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Ich hatte das Papier in der Rechten, in der Linken die Taschenlampe. Meine Gedanken flattern, kommen langsam zur Ruhe.
Ruhe ... Stille ...
Ja – jetzt erst wird mir bewußt, wie unheimlich still es auf dem Torstensen geworden. Totenstill. Auch nicht das geringste Geräusch ... Nichts ... nichts ... Totenstille, so qualvoll wie die Nächte im Zuchthaus in der Einzelzelle, wo nur Wanzen und Flöhe meine Gefährten waren ...
Unheimlich, diese Ruhe ...
Ich lausche ... horche ...
Hitze kriecht mir in die Wangen, deren Stoppelbart mir so widerwärtig. Mein Herz beginnt zu hämmern ... Und dieses dumpfe, rasche Pochen in der Brust ist der einzige Ton, der mein Ohr erreicht ...
Bis ein feines Klingen hinzukommt: mein Blut – Ohrensausen – Nerven!
Das Hitzegefühl weicht plötzlich eisigen Schauern ...
Bitterkalt ist es in der Kammer. Ich sehe den Hauch meines Mundes, den stoßweisen Atem ... Dann nochmals ein Blick auf den Zettel ... Pflicht ruft ...!
Welche – – wohin??
Ich komme mir ohne Gerda so grenzenlos verlassen vor ... Empfinde es nur zu deutlich ...
Bin ich noch Olaf Karl Abelsen, ein ganzer Kerl?? Hat Weibesnähe mir das Innerste verwandelt?? Hat Jörnsen, selbst ein ganzer Kerl, mich mal zu Unrecht so bezeichnet??
Kognak her ...!!
Diese Stille macht mich verrückt ...
Ich saufe – auf nüchternen Magen – einen ganzen Aluminiumbecher ...
Oho – das sengt und brennt ... Das ist das Wunderelixier der Starken, wenn sie mal schwach werden ...
Oho – – ich werde bald wissen, was auf dem Torstensen los ist! Dort liegen meine beiden Pistolen ...
Dann – Vorhang hoch, Tür nach dem Vorratsraum auf ...
Leise ...!!
Die Stille kann auch eine Falle sein ...
Die Vorratskammer ist leer, die Tür zur Kombüse steht weit offen ... Da sitzt der Neger Samuel neben dem Herde, schläft, den Kopf auf die Brust gesunken, die Arme schlaff herabhängend ...
Und dort hockt in der Ecke neben der Treppe der Bengel Manuel – – schläft ...
Schlafen sie wirklich??
Ihre Körperhaltung macht mich mißtrauisch. Meine Augen werden kritischer ...
Ich sehe, daß Samuel das Maul halb offen hat, daß die Zunge über die Unterlippe hinabhängt ...
Und – – diese Augen?? Diese verdrehten Pupillen??
Vorhin war ich noch ... betrunken ...
Jetzt, nach Sekunden, bin ich entsetzlich nüchtern.
Samuel und Manuel sind tot ...
Und von oben durch den Niedergang fällt düstere Helle auf diese entstellten Gesichter, die sich im Tode schmutzig-grau verfärbt haben.
Ich hole tief Atem ...
Feine Schweißperlen treten mir auf die Stirn ...
Ein unnennbares Grauen beschleicht mich ...
Diese Totenstille im Schiff ...
Stille der Toten ...
Wirklich – sollte hier das Ungeheuerliche geschehen sein ...??
Gewißheit will ich haben ...
Drei Schritte noch – vier die Treppe hinan ...
Ein Blick über das Deck ...
Ich taumele zurück ...
Gerade vor mir, am Fuße des Hauptmastes, drei verkrümmte Leichen.
Leichen überall ...
Aschgraue, verzerrte Züge ... verdrehte Augen ...
Nur Tote ...
Ein Bild, das noch einen Becher Kognak erfordert ...
Ich lehne am taufeuchten Schiebedeckel des kleinen Aufbaus, und meine Augen flüchten vor diesem Gemälde des Grauens in die Ferne ...
