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War keine lange Feier.
War da plötzlich eine herrische Stimme, die fraglos einem Europäer gehörte. Eine Stimme, schrill und schneidend, so voller wildestem Drohen, daß Gerda noch stärker zitterte.
Englische Worte prasselten auf die Säufer herab ... Nicht alles verstand ich ...
Ein tierisches Geheul kündete Rebellion gegen den Führer ...
Schüsse folgten ...
Körper krachten zu Boden. Gläser, Flaschen splitterten ... Angstgebrüll derer, die nun von den Getreuen dieses Meuterkapitäns nach oben geschleift wurden und in die See flogen ...
Der Mann fackelte nicht lange. So weit ich aus Zurufen und einzelnen Worten entnahm, hatte er vier erschossen und drei Ozeanwasser schlucken lassen.
Schade – ein anderer Ausgang wäre mir lieber gewesen. Dieser Mensch da, der nun den Torstensen kommandierte, war kein zu verachtender Gegner. Ich würde mit ihm ein schweres Spiel haben ...
Die Hauptsache, man würde uns hier nicht entdecken, denn daß dieses Gelaß so geschickt in den Kutter eingebaut war, daß nicht einmal die Zöllner in Panama und die Soldaten in Punta Garras es gefunden hatten, wußte ich: es war der geheime Raum, den ich längst vermutet hatte, Jörnsens Waffenkammer ...
Meine Linke war vorhin an der Wand entlanggefahren und hatte da die Kolben von sechs in Gestellen festgeklemmten Büchsen berührt. –
In der Kombüse wurde es nun still. Man hatte auch die Leichen der Erschossenen weggeschafft. Auch Gerda war ruhiger geworden.
»Ich werde ein Zündholz anreiben ... Wir müssen vor die Tür eine Decke hängen ...« Das Flämmchen flackerte ...
Ich schaute mich um. Der kleine Raum war etwa drei Meter lang und anderthalb Meter breit. Außer zwölf Büchsen sah ich noch verschiedene Kisten am Boden stehen, die sämtlich durch Gleitleisten vor dem Rutschen gesichert waren.
Das Hölzchen erlosch.
»In der gelben Kiste sind zwei kleine Scheinwerfer und eine Menge Taschenlampen und Batterien, Olaf ... Ich werde ein zweites Hölzchen anreiben ... öffne die Kiste ... Ich habe auch dies schon ausspioniert! Ich weiß an Bord gut Bescheid ...«
»Du warst, nachdem wir uns gesprochen hatten, gar nicht auf den Fünfmaster zurückgekehrt?«
Das Hölzchen knisterte. Ein Blick über Gerdas Gestalt ... Sie trug über dem Badeanzug einen Ölmantel – nichts weiter ... Ihre Füße waren nackt ...
Ich bückte mich. Rasch hatte ich aus der gelben Kiste eine der Taschenlampen herausgesucht, eine Batterie hineingeschoben und die Lampe eingeschaltet ...
»Dort liegt die Decke, Olaf ... Vielleicht hat sie Ringe zum Aufhängen ... Hier sind die Umrisse der unsichtbaren Tür ... Oben vier Haken ...«
Die dicke schwere Decke hatte Ringe. Sie hing nun glatt herab.
Gerda setzte sich nun matt auf die nächste Kiste.
»Olaf, vielleicht findest du etwas Trinkbares. Ich fühle mich so elend ...«
Ich fand: Kognak – zwölf Flaschen, auch Konservenbüchsen, und hinter der größten Kiste eine kleine Zinktonne mit einem Messinghahn: Trinkwasser! Auch Aluminiumbecher, ein paar Bestecke, vieles andere, zum Beispiel sechs Mauserpistolen mit überreichlich Munition.
Mein verrostetes Taschenmesser hatte einen Korkzieher. Ganz langsam öffnete ich eine der Kognakflaschen, wie ich mich überhaupt aufs vorsichtigste bewegte, denn jetzt waren ein paar der Feinde auf der anderen Seite im großen Laderaum zu hören. Wahrscheinlich suchten sie Proviant.
