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II.
Die philosophischen Werke


1. Die Theorie der sittlichen Gefühle.

Wie lebhaft ethische Fragen die Briten im achtzehnten Jahrhundert bewegt haben, weiß der Kenner der schönen Literatur aus den moralisierenden Romanen von Richardson, Fielding, Sterne. Die wissenschaftliche Ethik wurde, als ein Teil der Philosophie, natürlich in deren Geiste bearbeitet. Der Geist der Philosophie aber war kritisch, der Theologie feindlich, empiristisch und arbeitete in inniger Wechselwirkung mit den Naturwissenschaften, deren große Vertreter: Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton die mechanistische Weltauffassung begründet hatten: das Universum war ihnen eine ungeheure Maschine, ein Uhrwerk, das im Gange blieb und sich selbst regulierte, nachdem der Weltmechanikus es eingerichtet und dem Pendel den ersten Stoß versetzt hatte. Die Psychologen, die in Schottland Metaphysiker genannt wurden, und die Ethiker versuchten, die Menschenseele und die menschliche Gesellschaft in dieses Uhrwerk einzufügen und die besonderen Triebfedern aufzudecken, von denen sie in Bewegung gesetzt und im Gange erhalten werde. Und sie verfuhren, im Gegensatz zur dogmatischen Scholastik, empirisch, wie es dem englischen Naturell entsprach und die von Baco begründete Methode forderte; es kam ihnen weniger darauf an, aus irgend einem angenommenen göttlichen, logischen oder Naturgesetz diese oder jene Pflichten abzuleiten, zu zeigen, wie der Mensch handeln soll, als aus der Erfahrung zu ermitteln, wie er wirklich handelt, und wie diese Art zu handeln zustande kommt. Mandeville erklärte, wie 50 Jahre vor ihm Hobbes getan hatte, den Menschen für rücksichtslos selbstsüchtig, die Tugenden und Pflichterfüllungen für Ergebnisse kluger Berechnung der Wölfe in Menschengestalt, die, wollten sie nicht sich selbst vernichten, davon abstehen mußten, einander gegenseitig aufzufressen; durch Vertrag regelten sie die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, und ein dieser Regelung angemessenes Verhalten, bei welchem jeder einzelne durchschnittlich besser fährt und angenehmer lebt als im Kriege aller gegen alle, oder bei der Auflehnung gegen die getroffenen Vereinbarungen, wird nun moralisch genannt. Nur der kleinere Teil der Menschenwölfe ist so klug, die Notwendigkeit und Nützlichkeit solcher Regelungen einzusehen, aber es gelingt ihm, durch allerlei Kunstgriffe die dumme Masse dahin zu bringen, daß sie sich ihnen fügt. Diese Richtung gewann nicht viele Anhänger, weil der Brite noch mehr als andere Menschenkinder auf den Schein hält und krasse Selbstsucht nicht gern eingesteht, auch wenn er wirklich von ihr beherrscht wird. Weit allgemeiner gefielen Systeme, die das sittliche Verhalten nicht auf äußeren Zwang, sondern auf eine ursprüngliche Einrichtung der Menschennatur zurückführten und dieser außer der Selbstsucht auch altruistische Triebe – wie man das heute nennt – zuerkannten. Shaftesbury nahm soziale, egoistische und menschenfeindliche Triebe an und setzte die Moralität in die Harmonie zwischen den sozialen und egoistischen und den Ausschluß der bösartigen Triebe. Hutcheson lehrte, daß dem Menschen uninteressierte Sympathie mit dem Nächsten angeboren sei, und zugleich der Trieb, das Gute, den Sieg der uneigennützigen Liebe über die Selbstsucht, zu billigen. Zwischen jener Zwangsmoral und dieser Gefühlsmoral steht die Nützlichkeitsmoral Lockes und Humes: die Erkenntnis der Nützlichkeit moralischer Handlungen erzeugt Wohlgefallen an ihnen, also moralische Triebe. Adam Smith verschmilzt die Grundgedanken seiner Vorgänger zu einem schön durchgebildeten System, dessen anziehender Reiz in der Fülle scharfsinniger und feiner psychologischer Beobachtungen besteht, auf denen es ruht. Wir lassen ihn im folgenden selbst sprechen.

Wie selbstsüchtig ein Mensch auch sein mag, so liegt doch ein Etwas in seiner Natur, das ihn für das Schicksal anderer interessiert und deren Glück zu einem Bedürfnis für ihn macht, mag er auch weiter nichts davon haben als das Vergnügen, es zu schauen. Ein solches Etwas ist das Mitleid, die Erregung durch das Unglück anderer, die wir erleiden, wenn wir es entweder sehen oder veranlaßt werden, es uns lebhaft vorzustellen. Daß uns die Sorge anderer oft Sorge bereitet, ist eine so offenkundige Tatsache, daß sie keines Beweises bedarf, und diese Art zu empfinden ist gleich allen anderen Urtrieben der Menschennatur keineswegs auf die tugendhaften und humanen Personen beschränkt, obwohl diese dergleichen am lebhaftesten empfinden mögen; der ärgste Schurke entbehrt nicht ganz solche Empfindungen. Da wir keine unmittelbare Erfahrung von dem haben, was andere Menschen fühlen, so können wir uns nur dadurch eine Vorstellung von ihren Zuständen verschaffen, daß wir uns ausmalen, was wir an ihrer Stelle empfinden würden. Mag unser Bruder auch auf der Folter liegen, solange wir selbst wohlauf sind, künden uns unsere Sinne nichts von dem, was er leidet; nur unsere Einbildungskraft kann uns einen Begriff von seinen Empfindungen vermitteln. Und das kann sie auf keine andere Weise, als indem sie uns vorstellt, was wir an seiner Stelle empfinden würden. Unsere Sinneserregungen, nicht seine, stellt uns die Einbildungskraft vor. Sie versetzt uns an seine Stelle; wir bilden uns ein, daß wir dieselben Martern litten; wir schlüpfen in seinen Leib und werden eine Person mit ihm. Von da aus machen wir uns einen Begriff von seinen Empfindungen, ja wir fühlen etwas, was zwar dem Grade nach schwächer, aber ihnen nicht unähnlich scheint: seine Todesangst befällt uns, wir zittern und schaudern; wir empfinden eine wirkliche Pein, deren Grad von der größeren oder geringeren Lebhaftigkeit unserer Vorstellungen abhängt. Daß es dieser in der Einbildung vorgenommene Rollentausch ist, was unser Mitgefühl erregt, ließe sich an mancherlei Wahrnehmungen nachweisen, wenn es nicht so auf der Hand läge, daß es gar keines Nachweises bedarf. Wenn wir jemand mit einem Stock auf dem Arm oder das Bein eines anderen zielen sehen, fahren wir zusammen und ziehen unwillkürlich unseren eigenen Arm oder unser Bein zurück, und fällt der Streich, so fühlen wir ihn einigermaßen mit. Das Volk, das einem Seiltänzer zuschaut, macht ähnliche Körperbewegungen wie dieser: man sieht, die Leute versetzen sich in die Lage des Künstlers und fühlen sich genötigt, mit ihm zu balancieren. Wenn sehr nervöse Personen Bettler sehen, die ihre Wunden und Eiterbeulen zur Schau stellen, so fühlen sie ein Jucken an den entsprechenden Stellen ihres Leibes.

