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3.

… Der Bruder Athanasius bringt mir das Frühstück, und sein braunes gutmütiges Gesicht drückt wie immer tiefstes Staunen aus, weil ich jeden Morgen in meiner Zelle so und so viele Bogen von dem schönen gelblichen Papier vollschreibe.

Wenn ich den Blick hebe, sehe ich rechts die schroffen Felswände mit ein paar armseligen Palmen, links den Klostergarten mit uralter Steinmauer. Noch weiter links den Friedhof dieses ältesten Klosters der Welt, von dem die Überlieferung besagt, an dieser Stelle habe sich einst der Garten Eden, das Paradies befunden:

Das Herz der Welt!

Es ist ein weiter Weg von Sachalin zu den kahlen, hellen Gebirgsmassen am Roten Meer – bis zum Kloster St. Antonius, dem ältesten der Christenheit. Es war ein Weg so sehr abseits der Heerstraße des Alltäglichen, daß ich nicht weiß, wo ich dieses Stück meiner jüngsten Vergangenheit beginnen, wie ich es für mich in Worte kleiden soll. Es ist zu viel des Romantischen, zu viel rein Menschliches dabei. Wo Leidenschaften aufeinanderprallen, wird das Alltägliche zum Abenteuer und das Bedeutungslose zu wilden Szenen.

Hier inmitten dieser tausendjährigen Mauern in einem Raum, der nur dem Schemel Platz bietet, ruhe ich aus von den vielen Wochen der Seelennot und der Sorgen um andere.

Bruder Athanasius erzählt mir von der reichen Rosinenernte dieses Jahres, und er berechnet, wie viel Kirchenwein man gewinnen würde, und – er raucht dabei, er raucht immer, seine Pfeife geht nur aus, wenn die Glocke zu den Andachten ruft.

Zuweilen, wenn ich nachts schlaflos daliege und dem fernen Krächzen der zahllosen Raben lausche, die in den Klüften der weißen Abhänge nisten, erscheint mir alles wie ein wirrer Traum. Ich habe die Weltstadt Kairo, Metropole Ägyptens, Sammelpunkt reicher Nichtstuer, so nahe – – und doch so fern. Was besagen einhundertvierzig Kilometer?! Aber die Wälle und Klüften des ödesten aller Gebirge liegen zwischen St. Antonius und Kairo, keine gebahnte Straße, kein Schienenstrang sind in der Nähe, Touristen kommen selten hierher, und die Einsamkeit dieses weiten Hochtales hat mich wieder gesund gemacht.

Auch die, mit denen ich hierher kam, sind entschwunden, ausgelöscht aus meinem Dasein. Ich bin abermals ganz auf mich selbst gestellt, und das Gefühl war mir stets Quelle der Kraft, unversiegter wie die Klosterquelle dort drüben, die den Garten und die Felder bewässert und vielleicht dazu beitrug, die Mär vom Garten Eden hierher zu verlegen.

– Athanasius, einer der jüngsten der koptischen Mönche, ist gegangen, hat die Holztür leise zugedrückt und mich meinen Gedanken und Erinnerungen überlassen.

Ich überlese die letzten Sätze und finde da den Namen Chedee.

Ja, der Giljake Chedee mit seiner verrosteten doppelläufigen Vorderladerflinte kam Howard Steenpool zu Hilfe, obwohl dies gar nicht mehr nötig gewesen wäre. Steenpool stand schon allein seinen Mann, und Wera Zubanoff blieb schließlich nur ein Weib, mochte sie auch noch so sehr Tigerin spielen.

Chedee ist ein mittelgroßer Kerl mit mächtigem Brustkorb und schmierigem, bräunlichem, faltigem, fast bartlosem Gesicht. Alles an ihm ist schmierig, und er trägt das graue Haar nach Giljakenart zum Zopf geflochten und verachtet im Sommer jede Kopfbedeckung.

Es ist Juni und die schönste Jahreszeit für Nordostsachalin. Im August setzen schon die Fröste ein, die Nebel kommen früher, eigentlich bleiben sie nie aus.

