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Am 26. Juni abends kehrten MacGary mit Bonsall, Hickey und Riley zurück. Sie waren körperlich wohlauf, nur hatte der Schnee ihre Augen stark angegriffen. MacGary war völlig blind. Ihre Aufgabe hatten sie ausgezeichnet gelöst. Sie brachten eine lückenlose Kette von Beobachtungen mit, die vollkommen mit den von mir und Sonntag früher gemachten übereinstimmen. Die Aufnahme der grönländischen Küste im Ganzen konnte nun als genügend erscheinen und auf der gewonnenen Grundlage die geringeren Einzelheiten nachgetragen werden.
Die Reisenden hatten den Humboldtgletscher am 15. Juni erreicht, also nur zwölf Tage gebraucht. Bei Überschreitung der Gletscherbucht hatten sie viel Umsicht bewiesen; und obwohl der Schnee sie überall hemmte, würden sie doch weit länger haben ausbleiben können, hätten nicht die Bären die Lebensmitteldepots zerstört gehabt. Den Gletscher konnten sie, was ich von vornherein vermutete, nicht besteigen; trotz Eissporen, Alpenstöcken und anderem Kletterapparat. Nach ihren Schilderungen wäre jeder Versuch, diese fürchterliche Eismasse zu bewältigen, Wahnsinn gewesen. Deshalb waren sie klug genug, davon abzustehen, ehe ein Unglück geschah.
Der tiefe Schnee war, wie gesagt, ihr größtes Hindernis. Er hatte sich hauptsächlich zwischen den Landspitzen der Bucht angesammelt; und da ihn die warme Sonne bereits angegriffen, so war bei der Ueberschreitung große Vorsicht geboten. Sie trafen auf Triften, die völlig unpassierbar waren und auf weiten Umwegen umgangen werden mußten, wobei man sich von den Spitzen der Eisberge aus orientierte.
Jedenfalls war dies die Zeit, wo die Bären am meisten auf den Beinen sind. Ihre Spuren zeigten sich an der Küste und auf dem Eise überall und in Unzahl. Einer von ihnen hatte sogar die Frechheit, der Expedition, während sie auf dem Eise rastete, einen Besuch abzustatten. Es war etwa halb ein Uhr nach Mitternacht, und alle schliefen nach einem anstrengenden Tagemarsch – als MacGary hörte oder fühlte, wie dicht neben seinem Kopfe etwas im Schnee kratzte. Er wurde wach und sah ein großes Tier, das sich eifrig damit beschäftigte, das Zelt ringsum zu untersuchen. Sein Aufschrei weckte die Anderen, ohne daß der unwillkommene Besucher sich stören ließ. Leider waren alle Gewehre draußen beim Schlitten geblieben; nicht ein Gehstock befand sich im Zelte. Natürlich herrschte jetzt in dem kleinen Kriegsrat einige Verwirrung. Der erste Gedanke, einen Ausfall nach den Gewehren zu machen, versprach überhaupt nicht viel und erwies sich bald als unausführbar. Denn da der Bär mit seiner äußeren Besichtigung fertig war, erschien er jetzt im Zelteingang. Verschiedene Salven von Zündhölzchen und einigen aus Zeitungspapier schnell improvisierten Fackeln wurden gegen ihn geschleudert, ohne ihn irgendwie zu stören. Nach einer Weile pflanzte er sich am Eingang hin und begann eine Robbe zu verspeisen, die tags zuvor geschossen war. Tom Hickey war der erste, der an einen Ausfall von der Rückseite her dachte. Dem Eingang gegenüber schnitt er ein Loch in das Zelt und kroch hinaus. Dann machte er einen Bootshaken los, der mit zur Stütze der Zeltdachstange diente, und benutzte ihn zum Werkzeug eines tapferen Angriffs. Ein wohlgezielter Schlag auf die Nase des Bären veranlaßt diesen, sich für den Moment ein paar Schritte hinter den Schlitten zurückzuziehen. Tom maß seine Distanz famos ab, sprang zum Schlitten, packte ein Gewehr und zog sich zu seinen Kameraden zurück. Ein paar Sekunden später hatte Bonsall dem Feinde eine Kugel durch und durch gejagt. Er lief noch hundert Schritte und brach dann tot zusammen. Seit diesem Zwischenfall wurde es strenge Regel, stets eine Wache und ein Gewehr im Zelt zu haben.