Aber nicht bloß Körperverletzungen erregen unser Mitgefühl, sondern alles, was eines anderen Gemüt bewegt. Unsere Freude über die Errettung eines Romanhelden aus großer Gefahr ist so aufrichtig wie unsere Betrübnis über seine Leiden. Mit ihm sind wir den treuen Freunden dankbar, die ihn in der Not nicht verlassen haben, mit ihm zürnen wir seinen grausamen Feinden. Was auch einen Menschen im Innersten erregen mag, der Zuschauer versetzt sich an seine Stelle und macht des andern Empfindungen zu seinen eigenen. Das Wort Mitleid bezeichnet unser Mitgefühl mit den Leiden anderer; Sympathie hat vielleicht ursprünglich dasselbe bedeutet, soll uns aber das Mitempfinden aller Affekte des Nächsten bezeichnen. Dieses Mitfühlen entsteht, wie es scheint, manchmal durch den bloßen Anblick der Äußerungen von Affekten bei anderen; man wird von der Erregung angesteckt, ehe man ihre Ursache kennt. Drückt sich auf dem Antlitze eines Menschen Betrübnis oder Freude aus, so wird dadurch auch der Beschauer traurig oder heiter gestimmt. Doch gilt das nicht von allen Affekten. Es gibt welche, die nicht Sympathie, sondern, wenigstens solange man ihre Ursache nicht kennt, Widerwillen erregen. Das wilde Gebaren eines Erzürnten bringt uns mehr gegen ihn selbst als gegen seinen Widersacher auf. Solange wir die Ursache seiner Erbitterung nicht kennen, vermögen wir diese nicht zu teilen. Dagegen sehen wir, daß der von ihm Bedrohte in Gefahr schwebt, sympathisieren mit dessen Furcht oder Unwillen und fühlen uns bereit, für ihn wider den Wütenden Partei zu ergreifen. Mit Betrübnis und Freude sympathisieren wir, weil sie die Wirkung eines Unglücks oder Glücks sind, das ein anderer erlebt hat. Dieses Glück oder Unglück liegt in der Person dessen beschlossen, dem es widerfahren ist, und erweckt nicht die Vorstellung einer dritten Person, deren Interesse dem des Erregten entgegengesetzt wäre, wie das der Fall ist, wenn wir einen Zornmütigen sehen. Doch auch das Mitgefühl mit Freude und Betrübnis bleibt unvollkommen, solange wir nicht die Ursache der Erregung kennen. Wehklagen, aus denen wir weiter nichts erfahren, als daß der Klagende leidet, erregen zunächst nur das Verlangen, über die Art seines Leidens unterrichtet zu werden, und machen uns zwar willig zu sympathisieren, aber erfüllen uns noch nicht mit wirklicher Sympathie. Wir fragen: Was ist dir geschehen? Die Sympathie entspringt nicht sowohl aus dem Affekt des anderen, als aus seiner Lage. Wir fühlen sogar manchmal für den anderen eine Erregung, deren er selbst unfähig ist, weil wir sie an seiner Stelle empfinden würden. Wir erröten statt des Unverschämten, der die Ungeschicklichkeit seines Benehmens nicht selbst empfindet, weil wir nicht umhin können uns vorzustellen, wie wir uns schämen würden, wenn wir selbst uns so schlecht benommen hätten. Verlust des Verstandes ist das Schrecklichste, was einem Menschen widerfahren kann, und wer dieses äußersten Menschenelends Zeuge wird, der fühlt tiefes Erbarmen. Der Wahnsinnige selbst aber empfindet sein Elend nicht, er lacht und singt vielleicht. Diese Pein des Beschauers entspringt also nicht aus einem Schmerzgefühl des Unglücklichen, sondern aus der Vorstellung von dem, was wir empfinden würden, wenn wir an seiner Stelle und imstande wären, unseren Zustand vernünftig zu beurteilen. Eine Mutter sieht ihr krankes Kind weinen, das nicht beschreiben kann, was es leidet. Mit der Vorstellung von diesem Leiden und von seiner Hilflosigkeit verbindet sich in der Phantasie der Mutter die Vorstellung von den möglichen zukünftigen Wirkungen des Übels; das alles zusammen bereitet ihr die größte Qual. Das Kind dagegen fühlt nur seine eigenen augenblicklichen Schmerzen, die vielleicht nicht sehr bedeutend sind. Die Furcht vor der Zukunft, diese größte Peinigerin des Menschengeschlechts, bereitet ihm gar keine Sorge. Ja wir malen uns die Lage des Toten, nicht etwa das mögliche Schicksal seiner Seele, sondern die Lage seines im kalten Erdboden liegenden und von Würmern benagten Leichnams als etwas Schreckliches aus, während doch der Tote in Wirklichkeit gar nichts leidet. Aber wir sperren mit unserer Einbildungskraft unsere lebendige und bewußte Seele in den Leichnam ein. Aus solchen Einbildungen entspringt die Furcht vor dem Tode, die so viel Glück vergiftet, freilich aber auch von Übeltaten zurückhält; indem sie das Individuum peinigt, schützt sie die Gesellschaft.

Aus wie verschiedenen Quellen auch immer unsere sympathischen Erregungen entstehen mögen, darin bleiben wir uns stets gleich, daß uns nichts angenehmer ist, als bei anderen Menschen Mitgefühl mit unseren eigenen Affekten zu bemerken, und daß uns nichts mehr verdrießt als das Gegenteil. Wer jedes Mitgefühl für verfeinerte Selbstliebe hält, glaubt von jenem Genuß und diesem Verdruß leicht Rechenschaft geben zu können. Da der Mensch, meint er, sich seiner eigenen Schwäche bewußt sei und wisse, wie unentbehrlich ihm der Beistand seiner Mitmenschen ist, so freue er sich über das Mitgefühl anderer mit seinen Schicksalen, weil es ihm ihre Hilfsbereitschaft verbürgt, und betrübe sich im entgegengesetzten Fall über die schlechte Aussicht, die ihm die Gleichgültigkeit der Zuschauer eröffnet. Aber jenes Lustgefühl oder Mißvergnügen stellt sich so augenblicklich und bei so gleichgültigen Anlässen ein, daß ihm unmöglich eine solche selbstsüchtige Berechnung zugrunde liegen kann. So fühlt man sich schon verletzt, wenn man einen Witz gemacht hat, und niemand in der Gesellschaft darüber lacht, im anderen Falle ist man erfreut. Haben wir ein schönes Buch so oft gelesen, daß uns die nochmalige Lektüre kein Vergnügen mehr bereiten würde, so lesen wir es wohl einem anderen vor, der es noch nicht kennt, und empfinden das Vergnügen mit ihm, das er dabei empfindet. Bemerken wir jedoch, daß ihn unsere Vorlesung langweilt, so verdrießt uns das, und wir brechen ab. Ähnlich verhält es sich mit den Stimmungen in einer Gesellschaft, wo immer einer den anderen ansteckt mit seiner Heiterkeit oder seinem Verdruß.

Jedoch würde man das Wesen der Sympathie nicht genau beschreiben, wenn man sagte: die Gefühle anderer rufen in uns ähnliche Gefühle hervor und verstärken die schon erregten. Die Mitfreude anderer erhöht zwar unsere eigene Freude, aber das Mitgefühl mit unseren Schmerzen vermehrt diese nicht, sondern lindert sie. Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteilter Schmerz ist halber Schmerz. Freilich: in dem Augenblick, wo wir einem Freunde unser Herz ausschütten, scheint sich der Schmerz zu verstärken; wir empfinden ihn lebhafter, und unsere Tränen fließen reichlicher; aber dennoch! Wie drängt es uns zu einer solchen Mitteilung! Weit mehr, als zur Mitteilung eines Glücks, das uns zuteil geworden. Das Bewußtsein, daß ein anderer an unserer Pein, an unserer Sorge teilnimmt, ist etwas so Süßes, daß dadurch die vorübergehende heftigere Aufwühlung unseres Schmerzgefühls reichlich aufgewogen wird, und daß wir uns dann erleichtert fühlen. Dagegen hält es ein Unglücklicher für die grausamste Beleidigung, wenn andere sein Unglück leicht nehmen. Bei der Freude des Nächsten Gleichgültigkeit zeigen, ist bloß Mangel an Höflichkeit, über sein Elend lachen, ist unmenschlich. Liebe ist eine angenehme, Erbitterung eine unangenehme Empfindung; darum haben wir es weniger eilig mit dem Wunsche, unsere Freunde möchten sich unsere Freundschaften, als sie möchten sich unsere Feindschaften aneignen. Wenn sie unsere Vorliebe für einen Menschen nicht teilen, so nehmen wir das weiter nicht übel und lassen es uns sogar recht gern gefallen; aber wenn sie es mit unseren Feinden halten, dann werden wir ernstlich böse [der eigentliche Grund des Unterschieds hat mit der Sympathie nichts zu schaffen; zur Bekämpfung eines Feindes brauchen wir Bundesgenossen, und die Freunde unserer Feinde sind eine Gefahr für uns; den intimen Freund dagegen möchten wir, wie die Geliebte, allein besitzen; ihn mit anderen teilen zu sollen, bereitet uns nicht Vergnügen, sondern erregt unsere Eifersucht]. Und wie uns anderer Sympathie wohltut, so ist auch unsere eigene eine angenehme Empfindung. Wir freuen uns, wenn wir Sympathie empfinden können. Wir beeilen uns, zu gratulieren und zu kondolieren, und bereitet des Freundes Kummer uns eigenen Kummer, so überwiegt diesen doch der Genuß, den uns seine vertrauensvolle Mitteilung gewährt. Können wir mit eines anderen Schmerz nicht sympathisieren, so sind wir nicht etwa froh darüber, daß uns ein Kummer erspart bleibt, sondern empfinden unser Unvermögen peinlich; so wenn uns das laute Gejammer einer Person durch den Anlaß ihrer Betrübnis nicht gerechtfertigt erscheint und wir sie wegen ihrer Schwäche verachten; ähnlich ergeht es uns, wenn sich einer vor Freude über ein Nichts wie toll geberdet.