Chedee bevorzugt Robbenfelle als Stoff für seinen praktischen Anzug. Er hat sogar ein Hemd unter dem Jagdrock, und unter dem Hemd sieht man die behaarte Brust. Niemals sieht man ihn ohne seine Hunde. Bisweilen hat er fünf, bisweilen acht oder sieben, je nach dem die Bärenjagd seine vierbeinigen Helfer vermindert.

Ob Chedee oder Gowin der Stärkere ist, die Frage bleibt offen. Jedenfalls hat Chedees brutaler Griff die Lage entschieden, und Wera schrie zum zweiten Male auf.

Wera, geborene Baronin Ginnström, kann sich rühmen, daß ich sie sprachlos anstarrte, nachdem ich hochgeschnellt war und mich umgedreht hatte. Chedee fesselte ihr bereits die Hände auf dem Rücken und Steenpool sagte mißbilligend: »Sie sollten mich doch kennen, Fürstin …! Mich erschreckt man nicht durch ein solches Spielzeug!« Und er versetzte der Pistole einen Fußtritt.

Meine Landsmännin Wera war vielleicht die bestgewachsene Frau, die ich je sah. Alles an ihr war Ebenmaß und selbstbewußte, kraftvolle Schönheit.

Ihr vor Ingrimm gerötetes, sonngebräuntes Gesicht erinnerte mich entfernt an eine berühmte spanische Tänzerin. Eine so kühne, scharfe Nase, so merkwürdig klare, leuchtende Augen in einem schmalen Antlitz mußten jeden Mann fesseln, und der Mund glich einer Rosenknospe, die von Dornen gehütet wird.

Weras Blick ruhte voller Verachtung auf Steenpool, angeblich Oberinspektor, also Detektiv. Hatte Steenpool nicht eingestreut, daß er das Zuchthaus von Battersea in den Vereinigten Staaten kenne?! Ein merkwürdiger Beamter.

Merkwürdig wie Chedee, der so trefflich englisch spricht, merkwürdig wie der lallende Gowin mit der halben Zunge.

Die Fürstin Zubanoff sagt mit beispiellosem Hochmut: »Sie sind ein armseliger Wicht, Steenpool, Sie sind eine feige schleichende Ratte!«

»Nein«, sagte er nachsichtig, »ich war nur zu sehr Kavalier, Fürstin. Ich hätte getrost die Handschellen nehmen sollen. Stricke und Riemen sind nichts für Sie. Eisen, Stahl ist sicherer.«

Ich stehe dabei, wie ein braver Bürger, der nachts plötzlich in eine wilde Diebesjagd verwickelt wird.

Chedees Mund öffnet sich, und der braune Tabaksaft fliegt zwischen den Zahnlücken hindurch vor Weras Füße. Ein nicht wiederzugebender Ausdruck begleitet diese häßliche Geste der Geringschätzung.

Steenpool betrachtet den Giljaken lange Zeit und fragt schließlich:

»Du bist mir eine Neuerscheinung. Wer bist du?«

Das wundert mich. Steenpool streifte hier seit Monaten umher, sonderbar, daß er Chedee nie begegnet ist.

Gowin heult wieder in seiner Grube, und Steenpool lacht.

Chedee antwortet mit dem selbstverständlichen Selbstbewußtsein des freien Jägers:

»Ich bin Chedee, der Giljake.«

Der Oberinspektor (?) schmunzelt gutmütig. Seine verwaschenen Augen aber strafen das Schmunzeln Lügen.

»Vielleicht bist du noch mehr, Chedee … Es ist hier ein feiner Vierklee beisammen … Gowin, Abelsen …«

Er bricht ab, denn Wera Zubanoff hat einen seltsam pfeifenden Ton ausgestoßen und ist gelbgrau geworden und hat große irre Augen.

Wir sehen sie an, und Steenpool kneift die Lider klein und zieht die Mundwinkel hoch.

»Aha – Gowin! Wohl eine Bekanntschaft von Charbin her, Fürstin … War Gowin damals noch in dem Besitz einer vollständigen Zunge?!«

Die Röte steigt ihr jäh bis zu den Schläfen, und Chedee hustet eigentümlich.