Gerda trank in kleinen Schlucken. Ich hatte mich neben sie gesetzt und die Lampe auf den Gewehrständer gelegt und die Linse mit einem Fetzen Papier umhüllt, damit der Lichtschein gedämpft würde.
»Das Schicksal treibt ein merkwürdiges Spiel mit uns«, sagte ich flüsternd aus tiefem Sinnen heraus.
Gerda reichte mir den Becher ...
»Trink' aus, Olaf ... – Wir selbst sind unser Schicksal. Wer sich vom Leben treiben läßt, ist ein Schwächling. Du bist es nicht, Olaf, und ich auch nicht ... Wir sind beide durch eine harte Schule gegangen.«
»Was weiß ich von dir, Gerda? Nichts! Aus dem lieben kleinen Mädel ist eine junge Dame geworden ... Achtzehn Jahre, Gerda, fast zwei Jahrzehnte ... Nein, ich kenne deine Lebensschule nicht. Und ich darf nicht fragen ...«
Ich trank.
Der Kognak duftete. Und Feuer rann mir ins Blut ...
Gerda saß da, die Unterarme auf den Knien, den Kopf gesenkt, und schwieg.
Ich sollte nicht fragen. Das war Unnatur ...
»Gerda!«
»Olaf?« Sie schaute vor sich hin ...
»Begreifst du nicht, daß unsere Lage gegenseitige Offenheit verlangt?«
»Gewiß ... – Wir werden den Kutter zurückerobern ... Was ich beantworten darf, was also mit dem zusammenhängt, worauf unsere ferneren Pläne abzielen, werde ich beantworten. Wenn du Schweigen gelobt hättest, würdest du dein Wort brechen?«
Nebenan wurde es immer lebhafter. Auch in der Kombüse schien nun ein neuer Koch mit einem Gehilfen eingezogen zu sein. Geschirr klapperte. Ein Kerl, der als Kunstpfeifer hätte auftreten können, pfiff einen Foxtrott. Im Laderaum kreischten die Nägel der Kistendeckel.
Ob ich mein Wort brechen würde?
Ich sah die Szene wieder vor mir, wie Holger Jörnsen mir mit der Pistole das Versprechen abgezwungen hatte, nichts von dem Kabinettbild zu erwähnen.
»Allerdings nicht, Gerda ... Es muß etwas geben, das für jeden anständigen Menschen wie ein Schwur ist. Ich werde nichts fragen, obwohl mir unendlich viel geradezu unbegreiflich bleibt. Was tatest du auf dem Fünfmaster? Wie kamst du nach Punta Garras? – Das sind keine Fragen, Gerda ... Mir wird der Kopf wirr, wenn ich zu denken beginne. Jörnsen hat uns schon Rätsel aufgegeben. Du bist ein ganzes Rätselbuch – so würde Boche Boche sich vielleicht ausdrücken. Kamerad! Wenn sie ihn umgebracht haben, dann gnade ihnen Gott! Gerade er hätte es verdient, noch einmal glücklichere Tage zu sehen. Kennst du sein trostloses Geschick?«
»Ja ... Seit dieser Nacht ... Das Ehepaar Jörnsen sprach über ihn. Sein Gedächtnis ist tot. Für manchen wäre das ein Glück, Olaf.«
»Für dich?«
Ich sah ihr schwach beleuchtetes Profil, ihr schmerzliches Lächeln.
»Vielleicht ... vielleicht ... Wenn man in die Zukunft schauen könnte, würde ich dir bestimmter antworten. Die nächsten Wochen bringen die Entscheidung ... – Wie vergnügt der Neger pfeift ...! Es ist ein Neger. Diese Wurstigkeit gegenüber dem, was war, und dem, was kommen mag, bringt nur ein Nigger auf. Sie sind wie Kinder – grausame Kinder ... Heute mittag wären sie gehängt worden, die ganzen fünfundzwanzig Farbigen vom Pierpont Morgan. Sie hatten den Kapitän und die Schiffsoffiziere erwürgt und eine Schaffarm geplündert.«
»Und du warst dabei?«
Keine Antwort. Sie gähnte nur.