Volle Sympathie stellt sich eben nur dann ein, wenn der Beschauer die angenehme oder unangenehme Erregung des Affizierten vollständig gerechtfertigt, ihrer Ursache entsprechend findet. Sympathisieren bedeutet also, von dieser Seite gesehen, so viel wie billigen. Wer ein Gemälde genau so bewundert wie ich, der billigt meine Schätzung; wer über einen Witz so laut lacht wie ich, kann nicht leugnen, daß meine Heiterkeit angemessen war. Wer dagegen anders empfindet als ich, der mißbilligt meine Art zu empfinden. Wenn mein Unwille über eine erlittene Beleidigung so hoch steigt, daß mein Freund nicht mehr mit kann, wenn ich mich in einem Grade gräme, den sein Mitleid nicht zu erreichen vermag, wenn ich mehr oder weniger als er bewundere, wenn ich lache wo er bloß lächelt, oder lächle, wo er herzlich lacht – so kann ich seiner Mißbilligung nicht entgehen, denn seine eigene Empfindung ist der Maßstab, an dem er die Angemessenheit der meinen prüft. Anderer Meinung billigen heißt sie annehmen. Dasselbe gilt von den Affekten. Fälle, wo wir sie billigen, ohne sie mit zu empfinden, sind nur scheinbare Ausnahmen. Es kommt z. B. vor, daß wir einen Witz ganz vortrefflich und das Gelächter der Zuhörer angemessen finden, selbst aber nicht mitlachen, weil wir gerade ernst gestimmt sind, oder ein anderer Gegenstand unsere Aufmerksamkeit fesselt. Wir wissen in diesem Falle, daß wir bei anderer Stimmung mitlachen würden. Sehen wir einen Fremden von Betrübnis über den Tod seines Vaters ergriffen, so billigen wir seine Empfindung, ohne sie zu teilen; indes wir wissen, daß wir sie teilen würden, wenn uns der Mann näher stände; wir haben aber nicht Zeit und Kraft genug, uns die Schicksale aller Menschen zu Herzen zu nehmen.

Darauf, daß die Erregung im richtigen Verhältnis zu ihrem Anlaß steht, beruht die Angemessenheit, die Schicklichkeit des Verhaltens des Affizierten. Das Verdienst oder Mißverdienst aber, die Lobwürdigkeit oder Sträflichkeit eines Affekts hängt davon ab, ob die Handlung, die er hervorruft, wohltätiger oder schädlicher Art ist. Die Fälle, in denen wir über die Angemessenheit von Affekten urteilen, sind von zweierlei Art. Gegenstände des ästhetischen Genusses berühren kein Interesse weder des Affizierten noch dessen, der über den Affekt urteilt. Billigen wir die Bewunderung oder das Mißfallen des anderen, so sprechen wir ihm richtigen Geschmack zu. Ein besonderes Lob scheint er uns nicht zu verdienen. Wir halten es für selbstverständlich, daß alle Menschen von gesunder Geistesbeschaffenheit so urteilen, ebenso wie alle Menschen wissen, daß zweimal zwei vier ist. Bemerken wir jedoch, daß uns ein anderer in Geschmack und Wissen überlegen ist, daß er tiefer in die Schönheiten eines Kunstwerks, in die Schwierigkeiten einer Wissenschaft eindringt als wir, uns Verborgenes enthüllt, unser Führer wird, dann bewundern wir ihn und preisen ihn seiner intellektuellen Vorzüge wegen. Nicht ihres Nutzens wegen bewundern wir diese Vorzüge – obwohl sie nützlich sind –, sondern weil sie uns an sich gefallen; die Erwägung des Nutzens stellt sich erst nachträglich ein. Bei solchen Gegenständen eines Affekts, die das Wohl oder Wehe des Affizierten oder unser eigenes betreffen – damit kommen wir auf die zweite Art von Fällen –, ist das richtige Urteil schwieriger zu treffen und dabei viel wichtiger. Mein Unglück berührt mich selbst viel näher als meinen Freund; wir beschauen es nicht wie ein Gemälde vom selben Standpunkte aus. Und sollten wir auch bei Kunstwerken oder Naturschönheiten im Geschmack oder im Urteil nicht übereinstimmen, so ist das kein Anlaß zur Feindschaft für uns; dazu sind uns solche Dinge nicht wichtig genug. Wenn dagegen der Freund meinen Schmerz, meinen Unwillen gegen einen Beleidiger nicht teilt, dann hat unsere Freundschaft ein Ende. Soll keine Entzweiung eintreten, so muß der Beschauer den Fall des Betroffenen so viel wie möglich zu seinem eigenen machen, sich ganz in des andern Lage zu versetzen suchen. Das gelingt nun freilich niemals ganz; auch ist ein solcher eingebildeter Platzwechsel immer nur auf Augenblicke möglich: das behagliche Bewußtsein des Beschauers, daß ihm selbst nichts fehlt, beschwichtigt bald wieder den sympathischen Schmerz oder Unwillen. Will der Leidende nicht das Gegenteil von dem erreichen, was er ersehnt, Mitgefühl, so muß er seinen eigenen Affekt so weit mäßigen, daß der ins Vertrauen Gezogene etwas Ähnliches zu empfinden vermag. So wird beider Bemühen zuletzt nicht Gleichklang, aber doch Zusammenklang der beiderseitigen Empfindungen zuwege bringen. Es muß sich also der Zuschauer an die Stelle des Leidenden, der Leidende an die Stelle des Zuschauers versetzen, damit dieser Zusammenklang herauskomme. Der Leidende weiß außerdem, daß seine Bekannten und ganz fremde Personen noch weniger als der Freund imstande und willens sind, die ganze Heftigkeit seines Schmerzes zu empfinden. Vor Bekannten mäßigen wir uns darum noch mehr als vor Freunden, vor Fremden mehr als vor Bekannten. Und diese Mäßigung bleibt kein angenommener Schein; das gefaßte äußere Verhalten beruhigt uns innerlich. Gesellschaft und Unterhaltung sind die besten Mittel, das durch einen heftigen Affekt gestörte Gleichgewicht der Seele wieder herzustellen und dem, der sich eines gleichmäßig heiteren Temperaments erfreut, diese wichtigste Bedingung des Glücks zu erhalten. Einsam lebende Denker mögen humaner, hochherziger, von feinerem Ehrgefühl sein, aber weil sie über ihren Kummer und ihren Groll brüten, eignen sie sich nicht so leicht gleichmäßige Heiterkeit an wie der Mann von Welt.

