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XIX.

Coy hatte nur Augen für die Rumflasche – nur. Und ich hatte Erbarmen mit ihm.

Chico litt auch an Spulwürmern. Der stille Chubur offensichtlich ebenfalls. Meinen Tee mieden sie, und es mußte eine zweite Flasche entkorkt werden.

Es war Nacht, und von Osten nahte drohendes Gewölk. Coy holte aus dem wieder heilen Nachen das Zelt aus Robbenfellen, dessen Stangen die Riemen des Nachens bildeten. Kaum fertig, goß es auch schon in Strömen. Wir hockten nun zu fünfen im stinkenden Zelt um das qualmende Feuer, und Coy und Genossen halfen stinken, denn ihre Fellbekleidung war mit Tran reichlich imprägniert.

Joachim Näsler begann Coy auszufragen.

Ob er Santa Ines genau kenne?

»Ja, ganz genau, Mistre ... Viel Robben dort an Westküste ...«

Und Chico bestätigte:

»Sehr gute Weiden dort im Innern, Mister ... Sehr viel Berge ... Schnee oben ... Eis ...«

»Das habe ich gesehen«, nickte Näsler. »Ist Santa Ines bewohnt?«

Coy zuckte die Achseln.

»War, Mistre ... Chilenische Sennor dort hatte drei Schaffarmen bis letzten Winter. Da kam Krankheit. Alle Tiere weg, alle ... Keiner Krankheit kannte. Kam Arzt aus Calbico. Wußte nichts. Schafe starben. Mistre nur fragen Chubur. Der damals war Hirt bei Sennor.«

Der braune Melancholiker sagte maulfaul:

»Doktor aus Calbico dumm sein ... Ich wissen – Gift!«

»Wie?? Gift??«

Chubur tauchte seinen Zeigefinger in den Rumbecher und holte eine Spinne heraus.

»Gift, Mister. Bestimmt Gift. Ich nicht darüber reden. Wozu?? Schafe tot ...«

»Bist ein Gemütsmensch ...! – Also ist Santa Ines jetzt unbewohnt?«

Coy fuhr auf.

»Unsinn, nicht bewohnt!! Woher du anders sagen, he??«

»Weil wissen ...«

Näsler warf mir einen Blick zu.

Auch ich merkte: hier stimmte etwas nicht!

»Was du schon weißt!« höhnte Coy geringschätzig. »Dreckige Feuerländer dort Zelte haben, wenn Robben sich paaren ... Feuerländer nachher wieder weg ...«

»Weiße«, brummte Chubur und warf die Spinne ins Feuer.

»Also Europäer hausen dort irgendwo?« forschte Näsler weiter.

»Ja, Mister ... In Westbucht. Haben Jacht, haben Haus, haben Pferde ...«

Näsler zog die Augenbrauen gespannt hoch.

Coy lachte ...

»Lügner, Chubur ...! Du dich schämen ...!«

»Ich kein Schwätzer ... Mich keiner fragen bis jetzt. Europäer vergiften Schafe ... Streuten nachts über Gräser weißes Pulver ...«

Wieder schaute Näsler mich an. Ich nickte ihm zu. Wir verstanden uns. Es konnten die Turidos sein. Die Jacht gab den Ausschlag.

»Beschreibe mir die Jacht, Chubur«, verlangte Näsler kurz.

»Kleine Jacht, ganz grau gestrichen, zwei Masten, dicken Schornstein ... – Ich zufällig mal an Bucht kommen, als Schafe tot. Ich suchten Reiter, die weißes Pulver streuten. Da sahen ich Jacht und Haus ... Bald dann ich kehrten heim. Mehr nicht wissen.«

»Gemütsathlet!« murmelte Näsler. Und laut: »Würdest du die Bucht finden, Chubur?«

»Vielleicht, Mister ... Küste dort Bucht an Bucht. Alle gleich ... alle ... Schwer finden. War Nacht damals, Mister ...«

»Hm – waren die Reiter denn nur Männer?«

»Zwei und eine Sennorita ... Gute Pferde, Mister ... Gute Büchsen ...«

Näsler lächelte hoffnungsfroh.