»Du bist müde, Gerda ...«
»Sehr müde ...«
»Wenn wir nur ein paar Decken hätten. Du kannst doch nicht auf den bloßen Dielen schlafen. Lege dir wenigstens hier meine Jacke unter. Vielleicht kann ich nachher eine Decke stehlen, wenn die Kerle zur Ruhe gekommen sind ...«
Sie nahm meine Jacke mit Dank an, rollte sie als Kopfkissen zusammen und streckte sich zwischen den Kisten aus. So wurde ich Wächter ihres tiefen Erschöpfungsschlafes, so saß ich stundenlang, selbst gegen die Müdigkeit verzweifelt ankämpfend, zuweilen auch flüchtig einnickend, aber sofort wieder aufschreckend.
Die kleine elektrische Lampe, deren Batterie sich rasch verbrauchte, glühte nur noch als mattes Pünktchen unter dem Papierfetzen. Es war dunkel um uns her. Draußen mußte es längst Tag sein. Aber ich hörte den Regen noch immer in schweren Tropfen auf das Deck klatschen. Der Torstensen bäumte sich zuweilen auf. Brecher kamen über Bord. Wind pfiff in der Takelage.
Im Laderaum und in der Kombüse war alles still. Die Meuterer hatten gegessen und waren wohl bis auf die Wachen in die Kojen gekrochen.
Ob ich's wagte?
Es blieb ein gefährliches Spiel. Wurde ich außerhalb unseres Schlupfwinkels abgefaßt – was würde dann aus Gerda?!
Und dennoch: Gerda brauchte Kleidung, Schuhe, Strümpfe ...
Ich erhob mich und tappte zur Waffenkiste. Zwei Mauserpistolen, die Hosentasche voller Patronen: das war besser als eine halbe Flasche Kognak! Ich wollte wissen, was aus Boche Boche und den beiden Jörnsens geworden. Gerdas Andeutungen vorhin ließen vermuten, daß Jörnsens nicht mehr lebten.
Wie unbegreiflich Gerda war! Weshalb hatte sie mir nicht wenigstens über diesen Punkt Aufschluß gegeben?
Ich schlich zur Tür. Betastete die beiden Riegel, hielt die Wolldecke hoch, schob die Riegel langsam zurück. Sie waren gut geölt. Dann zog ich die niedere, kleine Tür, die sich so tadellos jedem unkundigen Auge verbarg, langsam auf. Meine Nerven meldeten sich nicht.
Damals, als ich aus meiner Zelle ausgebrochen und nach einer bangen, langen Stunde endlich bis oben auf das hohe Dach gekommen war, hatte mein Herz gehüpft. Heute schlug es kaum merklich schneller.
Nur handbreit zog ich die Tür auf. Ein Blick in den erleuchteten Vorratsraum hinein genügte. Vier lagen dort auf Decken, eng beieinander. Ihre Füße waren dicht vor mir. Ich schloß die Tür wieder. Die Decke fiel herab, und ich tastete mich zu der Kiste zurück.
Schlechte Aussichten waren das. Meine Zuversicht, mit diesen Piraten irgendwie fertig zu werden, hatte einen argen Dämpfer erhalten. Ich saß und grübelte. Wenn Wind und Wellen einmal schwiegen, hörte ich Gerdas leise, regelmäßige Atemzüge.
Ich grübelte ... Wie sollte das werden??
Hier in einem Loch eingesperrt mit einer jungen Dame – kein Badezimmer nebst Zubehör, wohin man sich zurückziehen kann, wenn einem danach zumute ist.