Wera blickt auf Steenpools Stiefel und sagt nur: »Ihre lächerlichen Trugschlüsse langweilen mich gründlich …«

Allmählich langweilt auch mich dies zwecklose Hin und Her von Andeutungen. Im Grunde gehen mich weder Howard Steenpool noch Wera Zubanoff etwas an. Ich will meine Ruhe haben, und diese Kinoszenen sind gegen meinen Geschmack.

Aber diese Frau wendet sich jetzt mir zu, und ihre ersten Worte schon ändern die Dinge nur zu gründlich.

»Denken Sie an Margrit, Mr. Abelsen … Sie haben noch nie einem Weibe Ihre Hilfe versagt. Ich bin ein zu Unrecht gehetztes Wild. Steenpool ist Beamter, und für ihn existiert nur die Fülle trockener Paragraphen. Ich habe nichts getan, was diese monatelange Verfolgung rechtfertigen könnte.«

Der kleine Howard raucht eine neue Zigarette. Sein Kautschukgesicht ist nur trostlose Betroffenheit.

»Ach nein, – man könnte staunen! Nicht rechtfertigen – – schau schau! Und Edward Bix?! Starb er nicht durch Ihre Kugel?! Und Lord Fattmoore, – wer stürzte ihn in den Amur?! – Fürstin, Ihr Gedächtnis ist beklagenswert löcherig, ein Sieb ist eine Panzerplatte dagegen.«

Die Sonne scheint so wunderschön warm, das Tal mit seinen grünen Rändern und Buschinseln und den fernen Tannenkulissen ist so poetisch in seiner friedvollen Einsamkeit. Nur der Mensch mit seiner Niedertracht entweiht es.

Wera blickt mir fest in die Augen.

In ihren Augen ist mehr als Sonne …

Ich sage entschieden: »Wenn Sie an den Gentleman appellieren, Fürstin, so ist das leider verfehlt. Mr. Steenpool hielt mir soeben einen Steckbrief vor. Ich bin nichts als Abenteurer, Flüchtling, Totschläger aus Notwehr. Dennoch, Mr. Steenpool, ich möchte klar sehen.«

Gowin muß die Frauenstimme vernommen haben. Er tobt für mich in seinem Erdloch, und Wera Zubanoff wechselt die Farbe und schaut sich ratlos um, als ob sie die Möglichkeit eines Entweichens prüfen wollte.

Der alte Giljake – ich möchte die Läuse in seinem Zopf nicht zählen – deutet vielsagend auf sein Hundegespann, das hundert Meter weiter halb im Gestrüpp steht. Es ist ein langer Schlitten mit plumpen Kufen, unter denen jetzt sechs kleine plumpe Räder für die Sommerzeit angebracht sind. Sieben zottige Hunde sitzen abgeschirrt mit gespitzten Ohren da und beobachten uns. Der achte liegt auf der Seite und leckt den Hinterschenkel. Er muß verwundet sein.

»Die Hunde zerreißen jeden«, meint Chedee warnend.

Steenpool hat sich gebückt und eine seiner Keulen und meine Büchse aufgehoben, läßt den Patronenrahmen herausschnellen, gibt ihn mir und … schüttet Sand in den Lauf.

»Es ist besser so, Mr. Abelsen … Wir werden uns trennen. Sollten Sie uns folgen, werde ich Sie verhaften.«

Ich habe nur noch die Pistole im Lederfutteral, und Steenpool belächelt Pistolen.

»… Wenn wir eine halbe Stunde fort sind, dürfen Sie Gowin herauslassen, früher nicht. Versprechen Sie es mir, – es ist besser so.«

Die Keule in seiner Hand schwingt hin und her.

»Ich verspreche es …«

Die Fürstin dreht mir den Rücken zu, und Chedee schreitet zu seinem Schlitten und hält seine verrostete Flinte halb im Anschlag.

Der verletzte Hund ahnt wohl sein Schicksal und kriecht mit schleppendem linken Hinterbein eilends davon. Es ist ein rostbraunes, kräftiges Tier mit starker Halskrause, größer als die anderen. Aber Hunde sind auf Sachalin nichts wert, und verwilderte Hunde treiben sich in ganzen Rudeln umher.