Auf die beschriebenen Anstrengungen des Affizierten und des Beschauers läßt sich eine Einteilung der Tugenden gründen. Wer sich bemüht, sich in die Lage der Erregten zu versetzen und sich zur Höhe ihrer Freude oder ihrer Betrübnis emporzuschwingen, der erscheint liebenswürdig. Wer sich bemüht, seine Affekte so weit zu bändigen, daß ein Zuschauer daran teilzunehmen vermag, der erscheint uns achtunggebietend, verehrungswürdig, erhaben, ein Held, während wir den Jammernden, den Tobenden verachten. Viel für andere, wenig für uns selbst fühlen, unsere selbstsüchtigen Affekte zügeln, den wohlwollenden weitesten Spielraum lassen, das macht die Vollendung der Menschennatur aus. Den Nächsten wie uns selbst zu lieben, das ist das große Gebot des Christentums; ihm entsprechend heißt uns die Natur uns selbst nicht mehr lieben als den Nächsten, oder anders ausgedrückt: uns selbst nur in dem Maße lieben, als der Nächste uns zu lieben vermag. Wie wir guten Geschmack und wissenschaftliches Urteil nur dann bewundern, wenn sie einen das Gewöhnliche übersteigenden Grad erreichen, so verhält es sich auch mit den sittlichen Eigenschaften, und nur wo wir bewundern können, sprechen wir von Tugend. Gewöhnliches moralisches Verhalten ist keine Tugend. Unter Tugend verstehen wir etwas Hervorragendes, etwas ungewöhnlich Schönes und Großes. Die liebenswürdigen Tugenden setzen eine jede Erwartung übertreffende Zartheit des Empfindens, die ehrfurchtgebietenden eine erstaunliche Beherrschung der undisziplinierbarsten Leidenschaften voraus. Angemessenes Verhalten ist noch lange nicht Tugend. Essen, wenn man hungrig ist, gehört zum angemessenen Verhalten, aber es eine Tugend nennen wäre höchst ungereimt. Andererseits kann es sogar dem Tugendhaften begegnen, daß er nicht einmal die Grenzen der Angemessenheit inne zu halten vermag, wenn z. B. sein Leiden so furchtbar ist, daß völlige Selbstbeherrschung die Menschenkraft übersteigen würde. Am Maßstabe absoluter Vollkommenheit gemessen, erscheinen alle Menschen unvollkommen. Was den Grad mittlerer Güte übersteigt, mag es auch noch weit unter der höchsten Vollkommenheit bleiben, verdient Lob; was den mittleren Grad nicht erreicht, verdient Tadel.

Sollen wir einen Affekt billigen, so darf er weder zu stark noch zu schwach sein im Verhältnis zu seiner Ursache. Bei den unangenehmen Affekten nennen wir das Übermaß Schwäche [bei Schmerz] und Wut [beim Zorn], das Zurückbleiben hinter der Normalstärke Unempfindlichkeit, Stumpfsinn, Geistlosigkeit. Der angemessene mittlere Grad liegt bei verschiedenen Affekten verschieden hoch. Bei solchen, mit denen wir schwach sympathisieren, liegt er, mögen sie noch so gerechtfertigt sein, sehr niedrig; bei den sympathischen, auch wenn sie uns nicht hinlänglich gerechtfertigt erscheinen, ziemlich hoch, so daß uns ihr lebhafter Ausdruck angenehm berührt. Affekte, die aus dem Körper entspringen, lebhaft kund zu geben, gilt allgemein für unanständig. Mag der Hunger eines Menschen noch so groß sein, ihn gierig essen zu sehen, ist ekelhaft. Noch weniger deutlich darf sich der Geschlechtstrieb äußern, mag es auch zwischen zwei Personen geschehen, die dazu sittlich berechtigt sind. Doch macht es uns Vergnügen, unsere Freunde mit gutem Appetit speisen zu sehen, und wenn ein Mann durch sein frostiges Benehmen bei Frauen verrät, daß er ganz unempfindlich ist gegen das schönere Geschlecht, so finden wir ihn sogar verächtlich. Man hat geglaubt, die lebhafte Äußerung leiblicher Affekte werde darum gemißbilligt, weil uns diese mit den Tieren gemein seien; aber auch Zorn, Anhänglichkeit und Dankbarkeit kommen bei den Tieren vor, und wir schämen uns trotzdem dieser Regungen nicht [weil sie, obwohl bei den höheren Tieren, nur bei diesen vorkommend, doch nichts animalisches, sondern etwas geistiges, dem Menschenwesen Verwandtes sind; das übersieht Smith; doch verdient sein Erklärungsversuch Beachtung]. Der Grund ist vielmehr, daß wir jene Affekte nicht mitzufühlen vermögen; wir werden nicht hungrig mit dem Hungrigen. Es ist mit anderen aus dem Körper stammenden Affekten, mit körperlichen Schmerzen z. B., nicht anders. Wir verachten den Mann, der aus Schmerz schreit. Nur die Affekte, die aus der Einbildungskraft stammen, vermögen wir mit zu empfinden. Der Verlust eines Beines ist gewiß ein ernstliches Unglück, aber eine Tragödie, die ihn zum Gegenstande hätte, wäre lächerlich. Eigenen Körperschmerz vergessen wir, sobald er vorüber ist, das unbedachte kränkende Wort eines Freundes kann uns lange peinigen. Körperschmerzen rufen lebhafte Sympathie nur dann hervor, wenn sie Symptome einer ernstlichen Gefahr sind. Zahnschmerz, gichtisches Reißen kommt uns ein wenig lächerlich vor. Eigene solche Schmerzen pflegen wir mit Humor zu besprechen, wohl wissend, daß wir uns unausstehlich machen würden, wenn wir sie im Gespräch tragisch nehmen wollten. Dagegen empfinden wir bei einer Krankheit, die das Leben bedroht, ernstliche Teilnahme, auch wenn der Kranke gar keine Schmerzen leidet. Daß uns äußerliche Verletzungen und chirurgische Operationen lebhaftes Mitgefühl abnötigen, kommt bloß von der Ungewohntheit des Anblicks; wer dergleichen oft sieht, ist unempfindlich dagegen. So erwecken überhaupt körperliche Zustände und die unmittelbar aus ihnen hervorgehenden Affekte nur Teilnahme, wenn sie mit anderen, auf unsere Phantasie wirkenden Affekten wie Furcht und Hoffnung verbunden sind. Die Liebesleidenschaft eines Roman- oder Theaterhelden interessiert uns nur deswegen, weil sie ihn in Situationen bringt, wo wir mit ihm fürchten, verzweifeln, auf idyllisches Glück hoffen können. Ebenso verhält es sich mit der Beschreibung der Leiden einer vom Hungertode bedrohten Schiffsmannschaft; ihren Hunger empfinden wir nicht mit, wohl aber ihre Verzweiflung, ihre Furcht und Hoffnung, ihren Stimmungswechsel bei wechselnden Aussichten. Nur durch solche Ideenverkettung wird eine Tragödie wie Philoktet erträglich – hier besteht das Elend des Helden in seiner Verlassenheit –; wie lächerlich wäre eine Tragödie, deren Held an der Kolik litte! Und doch gibt es kaum eine größere Pein. Von den Leidenschaften, deren Stärke in keinem Verhältnis zu ihrem Gegenstande zu stehen pflegt, und die darum eigentlich lächerlich sind, ist die Liebe die einzige, die niemals widerwärtig, immer liebenswürdig erscheint, auch wenn ihre Wirkungen widerlich sind.