Das nördlichste unserer im vorigen Sommer angelegten Proviantdepots, auf das ich so stark gerechnet hatte, erwies sich als von den Bären völlig zerstört. Es war ungemein sorgfältig aus Felsstücken gebaut worden, die man mit größter Anstrengung herbeigeschafft hatte. Der ganze Bau war nach unserer Meinung so gut und widerstandsfähig als nur möglich. Aber diese Tiger des Eises scheinen daran kaum ein Hindernis gefunden zu haben. Nicht ein Bissen Pemmikan war geblieben; außer in den zylinderförmigen eisernen Fässern mit konischen Enden, die ihren Klauen und Zähnen doch widerstanden hatten. Dafür hatten sie sie wenigstens in allen Richtungen umhergerollt und wie Federbälle herumgeworfen, obwohl jedes über 80 Pfund wog. Ein stark mit Eisen gebundenes Spiritusfaß war in kleine Splitter zerschlagen und eine zinnerne Spirituskanne fast zu einer Kugel gedreht und gekaut.
Salzfleisch hatten sie verschmäht, dagegen für gemahlenen Kaffee eine offenbare Vorliebe gezeigt und an Segeltuch aus irgendeinem Grunde besonderes Gefallen gefunden. Selbst die amerikanische Flagge, das Zeichen unserer Besitznahme, war bis auf den Stock abgenagt. Die Bären mußten sich ein wahres Fest gemacht haben. Die Brotfässer hatten sie über den Eisgürtel ins gebrochene Eis hinabgekollert und die Gummiröcke, die ihnen wahrscheinlich zu zäh waren, zu unsäglich harten Knoten zusammengewürgt. Der ganze Platz war ringsum von ihren Fußspuren bedeckt und ein benachbarter eisüberzogener Felsabhang mit 45° Neigung so betreten und mit Bärenhaar übersät, daß man nicht anders denken konnte, als hätten sie hier zu ihrem Vergnügen eine Rutschpartie abgehalten.
Mir begann jetzt angst zu werden um Morton und Hans, die noch immer nicht zurück waren. Dabei begann das Eis für Schlittenreisen schon ungangbar zu werden; denn die Eisfelder bedeckten sich mit Wassertümpeln, die bei dem schnellen Auftauen sich rasch vermehrten und ineinanderflossen. Unser Schiff war in seinem Eisbett schon so losgetaut, daß es gefährlich wurde, ohne Laufplanke hinabzusteigen; und unsere Jagdpartien kamen stets bis auf die Haut durchnäßt zurück.
Große Freude empfand ich daher, als ich abends am 10. Juli bei einem Spaziergange fernes Hundegebell hörte. Diese treuen Gehilfen künden sich in der Regel schon aus weiter Ferne an, kommen aber so wild angesaust, daß ihr Gruß und ihre Ankunft kurz aufeinanderfolgen. Diesmal war es anders: Hans und Morton wankten neben den lahmen Hunden her, deren einer als Passagier auf dem Schlitten saß.
Am 15. Juni hatte Morton mit den übrigen den Gletscher erreicht, und am andern Tage war Hans mit den Hunden nachgekommen. Man gab den Tieren einen Ruhetag, und am 18. gegen Mittag brachen die beiden für ihre weitere Expedition auf. Sie gingen in paralleler Richtung mit dem Gletscher und in 5 – 7 englischen Meilen Entfernung von ihm über das Eis nordwärts. Wenn es hier auch keine Hummocks gab, so mußten sie doch knietief im Schnee vorwärtswaten. Bei ihrer ersten Rast konnten sie an einer Spalte die Eisdecke messen; sie betrug sieben Fuß, fünf Zoll. Das Thermometer zeigte um 6 Uhr abends + 23° F. in der Luft und + 29,2° im Wasser. Später wurde der Schnee allmählich fester und konnte den Schlitten tragen, den die Reisenden bisher selbst geschleppt. Jetzt ging es schneller vorwärts, bis sie die Mitte der Peabodybai erreichten und sich nun zwischen denselben Eisbergen befanden, die schon den früheren Expeditionen das Weiterkommen verwehrt hatten.
