebürstetem Barte kommen dann und gehen, Frauen mit Silbersternen auf den schwarzen Musselinkleidern, und endlich wird das Fest zu Ende sein und das Volk sich verlaufen. Dann aber werden die Leute wieder feilschend durch die Straßen ziehen, zwischen ruhenden Zebus und Lasten tragenden Elefanten; den ziegelroten Bethel speien sie wieder auf die schmutzigen Straßen, und die Geier und Hunde fressen wie immer den Unrat vom uralten Pflaster.

*

Das Dschungel rauscht fernab von menschlicher Frömmigkeit, von Heiligtümern der Menschen. In ihm sind die Seelen der Götter, nicht in den steinernen Häusern, so uralt und ehrwürdig die Bauten auch sind. Dort ist von Wischnus Dreieinigkeit Schiwa, der Totengott, dort ist Ganesa, der Gott des Schreckens und der Vernichtung, und dort ist Schri-Janath-Raij, dort sind sie alle, die Erhabenen; denn heilig ist das Dschungel. Dort sind die guten Götter und die bösen. Auch die bösen; denn nichts ist nur böse auf der Welt und nichts nur gut, und wäre das Böse nicht, so könnte das Gute nicht gedeihen auf Erden. Nur der Kampf gibt Gedeihen, der Kampf gibt neues Werden, und ehe es neues Werden gibt, muß das Alte vergehen.

*

Es war eine Schlange, böse vom Ei an. Sie kroch hoch in die Rotholzstämme und in die Wipfel hinein, sie ringelte sich um den Ast, sie schlängelte sich in die Gabeln und fraß die schreiende, jammernde Brut verzweifelter, schrill krächzender, flatternder Eltern. So muß auch das Böse neues Werden vertilgen, auf daß wieder neues Werden entstehe.

Die Schlange war satt; sie ringelte sich im Vogelnest zusammen und schlief. Als es Abend wurde, kamen die Hutaffen und schwangen sich von Zweig zu Zweig, von schwankendem Wipfel zu schwankendem Wipfel. Sie flogen durch die Luft, sich fast überschlagend, sie griffen nach hängenden Lianen und zogen sich an Ästen und Zweigen empor, und so kam voll Beutegier, neugierig und dreist, der erste der Affen an das Vogelnest. Auch der Affe ist böse von Ei und Mutterleib an. Der Affe ist schmutzig, gehässig und frech, grausam und hinterhältig, und darum faßte der erste der Affen gierig mit langen, schwärzlichen Fingern in das Vogelnest. Da zischte die Schlange und schnappte nach der schwarzbraunen Affenhand. Der Affe aber kreischte in tödlichem Schrecken, fiel rücklings vom Baum, prasselte durch die Äste, klammerte sich unten an die Luftwurzeln, rutschte ab und biß heulend nach seiner verletzten Hand. In den Baumkronen war großes Gezeter, Geschrei und Geschwätz, Geschnatter und Geschimpfe. Langschwänzige Gestalten sausten durch die Wipfel, sprangen von Baum zu Baum. Erst als die Nacht, die tiefe, schwarze Nacht über dem Dschungel lastete, war der Lärm zu Ende. Zusammengekauert aber am Fuße eines mächtigen Ebenholzbaumes hockte mit geschlossenen Augen und dickgeschwollenen Gliedern ein sterbender Affe. Die Schlange hatte geschlafen und hatte verdaut und ringelte sich langsam zur Erde herab.

*

In einer finsteren Nacht brach die kleine Jagdkarawane nach den Hügeln auf. Drei Europäer, von ihren Dienern begleitet, nahmen an dem Zuge teil: die beiden Bridgemans und der alte Oberst. Sie ritten an der Spitze des Zuges, ihnen folgte ein Maultiergespann mit einem zweirädigen Karren und der Dienerschaft, die aus einem Sepoy als Koch und einigen Hindus bestand. Am Rande der Berge, die im ersten Morgenlicht strahlten und einen zauberhaft schönen Anblick boten, traf der Zug auf einige Weddhas, dunkelhäutige, halbnackte, klapperdürre Gestalten. Eben erschien das erste grellrote Morgenlicht im Osten. Die Waldgipfel färbten sich gelb und rosig, die Schrunden der Hügel und Täler warfen lichtblaue Schatten, und über dem Wald lagen kupferner Schein. Wie häufig in dieser kühleren Jahreszeit war es recht kalt um Sonnenaufgang. Auch die tropischen Gebiete haben mitunter kalte Nächte, besonders aber weisen die Berg- und Hügelländer Nordindiens große Wärmeunterschiede zwischen Tag und Nacht auf. Die braunen beweglichen Männchen, die am Rande des Hügels auf die Europäer warteten, froren sichtlich, trotzdem sie sich Decken über die Schultern gehangen hatten. Jeder der Leute führte einen ziemlich langen, dünnen, doch anscheinend sehr festen Strick bei sich, einen Korb und ein krummes Haumesser. Die enggeflochtenen, rundlichen und ziemlich umfangreichen Körbe waren mit Deckeln versehen und wiesen Henkel an beiden Seiten auf. Schweigend verbeugten sich die mageren wadenlosen Gestalten vor den Weißen. Die Hindus und Seepoy wurden von ihnen keines Blickes gewürdigt. Sir Charles wechselte mit den Eingeborenen einige Worte und winkte dann mit der Hand – ein Zeichen, daß die Schlangenjagd beginnen könne. Die Europäer teilten sich und schlossen sich je einem Schlangenfänger an. Die Leute gingen auseinander, hierhin, dorthin. Anscheinend wußten sie genau Bescheid, wo sie die giftige Beute in den Hügeln zu suchen hatten. Sie gingen in die sumpfigen Täler, über denen feuchter, eiskalter Nebel lag, in die Hänge und Hügel der Anhöhen, krochen am Boden hin, schnüffelten mit ihrer Nase an der Erde, im Laub, im Grase, rochen in jedes Loch hinein. Plötzlich stutzte der eine oder der andere der Eingeborenen, schnüffelte emsig, nahm einen kleinen scharfen Spaten aus dem Bauchgurt, grub eifrig das Erdreich beiseite. Der schwarze Boden flog, eine Grube entstand, ein längliches Loch. Dann hörte man ein Zischen ... Der Mann legte den Spaten beiseite, ergriff eine kurze gegabelte Stange, stach den Stock in die Grube und hielt etwas sich schwach Windendes fest. Lebhaftes heiseres Zischen ertönte, der Weddha packte mit der Linken zu – dicht hinter die Astgabel. Lauter wurde das Zischen ... Jetzt richtete sich der Eingeborene auf, hob eine sich schwach bewegende Schlange empor, zeigte sie lachend, öffnete den Korbdeckel und ließ seine Beute fallen. Es raschelte ein wenig im Korbe – der Deckel schloß sich wieder. Und wieder suchte der Mann, wieder schnüffelte er. Dann roch er an einem Loch unter einem Baum und begann zu buddeln. Diesmal war die Arbeit schwieriger; denn Wurzeln hinderten das Graben. Aber das scharfe krumme Haumesser half nach. Hurtig wurden hinderliche Äste fortgeschlagen, zähe Wurzeln gekappt, wieder tönte heiseres Zischen. Dann kam der gespaltene Stock abermals in Tätigkeit. Ein längliches, ziemlich dickes Reptil schlängelte sich schwach in der Hand des Mannes: eine Kobra. Wieder hob sich der Deckel, die zweite Schlange fiel in den Korb.