Affekte einer anderen Art entspringen zwar aus der Einbildungskraft, müssen aber stark herabgedrückt werden, wenn wir imstande sein sollen, sie zu empfinden. Es sind dies die unsozialen Affekte Haß und Rachsucht. Jedem solchen Affekt gegenüber ist unsere Sympathie geteilt zwischen der Person, die ihn empfindet, und der Person, die sein Gegenstand ist. Was wir aus Sympathie für den Erregten zu wünschen geneigt sind, fürchten wir aus Sympathie für den Bedrohten. Unsere Besorgnis wegen des dem zweiten drohenden Leidens dämpft unseren Unwillen über das, was der erste erlitten hat. Dieser Unwille bleibt also nicht bloß aus der oben angeführten allgemeinen Ursache hinter dem des Grollenden zurück, sondern auch noch wegen der Zwiespältigkeit unserer Sympathie. Der Zornige muß darum seine Erregung sehr bedeutend herabstimmen, wenn er uns Sympathie abgewinnen will. Im allgemeinen empfindet der Mensch Unbilden, die einem anderen zugefügt werden, sehr lebhaft, wie der Unwille des Publikums über Theaterbösewichte beweist. Wir verabscheuen den Jago nicht weniger als wir Othello schätzen, und freuen uns über jenes Züchtigung, während wir uns des anderen Verzweiflung zu Herzen nehmen. Aber unser sympathischer Unwille hält keineswegs mit dem nach Rache Durstenden gleichen Schritt. Im Gegenteil werden wir unwillig gegen diesen, wenn wir sein Opfer ruhig, gefaßt und geduldig sehen, vorausgesetzt, daß nicht Furcht oder Stumpfsinn die Ursache dieser Ruhe ist.

Zorn und Vergeltungstrieb sind nämlich notwendige Bestandteile der Menschennatur, und wir verachten einen Mann, der sich Angriffe gefallen läßt, ohne sie abzuwehren oder nachträglich zu rächen. Solche Mattherzigkeit bringt uns nicht weniger auf als die Unverschämtheit des Angreifers. Sogar der Pöbel wird wütend, wenn er sieht, wie sich ein Mann geduldig beschimpfen läßt. Verliert dieser endlich die Geduld und setzt sich zur Wehr, so applaudiert ihm der Mob. Diese Leidenschaften werden gebilligt, weil sie sowohl dem Individuum als der Gesellschaft nützen; jenem, indem sie den Angriff auf ihn zu einem gefährlichen Wagnis machen, dieser, indem sie als Hüterinnen der Gerechtigkeit walten. Trotzdem bleiben sie uns unangenehm, und ihr starker Ausdruck in Worten, Mienen und Geberden wird nicht allein als Bedrohung einer anderen Person, sondern auch als eine Roheit gegen die Zuschauenden empfunden. Nur die Erwägung ihrer nützlichen Wirkungen läßt sie uns schätzen. Ein Gefängnis ist ein nützlicherer Gegenstand als ein Palast [das wird heute stark bezweifelt], aber sein Anblick ist desto widerwärtiger, je besser es seinen Zweck erfüllt [je mehr es durch Peinigung der Verbrecher abschreckt, meint Smith ohne Zweifel]. Ein Palast, seine prächtige Ausstattung, die Heiterkeit seiner Bewohner sind immer angenehm zu schauen, während uns Überlegung lehrt, daß er möglicherweise durch die Förderung des Luxus und durch die Sittenlosigkeit seiner Bewohner dem Volke schadet [hier schaut der puritanische Philister heraus, von dem damals in jedem Schotten ein Stückchen steckte. Es folgen noch mehr Beispiele von unangenehmen nützlichen und weniger nützlichen angenehmen Dingen.] So nun verhält es sich auch mit den unsozialen Affekten. Und weil ihre unmittelbare Wirkung unangenehm ist, sympathisieren wir nicht eher mit ihnen, als bis wir wissen, was sie erregt hat. Während uns ein Klageruf sofort zur Hilfeleistung in Bewegung setzt, ein lächelndes Antlitz uns sofort erheitert, erregt uns das mißtönende Gebrüll und Gekreisch des Zornigen entweder Furcht oder Widerwillen. Der Haß flößt allenfalls gegen den Hassenden, nicht gegen den Gehaßten Haß ein. Die Natur hat es weise eingerichtet, daß Affekte, welche die Menschen trennen statt sie zu vereinigen, sich nicht leicht und nicht oft mitteilen. Und nicht dem Zuschauer allein sind diese Affekte unangenehm, sondern auch der Person, die sie empfindet.

Das gerade Gegenteil von ihnen sind Hochherzigkeit, Menschenfreundlichkeit, Güte, Mitleid, Freundschaft, Hochschätzung. Bei ihnen wird die Sympathie durch den Gedanken an die dritte Person, die ihr Gegenstand ist, nicht gespalten, sich selbst entgegengesetzt, sondern verdoppelt, denn der Gegenstand des Affektes hat ja von diesem nur Gutes zu erwarten. Wir freuen uns nicht bloß um des Affizierten willen, den diese Affekte liebenswürdig machen, sondern auch um dessen willen, dem sie gelten. Liebe ist eine an sich selbst angenehme Empfindung; sie erhöht unser Lebensgefühl, fördert die Gesundheit, und wird noch genußreicher durch das Bewußtsein, daß sie uns den Dank und das Wohlwollen dessen einträgt, der ihr Gegenstand ist. Das Bewußtsein eines solchen Verhältnisses macht jeden im anderen glücklich, und Sympathie macht beide dem Beschauer angenehm. Welchen Genuß bereitet der Anblick einer glücklichen Familie, deren Mitglieder einander lieben! Selbst das Übermaß dieser Affekte berührt uns nicht unangenehm. Sehen wir vollendete Humanität, so bedauern wir nur, daß die Welt ihrer nicht wert ist.

Zwischen den sozialen und den unsozialen Affekten stehen der Verdruß über eigenes Unglück und die Freude über eigenes Glück. Sie sind egoistisch, aber nicht unsozial. Sie sind sogar sympathisch, nur nicht in dem Grade wie die verschiedenen Arten des Wohlwollens, weil die Verstärkung durch die Rücksicht auf den beglückten Dritten fehlt. In unserer Sympathie mit ihnen waltet ein Unterschied ob. Bei Freude stellt sich die Sympathie leichter ein, wenn sie klein, bei der Betrübnis, wenn sie groß ist. Wird jemandem plötzlich großer Reichtum oder eine außerordentliche Rangerhöhung zuteil, so berührt uns das meistens nicht angenehm. Der Erhöhte weiß das auch; wenn er klug ist, mäßigt er den Ausdruck seiner Freude und sucht seine Neider durch Bescheidenheit zu versöhnen, was fast niemals gelingt. Am glücklichsten ist, wer so langsam vorwärts kommt, daß ihm die Öffentlichkeit jede nächste Beförderung schon zuerkannt hat, ehe sie ihm zuteil wird. Aufrichtiges Mitgefühl haben wir nur für unsere kleinen Freuden zu erwarten, die aus unbedeutenden Anlässen hervorsprießen, aus jenen Nichtigkeiten, die das Alltagsleben ausfüllen. Nichts macht den Menschen seiner Umgebung angenehmer, als gleichmäßige, gewohnheitsmäßige Heiterkeit, und diese beruht darauf, daß man die kleinen Annehmlichkeiten, die jeder Tag bringt, schätzt und genießt. Solche Heiterkeit eines anderen erfüllt uns mit derselben Heiterkeit; wir betrachten die Kleinigkeiten, die jenen erfreuen, mit denselben Augen wie der mit einem so glücklichen Temperament Begnadigte. Kindern und jungen Leuten ist dieses Temperament eigen. Gesundheit, Lebensdrang, Spannkraft machen, daß ein Nichts, das bloße Dasein sie beglückt. Deswegen lieben wir die Jugend; der Anblick ihrer Gesundheit und Schönheit und der daraus erblühenden Freude läßt den Greis auf Augenblicke seines Elends vergessen.