Aber Coy Cala höhnte wieder:

»Er ja lügen, Mistre ... Bestimmt lügen ... Chubur immer still. Wenn reden – Unsinn ...«

Chubur zog langsam sein langes Messer aus dem mit Muscheln besetzten Ledergürtel und hielt sich die Spitze an die Kehle ...

Feierlich erklärte er:

»Chubur nie lügen ... Coy größte Schwindler ... Ich finden Bucht ... Amen!«

Und dieses Amen war auch Coys größter Schwur.

Coy meinte ernst:

»Gut, er reden Wahrheit ... – Weshalb Mistre Näsler fragen nach Europäer?«

»Weil ... weil ...«

Er verstummte.

Chubur hatte sein Messer blitzschnell und haarscharf an Näslers Kopf vorüber auf das im Winde leicht flatternde Fell geschleudert, das den niederen Zelteingang bildete ...

Ein gellender Aufschrei draußen ...

Dann fiel das Zelt plötzlich in sich zusammen. Wir lagen unter den Rudern, den zusammengenähten Häuten. Das Feuer qualmte stärker, und hustend und mit tränenden Augen arbeiteten wir uns schließlich ins Freie – hinein in den rauschenden Regen und die Finsternis ...

Coy war verschwunden.

Und erst als wir das von fremder Hand umgestürzte Zelt wieder aufgerichtet hatten und Chubur uns längst erzählt hatte, daß er draußen vor dem Eingang ein menschliches Auge habe blinken sehen, tauchte mein Freund Coy wieder auf.

»Nachen und Boot weg«, keuchte er ... »Alles weg ... alles ... Rum- und Kognakkiste, Proviant ... Alles ...«

Wir fachten das Feuer von neuem an.

»Nette Bescherung!« meint Joachim Näsler zu mir. »Natürlich die Turidos! Sie müssen mir gefolgt sein. Na – wenn der Bengel Leon nicht Chuburs Messer ins Auge gekriegt hat, will ich nie mehr Maitrank saufen! Die Stimme Leons kenne ich! Er war's!«

Er hatte deutsch gesprochen.

Und ich erwiderte ebenfalls deutsch, was die Araukaner nicht verstanden:

»Dann sind es Verbrecher schlimmster Sorte, Herr Näsler!«

»Und ob!«

Aber meine Person galt ihm jetzt wenig. Er wandte sich an Coy.

»Falls wir uns hier auf einer Insel befinden, – wie kommen wir weiter, Coy?«

Freund Coy Cala grinste erhaben ...

»Boot bauen, Mistre, sehr einfach ... Draußen kleine Bäume ... Machen Gestell, darüber Zelthaut – fertig!«

So war Coy: Fertig!!

Und wenn er's sagte, klappte es auch. Er war ein Schwätzer, aber kein Prahlhans.

»Dann bin ich beruhigt ...«

Und Joachim Näsler überlegte.

»Coy, ihr werdet das Boot sofort bauen. Wie lange dauert das?«

»Paar Stunden, Mistre ... Mit Rum noch kürzer ...«

»Gut, dann fangt an. Abelsen und ich werden Vorrat schlafen. Hier habt ihr eine noch volle Flasche ...«

Coy strahlte.

»Kommt«, forderte er seine Stammesgenossen auf.

Und mit der Rumbuttel traten sie in Regen und Finsternis hinaus, Naturmenschen, deren Augen wie die von Katzen waren.

Und Näsler und ich waren allein. Redeten ein langes und breites über die mysteriöse Familie Turido, ohne auch nur im entferntesten irgendwie erraten zu können, was diese Leute auf Santa Ines trieben.

Bis ich plötzlich an das dachte, was mich dorthin hatte locken wollen.