Trüber Himmel über einem schmalen Kanal zwischen zerklüfteten, kahlen Granitwänden. Drüben, wo sich die Ausläufer der Kordilleren bis zu blauen Gletschern und Schneefeldern emportürmen, blinkt ein verlorener Sonnenstrahl durch das Gewölk ...
Der Kutter liegt fest vertäut an einer Barriere von Steinblöcken, einer Art Naturmole. Rechts auf den Klippen erkenne ich eine Schar von Mähnenrobben. Wenigstens etwas Lebendes. Stumpfsinnig glotzen die Tiere herüber.
Ich habe mich erholt. Die frische, kühle Luft hier im Freien ist doch besser als Kognak.
Ich lächle ehrlich ...
Leichen – nur Leichen??
Arme Kerle, ihr werdet mir nichts anhaben ...
Ihr werdet nie mehr meutern, nie mehr Piraten spielen und nie mit Gold beladen heimkehren! Was euch schon in Punta Garras durch die Kugeln der Pickelhauben zugedacht gewesen, hat euch nun hier erwischt ...
Ich mustere die stumme Gesellschaft ...
Die neben den Toten liegenden Becher und der verschüttete Kaffee, der als braune Lachen auf dem hellen Deck schimmert, lösen dieses Rätsel.
Gift!!
Ohne Zweifel Gift!!
Und es muß fast blitzartig gewirkt haben!!
Ich schreite zwischen den Toten hindurch nach vorn ...
Hier oben habe ich neun Leichen gezählt. Vorn in der Back, in Boche Boches und meinem Kajütchen, liegen weitere drei ...
Dann nach achtern ...
Was werde ich dort finden?
Sollten auch die Jörnsens wirklich tot sein, auch mein Kamerad??
Meine Schritte werden immer zögernder ...
Die Tür des Heckniedergangs ist offen ...
Auf der Treppe, Kopf nach unten, ein toter Mestize ...
Ich drücke mich an ihm vorüber. In der Kajüte ein zweiter Mestize, am Tisch zusammengesunken ... in der Rechten noch den Aluminiumbecher, den seine Finger im Todeskrampf wie Pappe zusammengedrückt haben. Der Kaffee ist über eine Seekarte der Südspitze Amerikas geflossen ...
Ich stoße die rechte Kammertür auf ...
Leer ...
Die linke dann ...
Dämmerlicht ... Zwei bleiche Gesichter ... Zwei Menschen auf den übereinander stehenden, schmalen Klappbetten ...
Die Jörnsens ... gefesselt ... Der Alte mit verbundenem Kopf ... Blut ist durch den Verband gedrungen – ein großer, schwarzer Fleck. Der Alte mit Stoppelbart wie ich ... mit Blutkrusten am Kinn ...
Und Frau Jörnsen, noch schmieriger als sonst, kreischt mir als erste zu:
»Abelsen – – rette uns!! Rette uns!!«
Das bringt mich wieder zu Verstand ...
Ich löse ihre Stricke ...
Jörnsen kann kaum sprechen ...
Beide sind zu schwach, sich zu erheben ...
»Hunger – Durst ...!« kreischt das Weib, und ihre Stimme geht mir durch und durch ...
»Sofort ... ich hole alles ...« Und ich renne zur Kombüse, in unser Versteck ...
Kognak, Zwieback, Keks ...
Renne zurück ...
Die beiden trinken ... kauen ...
Ich denke an die Toten ... Sie müssen verschwinden. Der Anblick ist nichts für diese beiden halb Verschmachteten, deren Augen den Irrsinn unerhörter Qualen auszustrahlen scheinen.
Ich schließe die Kammertür ... schleppe den Mestizen nach oben ... dann den andern von der Treppe ... sie fliegen über Bord ... versinken.
In wenigen Minuten ist der Kutter kein Leichenschiff mehr ...
Ich bin wieder bei meinen Kranken.
Der Käpten fragt ... ich antworte ...
»Alle tot, Jörnsen ... Gift ...!!«
»Unmöglich!«
»Wir können den verschütteten Kaffee nachher untersuchen ...«
Ein kaltes Lächeln erscheint um den eingefallenen Mund ...
