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9.

Wera schläft …

Ich sitze vor Chedees Hütte auf einem dick bemoosten Stein und rauche nachdenklich eine Zigarette … Es ist Abend geworden, wir haben die Flußfahrt hinter uns, denn in dem Blockhause konnten wir nicht bleiben. Wußte ich, was Steenpool plante, kannte ich Gowins Absichten?! Das Blockhaus war kein passender Aufenthaltsort für Wera und mich.

Ein kräftiger Wind streicht über die Hügel und das Wasser, die Weiden und Büsche bewegen sich nickend und raunen und wispern ihre alten Sagen. Wrangel liegt zu meinen Füßen auf einem prächtigen Bärenfell …

Wera schläft. Ich grübele vor mich hin … – Wo sind alle die, die die Ereignisse der verflossenen Nacht mit erlebten?! Keiner ist zurückgekehrt, nur Wera kam … Und ob es für meinen inneren Frieden günstig ist, daß gerade sie sich wieder einfand …?!

In meinem Blut ist eine Unruhe, die mich peinigt. Dort hinter mir ruht die Fürstin Zubanoff auf einem Bett, das kaum diesen Namen verdient, und als sie sich niederlegte, nahm sie meine beiden Hände und preßte sie gegen ihre Brust … »Olaf, wenn ich Sie nicht hätte …!«

Kameradschaft …!

Wie blind Frauen doch zuweilen sind! Schöne Frauen spielen mit dem Feuer, und die Verbrannten sind wir … wir, die Herren der Schöpfung. Herren?! Doch nur immer Sklaven, über denen ein fremder Wille die Peitsche schwingt. Wir ducken uns, wir gehorchen, und wissen es selbst kaum, daß es so ist … Wir sind gefügige Werkzeuge seit jeher, unsere Leidenschaften sind unsere Herren, welchen Namen jene auch tragen mögen: Liebe, Haß, Ehrgeiz, Habgier, Genialität, Abenteuerlust – viele andere … –

Nun bin ich auch wieder gehorsamer Diener eines Weibes mit glatten, freien Zügen, mit einer Gestalt, als hätte man eine marmorne antike Juno in ein modernes Sportkostüm gesteckt. Das tut dem Ebenmaß der Fürstin keinen Abbruch.

Ich werde denselben Dank ernten wie stets: Der Kavalier macht dem Liebhaber Platz, und – alles versinkt in das Meer der Vergangenheit! –

Ich grübele … Ich habe Wera nichts von dem Geheimbund des Doktor Wang Ho mitgeteilt, nichts von dem dreizehnten Tschu-Wang, dem Großmeister.

Es ist Iwan Zubanoff. Ich weiß es nun mit aller Bestimmtheit. Seine Zeilen beweisen es, ich habe den Zettel Wera zurückgegeben, sie trägt ihn auf dem Herzen, aber auch ich kann jedes Wort auswendig:

 

Weruschka, was auch geschehen ist und geschehen möge, zweifele niemals an mir und meiner Liebe. Umstände, die stärker sind als meine Sehnsucht nach Dir, haben mich auch jetzt gezwungen, Dir fernzubleiben. Benutze den Kahn, kehre zum Blockhaus zurück, der Wasserweg ist durch Beilhiebe an den Erlen markiert, und vertraue Deinem Landsmann. – In Treue – – Dein Witscha.

 

… Umstände, die stärker sind …

Dafür eine Erklärung?! – Ach, Wera fand sie so schnell … Eifersucht – alles war vergessen … Das seidenschillernde Nestchen war für sie hergerichtet gewesen, aber ihr Gatte, so glaubte sie, hatte im letzten Augenblick wieder fliehen müssen.

Das war ihre Erklärung.

Die meine?! – Sie lautete anders. Der dreizehnte Tschu-Wang, das war Fürst Zubanoff, hatte eine Radiodepesche aufgefangen … Er hatte es dann mit dem Aufbruch so eilig gehabt, daß er die Wachswalze des Diktaphons zu entfernen vergaß. Ich fand sie noch eingespannt, ich notierte mir die Punkte und Striche, ich entzifferte die primitive Geheimschrift. Die Depesche hatte gelautet:

Sofort Charbin 13 Sendung eilt. Tschu-Wang II.

Aus dem Text war nicht viel zu entnehmen. Wichtig das eine: Sofort Charbin!