Gerda war gewiß nicht prüde. Aber es gibt nun einmal Dinge, die allzu menschlich sind und die man nicht gern in Gegenwart anderer erledigt.
So kam mir erst jetzt allmählich zum Bewußtsein, daß unsere Lage Widerwärtigkeiten barg, die selbst das größte Taktgefühl nicht ausschalten konnte.
Ja – wenn wir Wolldecken gehabt hätten! Dann hätte ich den engen Raum teilen können ...
Wolldecken ...!
Ein Gedanke reiht sich an den andern. Sollte Holger Jörnsen, der sich den Torstensen doch nach seinen Wünschen hatte bauen lassen, dieses Versteck wirklich nur mit einer Tür versehen haben?? Mit einer Tür war es eine Mausefalle.
Holla – suchen wir die zweite Tür!
Vielleicht ... vielleicht ...!!
Und ich hole eine zweite Batterie für die verbrauchte. Gerda schläft. Gerda wird ja auch wohl schon an das fehlende Badezimmer gedacht haben. Trotzdem – sie schläft ...
Es ist genug, daß eine jede Stunde ihre eigene Plage hat – – stimmt!
Ich leuchte die andere Längswand ab, die nach dem Laderaum hin. Schöne, dicke Bretter, dunkel gebeizt, die Ritzen mit Leisten übernagelt, alles sehr solide. So komme ich in die Ecke, wo der Wasserkessel steht, bin über Gerda behutsam hinweggestiegen.
Also doch! Kein Vielleicht mehr! Ich habe die zweite Tür ...
Die beiden Riegel sind auch hier geölt. Ich muß den Wasserkessel etwas beiseite schieben ...
So ... Spähe in den finsteren, weiten Raum hinein, habe die Lampe mit der Hand bedeckt.
Die Großluke ist geschlossen. Ich bin vor unliebsamen Überraschungen sicher. An Deck ist alles still.
Ich kenne den Laderaum genau. Brauche nicht viel Licht. Eine Schande, wie das Gesindel hier gehaust hat. Wir hatten auf peinliche Ordnung gehalten. Jetzt sah es hier wie in einer Rumpelkammer aus. Dort, links hinter den Konservenkisten, lag ein Bündel Decken. Ist noch vorhanden. Ich wähle mit Bedacht, was ich mitnehmen muß. Auch die Badezimmerfrage wird für mich gelöst – vorläufig. Ich verschwinde durch die Luke in den niederen Kielraum, wo die trockenen Ballastsäcke liegen. Der Torstensen ist dicht wie eine neue Blechdose. Saugt kein Tröpflein Wasser.
Als ich wieder nach oben steige, pralle ich zurück. Gerda sitzt auf einer flachen Kiste und zieht wollene Socken an, nickt mir zu. Wir schleppen gemeinsam unsere Schätze in die Kammer, und dann zieht Gerda sich für kurze Zeit in den Kielraum zurück.
Wir sind nun wieder »daheim«. Essen, trinken Wasser mit Kognak, sprechen flüsternd.
»Wußtest du von der zweiten Tür?«
»Ja ... Ich hatte nur nicht daran gedacht, Olaf ...«
»Du hast dann hier gründlich spioniert ...«
»Stimmt ... Das mußte ich wohl!«
Rätsel ...
Eine Frage drängt sich mir auf die Lippen. Ich verschlucke sie schnell wieder ...
»Jetzt wirst du schlafen, Olaf ...«
Weiß Gott – müde genug war ich!
Gerda erneuerte dann noch meinen Stirnverband – ohne viel Worte ...
»Du warst ungeheuer leichtsinnig.«
Das war so ziemlich alles ...
»Dein Geschenk war daran schuld«, erlaubte ich mir ihr als einen kleinen Hieb zu versetzen.
Sie schweigt. Ich schlafe ein ...
So begann unser dreitägiges Leben ganz abseits vom Alltagswege.