»Es geschah ihnen recht, Abelsen ... Sie hatten es verdient ...!«
Das Weib kreischt mit vollem Munde ...
»Und Boche Boche? Lebt er??«
Ihre Stimme läßt mich zusammenzucken ...
Nur Hexen aus Kindermärchen haben solch widerliches Organ ...
»Bisher habe ich Boche Boche nicht gefunden, Frau Jörnsen ...«
Und ich reiche ihr nochmals Kognak ...
Hoffentlich schläft sie ein ...
In ihrer Gegenwart werde ich ein Gefühl des Widerwillens nie los ...
Ich hoffe umsonst.
Ich muß erst sie, dann den Alten an Deck bringen. Sie haben Sehnsucht nach frischer Luft. Verständlich! In der Kammer war ein Gestank zum Umsinken ... in der einen Ecke hatte ein Zinkeimer gestanden.
Ich schleppe Liegestühle nach oben, hülle die beiden in Decken. Sie ruhen mit geschlossenen Augen. Das Tageslicht blendet sie. Wie entsetzlich verändert Holger Jörnsen ist! Sein Haar erscheint noch grauer, die dicken Brauen noch weißer.
»Abelsen, suche meine Brille«, bittet Frau Helga ...
Ich kehre in die Kajüte zurück ...
Ich suche gern. Wer will es mir verargen, wenn ich die Gelegenheit nütze und auch nach dem Kabinettbild Ausschau halte?
Der Schreibtisch Jörnsens ist aufgeklappt ...
Alle Behälter hier sind offen. Aber ich suche umsonst. Die elende Brille freilich finde ich. Sie liegt auf dem Bücherbrett, auf den Werken über Gold und Rutengängerkunst. Ich durchschnüffele Papiere, ich schäme mich fast ...
Aber hier gilt es, derartige Bedenken zurückzudrängen und alles daranzusetzen, endlich vielleicht einen Teil der Rätsel zu lösen.
Was ich flüchtig an Geschriebenem und Gedrucktem prüfe, bezieht sich lediglich auf den Fischer Holger Jörnsen aus Trelleborg ...
Schließlich gebe ich diese Spioniererei auf.
Als ich mit der Brille an Deck erscheine, sind meine beiden Pfleglinge eingeschlafen. Jörnsen schnarcht sogar ... Frau Helga hat sich die Decke bis an die Augen gezogen. Ihr graues Haar hängt ihr wie ein Schleier über der Stirn. Ich lege die Brille in ihren Schoß und schleiche hinweg – in unsere Kammer, unsere: Gerdas und meine Kammer!!
Schweige!!
So hat Gerda geschrieben. Wenn ich schweigen, also lügen soll, dann muß alles verschwinden, was verraten könnte, daß ich hier nicht allein die drei Tage gehaust habe ...
Ich werde schweigen und lügen. Gerda steht mir näher als jeder andere Mensch. Selbst als Boche Boche.
Was gehen mich im Grunde die Jörnsens an??
Sie haben mich mitgenommen, weil sie »einen ganzen Kerl« brauchten – zwei ganze Kerle, zwei, die dem Schicksal hohnlachend ins wandlungsfähige Gesicht spucken, wenn es nötig.
Etwas wie Rührung spüre ich, als ich Gerdas Lagerstatt weggeräumt, als ich alles getilgt habe, was an ein Weib hier in dem Versteck mahnen könnte.
Die Arbeit ist beendet. Nun werde ich nach dem Kameraden suchen ... Ich steige in die Back hinab, in die Verschlage ...
Nichts ...
In unserer Kajüte liegt in meinem Schränkchen der Bernsteinrahmen mit meinem Kinderbilde. Eine Anzahl der gelben Perlen fehlen. Ich erinnere mich, daß ich in den Ohrläppchen einiger der toten Neger gelben Ohrschmuck gesehen habe. Die Bernsteinperlen schwimmen jetzt mit den Leichen zugleich in der Strömung irgendwohin – irgendwohin ...
Zuletzt durchsuche ich noch den Heckverschlag, in dem der Vierzylinder steht. Auch hier nichts.