Mich dauert der Hund. Ich rufe Chedee ein paar Worte zu, und er dreht den Kopf und nickt.

Als der Schlitten, Chedee, die Fürstin und der affenarmige Keulenwerfer verschwunden sind, habe ich den Hund zu meinen Füßen und streichele ihn und besichtige die frische Wunde, die bis auf den Knochen geht.

So bin ich zu Wrangel gekommen. Ich habe ihn Wrangel getauft, es war eine Eingebung des Augenblicks. Das Geschlecht der Wrangel ist in Schweden ziemlich verbreitet, und einer meiner Freunde von einst hatte genau so runde, treue Augen wie dieses Tier. –

Eine halbe Stunde …

Mag Gowin nur toben. Ich pflege mein Wort zu halten. Ich melde mich nicht. Ich kann ihm alles nachher erklären.

Drüben fließt das Flüßchen zwischen dichtem Weidengestrüpp dahin. Ich trage den Hund an eine freie Uferstelle, wasche die Wunde und streue von dem fein pulverisierten übermangansaurem Kali, jenen lila Kristallen, ein wenig hinein und schlinge mein Taschentuch um die böse, klaffende Verletzung. Wrangel leckt mir die Hand. Ich wünschte, die Menschen wären so dankbar wie Hunde.

Die Zeit ist um, und ich öffne die Falltür, und ein stiller Gowin steigt heraus und blinzelt in das Sonnenlicht, befühlt seinen Hinterkopf, blickt ringsum, prüft die Fährten und versucht mich durch Zeichen auszufragen.

Ich erzähle, aber ich rede nur von einer Frau und nenne keinen Namen.

Gowins Zurückhaltung, was weitere Einzelheiten betrifft, setzt mich in Erstaunen. Er begnügt sich damit, nochmals all die Spuren zu betrachten und tut recht gleichgültig.

Dann stellt er sich vor mich hin – ich reinige gerade meine Büchse – und will mir irgend etwas klar machen. Seine Erregung wächst, sein Gesicht verzerrt sich, und endlich begreife ich: Er möchte den dreien folgen!

»Nein, Gowin, – ich kehre zu unserer Steinhütte zurück. Sie haben eine halbe Stunde Vorsprung, und wenn sie mit Chedees Bootsschlitten den Fluß hinauf gerudert sind, finden wir sie nie.«

Das sieht er ein.

Er bringt die Falle in Ordnung, wir machen noch einen Gang zu den anderen Gruben, und drei Füchse werden abgehäutet.

Es ist mittag, als wir daheim anlangen.

Wrangel bekommt einen ordentlichen Verband, Gowin bereitet das Essen auf dem offenen Herd und ich sitze dann an dem plumpen Tisch und mache mir Notizen und schaue zuweilen durch das Fenster über die Bucht hin.

Hinter den Riffen, die eine kleine Mulde bilden, schaukelt der Schoner Sakramento, den Chi Api uns gespendet hat. Auf der Reling sitzen Möven dicht bei dicht. Ich liebe sie nicht, sie beschmutzen das Deck.

Meine Notizen sind kurz. Ich unterstreiche die Namen, schreibe möglichst wörtlich Steenpools Bemerkungen nieder und vergesse nicht Weras klassische Schönheit. Während ich so Wera Zubanoff fixiere, wird mir warm ums Herz, und nebenbei beschleicht mich Beschämung …

Sie verachtet mich. Ich bin kein Gentleman. Ich hätte sie niemals Steenpool und Chedee überlassen dürfen. Gowin steht hoch über mir. Er wollte die drei verfolgen, ich ließ es nicht zu, und mögen seine Motive auch anderer Art gewesen sein, – ich habe diesmal wider mich selbst gesündigt, und es wird viele Tage dauern, bevor ich darüber hinwegkommen werde.

Es gibt zu Mittag Rentiersuppe mit allerlei Wurzelwerk, Reis und geschmorte Pflaumen als Nachspeise. Gowin als Koch ist unübertrefflich. Er wäscht sich vor dem Kochen sogar die Hände.