»Herr Näsler ...«

»Ja?«

»Hören Sie mal zu ... Ich will Ihnen etwas anvertrauen. Käpten Holger Jörnsen hatte mir gegenüber zugegeben, daß er als Rutengänger einst auf Santa Ines Gold gefunden hat – ungeheure Reichtümer, die er nie ausgebeutet hat. Ich wollte nun die Insel durchstreifen, nicht etwa, weil ich Gold graben möchte, nein, sondern nur, um mir diese Ader anzusehen, die geradezu phantastisch ergiebig sein soll. Wo sie zu finden – keine Ahnung! Aber ich habe ja Zeit, sagte ich mir. Wenn nun etwa die Turidos irgendwie von Jörnsens Geheimnis Kunde erhalten hätten!!«

»Mann – und das sagen Sie mir erst jetzt!« – und Joachim Näsler funkelte mich durch sein Monokel empört an. »Das ist des Rätsels Lösung! Die Schufte haben die Schafe vergiftet, weil sie allein sein wollen. Die Schufte wollen die gewaltigen Rohrstücke zusammensetzen und das Gold durch eine Quelle auswaschen und ...«

»Stopp, Mann ...! Stopp!! Genau demselben Irrtum fielen mein lieber Kamerad Boche Boche und ich vor Wochen zum Opfer, glaubten damals auch an Gold, Goldsucher ... Und Jörnsen suchte etwas ganz anderes, wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe. Wollen nicht denselben Fehler begehen, Herr Näsler. Mit Rohren mit drei Meter Durchmesser wäscht man kein Gold aus. Ich bin Ingenieur. Ausgeschlossen. Nein – die Leute treiben etwas anderes. Was – wir werden es erfahren, und wir werden, wir fünf, diesen Fremden dort nötigenfalls mit Gewalt entlocken, was sie nicht freiwillig beichten. Mörder sind's, und ...«

»Stopp, Herr Abelsen, – stopp!! Niemals gewöhnliche Mörder ...! Ich habe die Familie studiert. Ich kenne sie ... Der Alte und Leon, – unheimliche Kerle, gewiß aber Männer wie wir, Herr Abelsen, – Männer wie ich, abgerutscht vom Höhenpfade des Daseins ... wie auch Sie – Weltentramps, Abenteurer, brutal, aber – – vornehm, Kavaliere, gutes Blut, Abelsen ...! Darauf verstehe ich mich! Der alte Garzia sah wie ein fünfzigjähriger Herzog aus einem Courths-Mahlerschen Roman aus. Der Leon hätte in jedem Salon der alten Schule Figur gemacht, und die Sennora nicht minder, dann noch die Mädels: Rasse – – Rasse!! Niemals Verbrecher gewöhnlichen Schlages, wiederhole ich! Wer so kaltblütig dreizehn Leute in die Luft sprengt, wer mit solchem Raffinement ...«

»Verbrecher bleibt Verbrecher«, unterbrach ich ihn ...

»Gestatten Sie: dann sind auch die Diplomaten, die den Weltkrieg zusammengebraut haben, Massenmörder – – Verbrecher!«

»Hier Politik, Näsler?? Hier am Ende der Welt?? Hier, wo ...«

»Gut – – schlafen wir ... Gute Nacht Abelsen ... Ich bin, weiß Gott, müde genug.«

Und er schob sich sein Polster unter den Kopf und streckte sich lang.

Beneidenswerter Mensch: in wenigen Minuten war er eingeschlafen. Ich hatte doch auch einen Tag hinter mir, der mir ein vollgeschüttelt Maß Aufregungen und Anstrengungen gebracht hatte. Und doch war ich so munter, daß vorläufig an Schlafen gar nicht zu denken war, besonders, da mir zu vieles durch den Kopf ging, was sich nicht so ohne weiteres ausschalten ließ.

Das Schicksal, sagte ich mir in sanftem Hindämmern der Gedanken, meinte es im Grunde doch gut mit mir. Nach alledem, was ich mit Kamerad Boche Boche erlebt hatte, wäre der von mir geplante Ausflug ins Innere von Santa Ines ein sehr schales Vergnügen gewesen. Da war Joachim Näsler erschienen, ein Mensch, der mich schon jetzt anzog, ein Mann ohne Frage, ein Tramp des Lebens wie ich. Kein bösartiger Abenteurer – nein, den Argwohn hatte ich fallen lassen. Jeder Zweifel, die Geschichte des »Starost« und der Familie Turido könnte erfunden sein, war geschwunden. Ich stand mit meinen beiden muskulösen Beinen, die schon über so manchen Erdteils wechselnde Kruste dahingesetzt waren, wieder mitten in einem neuen, aussichtsvollen Geschehnis, mitten auf der endlos breiten Straße, die für alle, deren Sinn dem Spießerdasein abgekehrt ist, neben dem Alltagspfade voller Dornen, Blumen und seltsamer Gestalten dahinläuft.