Armer Kamerad!!
Und wie ich nun achtern an der Reling lehne und die schlafenden Jörnsens betrachte, wie in meiner Erinnerung die Schreckensbilder der letzten Stunde wieder aufleben und ich krampfhaft an der langentbehrten Zigarre sauge, da entgleitet sie mir plötzlich und rollt in eine der Kaffeelachen ...
Der Meutererkapitän!!
Wie war es nur möglich, daß ich ihn bisher vergessen hatte – ihn, den einzigen Weißen, den einzigen, den ich nicht als Leiche gefunden??
Wo war dieser Mann geblieben??
Und meine Augen prüfen mißtrauisch die düstere Umgebung ...
Entflohen??
Und Gerda??
Er verschwunden – sie verschwunden ...
Hat Gerda nur geheuchelt, als sie so voller Haß ihn einen erbärmlichen Menschen nannte??
War Gerda nicht auf dem Fünfmaster gewesen – und hatte nicht der Weiße die bereits zum Tode Verurteilten befreit??
Meine guten Zähne pressen sich in die Unterlippe. Jenes böse, verächtliche Lächeln, das mir, dem Verbitterten, vor Gericht damals vor zehn Monaten alle Sympathien dieser satten Spießer von Geschworenen verscherzt hat – nicht ein Mann war darunter, der mein ehrliches Aufbegehren zu würdigen wußte! – dieses Lächeln eines Ausgestoßenen verzerrt meine Züge ...
Ich fühle es ...
Weiber – – alle gleich!
Gerda mit dem Anführer auf und davon – Gerda Komödiantin – – genau wie jene, die den Meineid vor Gericht schwor – – Meineid – meine Braut!!
Und doch – es schmerzt.
Es war Liebe – war!
Gerda und er – nun hatten sie wohl Jörnsens Geheimnis ausspioniert, nun brauchten sie die Schwarzen nicht mehr ...
Gift – weg mit dem lästigen Anhängsel! Tote reden nicht ...
Jörnsens Geheimnis!
Jörnsen schläft ...
Darf ich noch länger schweigen??
Nein – – und ich bin schon neben dem Liegestuhl, rüttele den Alten ... flüstere ihm zu ...
»Leise! Ich muß dich allein sprechen, Käpten. Ich trage dich nach vorn ...«
Und samt den Decken nehme ich ihn in die Arme, setze ihn auf die Luke, lehne ihn an die kleine Ankerwinde. Der kurze Schlaf hat ihn sichtlich erquickt. Er hört aufmerksam zu ... nickt zuweilen ...
Und als ich fertig, als ich eine Gegenäußerung erwarte, als ich ungeduldig frage:
»Willst du noch immer nicht mit der Wahrheit heraus, Jörnsen?«, da sagt er nur, indem er mir fest die Hand drückt:
»Denke an unseren Vertrag, Abelsen ...! – Wir wollen den Kutter besser mitten im Kanal verankern, man kann nie wissen ...«
Mir schießt das Blut zu Kopfe ...
»Habe ich das verdient?« – Und meine geballten Fäuste reden ihre eigene Sprache. »Habe ich das verdient?? Jörnsen, was würdest du an meiner Stelle tun??«
Ich fauche ihm ins Gesicht.
»Rede!! Würdest du dich so behandeln lassen??«
»Ich ... würde gehorchen, Abelsen ...« und er nickt mir zu ... »Gehorchen, Abelsen! Das ist keine Schande! Wir alle sind Sklaven. Auch ich. Ich ein Sklave besonderer Verhältnisse, du desgleichen ...«
Er steht auf ...
»Wirf die Taue los! Der weiße Schurke lebt, und wir müssen vorsichtig sein!«
Seine ruhige Freundlichkeit und der Blick seiner Augen entwaffnen mich.
Der Torstensen gleitet von der Steinmole ins offene Wasser des etwa achtzig Meter breiten Kanals.
Die Ankerketten rasseln ...
Eine Stunde darauf wirtschaftet Frau Jörnsen schon wieder in der Kombüse umher. Der Alte und ich sitzen am Steuerrad, neben uns die Repetierbüchsen – für alle Fälle ...
