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4. Würdigung des »Wohlstandes der Nationen.«

Bei Hasbach erfährt der Student – den Laien interessiert dergleichen nicht – wie sich die Nationalökonomik aus dem von Hugo Grotius, Pufendorf und Christian Wolff begründeten Naturrecht entwickelt hat (die Kameralisten kommen nur als Materialiensammler in Betracht), durch die Einzeluntersuchungen von Petty, Locke, Hume und anderen gefördert worden, von Ferguson schon zusammenhängend, aber noch wie in Smiths akademischen Vorträgen als Bestandteil der Moralphilosophie behandelt worden ist, endlich sich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts als selbständige Wissenschaft losgelöst hat; zuerst in des deutschen Justi »Staatswirtschaft« (1755), dann um die Zeit, da Smith an seinem Werke arbeitete, in den Schriften der französischen Physiokraten und in der 1767 erschienenen Inquiry into the Principles of Political Econonomy von James Stewart. Selbstverständlich hat Smith diese Werke gekannt und benutzt. Verwunderlich erscheint jedoch, daß noch Hasbach ausführlich die Ansicht zurückweisen muß, Smith habe seine Grundlehren, namentlich die von der ökonomischen Freiheit, den Physiokraten entnommen, da doch schon Dugald Stewart in den Notes and Illustrations, die er seiner Biographie Smiths beigibt, diese Lehre in englischen und niederländischen Schriften aus dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts nachweist; wenn von Entlehnungen die Rede sein soll, so haben die Franzosen den Engländern entlehnt. Den Geist der Freiheit hat Smith, wie wir sahen, bei Hutcheson eingeatmet, der allerdings nach Hasbach, seiner eigenen Theorie zuwider, merkantilistischen Ansichten huldigte. Übrigens spricht Hasbach Smith die schöpferische Genialität ab und fällt folgendes Gesamturteil: »Sowohl das ethische wie das nationalökonomische Werk beweisen, daß sich Smith an Originalität des Geistes keineswegs mit Männern wie Descartes [wie kommt der hierher?] oder Hume messen kann. Er ist kein Pfadfinder der Wissenschaft [und doch wird vorher gesagt, Smith habe die Finanzwissenschaft in England geschaffen; ein Lob, das freilich sogleich wieder eingeschränkt wird: sein Verdienst sei lediglich formeller Natur], sondern ein im höchsten Maße rezeptiver Kopf, der sich von den verschiedensten Seiten anregen läßt, dem Fremden eine nicht gewöhnliche produktive Kritik entgegenbringt und die mannigfachen Elemente zu einem wohlgeordneten System zu vereinigen weiß. Die Gaben produktiver Kritik und schöner Systematik treten in dem Jugendwerke viel bedeutender hervor als in dem späteren. In diesem verrät sich die nachlassende Spannkraft. Er versteht es nicht mehr, die nationalökonomische Theorie des deutsch-englischen Naturrechts und diejenige des physiokratischen ohne Rest zu verschmelzen [hat das denn irgend ein Späterer verstanden, und ist es überhaupt notwendig oder Pflicht?]; er wird sich über die Ausgaben und die Methoden der politischen Ökonomie nicht völlig klar [manchem heutigen Nationalökonomen geht es darin nicht besser]; in seinen theoretischen Lehren finden sich nicht wenige Widersprüche [von denen einige unseren Lesern aufgefallen sein werden].« Aber gerade durch diese Unvollkommenheiten habe das Werk die stärkste Anregung zu weiterem Schaffen gegeben.