Die Mahlzeit verläuft diesmal nicht so stumm wie sonst. Im allgemeinen beschränkt sich der Meinungsaustausch zwischen uns auf den eng begrenzten Kreis unseres stillen Daseins. Dieser Kreis ist heute gesprengt worden. Unser Erleben hat keinerlei Anlaß zu großen inneren Krisen, selbst die Spuren des Fremden hatten immer nur eine Nebenrolle gespielt. Dies ist nun anders geworden. Taucht eine Frau auf, und diese Erfahrung machte ich nicht zum ersten Male, ändert sich vieles in einem weltabgekehrten Eremitendasein, ist die Frau jung und schön, beansprucht sie unweigerlich Beachtung, wenn wir uns auch dagegen sträuben.

Gowin, der trotz seiner zwanglosen Manieren niemals irgendwie bei Tisch Anstoß erregte, verlangt Auskunft über die Frau, zupft an seinem Haar, und müht sich ab, mir klar zu machen, ob die Frau jung oder alt, hübsch oder häßlich gewesen.

Es ist eine peinliche Frage für mich. Ich weiche aus. Gowin muß irgendwie Verdacht geschöpft haben, daß ich ihm so manches verschwieg. Er kennt Wera Zubanoff, – er glaubt mir nicht, daß die Frau, die Steenpool mit sich nahm, nicht einmal ihren Namen nannte. Seine dunklen Augen ruhen mit finsterer Beharrlichkeit auf meinem braunen Gesicht. Es ist sehr peinlich, und ich lüge ungern. Diesmal lüge ich mit kalter Entschlossenheit, denn, erfährt Gowin den Namen, so wird er unfehlbar seine Büchse nehmen und verschwinden und vielleicht tagelang wegbleiben. Sein Name hat Wera einen tödlichen Schrecken eingejagt. Sie kennen sich, und Gowins Kugeln sitzen locker. Daß er in die Wolfsgrube sprang, war ja nicht Feigheit. Er wollte nur Deckung suchen vor Steenpool, und Howard Steenpool läge jetzt wahrscheinlich mit zerschossenem Arm dort auf meinem Bett, wenn Gowin zum Schuß gekommen wäre.

»Sie war häßlich und verblüht«, sagte ich nochmals. »Es muß irgendeine Verbrecherin gewesen sein, Steenpool erklärte sich nicht näher … Mehr kann ich dir nicht mitteilen, Gowin. Die Sache ist ja auch durchaus gleichgültig.«

Ein Zug höhnischer Überlegenheit erscheint auf seinem Gesicht, das so sehr den Abbildungen des Golem gleicht, jenen aus schöpferischer Phantasie geborenen Bildern eines Rätselwesens, um das sich die Handlung eines der tiefsten deutschen Romane rankt, gegen den selbst der berühmte Saure Zwerg des wandelfähigsten aller Romanfabrikanten nur Literatenkaffeegewäsch bleibt.

Er schiebt den Teller mit einem Ruck von sich, er steht plötzlich auf, in seinen Zügen verdichtet sich der ungläubige Hohn zu offener Feindseligkeit. Seine Handbewegung ist unmißverständlich, sie besagt: Du lügst!

Es ist das erstemal, daß zwischen uns ein ernsterer Zwist das Behagen stört. Gowin ist ärgerlich, er zeigt es mir, Heucheln widerstrebt ihm, könnte er sprechen, würde er mir sicherlich Dinge sagen, die mich erröten lassen.

Ich beginne meinen üblichen Verdauungsgang, während Gowin das Geschirr säubert. Nachher wird er die drei Fuchsbälge auf Bretter spannen und mit dem Schabemesser bearbeiten. Ich wandere nach links herum um die weite Bucht zum Vorgebirge. Das Meer hat sich völlig beruhigt, es ist Ebbezeit, und auf dem nun trockenen Sandstreifen liegen Seetangbänke, Muscheln, Riesenquallen, tote Fische, sogar ein riesiger Lachs, und Krebstiere in allen Formen eilen krabbelnd wieder ihrem zurückgewichenen heimatlichen Element zu. Die Krähen, Raben, Dohlen, Möven und Albatrosse finden reiche Beute. Ein Tier frißt das andere, – es ist genau wie im Daseinskampf der Menschen, nur daß das Ebenbild Gottes die brutalste Bestie bleibt.