Mit der Betrübnis verhält es sich umgekehrt. Kleiner Verdruß erregt gar kein Mitgefühl, großer das allergrößte. Wer über seine Köchin oder über das Wetter verdrießlich ist, oder weil man ihm nicht zugehört hat, als er eine seiner Meinung nach interessante Geschichte erzählte, der würde nur ausgelacht werden, wenn er erwartete, daß man sich mit ihm betrüben oder ärgern werde. Das bißchen Bosheit, das in jedem steckt, reizt uns sogar, uns über die kleinen Ärgernisse unserer Bekannten zu freuen und uns darüber lustig zu machen. Es gehört zu den sonderbaren Widersprüchen der Menschennatur, daß man sich selber so unangenehme Empfindungen wie Ärger und Betrübnis bei jeder Kleinigkeit bereitet; aber sollen wir uns einem anderen zu Gefallen betrüben, so muß eine wichtige Ursache vorhanden sein. Dafür ist dann aber auch unsere Betrübnis aufrichtig und tief; weinen wir doch über die erdichteten Leiden eines Theaterhelden. Das Mitgefühl mit Leiden ist auch allgemeiner als das mit Freuden. Zwar bei heftigen Äußerungen des Schmerzes steigert sich unser Mitgefühl nicht bis zur völligen Übereinstimmung; wir schreien und jammern nicht mit, mißbilligen im Gegenteil solches Gebahren eines Menschen, aber wir sind nicht unempfindlich gegen seinen Schmerz. Dagegen verachten wir einen Mann, der vor Freuden hüpft und tanzt. Ferner wird leibliche wie seelische Pein stärker empfunden als irgend ein Lustgefühl. Schon darum ist unser Mitleid, so weit es auch hinter der Empfindung des Leidenden zurückbleiben mag, weit lebhafter als die Mitfreude, die sich übrigens, wie gezeigt werden wird, der Stärke des ursprünglichen Empfindens mehr nähert als das Mitleid. Endlich ist zu bemerken, daß wir allzu lebhaftes Mitleid zu bekämpfen pflegen, niemals aber eine lebhafte Mitfreude. Ist Neid im Spiele, so freuen wir uns überhaupt nicht mit; im anderen Falle geben wir uns der Mitfreude widerstandslos hin. Oft schämen wir uns, daß Neid die Mitfreude nicht aufkommen läßt und heucheln sie wenigstens. Es scheint also, daß wir von Natur mehr zum Mitleid als zur Mitfreude gestimmt seien. Trotzdem dürfte das Gegenteil stattfinden. Wofern sich nicht Neid einmischt, sind wir nicht allein zur Mitfreude mehr geneigt als zum Mitleid, sondern jene kommt auch in weit höherem Grade der wirklichen Freude gleich als dieses dem wirklichen Leiden. Zwischen diesem und dem durch bloße Vorstellung erzeugten Mitgefühl liegt eine ungeheure Kluft, die durch keine Anstrengung ausgefüllt werden kann. Dagegen kann sich jeder leicht in das Glückgefühl eines anderen versetzen, weil, wenn ein Glückfall solches erzeugt, das nur eine ganz unbedeutende Steigerung des gewöhnlichen Gemeingefühls ist. Wer gesund ist, keine Schulden und ein gutes Gewissen hat – und in dieser Lage befinden sich die meisten Menschen – dem können alle Reichtümer, die ihm zuströmen, nichts wesentlich Besseres verschaffen, als was er schon hat. Weil sich demnach alle verständigen Menschen ohnehin schon in derselben behaglichen Stimmung befinden, kann es keinem schwer fallen, sich in die durch einen Glücksfall ein klein wenig gesteigerte des Nächsten zu versetzen. Aber wenn dem durchschnittlichen Wohlbefinden wenig hinzugefügt werden kann, so kann doch sehr viel davon hinweggenommen werden. Zum Gipfel irdischer Glückseligkeit hat man von der Durchschnittslage aus nicht mehr weit, dagegen ist der Abstand zwischen ihr und der Tiefe des Elends ungeheuer. Darum drückt Unglück das Gemüt viel weiter unter seine normale Stimmung hinab als Glück es darüber emporhebt. Und so kommt es, daß der Zuschauer in diesem Falle leichter folgen kann als in jenem.

Man hat gegen diese Theorie eingewendet, daß, wenn Sympathie die Billigung einschließt, unangenehme sympathische Empfindungen überhaupt nicht vorkommen können. Zu diesen Empfindungen sind jedoch zwei Elemente zu unterscheiden: der sympathische Affekt an sich, und der Affekt, der aus dem Bewußtsein der vollständigen Übereinstimmung zwischen meinem Mitgefühl und dem Affekt des anderen entspringt. Dieser zweite Affekt, in dem allein eigentlich die Billigung liegt, ist immer angenehm. Der andere ist angenehm oder unangenehm je nach der Beschaffenheit des ursprünglichen Affekts, von dem er nur ein Abbild ist. Wenn wir uns von einem Trauerspiel zu Tränen gerührt fühlen, schämen wir uns und suchen die Tränen zu verbergen. Warum? Weil wir fühlen, daß unsere Mitmenschen an dem unangenehmen Affekte der Trauer nicht gern teilnehmen. Dagegen sucht niemand seine Freude zu verbergen, weil an dieser jedermann gern teilnimmt. Mit wie herzlichen lauten Freudenbezeugungen begrüßt der Mob, der die Großen niemals beneidet, deren Triumphe und feierliche Einzüge! Wie zurückhaltend äußert er seine Betrübnis bei einer Hinrichtung! Bei Beerdigungen beschränkt sich unsere Trauerkundgebung auf einen häufig erzwungenen Ernst; dagegen brauchen wir uns bei Hochzeiten und Kindtaufen zur Lustigkeit nicht zu zwingen.

Auf dieser Empfindungsweise nun, auf dieser Geneigtheit, mit den Glücklichen zu sympathisieren, sich dagegen von dem Unglücklichen desto entschiedener abzuwenden, je auffälliger er sein Unglück kund tut, beruht der Ehrgeiz. Nichts demütigt uns mehr, als wenn wir genötigt sind, unser Unglück, unsere Armut zu offenbaren, da wir wissen, daß wir dadurch entweder der Nichtachtung oder der Verachtung verfallen. [Hier haben wir einen Versuch, die moderne englische Empfindungsweise zu begründen.] Daraus entspringen die Gier nach Reichtum, nach Macht, nach Rang und Würden; darum unterziehen wir uns den Mühen des lärmenden Erwerbslebens. Denn zum Wohlbefinden ist das alles nicht notwendig. Was dazu gehört: ein Haus, Nahrung und Kleidung, das hat der geringste Arbeiter, ja er erfreut sich meistens auch noch einiger überflüssiger Annehmlichkeiten. Reichtum, Macht und Rang werden nicht darum geschätzt, weil sie glücklich machen, sondern weil sie die ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeit auf den wenden, der sie besitzt. Des armen Mannes Aus- und Eingang bleibt unbeachtet, aber der wache Traum unserer müßigen Stunden, das Ziel unseres Strebens ist eben, beachtet, bewundert, umschmeichelt zu werden. Mit dem Glück der Großen sympathisieren wir; wünschen, daß ihre Wünsche in Erfüllung gehen; widerfährt ihnen ein Unglück, so empfinden wir das zehnmal stärker, als wenn es einem gewöhnlichen Menschen begegnet wäre. Der Verbrecher, der das Leben eines Monarchen bedroht, erscheint uns nicht als ein gewöhnlicher Mörder, sondern als ein Ungeheuer. Auf dieser Schätzung einer hohen gesellschaftlichen Stellung beruhen die Rangunterschiede, beruht die bürgerliche Ordnung. Die Großen finden willigen Gehorsam, nicht etwa, weil das Volk den Nutzen schätzte, der aus der bürgerlichen Ordnung entspringt, sondern weil es Ehrfurcht vor der Größe hat. Das Verhalten der Großen muß den gemeinen Mann schon zu blinder Wut gereizt haben, wenn dieser etwas gegen sie unternehmen soll, und auch dann, tritt er einem Großen persönlich gegenüber, so fällt er leicht unwillkürlich in seine gewohnte unterwürfige Haltung zurück. Deshalb bedarf es für den jungen Mann von hoher Geburt weder anstrengender Studien und Arbeiten noch tugendhafter Selbstverleugnung; um sich die Gunst des Volkes zu sichern, braucht er nur die kleinen Pflichten der Konvenienz zu erfüllen, seine Worte und seine Bewegungen so abzumessen, wie es sein Rang erfordert. Dem Manne niederen Standes dagegen können anmutige Formen wenig nützen. Ahmt er als Stutzer die Großen nach, so macht er sich nur lächerlich. Niemand achtet darauf, ob der Arme den Kopf so oder so trägt, seine Gliedmaßen so oder anders bewegt, und es wäre eine ganz überflüssige Mühe, wenn er auf solche Äußerlichkeiten Aufmerksamkeit und Sorgfalt verwenden wollte. Wenn er nur bescheiden und einfach ist, darf er sein Äußeres vernachlässigen, soweit er dadurch nicht eine seiner Umgebung schuldige Rücksicht verletzt. Will er sich auszeichnen, so kann er das nur durch tüchtige Leistungen. Er muß lernen, arbeiten, entschlossen in Gefahren, unerschütterlich im Unglück sein. Er wünscht sich Gelegenheit, diese Eigenschaften geltend zu machen. Krieg und Aufruhr, Verwirrung und Blutvergießen entzücken ihn, weil sie ihm Gelegenheit darbieten, sich bemerkbar zu machen. Daher kommt es, daß wichtige Staatsämter, die ja Tüchtigkeit fordern, gewöhnlich nicht Männern von hoher, sondern von mittlerer oder niederer Abkunft anvertraut werden.