Viel uneingeschränkter klingt das Lob, das zwei andere deutsche Autoritäten spenden. Eisenhart schreibt in seiner Geschichte der Nationalökonomik: »Wenn von diesem einzigen Werke eine bildende Kraft wie in dichten Lichtstrahlen für die Umgestaltung der Wissenschaft und des Lebens ausgegangen ist, so wird man diese Erscheinung zum großen Teile in der glücklichen Begründung eines populären Prinzips zu suchen haben, mit der es sich nunmehr zum planmäßigen gemeinverständlichen Vorkämpfer der Aufklärung und Freiheit macht; zum anderen aber ebenso in der erschöpfenden Vollständigkeit, mit der er zum ersten Male alle Teile seines Gebiets umspannt, mit seinen Prinzipien durchleuchtet und in sinnlicher Anschaulichkeit zu einem überzeugenden Ganzen verknüpft. So hat es seinem Urheber zugleich den Ruhm des eigentlichen Vaters der Wissenschaft begründet, mit dem sie aus ihrem embryonalen Zustande ins wirkliche Dasein hervortritt. Und diesen Eindruck hat es sofort bei seinem ersten Erscheinen hervorgebracht.« Ist eine solche Leistung ohne Genialität denkbar? Wir wollen hier gleich noch bemerken, daß die Wirkung des Werkes nicht zum wenigsten aus der behaglich breiten, lichtvollen, klaren und verständlichen Darstellung beruht, die zusammen mit einer Fülle illustrierender Tatsachen aus der Weltgeschichte und aus der damaligen Gegenwart das Lesen zum Genuß macht. Roscher weist in seiner Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland zwar die geradezu verhimmelnden Lobpreisungen Buckles und einiger anderen als übertrieben zurück, fährt aber fort: »Gleichwohl dürfte es in der Geschichte überhaupt wenig Beispiele geben, wo eine ganze Wissenschaft durch einen Mann und ein Buch desselben in so kurzer Zeit einen so großen und nachhaltigen Fortschritt gemacht hätte, wie die Volkswirtschaftslehre durch das Hauptwerk Adam Smiths: einen Fortschritt ebenso bedeutsam für den Umfang wie für die Tiefe, für die Methode wie für das System, für das Ganze wie für das Einzelne, für die Theorie wie für die Praxis der Wissenschaft. Man wird noch heutzutage nicht wesentlich fehlgreifen, wenn man die ganze Dogmengeschichte der Nationalökonomik in zwei Hauptmassen teilt: vor und seit Adam Smith; so daß alles Frühere als Vorbereitung auf ihn, alles Spätere als Fortsetzung von ihm oder als Gegensatz zu ihm erscheint.« Roscher zählt dann eine lange Reihe von Wahrheiten auf, die zuerst entdeckt oder wenigstens gebührend hervorgehoben und klar gemacht zu haben Smiths Verdienst sei, und stellt dar, wie das Werk (vorzugsweise durch Garves Übersetzung) in Deutschland verbreitet worden ist, und wie durch Christian Jakob Kraus in Königsberg, der für den bedeutendsten der dortigen Lehrer neben Kant galt, Smiths Lehre dem Kreise der um den Freiherrn vom Stein und Heinrich Theodor von Schön sich gruppierenden preußischen Staatsmänner vermittelt und dadurch in der deutschen Politik wirksam ward.

Smith hat, das schätzen wir als sein höchstes Verdienst, der Volkswirtschaftslehre eine vollkommen gesunde und haltbare Grundlage gegeben. Er hat das Wesen des Wohlstandes erkannt, der nicht in Geld, sondern in Gebrauchs- und Genußgütern besteht und in der diese schaffenden Menschenkraft (die er freilich nicht so deutlich hervorhebt wie später List) und damit den Götzen Mammon theoretisch erschlagen. Er hat die Bedeutung von Arbeit und Boden erkannt, die des zweiten zwar nicht besonders behandelt, aber durch die Gegenüberstellung des Elendes der Arbeiter in alten Ländern, besonders in dem übervölkerten China, und ihres Glücks auf kolonialem Neuland den Denkenden so nahe und in so gute Beleuchtung gerückt, daß er für das Übersehen der Naturbedingungen, durch welches sich spätere Nationalökonomen versündigt haben, nicht verantwortlich gemacht werden kann. Daß der Nahverkehr fruchtbarer als der Fernverkehr, der Austausch zwischen Stadt und Land der wichtigste ist, daß die Landwirtschaft ohne städtisches Gewerbe primitiv bleibt, daß Landwirtschaft und Industrie nur in steter Wechselwirkung miteinander gedeihen können, das macht den Kern des List-Careyschen Systems aus; nun, diese Wahrheiten hat Smith