Im engen Raum mit der Jugendgespielin, die ein reizendes, junges Weib geworden. Und Mann und Weib in dieser erzwungenen Gemeinschaft, beide jung – eine Gemeinschaft mit tausend intimen, kleinen Beziehungen. Ich hatte mich für alle Zeit gewappnet geglaubt gegen das unnennbare Fluid der Weibesnähe. Man täuscht sich über sich selbst am meisten. Es gab Augenblicke, in denen die Liebe mir zusetzte wie einem brünstigen Tiere. Gerdas gleichmäßige Freundlichkeit war der kühlende Wasserstrahl.
Drei Tage ohne jede Aussicht, den Schuften da oben einen Streich spielen zu können, ohne Licht und Sonne, mit heimlichen Gängen in den Kielraum, mit mancherlei, das ich hier nur angedeutet habe.
Es war eine Gefangenschaft unter Begleitumständen, die an den Nerven zerrten.
Es war nicht die Nähe des Weibes allein, das ich in dieser kurzen Spanne Zeit lieben gelernt – vielleicht war es auch eine Liebe, die in den Jugendtagen unbewußt bereits in mir geschlummert hatte und die sich dem Manne nur als größte und stärkste Offenbarung zeigte. Es war nicht nur das Peinliche mancher Situation, sondern ebensosehr die stete Gefahr, die dieser Kerkerschaft den Reiz eines dauernd verabfolgten starken Aufpeitschungsmittels verlieh. Es war fraglos in seiner Art das Abenteuerlichste, Seltsamste, Ungewöhnlichste, das mir je begegnet ist.
Ein Abenteuer braucht nicht lediglich Sensation zu sein, auch komische Züge, lächerliche Einzelheiten vervollständigten hier das Empfinden, vollkommen abseits vom Alltag zu stehen, vom Schicksal hineingepflanzt zu sein in eine wunderliche Welt krassester Gegensätze. Wie oft waren wir, wenn wir den Laderaum aufsuchten, ganz nahe daran, erwischt zu werden.
Einmal haben Gerda und ich volle vier Stunden im Kielraum im äußersten Winkel hinter zwei Ballastsäcken gekauert, während die Meuterer – es waren zumeist Mulatten, Neger und nur wenige Mestizen, im ganzen schätzungsweise fünfzehn Mann – den Laderaum aufs genaueste durchstöberten und jede Kiste aufbrachen. Meine Schuld, denn ich hatte aus bestimmten Gründen unten im Kielraum eine große Flasche Lysol über die Säcke verspritzt, und dieser scharfe Geruch hatte den Verdacht der Piraten erregt, von denen sich keiner dazu bekannte, die Lysolflasche zertrümmert zu haben. In jenen Stunden war die Gefahr des Entdecktwerdens für uns sehr oft scheinbar nicht mehr abzuwenden, und sowohl Gerda als auch ich hielten unsere Pistolen jeden Moment schußbereit, denn lebend wollten wir diesen Burschen nicht in die Hände fallen. Wir hätten unser bißchen Leben freilich nicht gutwillig hergegeben.
Nun – auch das ging vorüber ... es war nur eine Episode von vielen ähnlichen.
Und dann: die Komik! Da war zunächst der Negerkoch, der Kunstpfeifer. Samuel wurde er genannt. Sein Repertoire umfaßte alle modernen Gassenhauer. Morgens begann er mit dem Sternenbannermarsch von Sousa, dann folgten Tänze ... Und niemals änderte er sein Programm. Wir wußten schon am zweiten Tage genau, zu welcher Stunde uns dieser oder jener Kunstgenuß bevorstand.
Samuels Gehilfe war ein Niggerboy namens Manuel. Oft genug habe ich die beiden belauscht, indem ich die Tür nach der Vorratskammer neben der Kombüse vorsichtig ein wenig öffnete. Samuel hatte diverse Rumflaschen heimlich beiseite geschafft, und jeden Abend nahm er seinen Schlaftrunk, während er mit Manuel Halma spielte – tatsächlich Halma. Die Unterhaltung der beiden war köstlich – leider aber für uns insofern ohne Belang, da niemals ein Wort über das Schicksal des Ehepaares Jörnsen und Boche Boche fiel.