Der Gesundheit des sittlichen Empfindens bereitet die allgemeine Hochschätzung des Ranges und des Reichtums keine geringen Gefahren. Freilich wünschen wir, nicht allein geachtet, sondern auch achtungswert zu sein; aber da wir die Erfahrung machen, daß es nicht eben Tugenden und nützliche Leistungen sind, was am raschesten zu Ehren und zum Ruhme verhilft, so fühlen wir uns stark versucht, die Anerkennung unserer Mitmenschen aus dem leichteren Wege zu erstreben, indem wir um jeden Preis Reichtum und Rang haben wollen, die höher geachtet werden als Wissen und Tugend. Der Große muß schon sehr lasterhaft sein, wenn seine Schlechtigkeit der Ehrfurcht, die man ihm zollt, Eintrag tun soll. Glücklicherweise liegt jedoch diese Versuchung nur den Hochgeborenen nahe. Für die Menschen mittleren und niederen Standes fällt der Weg zu Wohlstand und Ansehen gewöhnlich mit dem Wege der Tugend zusammen; für sie gilt das gute alte Sprichwort: Ehrlichkeit ist die beste Politik.

Jede Gemütserregung, die zum Handeln treibt, kann von zwei Gesichtspunkten aus beurteilt werden: in ihrer Beziehung zur Ursache, zu dem Gegenstande, der sie hervorruft, und in ihrer Beziehung zu dem Ziele, dem sie zustrebt, zu der Wirkung, die sie hervorbringt. Von dem Grade also, in dem der Affekt seiner Ursache angemessen ist, hängt seine Schicklichkeit oder Unschicklichkeit, von dem wohltätigen oder schädlichen Charakter der daraus hervorgehenden Handlung hängt, wie schon bemerkt wurde, sein Verdienst oder Mißverdienst, seine sittliche Güte oder Schlechtigkeit ab. Belohnung verdient eine Handlung, wenn sie die zum Belohnen treibende Empfindung erregt, Strafe verdient sie, wenn sie die Empfindung erregt, die da drängt, zu strafen, einem anderen ein Übel zuzufügen. Das Gefühl nun, das am unmittelbarsten zum Belohnen treibt, ist die Dankbarkeit; das Gefühl, das zum Strafen treibt, ist das Rachegefühl. So erscheint uns denn eine Handlung, die Dankbarkeit hervorruft, verdienstlich, eine, die Rache herausfordert, strafbar. In beiden Fällen wird Vergeltung gefordert; in jenem soll Gutes mit Gutem, in diesem Böses mit Bösem vergolten werden. Andere Affekte mögen uns für das Glück oder Unglück eines Menschen interessieren, aber sie erzeugen nicht den Wunsch, der Belohnung oder Bestrafung als Werkzeug zu dienen. Liebe und Achtung lassen uns einem anderen alles Gute wünschen, erzeugen jedoch nicht das Verlangen, ihm selbst Gutes zu erweisen. Den Hassenden freut es, wenn dem Gehaßten ein Übel zugefügt wird, aber er würde es für ein Verbrechen halten, selbst Hand an ihn zu legen. Der Dankbare dagegen wünscht, das Werkzeug der Beglückung, der Rachsüchtige wünscht, das Werkzeug der Züchtigung eines anderen zu sein, und der Beschauer sympathisiert mit beiden, billigt beider Verhalten, vorausgesetzt, daß ihr Empfinden gebilligt werden kann. Die aus verschwenderischer Laune gespendete Gunstbezeugung eines Großen verdient wenig Dank, und wer durch eigene Ungerechtigkeit den erlittenen Schlag verschuldet hat, der hat kein Recht, den Schlagenden zu strafen. Entspringt demnach unser Urteil über die Schicklichkeit eines Affektes aus der unmittelbaren Sympathie mit dem Affekt und den Beweggründen der handelnden Person, so entspringt das Urteil über Verdienst oder Mißverdienst aus der indirekten Sympathie mit der Dankbarkeit oder dem Rachegefühl der Person, die Gegenstand einer Handlung gewesen ist. Den Begriff und die Empfindung des Mißverdienstes aus unserer Sympathie für das Rachegefühl eines anderen ableiten, das wird vielen als eine Herabwürdigung eines so lobwürdigen Gefühls erscheinen, wie die Mißbilligung des sittlich Bösen ist; dieses Gefühl, wird man einwenden, dürfe nicht aus der Rachsucht abgeleitet werden, die ja ein hassenswertes Gefühl sei. Eher wird man es billigen, daß ich den Begriff des sittlich Guten sich an der Dankbarkeit entwickeln lasse, da diese ja selbst ein liebenswürdiges und zweifellos sittlich gutes Gefühl sei. Indes: Dankbarkeit und Rachegefühl sind einander entgegengesetzt, und wenn man aus jener die Anerkennung des Verdienstes ableitet, so kann man der Ableitung der Anerkennung des Mißverdienstes aus diesem nicht wohl entgehen. Sodann: mag das Rachegefühl in seinen stärksten Kundgebungen noch so hassenswert erscheinen – auf das Niveau des Unwillens herabgedrückt, den wir als Zuschauer mitempfinden, erfährt es keine Mißbilligung. Wir selbst wünschen ja als Zuschauer, daß der Übeltäter bestraft werde, und dieser unser Wunsch rechtfertigt den gleichen Wunsch dessen, der die Übeltat erduldet hat. Und da die meisten Menschen solcher Mäßigung nicht fähig sind, so müssen wir den Mann, der einen der undisziplinierbarsten Affekte so weit beherrscht, sogar bewundern. Dessen Übermaß freilich treibt uns sofort auf die Seite der Gegenpartei, so daß uns Rachsucht, der Exzeß des Rachegefühls, als eine abscheuliche Leidenschaft erscheint, und darum sind wir geneigt, den Trieb, Böses mit Bösem zu vergelten, an sich schon für etwas Schlechtes zu halten. Indes handelt die Natur auch in dem gegenwärtigen verdorbenen Zustande des Menschengeschlechts nicht so ungütig mit uns, daß sie uns einen durchaus bösen Trieb eingepflanzt haben sollte. Gewöhnlich regt er sich ja zu stark, aber oft genug finden wir ihn sogar zu schwach, wie schon an einem Beispiel gezeigt wurde. Die inspirierten Schriftsteller würden nicht so oft vom Zorne Gottes gesprochen haben, wenn sie diesen Affekt für an sich verwerflich hielten. Endlich handelt es sich hier nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Tatsachenfrage. Wir fragen nicht, aus welchem Grunde ein vollkommenes Wesen die Bestrafung einer schlechten Handlung billigen würde, sondern aus welchem Grunde der Mensch, dieses schwache Wesen, sie tatsächlich billigt. Niemand kann leugnen, daß ihn zu dieser Billigung hauptsächlich der Vergeltungstrieb, das Rachegefühl bestimmt, und daß es sich so verhält, scheint mir weise geordnet zu sein. Einschränkung des Hanges, anderen unprovoziert wehe zu tun, ist eine Daseinsbedingung der Gesellschaft; solche Bestrafung also löblich. Obgleich nun der Mensch von Natur die Erhaltung und das Wohlbefinden der Gesellschaft wünscht, hat es doch der Schöpfer nicht seiner Vernunft überlassen, die zur Erhaltung der Gesellschaft geeigneten Mittel durch Nachdenken aufzufinden, sondern ihn mit der unmittelbaren und instinktiven Billigung des geeignetsten Mittels ausgerüstet. Das entspricht der allgemeinen Ökonomie der Natur. Sie hat die Menschen nicht allein mit dem Streben nach den von ihr beabsichtigten Endzwecken, sondern auch mit der Begierde nach den Mitteln, die allein zum Zweck führen, ausgerüstet, und zwar mit dem Verlangen nach diesen Mitteln um ihrer selbst willen, ohne Rücksicht auf den Zweck. Erhaltung des individuellen Lebens und der Gattung sind Endzwecke der Natur. Aber die Natur hat dem Menschen nicht zugemutet, die Mittel für diese beiden Zwecke mit seiner Vernunft ausfindig zu machen; vielmehr hat sie dem Menschen den Hunger, den Durst und den Geschlechtstrieb eingepflanzt, die gebieterisch Befriedigung heischen, und durch deren Befriedigung der Endzweck erreicht wird, ohne daß der Mensch an diesen denkt. [Nicht selten sogar gegen seinen Willen.]