Sanftes Hindämmern der Gedanken ...!

Vortrefflich angepaßt der ganzen Umgebung, der Musik des Regens, der auf das Felldach trommelte, dem Säuseln des Windes, den vereinzelten Lauten, die die Arbeit der wackeren drei braunen Gefährten dort draußen begleiteten: Das Splittern von Ästen, dröhnende Hiebe der Handbeile der Araukaner, und natürlich Coys Stimme, scheltend, fluchend, mahnend, befehlend. Das Feuer knisterte, und der Qualm zog träge nach oben zum Zeltdach hinaus. Einzelne Regentropfen fielen durch die Öffnung in die Glut, zischten und erzeugten neue Qualmflöckchen.

Coy hatte vorhin Joachim so mitleidig-erhaben angeschaut, als der ihn fragte, ob denn nicht Spuren zu finden gewesen seien ... Spuren des Mannes, der Chuburs Messer ins Gesicht bekommen und mitgenommen hatte. Chuburs Messer war auf diese Weise verlorengegangen, und Coy hatte nur erwidert: »Spuren, Mistre?? Es regnet! Aber es waren mindestens zwei Leute, Mistre ... Der mit dem Messer im Gesicht würde wohl kaum zum Boot zurückgefunden haben, Mistre ... Zwei Schufte – – der schöne Rum und Kognak!«

Daß wir belauscht worden, war gewiß. Daß wir fernerhin vorsichtig sein mußten, noch gewisser. Und daß wir nun Regenwasser saufen und Robbenfleisch fressen mußten, war peinlich.

Ein Glück, daß wir wenigstens Waffen und Munition mit ins Zelt genommen hatten. Die Turidos sollten uns kennenlernen! Daß Joachim für sie eintrat und diese Mörderbande noch zu entschuldigen suchte – ich ahnte, weshalb: Tatjana!! Natürlich ein Weib!! Für mich ein erledigtes Kapitel nach der letzten Enttäuschung ... Gerda Dorner und ich!! Man bleibt ein Unterrocknarr, bis man eben ... – weg damit!

Das Eingangsfell wurde gehoben. Coy blickte herein, schaute auf den leise schnarchenden Näsler und flüsterte, indem er von seinen Händen das rinnende Blut abstrich:

»Ja, drei Robben töten. Gute Felle, gute Riemen ...« Dann griff er in die Tasche und holte einen halb Meter langen Wurm hervor. »Da, Mistre – Sie nicht glauben ... Alle Araukaner leiden an Spulwürmer ... Da – – Rum schon geholfen ... Noch mehr Rum ... Arbeit schneller gehen!«

»O du Lump!« feixte ich ihn an. »Dein Wurm ist ein Regenwurm, und da wir nur noch eine Flasche Rum besitzen, wirst du wohl verzichten müssen.«

Er schleuderte betrübt den Regenwurm in die Finsternis und meinte mit der Diplomatie des ganz gerissenen Säufers:

»Mistre, Chubur noch mehr erzählen ...«

»Sehr nett von ihm. Aber vorläufig wissen wir genug, lieber Coy ...«

Er ließ nicht locker.

»Wichtig sein, Mistre Abelsen, sehr wichtig ... Ich versprechen Chubur Becher Rum, sonst nicht reden. Ich Wort halten. Mistre also geben Rum ...«

»Scher dich zum Teufel, Gauner!!«

Da fiel das Fell herab und Coy verduftete schwer enttäuscht.

Aber seine Andeutungen, daß Chubur, der große Melancholiker, noch mehr aus dem bunten Inhalt seiner Erinnerungskiste hervorgekramt habe, ließ mir doch keine Ruhe. Es konnte sich ja in der Tat um etwas Wichtiges handeln, und es konnte viel davon abhängen, daß Joachim und ich recht bald darüber genau unterrichtet würden.