Und das hatte Zubanoff davongetrieben … Ob sein Weib in der Nähe, war ihm gleichgültig. Die Angelegenheiten des Bundes gingen allem voran …

Mit einiger Phantasie konnte man nun auch das Verschwinden Gowins, Chedees und der Giljaken deuten. Wassili Gowin und Chedee gehörten mit zum großen »Wang«, hatten dem dreizehnten Tschu zu gehorchen, begleiteten ihn nun wahrscheinlich zur Westküste Sachalins, wo ein Schiff ihrer wartete. Charbin war ihr weites Ziel.

Vielleicht verhielten sich die Dinge so, vielleicht! – Und Howard Steenpool?! – Bei seiner Person bremsten meine tastenden Gedanken. Wo steckte der Engländer?! Die Japaner, die er nachts als Hilfe bereit gehabt, hatten ihm fernerhin die Gefolgschaft verweigert, der Polizeimeister mit den zappeligen Bewegungen war selbst ein Wang.

Steenpool war Gegenstand unserer Sorgen. Drüben im Nordwesten lagen russische Ölfelder mit hunderten von farbigen Arbeitern und einem Dutzend Russen als Aufseher, Ingenieure und Maschinenmeister. Es kostete Steenpool nur ein Wort, und diese ganze wilde Rotte, die da in der Einsamkeit der Bergtäler hauste, setzte sich in Marsch hierher. Deshalb auch hatte ich es vorgezogen, unser Steinhaus an der Bucht zu meiden. Die Insel hier war sicher. Chedee hatte hier ein Versteck geschaffen, das nicht einmal vierbeinige Spürhunde finden würden. Zu beiden Seiten der Insel schoß der Fluß in starker Strömung dahin, die Ufer waren eine stachelige Wildnis, an der Spitze der Insel hatte sich eine Barre von Treibholz gebildet, dort lag unser Nachen zwischen dichtestem Astgewirr, von dort führte nur ein Pfad durch das Gestrüpp: Ein angetriebener Baum, eine mächtige Buche, die ihre Krone in die Büsche gedrängt und wieder Wurzel geschlagen hatte.

Steenpool fürchtete ich. Deshalb schlief Wera in dieser elenden Hütte, deshalb hielt ich hier Wache, die Büchse neben mir, den Hund zu meinen Füßen. – Wrangel hatte den Kopf auf die vorgestreckten Pfoten gelegt … Er war wach … Vorhin hatte er eine Schüssel Reis und Fleisch gefressen, die ein krankes Tier nie geschafft hätte. Seine buschigen kleinen Ohren spielten andauernd, wenn der Wind im Gesträuch knisterte, sträubte sich sein Rückenhaar. Auf ihn konnte ich mich verlassen.

Der Himmel im Westen schimmerte wie der Widerschein eines ungeheuren Brandes, der Nebel war verweht, die Sonne versunken, in kurzem würde es dunkel werden.

Ich erhob mich. Die Glieder waren mir steif geworden, und die Müdigkeit schlich herbei wie eine arge Verführerin, einmal die Augen zu schließen. Ich durfte nicht einschlafen.

Ich gehe auf und ab in dem niedergetretenen Grase der kleinen Lichtung. Ich rauche, um mich wach zu halten. Es sind nun fast vierunddreißig Stunden vergangen, seit ich andauernd auf den Beinen bin. Mein Körper streikt …

Ich taumelte fast.

Und dann fahre ich zusammen …

Lausche …

Hundegebell in der Ferne …

Wütendes Kläffen …

Ich weiß, die dort auf den Petroleumfeldern haben Hunde übergenug … Mit Hunden bespannen sie die kleinen Loren der Feldbahn, die bis zur Küste läuft … So wird das Rohöl zum Dampfer geschafft. Zumeist arbeiten dort chinesische Kulis. Für Geld tun die alles.

Ich bin munter wie nie. Ich horche, – Wrangel hinkt zu mir, knurrt leise, und ich überlege, ob ich Wera wecken soll.

Ich schleiche zur Buche, klettere durch die Äste, klettere auf dem Stamm entlang, krieche das letzte Stück und halte Umschau.

Über den grünen Hügeln und Waldstücken ruht das ungewisse Licht des scheidenden Tages.