Die Reisenden konnten meist nicht mehr als eine Schiffslänge weit vor sich sehen, so ungewöhnlich dicht standen die Eisberge beieinander. Alte Eisberge haben unter Wasser Vorsprünge und Zungen, die einen engen Zusammenschluß verhindern; an diesen aber sah man, daß sie erst vor kurzem in See gegangen waren, denn sie traten einander so nahe, daß die Reisenden sich oft durch Oeffnungen von vier Fuß Breite quetschen mußten, wo die Hunde den Schlitten nur eben noch durchbrachten. Unter solchen Umständen zogen sie den Schlitten entweder über die niedrigen Zungen des Berges, oder sie kehrten um und suchten auf dem Treibeis einen anderen praktischen Weg.
Morgens am 19. Juni hielten sie Rast. Morton erklomm einen Eisberg, um nach dem besten Wege auszuschauen. Zwischen einigen Bergen hindurch gewahrte er stückweise eine große weiße Ebene: es war der Gletscher, den man hier weit ins Innere verfolgen konnte. Von einem näheren und höheren Eisberge aus sah er auch dessen Absturz nach der Bucht zu. Das nördliche Ende des Gletschers war hier nahe. Er war voller Steine und Erde, und große Felsbrocken ragten hier und da aus ihm hervor.
Die beiden rasteten bis [1/2]11 Uhr. Sie waren bisher zu Fuß gegangen, um die Hunde zu schonen. Nun brachen sie auf und legten weitere 10 Meilen zurück, wurden jetzt jedoch durch weite Eisspalten, Berge und vieles Brucheis am weiteren Vordringen verhindert. Sie kehrten um und erreichten um Mitternacht ihren ersten Lagerplatz wieder. Von hier wandten sie sich westwärts und fanden nach verschiedenen Versuchen einen Weg. Die Hunde liefen gut.
Nachdem sie die Region der Eisberge hinter sich hatten, sahen sie die nördliche, d. h. die jenseitige Küste des Kanals, das Westland, gebirgig und von Kuppen gekrönt, aber noch 50 bis 60 englische Meilen entfernt. Sie trieben gerade nördlich über so gutes Eis, wie sie noch nicht angetroffen. Nachdem sie etwa 12 Meilen längs des Gletschers zurückgelegt und gegen 30 Meilen jenseitige Küste gesehen hatten, hielten sie nach 7 Uhr morgens eine neue Rast. Nun waren sie dem Nordende des großen Gletschers fast gegenüber.
Um [1/2]12 Uhr setzten sie ihre nördliche Fahrt fort und hielten auf ein Vorgebirge zu, wie Morton meinte; denn es zeigte sich eine Lücke zwischen diesem und dem Westlande. Am 22. Juni morgens erreichten sie die Lücke westlich von dem Kap. Es war eine Durchfahrt. Denn als der Nebel sich plötzlich teilte, sahen sie sowohl das Kap als die Westküste.
Mittlerweile waren sie bei ihrem Vordringen auf schwaches, mürbes Eis geraten, ohne es zu bemerken, und die Hunde begannen zu zittern. Ihr Weg ging fast in der Mitte des gefundenen Kanals entlang. So schnell als möglich wandten sie sich nun nach rechts und erreichten auf einem Umwege die Küste. Die Hunde legten sich ihrer Gewohnheit nach anfangs nieder, zitterten stark und wollten nicht weiter. Das einzige Mittel, die erschrockenen und störrischen Tiere vorwärts zu bringen, bestand darin, daß Hans nach einer weißeren Stelle ging, wo das Eis dichter war (denn das mürbe sieht dunkel aus) und nun jeden Hund schmeichelnd und lockend beim Namen rief, worauf dann die Tiere auf dem Bauch nachgekrochen kamen. So flüchteten die Reisenden Stück für Stück, bis sie endlich wieder auf das feste Eis zurückkamen.