Joachim Näsler ...

Der Anstoß zu dieser neuen Wanderung ins Land des Ungewissen. Da meldete er sich schon, lag jetzt, den Kopf in die Linke gestützt, auf seinem bescheidenen Lager und meinte:

»Abelsen, ich habe allens jehört ... Rufen Sie Chubur.«

Seine nachlässig-selbstsichere Art, mit der er mir nun zum zweiten Mal zu verstehen gab, daß er sich mir überlegen fühle – das erste Mal war's sein kurzes Abbrechen unseres Gesprächs über die Mörderfamilie gewesen – ärgerte mich nun wieder einen Augenblick. Weiß Gott, er hatte bei all seiner ... ja, Schnoddrigkeit war hier die treffende Bezeichnung, doch etwas Unnennbares an sich, das ich mehr fühlte als genau definieren konnte und dem ich mich widerstandslos beugte.

Ich trat in den prasselnden Regen hinaus.

»Chubur ...!! Chubur ...!!«

Die Büchse hatte ich im Arm ...

Keine Antwort ...

Die volle Mondscheibe schwamm über mir als verwaschener Fleck in der Finsternis. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das Dunkel, und bald unterschied ich drüben die niederen Buchen, wo die drei Araukaner soeben noch gearbeitet hatten.

Ich tappte durch feuchte Gräser und über Steingeröll und zähe Dornenranken hinweg, bis mein Fuß gegen ein fast fertiges Bootsgerippe stieß. Ich bückte mich und betastete das Kunstwerk, dessen Teile mit frischen Hautstreifen armer Robben gut vereinigt waren. Ich als Ingenieur hätte Tage zu diesem Bootskelett gebraucht, und die drei Indianer hatten's in knapp zwei Stunden geschafft.

»Chubur!!« brüllte ich von neuem und richtete mich auf ...

Meine Augen suchten.

Die Patagonier waren nicht da.

Wo waren sie??

So kletterte ich denn tiefer hinab, bis zum Buchtstrande. Der Regen war kalt, und die eisigen Tropfen waren mir unangenehm.

Keine Menschenseele ...

Wo steckten die drei?!

Ich kehrte um, klomm die Terrassen wieder aufwärts, hob das Eingangsfell des Zeltes und schlüpfte in die dunstige, stinkende, aber warme Hütte ...

»Chubur ist ...«

Da stockte ich schon.

Näslers Lager war leer.

Eine dumpfe Ahnung befiel mich, daß hier Dinge vorgegangen waren, die ich in ihrer ernsten Bedeutung noch nicht voll überschaute. Ich ging abermals ins Freie, nachdem ich noch festgestellt hatte, daß der Karabiner Näslers und die Flinten der Araukaner noch vorhanden waren.

Ich stand vor dem Zelt ... rief ... rief ...

»Hallo, Näsler – – hallo!!«

Meine Stimme ist nie schwach gewesen. Freilich fehlte ihr der eherne Klang des harten Organs Joachims.

Aus der dumpfen Ahnung unklarer Zwischenfälle ward das Empfinden völligen Verlassenseins.

Die große, von Geräuschen mannigfacher Art erfüllte Einsamkeit dieses granitenen Erdenflecks inmitten zahlloser Kanäle und Inselchen bedrückte mich. Ich hatte die Büchse für alle Fälle gespannt. Wenn die Turidos erst die drei Araukaner und dann auch Näsler mir weggeschnappt hatten – natürlich mit Hilfe ihrer Verbündeten, denn diese mußten sie ja den ganzen Umständen nach zur Verfügung haben, dann sollten sie mich jedenfalls nicht so leichten Kaufes abfangen.

Der seelische Druck schwand, und Olaf Karl Abelsen bohrte argwöhnische Blicke ringsum in die lästige Düsterheit – ohne Grund, ohne Zweck, wie sich nach geraumer Zeit ergab, da nichts geschah, absolut nichts, und das war das, was ich am wenigsten erwartet hatte und was mich außerordentlich verwirrte.