zuerst entwickelt. Lists ungerechter Angriff auf Smith, der an einzelnen unglücklichen Wendungen des Wealth eine Handhabe fand, entsprang dem gerechten patriotischen Unwillen darüber, daß sich Deutschland unter dem Vorwande der ökonomischen Freiheit von England ausbeuten ließ. Wie wenig Smith an die Möglichkeit einer solchen Ausbeutung gedacht hat, geht nicht allein aus seiner allerdings irrigen Überzeugung hervor, daß jeder Austausch für beide Parteien gleich vorteilhaft sei, sondern auch daraus, daß er ein freihändlerisches England für eine Utopie hielt. Smith ist überhaupt so wenig doktrinär gewesen wie List: beide Männer haben für das gekämpft, was in eines jeden Zeit und Vaterland das praktisch Richtige und Notwendige war. Wir haben gesehen, daß Smith keineswegs radikaler Freihändler gewesen ist; er billigt die Navigationsakte, Retorsionszölle, Finanzzölle und will, daß, wenn die heimische Produktion einer gewissen Ware besteuert ist, auf die Einfuhr dieser Ware ein Zoll in der Höhe der Steuer gelegt werde. Das Wesen des Kapitals hat er freilich nicht erkannt und dadurch sowie durch seine falsche Spartheorie einem ungesunden Überwuchern des an sich historisch notwendigen Kapitalismus Vorschub geleistet; aber er trägt keine Schuld an den Übertreibungen der Schule Ricardos, die darauf hinauslaufen, daß die Natur unproduktiv, das Kapital allein produktiv ist, die Kapitalisten die Nation ausmachen, und die Arbeiter nur als Arbeitswerkzeuge in Betracht kommen. Diesen theoretischen Übertreibungen gegenüber, die sich in dem furchtbaren englischen Arbeiterelend der Zeit von 1800 bis 1850 und in einer verruchten, in der ganzen Weltgeschichte ohne Beispiel dastehenden Kinderausbeutung verkörpert haben, war die sozialistische Opposition Notwendigkeit. Scharfe Kritik hatte an diesem modernen Industrialismus schon vor den Sozialisten Sismondi geübt, der hervorhob, daß das persönliche Wohlbefinden der Menschen wichtiger ist, als die Vermehrung der Sachgüter. Zu deren Überschätzung hat Smith allerdings schon dadurch Anlaß gegeben, daß er den Reichtum als das Ziel der Volkswirtschaft bezeichnet und seine Darstellung mit der Vermehrung der Güter durch Arbeitsteilung beginnt, anstatt das Volkswohl zum Ziele zu erheben, die Güterschaffung nur als Mittel zu behandeln und zu zeigen, daß die höchsten Zwecke des Menschenlebens bei mäßigem Wohlstände und gleichmäßiger Verteilung des Nationalvermögens leichter, vollkommener und allgemeiner erreicht werden können, als bei großem Reichtum, der, wie er selbst hervorhebt, die Armut der Mehrheit voraussetzt. Die Überschätzung der materiellen Güter liegt im modernen angelsächsischen Geiste und hat Smith, der sich dessen Einflüsse nicht zu entziehen vermochte, darniedergedrückt, so daß er seinen Flug nicht in die höchste Region zu nehmen vermochte, wo die großen Genien der Menschheit weilen. Er kennt nur das Gewerbe und das Geschäft, nicht den Beruf. Er ist überzeugt, daß alle Menschen ohne Ausnahme, so lange sie nicht in Stumpfsinn versinken, ihre Lage zu verbessern, das heißt mehr Geld zu verdienen bestrebt sind, und es kommt ihm nicht in den Sinn, daß es Menschen geben könne, die ihren Beruf bloß um des Berufes willen ausüben, die ihm treu bleiben, auch wenn er sie nur kärglich lohnt, ja Menschen, die eine gewinnbringende Tätigkeit aufgeben, um sich einem Apostolat zu widmen, das ihnen nichts als ein Martyrium einbringt. Gerade solche Menschen aber sind es, welche die Weltgeschichte machen, und weil Smith solche nicht versteht, versteht er auch die Weltgeschichte nicht, namentlich nicht die Religions- und Kirchengeschichte; hätte er beides nicht verstehen können, auch wenn er mehr und bessere Vorarbeiten zur Verfügung gehabt hätte. Von seiner Geschichts- und Lebensauffassung aus führt der Weg direkt zur materialistischen Geschichtskonstruktion von Marx und Engels. Dieser steht schroff gegenüber die Lebensauffassung des Evangeliums, der Glaube, daß das Leben mehr wert ist als die Speise, der Leib mehr als die Kleidung, und daß denen, die nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachten, das übrige zugegeben wird.