Ich fühle nach der Innentasche der Jacke, aber meine Zigarren habe ich neben meiner Schreiberei liegen lassen, und ohne Zigarre wäre dieser Gang im Mittagssonnenschein eine halbe Erholung Ich kehre um, und ich komme am Fenster vorüber. Das Gras hier macht meine Schritte unhörbar. Ich stutze …

Gowin sitzt an dem selbstgezimmerten Schreibtisch und liest meine Notizen, die ich flüchtig mit Bleistift auf das Papier warf.

Ich trete schnell zurück. Er hat mich nicht gesehen, er glaubt mich längst weit weg.

Gowin ahnt nicht, daß ich erst in dieser Stunde erfahre, daß er lesen kann. Er hat mich bisher getäuscht, – ich sehe es an der Veränderung seiner Züge, daß er jetzt den Namen Zubanoff gefunden hat. Seine rechte Faust ballt sich, sein Gesicht wird zur drohenden Maske besinnungslosen Hasses, und die Faust trifft den Zettel, als ob das Papier der Kopf der schönen Wera wäre.

Ich schleiche wieder davon, aber nur bis zu den Büschen, verberge mich und warte.

Ich wußte: Eine Frau, und schon ist es vorüber mit der Kameradschaft, schon beginnen die Heimlichkeiten … Als Gott die erste Eva schuf, hätte er sie unbedingt nicht als Trägerin des Prinzips des großen Triebes in die Welt setzen sollen. Bei den Tieren sind zumeist die Männchen die schöneren Exemplare. Weshalb mußte das Weib in der Mehrzahl so begehrenswert gestaltet werden?!

Ich warte, und was ich erwarte, geschieht. Gowin erscheint bewaffnet um die Hausecke, auf dem Rücken den Tragsack aus Seehundsfell, – er äugt mit verkniffenen Lidern zum Vorgebirge, und dann schlägt er flüchtigen Schrittes die Richtung nach jenem Tale ein, in dem ich Wera sah und Wera nicht half.

Mein Entschluß steht fest. Ich gönne Gowin einen Vorsprung, dann rüste ich mich aus wie er, nehme Lebensmittel, Rauchfleisch, Büchsen, Hartzwieback und eine halbe Flasche Whisky und Zigarren, fünfzig Patronen …

Weiß ich, wie lange ich wegbleibe?

Weiß ich, ob ich diese Bucht je wiederseh?!

Und der Hund?

Er liegt auf weichem Fellager und beobachtet mich. Die Haarzottel hängen ihm über die Augen, und er scheint traurig zu sein. Das Auge des Hundes ist so ausdrucksfähig.

Dann erhebt er sich, hinkt zu mir, reibt seinen Kopf an meinem Knie und winselt leise.

Einen Moment nur kam mir der Gedanke, daß es unter diesen Umständen besser gewesen wäre, Chedee hätte ihn erschossen.

Ich schämte mich. Wrangel wird auch auf drei Beinen neben mir her humpeln. Vorhin hat er so gierig seine Mahlzeit verschlungen, krank ist er nicht, und eine solche Wunde wird ihn kaum weiter behelligen, diese halbwilden Giljakenhunde, dem Eskimohund halb verwandt, sind keine verzärtelten Salonhündchen. – Ich streichele ihn, und er … leckt mir die Hand … –

… Er hat mir damals die Hand geleckt, und heute, jetzt schiebt er sich unter dem Tische meiner Mönchszelle hervor und sitzt neben mir und mahnt, daß auch er sein Frühstück gewöhnt sei. Er hat noch nie umsonst gemahnt. Er ist mir einzige Erinnerung an die Frau geblieben, die ich so heiß begehrte und die mir doch entglitt …

Ich habe meinen Wrangel lieb. Sein gesträubter Schnurrbart, den ich ihm zurechtgestutzt habe, erinnert an die berühmte Fliege Papa Wrangels. –

… Wrangel und ich werden jetzt Gowin folgen.


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