Am Westufer bricht plötzlich ein Tier durch die Weiden, ein braungelber, gestreifter Leib windet sich zu einer kleinen Sandbank …

Es ist der erste Tiger, dem ich hier begegne, – der erste Tiger in Freiheit, den ich sehe …

Er ist angeschweißt. Von seiner Lende rinnt dunkles Blut in den Sand, er schleppt das Hinterteil etwas nach, die Pendelbewegungen des Schweifes sind unregelmäßig und matt. Diese sibirischen Tiger, weit dunkler gezeichnet und wolliger im Haar als die indischen, erreichen nie die Größe ihrer südlicheren Vettern. Trotzdem sind sie für Nordostasien die gefährlichsten Raubtiere.

Der Tiger dreht den Kopf zurück und verhofft, horcht … Die Meute hinter ihm rückt näher, und jetzt erscheinen auch über einem Hügelrand die Köpfe dreier Chinesen mit flachen Basthüten.

Ich kenne die Jagdmethoden dieser Aasjäger. Sie feilen von den Nickelmantelgeschossen die Spitzen ab, und der Einschuß einer solchen Dum-Dum-Kugel ist bereits ein gräßliches Loch, der Ausschuß meist faustgroß. Gowin hat sich nie zu feigen Mitteln verstanden, ich erst recht nicht, ohne Rücksicht darauf, daß jedes Fell durch derartige Löcher wertlos wird.

Die Petroleumkulis sind vorsichtig. Sie haben die Hunde an langen Riemen, und ich zähle sehr bald ein Dutzend Köpfe.

Die Dämmerung wird stärker, und der Tiger steht noch immer unschlüssig auf der Sandbank.

Gellende Rufe, die einer zweiten Abteilung Kulis galten, wenden meine Aufmerksamkeit dann dem anderen Ufer zu. Auch dort Hunde und Menschen.

Wenn es dem Tiger einfällt, zur Insel hinüberzuwaten und hier bei uns Schutz zu suchen, sind Wera und ich verloren, – – denn weit hinten erblicke ich drei Reiter, darunter den kleinen Steenpool. Es stimmte also: Steenpool ist zu den Russen geflüchtet.

Meine Nerven schwingen leicht. Ich habe Situationen wie diese genügend durchlebt … Wera und ich auf der Insel sind bequeme Zielscheiben von den hügeligen Flußufern aus.

Die einzige Hoffnung bleibt, daß der Tiger auf der Sandbank zusammenbricht und daß wir nicht entdeckt werden. Macht er den Versuch, zu uns herüberzukommen, so muß ich feuern, und dann sind wir verraten.

Die beiden Trupps an den Ufern rücken vor. Der Tiger setzt sich schwerfällig auf die Hinterhand und leckt seine Wunde. Zwei Hunde brechen durch die Weiden, sehen ihn, und ihr langgezogenes Heulen treibt mir ein kaltes Rieseln über den Rücken – nicht meinetwegen. Aber daß ein Weib wie Wera Zubanoff hier elend niedergeknallt werden soll – niemals würde sie sich denen da ausliefern –, spannt meine hastenden Gedanken bis zum äußersten an …

Der Tiger fletscht das gelbliche Gebiß und jault drohend, erhebt sich, und die Hunde verschwinden eiligst.

Ich schmiege mich enger an den Stamm der Buche … Ich liege hier im dichtesten Grün, und die Dunkelheit naht …

Minuten wie diese sind Nervenprobe. Mein Herz tat ein paar schnellere Schläge, nun werden es wieder siebzig, fünfundsiebzig sein, und kein Arzt hätte an meinem Puls etwas auszusetzen.

Der Tiger hat mich jetzt gewittert, fünf Meter sind keine Entfernung, und der Wind steht für ihn günstig. Er windet zu mir herüber, der buschige Schweif pendelt nicht mehr, und nach Katzenart duckt er sich vorn etwas zusammen.

Arme Kreatur! Das Blut aus der gräßlichen Wunde spritzt jetzt wie eine angeschlagene Arterie, und der Sand ist schwarz geworden. Ein Gnadenschuß wäre für ihn eine Erlösung. Mit der Wunde gibt es keine Genesung. Der Tiger – und Wera und ich, wir befinden uns in der gleichen Lage. Die Chinesenhorde und die drei Reiter und die jagdwütige Meute sind uns gleich gefährlich, und wer weiß, vielleicht haben auch Wera und ich in kurzem eine Dum-Dum im Leibe …

Die Köter kläffen jetzt in Mengen in den dichten Weiden. Dann knallt ein Schuß, der Tiger ist mit einem einzigen Satz über die schmale Flußrinne geschnellt, und sein Sprung ist so tadellos berechnet, daß er die Vorderpranken neben mir in die Rinde der Buche schlägt und mir dabei die Büchse aus den Händen reißt, – sie fällt von Ast zu Ast und liegt tief unter mir auf einer Wurzel.