Jener Materialismus gibt zusammen mit der Scheu des respektablen Optimisten vor jedem unerschrockenen Blick in die schauerlichen Abgründe des Menschenlebens dem Werke einen Anstrich schwungloser Philisterhaftigkeit; aber es würde zu weit gehen, wenn man ihm Krämerhaftigkeit vorwerfen wollte. Ein Krämergeist ist Smith, trotz der sein System beherrschenden Tauschlehre, nicht gewesen, wie seine Zornesausbrüche gegen die Kaufleute und seine humanen Forderungen beweisen. Er ist auch in keinem Sinne das, was man heute einen Manchestermann nennt, obwohl sich die Manchesterleute mit einzelnen ihrer Forderungen auf ihn berufen können. Er liebt schwärmerisch die Landwirtschaft, die damals Modeleidenschaft des englischen und des schottischen Adels war und dadurch in die Bahn des Fortschritts zur Rationalisierung geleitet wurde. Er erklärt den Landarbeiter für intelligenter als den Handwerker und den Industriearbeiter, idealisiert den sittlichen Charakter des Großgrundbesitzers und des Gutspächters, schilt die Habsucht, Härte und Verschlagenheit der Kaufleute und Fabrikanten, denunziert ihre permanente Verschwörung gegen Staat und Volk und erniedrigt keineswegs den Staat zum Nachtwächter, sondern spricht ihm unter anderen hohen Aufgaben auch die zu, der Entartung des Volkes vorzubeugen, im Gegensatz zu einem Herbert Spencer, der im Namen der Freiheit, und zu einer neuen Schule von Sozialaristokraten, die im Namen Darwins fordert, daß der Staat dem die Minderwertigen vernichtenden Ausleseprozeß freien Lauf lasse. Diese Herren übersehen, daß die moderne Zivilisation die Entartung erzeugt, der Ausleseprozeß von der anderen Seite aus gesehen ein Entartungsprozeß ist. Smith hat das erkannt, doch auch den »Sozialaristokraten« Material geliefert, indem er der dem angelsächsischen Pharisäismus entspringenden Ansicht beizupflichten scheint, daß proletarisches Elend immer durch Laster selbstverschuldet sei.

Der höhere Schwung, der den Apostel beflügelt und emporträgt, mußte ihm auch darum fehlen, weil sein Individualismus die begeisterte Tätigkeit für andere grundsätzlich ausschließt. Er ist überzeugt, daß die Welt am besten fährt, wenn ein jeder nur für sich selbst sorgt, da ja ein jeder nichts genauer kenne und nichts besser verstehe als seinen eigenen Vorteil. Das trifft nun so wenig immer zu wie die prästabilierte Harmonie zwischen Privatvorteil und Gemeinwohl, an die Smith glaubt. Wie für das Kind gesorgt werden muß, so muß mitunter für die Massen der Erwachsenen gesorgt werden, die in manchen Beziehungen zeitlebens Kinder bleiben. Aber Smith war mit seiner Freiheitspredigt im Recht, weil sie die Zeitumstände forderten, gerade so wie fünfzig Jahre später List im Recht war, als er Aufhebung der Binnenzölle und eine gemeinsame Zollgrenze für die deutschen Bundesstaaten forderte. Innungen, Privilegien, Zölle, das waren alles ursprünglich berechtigte und notwendige Einrichtungen gewesen; aber im Laufe der Zeit war Vernunft Unsinn, Wohltat Plage, die Kraft verleihende Organisation Fessel der Volkskraft geworden. Diese Fesseln zu sprengen und durch Hinwegräumung veralteter Einrichtungen Raum zu schaffen für zeitgemäße Neubildungen, das war die Aufgabe des von Smith inspirierten Liberalismus im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Grundsätzlich aber haben Smith und der echte Liberalismus insofern recht, als das Größte nur geleistet wird, wo sich jede Kraft frei und voll entfalten kann. Das ist jedoch nur auf freiem, d. h. kostenlosem Boden in weiten Räumen möglich, und darum hat Nordamerika binnen hundert Jahren so Erstaunliches geleistet. Je dichter zusammengedrängt die Menschen in einem Lande leben, desto mehr beschränkt einer den anderen. Die