Jörnsen erzählt:
»... Der Angriff der Meuterer kam ja so vollständig überraschend. Meine Frau und ich waren in der Heckkajüte. Wir besprachen gerade den Besuch der drei Patagonier. Es waren keine Araukaner, Abelsen. Boche Boche hat sich geirrt. Es ist ja auch schwer, die Urbewohner des südlichsten Amerika der Rasse nach heute noch auseinanderzuhalten. Indianer, Patagonier und Feuerländer sind durch zahlreiche Mischehen um die Charaktermerkmale und die äußeren Kennzeichen ihrer Volkszugehörigkeit gekommen. Ob meine Patagonier reinblütig sind, weiß ich nicht. – Die Meuterer drangen also in die Kajüte ein. Ich konnte noch die Pistole ziehen, hatte sie aber leider gesichert. Ich wurde niedergeschlagen. Meine Frau stieß noch einen Hilferuf aus. Dann hatten diese Unholde sie schon bei der Kehle. Erst als man uns in der Kammer auf den Betten festgebunden hatte, erschien der weiße Anführer und begann mit seinen Drohungen ...« Jörnsens Gesicht, das bereits wieder Farbe hatte, wurde steinern. Er drehte plötzlich seine Hände um und zeigte mir die Innenflächen. »Da, Abelsen – mit glühenden Schraubenschlüsseln hat man mich gemartert ...«
Ich konnte kein Wort hervorbringen. Diese entsetzlichen, eiternden Wunden, diese Stellen, an denen die weißen Handknochen durchschimmerten.
»Wie haben Sie das ertragen können?« murmelte ich, und unwillkürlich kam mir wieder einmal das respektvollere »Sie« über die Lippen.
»Eiserner Wille vermag alles ... Ich denke, Abelsen, du bist auch einer von denen, die Herr über Geist und Leib ...«
»Nicht wie Sie, Jörnsen, nein, nicht wie Sie ...«
»Laß diese Anrede ... Wir sind bessere Freunde als du glaubst, und dich selbst unterschätzt du ...«
»Dann ... dann wollen wir doch erst deine Hände verbinden, Käpten ... Du mußt doch ...«
»... Später«, unterbrach er mich. »Seewasser ist das beste Mittel, dann ein leichter Verband und Handschuh darüber. In zwei Tagen spüre ich nichts mehr. – Sie marterten mich ... Sie vermuteten dasselbe wie ihr: Gold! Meine Bücher und ein Säckchen Goldkiesel, ein Andenken an früher, waren ihnen Beweis genug. Der Anführer ...« – er stockte – »... du kennst ihn übrigens, Abelsen ... Du hast ihn bisher dreimal gesehen ...«
»Nein, ich hörte hier nur seine Stimme«, erklärte ich kopfschüttelnd.
»Du hast ihn dreimal gesehen ... Das letztemal in Panama. Es ist ein schlauer Schuft ... Er hat meine Fährte nicht verloren gehabt ...«
Ein Blitz des Begreifens ...
Urplötzlich die Erkenntnis: der Mann mit dem scharfen Profil war derselbe, den ich aus Gerdas Schlafzimmer hinausbefördert hatte!
»Wer ist der Mensch, Jörnsen? Wer ist's?« Und die Erregung in mir wuchs zu fiebernder Ungeduld. »Wer ist's? Ich sah ihn zum ersten Male in Gerdas Schlafzimmer, dann auf dem Trajekt, dann auf dem dänischen Dampfer in Panama ...« Und verwirrt strich ich mir über die heiße Stirn ... »Gerda – und sie soll jetzt mit diesem Manne verbündet sein?? Rede, Jörnsen! Da sind Widersprüche, die mich peinigen. Ich möchte Gerda nicht Unrecht tun ... Vielleicht ist alles falsch, was ich mir da über ihr Verschwinden von Bord zusammengereimt habe ... Du hast dich dazu nicht geäußert ... Rede, Jörnsen!«
Er betrachtete still seine entstellten Hände.