Ich begann zu frieren. Meine blaue Seemannskluft, ein Andenken an den Kutter Torstensen, war längst durchnäßt. Der Wind war noch weiter nach Süden herumgegangen, und was das für diese Gegenden um Kap Horn bedeutet, weiß jeder Seemann. Mit dem Begriff Südwind verbindet man unwillkürlich stets etwas Laues, Weiches, Mildes, Frühlingshaftes. Hier ist's gerade umgekehrt. Aus dem Regen wurde Schnee, Hagel. Der Wind eisig ... Meine Jacke, meine Hosen wurden hart, gefroren. Meine Hände büßten jedes Gefühl ein. Mein Gesicht brannte dagegen.

Also zurück in das Zelt. Diese Temperaturstürze im Magelhaens-Archipel haben schon manchem Jan Maat, dessen Schlund und Lunge gegen alles gefeit schienen, im Handumdrehen vierzig Grad Fieber und mehr gebracht.

Ich zitterte vor Frost. Ich warf die letzten Holzscheite in das Feuer, hockte mich dicht neben die Glut und griff nach der letzten Rumflasche. Teufel – saß der Korken fest ...! Ich zog, keuchte, stand wieder auf, klemmte die Flasche zwischen die Schenkel ...

Endlich ...

Und soff drei lange Schlucke reinen Rum. Hustete ...

Aber Feuer kroch mir vom Magen in mein durchkältetes Fleisch ...

Und der Sprit rumorte in meinem Hirn, feuerte mein Denken an ...

Knatternd schlug der Hagel gegen die straff gespannten Felle, deren wasserdichte Nähte auch nicht ein noch so winziges Tröpfchen durchließen.

Dann plötzlich Stille ...

Nur der Wind fauchte noch in dem Kessel der Bucht ... irgendwoher kam das bellende Heulen brünstiger Robben ...

Noch etwas kam – seltsame Laute ...

War ich etwa betrunken??

Ich reckte den Kopf näher zum Eingang ...

Das Fell flatterte träge ...

Dann riß ich die Büchse hoch ...

Hinaus ...

Klares Mondlicht ... Sternenschein ... Die Gräser glashart gefroren ...

Da – wieder die helle Kinderstimme ...

»Mammi – – Mammi!!«

Kläglich, verzweifelt das dünne Stimmchen.

Bei Gott, dort am Fuße der einen Buche, die wir vorhin aller Äste beraubt hatten, kauerte ein kleines Wesen ... gehüllt in eine helle Wolldecke, auf dem Kopf eine dicke Flauschmütze mit Ohrklappen ...

Ich hin ...

Der Mond beleuchtet das runde, rotwangige, tränenfeuchte Gesicht eines blonden Bürschchens von vielleicht acht Jahren. Große, verängstigte Augen starren mich an ...

»Junge, wie kommst du denn hierher? Wer bist du??«

Ich hatte mich meiner Heimatsprache bedient ...

Keine Antwort ...

Wiederhole dasselbe auf englisch ...

Da leuchten die tränentrüben Sterne des Knaben auf.

»Allan Mangrove«, erwidert er halb schluchzend. »Ich ... fürchte mich so, Mister ... ich fürchte mich so ...«

Ich nahm ihn und trug ihn ins Zelt.

Vier Kameraden hatte ich in dieser Nacht verloren, hatte dafür – – ein Kind gefunden.

Ein Bürschlein, das in einem tadellosen blauen Samtanzug von Matrosenschnitt steckte, Schuhe trug, die ebenso fein waren. Alles an Allan Mangrove war fein. Ein kleiner Prinz in seidener Wäsche. Und – hier ausgesetzt im wilden, unberechenbaren Magelhaens-Archipel ...!!

Als der Morgen heraufdämmerte, hatte mir der kleine Allan erzählt, was er erzählen konnte.

Es war wenig, sehr wenig.

Es war ein neues dunkles Ereignis, wie ein Felsblock in meinen breiten Pfad der Abenteuer gerollt, kein Hindernis, aber etwas, das Beachtung verlangte.

Hätte ich es nicht beachtet, wäre das »Loch im Ozean« nie von uns gefunden worden.

 

Lesen Sie als Fortsetzung dieses Romans

»Das Loch im Ozean«

von Olaf K. Abelsen


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