Freiheit der Starken und der Klugen bedeutet dann die Unfreiheit der Schwachen und der Einfältigen, und diesen kann nur durch den Schuh des Staates ihr bescheidenes Maß von Freiheit, eine winzige Freiheitssphäre gesichert werden. Je dichter zusammengedrängt die Menschen leben, desto Größeres kann zwar im einzelnen durch organisierte Massen geleistet werden, desto mehr Kraft aber geht im ganzen durch Reibung verloren; der produktive Kampf gegen die Natur verwandelt sich in den zerstörenden Kampf der Konkurrenten gegeneinander; statt zu schaffen, müssen die einen den anderen die Produkte abjagen, wieder andere diesen Kampf überwachen und regeln. Daß aber zwischen Privatnutzen und Gesamtwohl die prästabilierte Harmonie nicht besteht, auf die Smith seine Freiheitslehre gründet, hat niemand klarer bewiesen als er selbst, indem er auf jeder zwanzigsten Seite die Kaufleute und Fabrikanten beschuldigt, daß sie aus Selbstsucht das Publikum und den Staat schädigten. Der Widerspruch, in den er sich dadurch fortwährend verwickelt, wirkt beinahe lächerlich. Übrigens tut er den Geschmähten vielfach unrecht. Gerade Kaufleute haben sich z. B. gegen Friedrichs des Großen übertriebenen Merkantilismus zu wehren versucht. Dieser ist oft gegen den Wunsch der angeblich Begünstigten des Gemeinwohls wegen von den Regierungen geübt worden, und es ist schwierig, zu ermitteln, ob damit im ganzen mehr Nutzen gestiftet oder mehr Schaden angerichtet worden ist. Soviel wenigstens steht fest, daß England unter dem Schutze einer sehr merkantilistischen Politik das reichste Land der Erde geworden ist, und heute stimmen alle Vernünftigen darin überein, daß es zwar wunderschön wäre, wenn die Menschheit von allen Zollasten und Zollplackereien erlöst werden könnte, daß das aber vorläufig nicht angeht, und daß in jedem einzelnen Falle nur die beteiligten Sachverständigen, nicht Theorien oder allgemeine Prinzipien entscheiden können, welche Tarifsätze am meisten nützen und am wenigsten schaden. Nachträglich entdecken ja gewöhnlich die Sachverständigen, daß sie sich geirrt und zu ihrem Schaden Dummheiten gemacht haben, indes von diesem über alle Sterblichen verhängten Zwange zum Dummheiten machen kann uns weder die nationalökonomische noch sonst eine Wissenschaft erlösen. Wenn Smith bei jeder Gelegenheit den wirklichen Verlauf der wirtschaftlichen Entwickelung unnatürlich findet und fordert, die Regierungen sollen der natürlichen Entwickelung freien Lauf lassen, so verwechselt er ebenso wie der letzte große Manchestermann, Herbert Spencer, das Natürliche mit dem Vernünftigen. Vernünftig wäre es, wenn immer und überall jeder Privatnutzen dem Gesamtwohl nachgesetzt würde, aber daß jeder nur, wie ja Smith selbst will, seinen Privatnutzen verfolgt und die Personen, die dasselbe Interesse haben, sich verbünden, um den Staat diesem Interesse dienstbar zu machen, das ist um so natürlicher, weil sich niemals mit Sicherheit und klar erkennen läßt, was das Gesamtwohl fordert. Höchst vernünftig wäre es gewesen, wenn sich die Nordamerikaner nicht eher auf die Industrie geworfen hätten, als bis ihr ungeheures Land vollständig besiedelt war; sie hätten damit hunderten von Millionen eine unabhängige und glückliche Existenz gesichert; aber es ist sehr natürlich, daß die Unruhigen, Ehrgeizigen und Habsüchtigen unter ihnen sich mit einem bescheidenen Farmer- oder Handwerkerdasein nicht begnügten, sondern, um schnell reich zu werden, im Treibhause der Schutzzollpolitik die Großindustrie züchteten. Ohne Zweifel dient die Selbstsucht der Menschen zukünftigen großen Plänen der Vorsehung, aber ihre Gegenwartsfolgen beweisen nichts weniger als ihre vorausgesetzte Harmonie mit dem sogenannten Gemeinwohl.