Inmitten dieser Gefahren hatten sie oft – wenn der Nebel riß – offenes Wasser erblickt und sahen es nun deutlich vor sich. Es lag zwei englische Meilen vorwärts von ihrem Standpunkt – ein völlig offener Wasserspiegel, von keinem Windhauch bewegt. Hans konnte kaum seinen Augen trauen. Und ohne die Vögel, die sich scharenweise zeigten, hätte selbst Morton, wie er sagte, die Wirklichkeit bezweifelt. Die Eisdecke des Kanals schnitt gegen das Wasser hin hufeisenförmig ab. Sie erklommen nun das Land und gingen unter Zurücklassung der Hunde ein Stück nach dem Kap zu. Sie fanden einen guten, breiten Eisgürtel, der sich bis zum Kap hinstreckte, sahen auch eine große Anzahl Eidergänse und andere Vögel auf dem Wasser, und die Felsen an der Küste wimmelten von Seeschwalben. Das Eis hatte ganz aufgehört. Der Nebel fiel wieder ein, und sie kehrten zu ihren Hunden zurück. Es galt, nun auch diese und den Schlitten von dem Scholleneis auf den 8 bis 9 Fuß hohen Eisrand hinaufzubringen. Deshalb luden sie den Schlitten ab und warfen die Lebensmittelpakete einzeln hinauf. Dann machte Morton den Schlitten zur Leiter, stieg nach oben und zog die Hunde an Stricken in die Höhe, während Hans von unten nachhalf. Zuletzt hißten sie den Schlitten nach ... –
Nun wurden die Hunde wieder eingespannt, und weiter ging es auf der schlechtesten Sorte lockeren Eises etwa 3/4 Meile. Nachdem sie das Kap verlassen hatten, sahen sie vor sich nichts als offenes Wasser. Das Land im Westen schien gegen das, auf dem sie standen, eine bedeutende Strecke vorzuspringen; der ganze Raum dazwischen war offenes Wasser. Hinter dem Kap fanden sie wieder einen guten, glatten Eisgürtel an der in eine Bucht (Rob. Morris) einlaufenden Küste. Auf dieser glatten Bahn liefen die Hunde wenigstens sechs englische Meilen in der Stunde; dies war die beste Tagereise, die sie je gemacht hatten. Nachdem sie vier steile Felspartien längs des Buchtrandes passiert hatten, wurde das Land niedriger, und bald zeigte sich zwischen hohen Vorgebirgen eine weite, mit runden Hügeln besetzte Ebene. Eine Herde von Rotgänsen zog über ihnen hin, und Scharen von Enten sahen sie auf dem Wasser. Ebenso fanden sich Eidergänse und verschiedene Mövenarten, und Meerschwalben bildeten dichte Schwärme und waren so zahm, daß sie den Reisenden auf wenige Schritte nahe kamen. Niemals hatten sie soviele Vögel beisammen gesehen, und so weit sie noch kamen, sahen sie jederzeit Vögel in der Luft, auf dem Wasser oder den Felsen.
Weiter hinauf trafen sie, gegen einen Landvorsprung gelagert, noch etwas Eis und auf ihm zahlreiche sich sonnende Seehunde. Der ganze große Kanal (Kennedy-Kanal) blieb andauernd offen; nur einzelne Bruchstücke von Eis schwammen in weiten Abständen darauf herum. Ein Schiff hätte überall bequeme Durchfahrt gehabt ...
Am 22. Juni schlugen die Reisenden um 1/2-9 Uhr morgens auf einem niedrigen Felsrande ihr Lager auf, nachdem sie 48 englische Meilen in gerader Richtung zurückgelegt. Nach Mortons Ansicht waren sie jetzt mindestens 40 englische Meilen im Kanal vorgedrungen ... Es war zu neblig, um Beobachtungen anzustellen, doch gelang dies mehrfach weiter nördlich. Die Eidergänse waren hier so zahlreich, daß Hans mit einem Schuß zwei Stück erlegte.