Nein – auch bei anderen Gelegenheiten, wenn ich die Besatzung belauschen konnte, erhielt ich nie den geringsten Aufschluß über diesen wichtigen Punkt.
Die Unterhaltung war köstlich ... Samuel, und Manuel schwelgten in phantastischen Zukunftshoffnungen über kolossale Reichtümer, die ihrer warteten. Aus ihren Reden ging hervor, daß die ganze Bande, den weißen Anführer einbegriffen, fest überzeugt war, irgendwo im Adelaide-Archipel eine Goldader von märchenhafter Ergiebigkeit zu finden.
Daß diese Hoffnung mit der Person Jörnsens irgendwie zusammenhing, war aus dem Gespräch gleichfalls zu entnehmen – leider aber nichts darüber, ob Holger Jörnsen noch lebte.
Wie Samuel und Manuel sich ihr Leben als vielfache Millionäre ausmalten, war zum Lachkrämpfe bekommen ... Selbst Gerda, die sehr unter dieser Haft litt, preßte mir häufig den Arm, wenn der Bengel Manuel ganz ernsthaft erklärte, er würde sich einen ganzen Harem ... kaufen! Sobald Samuels Nachttrunk dann zu wirken begann, begannen sich die schwarzen Gentlemen zu zanken, warfen sich gegenseitig Mogeln vor und machten derartigen Krach, daß die Deckwache erschien und den Bengel Manuel mit einem Tauende verdrosch ...
Übrigens hatte dieses ganze Elitegesindel vor dem weißen Kapitano jetzt einen ungeheuren Respekt. Zweimal brüllte dieser Kerl dem Koch von Deck einen Befehl zu. Das war alles, was wir während dieser Zeit von ihm hörten.
Genug hiervon.
Übergehen konnte ich diese Einzelheiten nicht. Noch weniger darf ich es mit dem, was Gerda allein betrifft.
Gerda – – fragen durfte ich nichts ...
Und sie??
Von Stunde zu Stunde hoffte ich, daß sie den geheimnisvollen Schleier, der sie umgab, und den ich beständig spürte, wenigstens etwas lüften würde ... Nichts geschah. Und doch: Kleinigkeiten gaben mir noch mehr zu raten! Als ich einmal aus einer trüben Stimmung heraus sehr ernst die Befürchtung äußerte, Boche Boche sei von den Schwarzen erschlagen worden, brach Gerda in Tränen aus und wimmerte kaum verständlich:
»Dann ... will ... auch ich ... sterben ...!«
»Du, Gerda, sterben ...?? Boche Boche ist dir fremd, und die Jörnsens sind für dich Feinde, mithin auch eigentlich Boche Boche ... Ich verstehe dich nicht ...«
Schweigen ihrerseits ... Sie beruhigte sich schnell.
Ein andermal wieder meinte ich, der Meutererkapitän müsse doch ein ganzer Kerl sein, wenn auch ein Lump. Da fuhr sie auf ...
»Der erbärmlichste Wicht ist's – nie ein ganzer Kerl!!« Und das mit einem Haß, der mich fast erschreckte.
»Kennst du ihn denn so genau, Gerda?«
Ein Blick traf mich – ein Blick ...!! Und – – weiter nichts, kein Wort ...
Dann wieder erwähnte ich meine flüchtige Begegnung mit dem Fremden mit dem scharfen Profil in Panama. Gerda nickte nur ... Dieses Nicken konnte nur besagen, daß sie hiervon bereits unterrichtet war.
Rätsel – Rätsel ...
Unklarheiten ... Widersprüche ...! Ich kam mir vor wie ein Mensch, der sich in einem Irrgarten bewegt, den Ausgang sucht – wie ein Verzweifelter – und von einem schönen Phantom immer wieder in falsche Wege gelockt wird.