Aus den Weiden zwei neue Schüsse, – trotz der schlechten Beleuchtung sehe ich die Strohhüte der Kuli-Schützen, und der Tiger sinkt mit einem gurgelnden Stöhnen zurück, Äste brechen, – er rollt ins Wasser, will wieder auf die Beine, – ein kurzer Todeskampf, und er liegt still.

Wohl ihm. Er hat alles überstanden. Und ich?!

Die beiden Chinesen springen schon von der Uferböschung in den Fluß, – sie müssen mich sehen, wenn ich auf dem Stamm rückwärts krieche … Es ist zu spät.

Sie sind schon vor mir, – der eine, ein alter, schrumpeliger Bursche mit verschlagenen Zügen, glotzt mir gerade ins Gesicht … Seine Lippen öffnen sich schon … Sein Schrei wird die ganze Bande herbeilocken, und …

Wie eine Vision sehe ich da die Szene im Blockhaus, in dem lilaseidenen Zimmer, sehe Wassili Gowin die Hand auf das Herz drücken, – das Geheimzeichen der Wangs …

Eingebung des Augenblicks: Ein allerletzter Versuch …!

Ich richte mich etwas auf, ich presse den Handballen genau wie Gowin auf die Stelle des Herzens, flüstere dazu:

»Tschu-Wang!« … und lege den Zeigefinger auf die Lippen und schiebe mich eilends der Insel zu. Mag werden, was will, – es ist das Letzte, das ich zu unserer Rettung tun kann …

Die beiden Chinesen?!

Ich könnte jubeln …: Sie nehmen keinerlei Notiz mehr von mir, sie packen den Tiger bei den Hinterbeinen, schleppen ihn ans Ufer, versetzen den andrängenden Hunden Fußtritte … Man zieht die Beute dann mit Riemen durch die Weiden, – es ist so dunkel, daß ich kaum mehr die einzelnen Gestalten unterscheide, nur den Lärm höre ich, … er entfernt sich … Und dann ist die Nacht da und die Stille, der Fluß plätschert und wispert, der Wind singt in den schlanken Weiden, jedes Blättchen scheint mir lustig zitternd Glück zu wünschen.

Ich hole meine Büchse. Und als ich dann festen Boden erreiche, stehen Wera und Wrangel vor mir, Wera tief gebückt, sie hält dem Hunde das Maul zu, und in ihr leises, frohes Lachen klingt das dumpfe Knurren Wrangels wie der mürrische Baß eines enttäuschten Jagdeifrigen hinein.

»Er hätte uns verraten …« sagt sie hastig … »Die Schüsse weckten mich … Wie haben Sie es nur fertiggebracht, Olaf, daß die beiden Chinesen Sie nicht mehr beachteten und so eilends abzogen?!«

Es ist dunkel, sie kann mein Gesicht nicht erkennen. Der Schreck über diese Frage wäre mir sicherlich an meiner bestürzten Miene abzulesen gewesen.

Ich will Zeit gewinnen.

»Gehen wir in die Hütte, Fürstin …«

Mein Ton macht sie stutzig.

»Kannten Sie die Leute?«

Mißtrauen spüre ich …

»Nein, wirklich nicht … Ich kannte sie nicht, aber es gab ein Mittel, sie für mich zu gewinnen.«

»Geld?!« Und das ist feiner Spott. »Ach Olaf, Sie schleppen sich doch mit Geld niemals herum … Denken Sie an die Flußfahrt im Nebel … Sie erzählten mir so vieles, zu viel oder … zu wenig, Olaf! Sie haben Macht über diese Kulis von den Ölfeldern – woher?!«

Sie hat sich aufgerichtet, und ihre Linke drückt meine Schulter.

»Woher?«

Ich bin in die Enge getrieben. Mein Zögern macht sie noch argwöhnischer. Sie ist klug, eine Wera Zubanoff läßt sich nicht so leicht täuschen.

»Kommen Sie, Fürstin …«

Einmal muß sie ja doch die Wahrheit erfahren.


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