Den Sozialdemokraten ist Smith sicherlich nicht seelenverwandt; indes wie den Manchesterleuten hat er auch ihnen Keime geliefert, aus denen sie ihre Theorien ausbrüten konnten. Solche sind außer dem ökonomischen Materialismus besonders die Zurückführung des Tauschwerts der Waren auf die Arbeit und die Wendung, daß der Arbeiter dem Rohstoff einen Wert zusetze, aus dem der Unternehmer seinen Profit schöpfe. Selbstverständlich wird Rohmaterial nur zu dem Zwecke verarbeitet, ihm einen höheren Gebrauchswert zu verleihen, und dieser hat einen höheren Tauschwert zur unvermeidlichen Folge. Wenn man keine Hemden brauchte, würde Flachsfaser nicht bloß weniger Wert haben als Leinwand, sondern gar nichts wert sein. Und ebenso selbstverständlich ist, daß der Unternehmer auf einen Teil des Zusatzwertes Anspruch macht; zu seinem Vergnügen wird er sich das Risiko, die Mühen und Sorgen eines industriellen Unternehmens, nicht aufhalsen; darnach kann man ja forschen, ob nicht der Anteil, den er sich nimmt, unbillig groß ist. Aus diesen zwei einfachen und selbstverständlichen Umständen nun haben die Sozialdemokraten und ihre wissenschaftlichen Gegner eine völlig wertlose Wertscholastik herausgesponnen, die ganze Bibliotheken füllt und ihren Urhebern den Ruhm einer Gelehrsamkeit sichert, die um so mehr angestaunt wird, je unverständlicher und nutzloser sie ist. Außerdem aber hat man sie dazu benützt, die zwar wissenschaftlich ebenso wertlose, als Agitationsmittel aber unschätzbar wertvolle Phrase zu prägen von dem Mehrwert, den der Unternehmer aus den Arbeiterknochen herausschlage.

Smiths Methode hat Buckle als die einer wissenschaftlich zulässigen Abstraktion charakterisiert; er habe die beiden Seiten der ethischen Menschennatur gesondert betrachtet: den Menschen in der Moralphilosophie als rein altruistisches, in der Nationalökonomie als rein egoistisches Wesen dargestellt. Eine solche Sonderung zweier in Wirklichkeit unlöslich verflochtener Dinge sei erlaubt; so fasse ja auch der Geometer nur die Länge der Linie ins Auge, während doch jede wirkliche Linie auch breit sei. Der berühmte Kulturhistoriker weiß also nicht einmal, was für ein Unterschied ist zwischen einer Linie und einem Kreidestrich, der nicht bloß lang und breit, sondern auch dick, also keine Linie, sondern ein Körper ist. Wollte er die in der Wissenschaft erlaubte sondernde Abstraktion durch passende Beispiele erläutern, so konnte er u. a. sagen: der Anatom darf das Knochengerüst, das Muskel-, das Gefäß-, das Nervenwesen gesondert betrachten, präparieren und darstellen, obgleich im lebendigen Leibe Knochen, Muskeln, Adern und Nerven niemals gesondert vorkommen. Abgesehen von jenem mathematischen Unsinn irrt jedoch Buckle in der Beurteilung der beiden Werke. Smith abstrahiert nicht und sondert nicht ab. Die Sympathie seiner Moralphilosophie ist kein rein altruistisches Wohlwollen, sondern egoistisches Mitfühlen; und in der Nationalökonomik ist von Nächstenliebe aus dem einfachen Grunde keine Rede, weil diese nur im Privatleben wirkt und das öffentliche Leben in bemerkenswertem Grade nicht beeinflußt. Im politischen und im Wirtschaftsleben waltet das Interesse; Gruppen von Interessenten wirken da mit- und gegeneinander.