Wege, abseits vom Alltag!
Woher wir's wußten, daß es gerade drei Tage waren, wo wir doch weder einen Lichtstrahl der Sonne sahen noch eine Uhr besaßen, als diese Gefangenschaft begann??
Nun, zunächst konnten wir Tag und Nacht daran unterscheiden, ob es auf dem Kutter lebhaft oder ruhig war. Daraus auch, daß Freund Samuel nachts sein Konzert einstellte – – und an anderen einfachen Beobachtungen. Dann aber hatten wir auch in der einen Kiste in unserem Versteck zwei Dutzend billige Nickeltaschenuhren nebst anderem Kleinkram gefunden – sicherlich alles Geschenke, die für die unzivilisierten Bewohner des südlichsten Südamerika bestimmt waren. Diese Taschenuhren waren nicht schlecht und leisteten uns gute Dienste.
Drei Tage ...
In der Nacht nach Ablauf des dritten Tages merkten wir, daß der Kutter offenbar in einen Kanal zwischen Inseln eingelaufen war. Der Torstensen fuhr nicht nur mit halber Kraft, sondern schwankte überhaupt nicht mehr.
Das Klatschen der Wellen gegen Bug und Bordwand hatte völlig aufgehört. Es war etwa elf Uhr, als ich diese Beobachtung machte. Gerda schlief bereits – Gerda, in ihrem blauen Wollsweater mit rotem Rande, den blauen, hoch aufgekrempelten Seemannshosen, den wollenen Strümpfen und den Leinenschuhen, Größe 45. Kleinere waren nicht aufzutreiben gewesen ...
Das war ihr Kostüm jetzt.
Sie schlief ...
Und ich saß und horchte. Ich hatte berechnet, daß der Kutter in diesen drei Tagen, wenn er beständig südwärts gefahren, den von Samuel und Manuel so häufig erwähnten Adelaide-Archipel bereits erreicht haben konnte. Und ich zweifelte nicht, daß die Nigger irgendwie in Erfahrung gebracht hatten, daß diese Insel-Wildnis Holger Jörnsens Ziel gewesen.
Ich horchte ...
Ja, der Motor arbeitete nur mit zwei Zylindern. Und an Deck blieb es heute unruhig ... Man lief dauernd hin und her. Kommandorufe ... bisweilen Stoppen der Maschine. Vieles deutete darauf hin, daß der Torstensen sich in unbekanntem, gefährlichem Fahrwasser bewegte.
Eine leichte Erregung bemächtigte sich meiner. Ich fühlte geradezu, daß irgendeine Entscheidung nahe bevorstand.
Diese Erregung hielt mich bis ein Uhr wach. Dann streckte ich mich auf meine Decken aus und schlummerte schließlich doch ein. Es war jetzt empfindlich kühl in unserem Versteck. Die sonnigen Gefilde Chiles lagen hinter uns. Wir mußten uns in der Region der eisigen Nebel, der eisigen Regengüsse und der gelegentlichen Schneefälle befinden: Ultima Thule!
Ich hatte mir die Wolldecke bis über die Ohren gezogen, und vielleicht schlief ich gerade in dieser Nacht besonders fest ...
Leider ...
Ich erwachte ...
Dunkelheit ...
Neben mir liegt die Taschenlampe.
Ich setze mich aufrecht, schalte die Lampe ein ... ziehe die Uhr ...
Acht Uhr morgens ...
Wende den Kopf, will sehen, ob Gerda schon munter ...
Ihr Lager ist leer ... Auf dem primitiven Kopfkissen – einem zusammengerollten Segel – schimmert etwas Weißes ...
Papier ...
Ein besonderer Gedanke treibt mich hoch ...
Auf dem Zettel, einem rauhen Stück Einwickelpapier, steht mit Bleistift:
»Olaf, die Pflicht ruft mich. Wir werden uns wiedersehen. Und – – schweige!! – Gerda.«