Am 23. Juni konnten die Reisenden des Sturmes wegen erst eine halbe Stunde nach Mitternacht aufbrechen. Sie machten etwa 8 Meilen und wurden dann durch zerbrochenes Küsteneis aufgehalten. Selbst mit der größten Anstrengung war es nicht möglich, den Schlitten weiter zu bringen; sie banden daher die Hunde an ihm fest und gingen zu Fuß weiter. Das Landeis wurde weiterhin schlechter und schlechter, bis es endlich vollkommen aufhörte und die Wogen sich unmittelbar an den steilen Felsen brachen. Die Reisenden setzten ihren Weg über das Land fort, bis sie an die Mündung einer Bucht kamen, von wo aus sie nördlich ein jenseitiges Kap und eine Insel gewahrten. Darauf kehrten sie um, sahen wieder Scharen von Vögeln und machten sich fertig, unter Zurücklassung der Hunde weiter vorzudringen ...
Nachmittags wurde von neuem aufgebrochen. Die Reisenden nahmen 8 Pfund Pemmikan und zwei Brote mit, außerdem den künstlichen Horizont, den Sextanten, den Kompaß, ein Gewehr und den Bootshaken. Nach zweistündigem Wandern kam besserer Weg, und als sie in einer Entfernung von etwa neun englischen Meilen von der Stelle, wo sie den Schlitten gelassen hatten, sich einer Ebene näherten, stießen sie auf eine Bärin mit ihrem Jungen.
Sie glaubten, die Hunde recht fest angebunden zu haben; aber Tudla und vier andere hatten sich trotzdem losgerissen und waren schon nach einer Stunde ihren Herren nachgekommen. So war man glücklicherweise imstande, der Bärin zu Leibe zu gehen. Anfangs flüchtete sie; doch da das Junge nicht so schnell zu folgen vermochte, so wandte sie sich um, schob den Kopf unter seinen Leib und schleuderte es ein Stück vorwärts. Dann wandte sie sich gegen die Hunde, um dem Jungen Zeit zum Fliehen zu lassen; dies aber blieb jedesmal da stehen, wo es auf die Füße kam, bis die Alte herzukam und es wieder weiter warf. Es wollte nicht ohne die Mutter fortlaufen. Zuweilen rannte diese ein Stück voraus, als wolle sie das Junge nach sich locken, und wenn die Hunde nahe kamen, wandte sie sich wieder gegen diese, um sie zurückzutreiben. Sobald diese ihren Schlägen ausgewichen waren, kam sie wieder zu ihrem Jungen und trieb es fort, indem sie es bald mit dem Kopf schob, bald mit den Zähnen im Genick faßte. Eine Zeitlang vollzog sich dieser Rückzug mit solcher Schnelligkeit, daß die beiden Männer weit zurückblieben. Die Hunde hatten die Bärin auf dem Landeis angefallen, doch sie führte sie an der Küste in ein enges steiniges Tal, das ins Innere verlief. Nachdem sie jedoch 1-1/2 Meilen gelaufen war, ging sie langsamer und machte wegen der Müdigkeit des Jungen endlich halt. Die beiden Männer kamen nun schleunigst nach der Stelle gelaufen, wo die Hunde das Tier in Schach hielten. Nun entspann sich ein verzweifelter Kampf. Die Mutter ging immer nur zwei Schritte voraus und behielt ihr Junges ständig im Auge. Kamen die Hunde zu nahe, so setzte sie sich aufrecht, nahm das Kleine zwischen die Hinterbeine, schlug mit den Vordertatzen um sich und brüllte, daß man es eine Meile weit hätte hören können. Morton erklärt, er habe niemals ein Tier in solcher Angst und Sorge gesehen. Die Bärin schnellte den Kopf vor, schnappte mit ihren blendend weißen Zähnen nach dem nächsten Hunde und wirbelte die Tatzen herum wie die Flügel einer Windmühle. Schlug sie fehl, so stieß sie ein Gebrüll wütender Enttäuschung aus, denn sie durfte es nicht wagen, einen der Hunde zu verfolgen, da sie sonst ihr Kleines den übrigen Hunden preisgegeben hätte. So zog sie fechtend, schnappend, grinsend und mit aufgerissenem Rachen