Nach einer Weile kam die Sonne hoch, allerlei Vögel kreischten, Finken flatterten, Atzelstare; die Hügel flammten in blutiger Röte, die Strahlen der Sonne begannen zu wärmen. Jetzt hatte die Jagd auf halbstarre Schlangen ein Ende.

Die Gesellschaft versammelte sich wieder; ein kleines Frühstück wurde eingenommen, und der zweite Teil der Jagd begann: Sir Charles hatte befohlen, einen »Swamp«, einen Sumpf, auf große Schlangen abzutreiben. Die Europäer verteilten sich längs des Hügellandes, die Eingeborenen spannten niedrige Netze in bestimmter bauchiger Anordnung am Boden aus und befestigten sie mit kleinen Pflöcken, die sie mit ihren Haumessern abhieben. Dann verschwanden die Leute im Grase des Sumpfes. Nach einer Weile machte sich brenzliger Geruch bemerkbar. Langsam, vom schwachen Wind angeweht, quoll Rauch durch die Landschaft. Vögel kreischten. Dschungelhühner flatterten, ein paar Affen ließen ein ärgerliches Schnattern hören, kleine Nagetiere liefen in die Netze, pfiffen ängstlich, kehrten um, kamen von neuem und verwickelten sich in den Maschen. Immer näher knisterten, prasselten, zischten die Flammen. Die Stimmen der Eingeborenen waren schon in der Nähe zu hören. Da raschelte etwas im Grase – ein gelblicher glänzender Körper erschien vor dem Oberst. Das Netz wackelte, zuckte. Eine mächtige Königskobra hatte sich verstrickt. Jetzt waren die Eingeborenen wieder da. Schnell packte einer der Leute die Schlange mit der Gabel, drückte sie in den Boden, warf sie in einen leeren Korb. Und wieder wackelte das Netz, ein kleines fuchsartiges Tier übersprang es, hinterher schlängelte sich eine große, dickleibige, braungetüpfelte Masse, vier, sechs Hände griffen zu, ein großer Käscher erschien – der mächtige Schlangenleib wandt sich im Sack. Hurtig bastelten geschickte Hände die oberen Maschen zu, der Sack war geschlossen, die riesige Pythonschlange gefangen, ein giftloses, aber sehr starkes Tier, das wütend die Maschen zu zerreißen suchte. Noch zwei Brillenschlangen gingen in das Netz, kamen in die Körbe, eine kleine Viper wollte die Maschen durchkriechen, wurde aber mit der Gabel gepackt: die Jagd war zu Ende.

Schnelle Schläge mit Laubbüscheln löschten das Feuer, das sehr schwach am Boden des Hügels flackerte. Doch drüben am Fluß knatterte die Lohe im Bambus. Vogelgekreisch tönte, ein Schweinshirsch raste über das ausgebrannte Grasland und fiel vom geschickten Schuß des Oberst getroffen zu Boden.

» Allright,« sagte Sir Charles, als einer der Eingeborenen die Zahl der gefangenen Schlangen meldete, »sie kommen alle in die Transportkästen, dann nach dem Strom und auf den Dampfer. Ein guter Sport, nicht wahr?«

Gegen Abend erst kamen die Jäger wieder am Fuße der Hügelketten an. Dort bestiegen sie ihre Reitelefanten und ritten durch das Dschungel des Flachlandes nach dem Flusse, wo ihre Boote warteten. Voran ging Kara-Nagh, und die anderen Elefanten folgten in gleichmäßigen Abständen.

Herrliche Lotosblumen blühten auf dem Wasser des Flusses, sie begannen ihre Kelche zu öffnen; denn die Nacht fiel über das Dschungel. Vorsichtig ruderten die Inder an den schönen Blumen vorüber, damit die Kähne sie nicht streiften; denn heilig ist die Lotosblume.


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