»Schließlich ließen sie von mir ab, als sie merkten, daß bei mir auf diese Weise nichts auszurichten war«, fuhr er in seiner Schilderung fort. Für meine Bitten blieb er taub. »Hunger und Durst sollten mich gefügig machen. Außerdem hatten sie auch die Seekarte gefunden, in die ich den Weg mit roten Punkten eingezeichnet hatte.«
»Den Weg – wohin?«
Die nervöse Spannung wurde mir unerträglich. Meine Stimme war heiser und fremd.
»Den Weg, der hier im Adelaide-Archipel endete, ganz im Süden, wo bereits die Magelhaens-Straße beginnt, die der kühne Portugiese vor Hunderten von Jahren als erster mit primitiven Schiffen zu befahren wagte ... Aber diese goldverblendeten Narren ahnten nicht, daß meine rot punktierte Linie nicht ganz bis zum Ziele lief. – So vergingen die drei Tage, Abelsen. Und dann kamst du uns befreien. Wir danken dir. Es wird dir nicht vergessen werden. Jetzt schöpfe mir einen Eimer Seewasser. Ich werde zwei Stunden die Hände hineinhalten.«
Ich blieb sitzen.
»Jörnsen, heute will ich nicht drohen ...« Meine Stimme zitterte. »Jörnsen, heute bitte ich: Was ist's mit Gerda?? Wisse denn: sie war mir einst der Trost meiner Kindheitstage, heute – liebe ich sie!«
Die klaren, jungen Augen des Mannes, der so erbarmungslos zu schweigen verstand, ruhten mit besonderem Ausdruck auf meinem zuckenden Gesicht ...
»Du liebst sie?? Noch??«
»Ich ... weiß es nicht ... Wenn sie keine Lügnerin, keine Heuchlerin wäre, dann ...«
»Sie ist's!! Töte diese Liebe, Abelsen ... Und wenn das Mädchen ein Engel wäre: sie würde nie die Deine werden! – Geh', hole mir den Eimer Wasser ...«
Ich gehorchte wie im Traum.
Und als ich dann allein auf dem Vorschiff stand und hinüberschaute zu den düsteren Bergen mit den blauen Gletscherkappen und den weißen Schneehängen, da wurde ich mir meiner ganzen Wehrlosigkeit gegenüber Holger Jörnsens eiserner Unerbittlichkeit bewußt.
Nein – Boche Boche und ich waren ihm niemals ähnlich. Wir waren Zwerge im Vergleich zu ihm, Außenseiter des Lebens, nicht Herren unser selbst.
Frau Helga rief mich zum Essen.
Wir speisten zu dreien in der kleinen Kajüte. Eine schweigsame Mahlzeit, bei der ich abermals die unübersteigbare Scheidewand zwischen mir und diesen beiden seltsamen Menschen spürte. Nachher verband ich Jörnsens Hände. Und dann legte ich mich vorn in der Back zum Schlaf nieder, weil mir plötzlich schwindlig wurde und ich die Ohnmacht der Erschöpfung nahen fühlte. Wie ein Toter schlief ich bis neun Uhr abends. Erwachte und hörte den Motor arbeiten. Der Kutter war in Fahrt, und oben an Deck sah ich Holger Jörnsen am Steuerrade lehnen.
»Zyankali ...« begrüßte er mich.
»Du hast den Kaffee untersucht, Käpten?«
»Ja, Zyankali aus der Schiffsapotheke ...«
Er hatte die unvermeidliche Pfeife im Munde ...
Der Kutter schlängelte sich durch einen Irrgarten von Kanälen, zwischen finsteren Felsinseln hindurch, gen Süden ... Schwarzes Gewölk hing am Himmel. Ein Weststurm heulte in den Steinmassen des Archipels, und vorn im Bugspriet leuchtete das grelle Auge eines der Karbidscheinwerfer in die dunkle, gefährliche Flut mit ihren sensenscharfen Riffen hinab ...
Vorn am Bugspriet stand des Käptens Weib und winkte, wenn das weiße Licht ihr ein Hindernis enthüllte. Der Torstensen fuhr mit halber Kraft.