weiter. Als die beiden Männer herankamen, hatte das Junge sich wahrscheinlich etwas erholt; denn es konnte sich jetzt selbst beim schnellsten Lauf immer neben der Alten halten. Die fünf Hunde umschwärmten die Bärin beständig und quälten sie wie ebenso viele Bremsen; daher war es schwierig, zu Schuß zu kommen, ohne einen von ihnen zu verletzen. Doch Hans stützte sich auf den Ellenbogen, zielte ruhig und schoß die Bärin durch den Kopf. Sie brach tot zusammen, ohne noch ein Glied zu rühren. Sofort stürzten die Hunde auf sie los, aber der junge Bär sprang auf den Körper seiner Mutter hinauf und stieß, jetzt zum ersten Male, ein heiseres Gebrüll aus. Ueber die kleine Kreatur, die so tapfer kämpfte und soviel Lärm machte, schienen die Hunde ganz erschrocken; sie rissen Schnauzen voll Haar aus dem Pelz der Alten, flüchteten aber sofort, wenn der junge Bär sich gegen sie wandte. Zwar trieben die Jäger für den Moment die Hunde fort, mußten aber endlich den jungen Bären abschießen, da er die Leiche der Mutter nicht verlassen wollte. Hans schoß ihn in den Kopf, verfehlte aber das Gehirn; er fiel herunter, kletterte aber sofort wieder auf die Alte und versuchte sie noch immer zu verteidigen. Das Blut lief ihm stromweise über die Schnauze. Man mußte ihn mit Steinen töten. Die alte Bärin wurde abgehäutet und zerlegt, dann erhielten die Hunde das Fleisch, über das sie wie gierige Raben herfielen. Den jungen Bären legte man in ein Versteck, um für die Rückreise etwas zu haben.
Nun marschierten sie weiter und überschritten eine schmale Bucht, die immer noch etwas gebrochenes Eis trug. Hans war müde und wurde an das Land geschickt, um die Bucht innen zu umgehen, wo besseres Fortkommen war. Das Eis, über das Morton ging, war mit Hummocks bedeckt, von Spalten zerrissen und bildete eine schlechte Passage. Von hier aus sah Morton, daß die beiden Inseln, die später Franklins und Croziers Namen erhielten, etwa acht englische Meilen weit auseinander lagen. Er hatte sie schon einmal vom Eingang der größeren Bucht – der Lafayettebucht – aus gesehen, aber für eine einzelne Insel gehalten, da die Durchfahrt zwischen beiden nicht zu sehen gewesen war. Ihnen gegenüber lag die Landspitze, auf die er seine Richtung nahm und die der Endpunkt seiner Expedition werden sollte. Sie heißt jetzt Kap Constitution.
Die Küstenwand war sehr hoch und erhob sich auf einer Strecke anscheinend bis 2000 Fuß, aber die Felsen traten so stark über, daß Morton, als er näher kam, ihre Kämme nicht mehr sehen konnte. Die Echos waren verwirrend, und das Geschrei der aufgescheuchten Möven vervielfältigte sie hundertfach.
Morton suchte um das Felskap herumzukommen. Es war vergebens – weder ein Eis- noch ein Felspfad fand sich, um ihn weiter nach Norden zu führen. Nur mit größter Mühe gelang es, wenigstens ein paar hundert Fuß aufwärts zu klimmen. Hier befestigte er an seinem Gehstock die Grinnellflagge der »Antarktik«, eine wertgehaltene, kleine Relique, die nun schon meine zweite Polarreise mitgemacht. Diese Flagge war von dem Wrack der amerikanischen Kriegsschaluppe »Peacock« geborgen worden, als sie am Kolumbiaflusse strandete. Sie hatte den Kommodore Wilkes auf seiner Forschungsexpedition nach dem Südpolarkontinente begleitet und erhielt nun seltsamerweise die Bestimmung, über dem nördlichsten Lande nicht nur Amerikas, sondern des ganzen Erdballs zu wehen. Er ließ sie etwa 1-½ Stunden lang von der schwarzen Klippe über die dunklen, felsbeschatteten Wogen flattern, die tief unter ihm sich in schaumgekrönter Brandung brachen.