Auch die heutige Sozialpolitik ist nicht der Nächstenliebe, sondern dem Interesse entsprungen, obwohl sich, nachdem sie einmal in Gang gekommen, mancher edle Mensch aus Nächstenliebe daran beteiligt, und ihre Praxis das erzeugt, was man das soziale Empfinden nennt. Von diesem nun hatte der liberalste Philosoph des liberalen Englands keine Spur in sich. Der Mob ist ihm, wie jedem respektablen Engländer, eine andere Menschengattung als die der Gentlemen. Man erinnere sich an den Ekel vor der stinkenden Plebs, der aus den Volksszenen von Shakespeares Coriolan und Julius Cäsar spricht! Auch Mandeville schildert den unästhetischen Eindruck, den der englische Pöbel mache (der arme Italiener wurde als malerisch und auch im Umgange genießbar gepriesen, ehe der Industrialismus und die nordeuropäische Kleidermode in Italien eingedrungen waren), wenn er auch zugleich hervorhebt, daß das feine Publikum einer Opernvorstellung moralisch nicht höher stehe als das häßliche Volk, das einer Bärenhetze zusieht. Aber Mandeville hat auch hier wieder tiefer und schärfer gesehen als sein berühmterer jüngerer Landsmann. Der humane Smith gönnt den labonring poor alles Gute, einen das Existenzminimum übersteigender Arbeitslohn sowie Schutz vor Verkümmerung und Verkrüppelung; doch daß dieser Mob je einmal auf den Gedanken kommen könnte, von seiner Arbeitsplage erlöst werden, in öffentlichen Angelegenheiten mitreden zu wollen, das kommt ihm nicht in den Sinn. Mandeville dagegen hegt solche Befürchtungen und bekämpft darum leidenschaftlich die charity schools. Soll, führt er aus, der arme Arbeiter, aus dessen Arbeit der Reichtum der Reichen fließt, sein hartes Loos geduldig tragen, bei seiner Arbeit ausharren und sich sogar dabei glücklich fühlen, so muß er unwissend bleiben. Lernt er Dinge kennen, die außerhalb seines engen Lebens- und Pflichtenkreises liegen, dann begehrt er sie und strebt aus seiner Sphäre hinaus; Landwirtschaft und Industrie verlieren ihre Arbeiter. In der Tat ist aus der Erfüllung der liberalen Forderung, daß der Arbeiter durch Schulunterricht gebildet werden müsse, die Sozialdemokratie mit unvermeidlicher Notwendigkeit hervorgegangen, und die Frage, wie man die Arbeiter wissend machen könne, ohne sie rebellisch zu machen, harrt noch der Antwort. Was die optimistische Schilderung des englischen Arbeiterstandes betrifft, die wir bei Smith treffen, so war sie durch den Umstand einigermaßen gerechtfertigt, daß sich die Lage der Arbeiter in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts tatsächlich gehoben hatte. In der zweiten ging sie zurück, und aus den Zuständen im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts glaubte Malthus seine grausame Lehre folgern zu müssen.

Smiths Harmonielehre ist ebensowenig ganz falsch wie seine Freiheitstheorie. Aus den Interessenkämpfen, aus dem freien Ringen der Konkurrenten miteinander wird immer wieder ein Stück Gemeinwohl geboren. Nur ist das Glück jedes einzelnen keineswegs immer sofort und unmittelbar die Ursache des Glücks aller übrigen, sondern oft genug das Gegenteil. Für gewöhnlich sind die Interessen der einzelnen sowie die der Stände, Klassen, Staaten einander entgegengesetzt; die Gegensätze pflegen sich auszugleichen, aber erst nach langer Zeit. Das Glück von Tausenden muß geopfert werden, ehe wieder ein Glückszuwachs für das Volk, oder auch nur die Existenzmöglichkeit für einen Bevölkerungszuwachs errungen wird. Bis jetzt hat jeder große Fortschritt der Produktivität der Arbeit, der größeren Menschenmengen das Dasein ermöglichte, mit der vorübergehenden Versklavung von Arbeitermassen in der einen oder der anderen Form erkauft werden müssen. Es gibt Trostgründe für solche, die sich über diesen Lauf der Weltgeschichte betrüben, aber diese Trostgründe liegen nicht auf dem Gebiete der Nationalökonomie. Diese hat genug geleistet, wenn sie die Wege aufzeigt, auf denen das materielle Wohl der Gesamtheit gefördert und materielle Schädigung abgewendet werden kann, und die Richtung, die diese Wege einhalten müssen, so deutlich aufgezeigt zu haben, daß seine eigenen Irrtümer leicht vermieden werden können, ists Smiths unstreitiges Verdienst.


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