Es tat unserm Morton bitter leid, daß er nicht das Kap umgehen und feststellen konnte, ob jenseits noch Land sei, aber es war nun einmal nicht möglich. Nachdem er sich mit Hans wieder vereinigt, stärkten sie sich durch Brot und Pemmikan und einen langen Schlaf und traten am 25. nachmittags den Rückmarsch an ... –
Nach Mortons Meinung müßte sich die unbekannte Küste jenseits Kap Constitution östlich wenden, da er von keinem Punkte aus eine Spur von Land hatte bemerken können. Die jenseitige Küste des Kanals aber lief noch weit gegen Norden fort. Er konnte sie bis auf etwa 50 englische Meilen verfolgen, und die Bergreihen, womit sie gekrönt ist, sah er, da der Tag sehr hell war, in noch viel weiterer Ferne. Die Berge waren sehr hoch und oben abgerundet; nicht spitz wie die gerade gegenüberliegenden. Doch konnte diese scheinbare Aenderung des Charakters, wie Morton meint, auch nur eine Folge des weiteren Abstandes sein; denn die Bergmassen verloren sich endlich wie ein spitzer Keil im nördlichen Horizont.
Der höchste Aussichtspunkt, der zugleich Umkehrpunkt wurde, erhob sich, wie gesagt, ungefähr 500 Fuß über See. Von hier aus erkannte Morton etwa 6° westlich von der Nordlinie einen oben abgestutzten Spitzberg mit kahlem Scheitel und senkrechten Rillen gestreift. Er mochte 2500 bis 3000 Fuß hoch sein. Dieser nördlichste bekannte Punkt der Erde erhielt den Namen des großen Pioniers der Polarexpeditionen, Sir Edvard Parry. Die Bergreihe, mit der er zusammenhing, war nach Mortons Ansicht viel höher als irgendeine Bergpartie auf der grönländischen Seite des Kanals. Die Gipfel waren meist abgerundet und glichen einer Reihe von Zuckerhüten oder aus Kanonenkugeln aufgeschichteten Pyramiden. Dies Gebirge habe ich zu Ehren der Königin, unter deren Befehlen Franklin segelte, und ihres Gemahls, das Viktoria- und Albertgebirge genannt. Die Gebirge glichen in ihren Umrissen denen von Spitzbergen, die gleichfalls 2500 Fuß Höhe haben.
Diese Entdeckungsexpedition brachte also ein merkwürdiges, unerwartetes Ergebnis:
Ueber eine feste Decke von Eisfeldern und Eisbergen dringen die Reisenden weiter nördlich vor. Da wird allmählich das Eis schwächer, mürbe und unsicher, der Schnee naß und schlammig. Ein schwarzer Streifen erscheint im Norden und erweist sich als offenes Wasser. Den ganzen Kanal hinauf findet sich so wenig Eis, daß eine ganze Flotte bequem hätte durchkommen können. Und schließlich erweitert sich der Kanal zu einer großen, völlig eisfreien Wasserebene, von der sich mehr als 4000 englische Quadratmeilen auf einmal übersehen lassen.
Das tierische Leben – in unserem südlichen Winterhafen so spärlich, daß wir kaum etwas zu schießen bekommen – entfaltet sich dort oben in reicher Fülle. Es wimmelt von Rotgänsen, Eidergänsen, Königsenten, deren erstere ein sicheres Anzeichen offenen Wassers sind; denn sie nähren sich von Seepflanzen und den anhängenden Weichtieren. Die Felsen sind mit Seeschwalben bedeckt, die gleichfalls offenes Wasser brauchen. Weiter oben im Kanal treten Seevögel auf, darunter nicht weniger als vier Arten Möven. Der nordische Sturmvogel, dem wir seit dem sogenannten Nordwasser nicht mehr begegnet, findet sich mehr als 200 Meilen nördlicher scharenweise wieder.
Welche Bewandtnis es mit diesen verblüffenden Erscheinungen, mit diesem rätselhaften Auftreten von freiem Wasser im höchsten Norden haben mag, überlasse ich den Gelehrten zu beurteilen. Ich berichte nur, was wir gefunden haben. Als ein geheimnisvolles Fluidum inmitten ungeheuer eisbedeckter Breiten war es jedenfalls geeignet, die Seele mächtig zu bewegen. Und schwerlich befand sich einer unter uns, der sich nicht nach einer Möglichkeit gesehnt hätte, sich auf diesen glitzernden einsamen Gewässern einzuschiffen. Doch die eiserne Notwendigkeit vereitelte alle diese Wünsche.
Die Rückreise von Hans und Morton verlief ohne bemerkenswerte Ereignisse.