Wohltat verdient Belohnung, ungerechtfertigte Zufügung eines Übels Strafe. Wohltat ist frei, kann nicht erzwungen werden, und ihre Unterlassung ist nicht strafbar. Zur Selbstverteidigung und zum Schutze der Wehrlosen ist uns das Rachegefühl gegeben worden, aber daß wir eine Wohltat nicht empfangen, die wir erwarten durften, kann nicht als eine Unbill bezeichnet werden, gegen die wir uns zu verteidigen hätten. Dagegen gibt es eine Tugend, deren Ausübung nicht unserem freien Willen überlassen ist, sondern erzwungen werden kann und muß: die Gerechtigkeit; deren Verletzung bedeutet immer die Verletzung einer Person, ist also eine Unbill, die Strafe verdient, und entspringt aus Beweggründen, die immer gemißbilligt werden. Der, dem Unrecht geschieht, ist der Teilnahme aller Unparteiischen sicher, und wer ein Unrecht plant, der weiß, daß er damit nicht allein den Bedrohten, sondern auch die anderen zu gewaltsamer Abwehr herausfordert. Deshalb fühlen wir uns zur Beobachtung der Regeln der Gerechtigkeit weit strenger verpflichtet als zur Ausübung der übrigen Tugenden; wir wissen, daß wir zu jener unter dem Beifall der Masse der Menschen gezwungen werden können, während uns niemand und nichts zur Wohltätigkeit zwingen kann. Vom Strafbaren ist das bloß Tadelnswerte zu unterscheiden. Tadelnswert ist die Unterlassung von Handlungen, die man vom Durchschnittsmenschen erwartet. Die Erfüllung des gewöhnlichen Maßes erscheint weder lobwürdig noch tadelnswert; Tadel verdient, was darunter bleibt, Lob dagegen, was darüber hinausgeht. Doch auch das gewöhnliche Durchschnittsmaß kann und darf nicht erzwungen werden. Nur wenn Handlungen, die, ohne auf Rechtspflichten zu beruhen, zur Förderung des Gemeinwohls von der Obrigkeit vorgeschrieben werden, ist ihre Unterlassung strafbar; Doch soll sich die Obrigkeit beim Erlaß solcher Vorschriften großer Zurückhaltung befleißigen. Sie ganz unterlassen, würde das Gemeinwesen der Gefahr der Zerrüttung aussetzen; geht man jedoch zu weit darin, so vernichtet man die Freiheit, die Sicherheit und die Gerechtigkeit. Die Erfüllung der Rechtspflichten verdient keine Belohnung; wenn wir anderer Rechte achten, so haben wir weiter nichts zu beanspruchen, als daß die anderen auch unsere Rechte achten. Dagegen hat der hochherzige Wohltäter auf hochherzige Vergeltung und außerdem auf Hochachtung und Bewunderung Anspruch.

Außer dem gerechten Unwillen über erlittene Unbill gibt es keinen zu billigenden Beweggrund, anderen Übles zuzufügen. Kein unparteiischer Zuschauer wird es billigen, wenn wir des Nächsten Glück bloß darum stören, weil es unserem eigenen im Wege steht. Allerdings ist jedes Menschen Los zunächst seiner eigenen Fürsorge anvertraut, und da er geeigneter ist als jeder andere, seine eigenen Angelegenheiten wahrzunehmen, so soll er dieses auch tun. So nehmen wir denn an dem, was uns selbst angeht, ein tieferes Interesse, als an dem, was die anderen betrifft, und der Tod einer Person, zu der wir in keiner Beziehung stehen, stört unsere Verdauung und unsere Nachtruhe weniger, als der unbedeutendste Geldverlust, der uns selbst trifft. Aber obwohl uns der Untergang unseres Nachbars weniger schmerzt als ein eigener kleiner Verlust, so dürfen wir doch nicht, um einem solchen vorzubeugen, den Nachbar zugrunde richten. Wir müssen hier wie in allen anderen Fällen uns selbst nicht in dem Lichte betrachten, in dem wir uns selbst zu erscheinen pflegen, sondern so wie wir anderen erscheinen. Mag auch jedermann sich selbst die ganze Welt sein, der gesamten Menschheit ist er nur ein verschwindendes Teilchen ihrer Masse. Mag ihm sein eigenes Glück wichtiger erscheinen als das der ganzen übrigen Welt, allen übrigen Personen gilt es nicht mehr als das jedes anderen Menschen. Obwohl es also wahr sein mag, daß jedermann im Innersten seines Herzens sich selbst allen Menschen vorzieht, darf er doch nicht anderen ins Gesicht eingestehen, daß er nach dieser Schätzung handelt; er fühlt, daß niemand diese Schätzung teilt, daß, so natürlich sie ihm selbst ist, sie allen anderen übertrieben erscheinen muß. Will er also, was er doch vor allem begehrt, die Billigung der anderen erlangen, so muß er die Schätzung seiner eigenen Person so weit herabsetzen, daß die anderen damit übereinstimmen können. Sie werden das so weit vermögen, daß sie ihm erlauben, um sein eigenes Glück mehr besorgt zu sein als um das irgend einer anderen Person, und es mit ernstlicherem Eifer zu erstreben. Auf der Jagd nach Wohlstand, nach Ehren, nach Auszeichnung mag er aus Leibeskräften rennen und jeden Nerv anspannen, um seine Konkurrenten zu überholen; aber stellt er einem von diesen ein Bein oder stößt er ihn nieder, so hat er sich einer Verletzung der Spielregeln schuldig gemacht, welche die anderen nicht dulden können; der Niedergestoßene ist in ihren Augen so viel wert wie er. Mit diesem und seinem Rachegefühl sympathisieren sie, der Übeltäter aber wird der Gegenstand ihres Unwillens. Er weiß es, daß dem so ist, und daß ringsum der Haß bereit ist, gegen ihn loszubrechen. Je größer und irreparabler ein zugefügtes Unrecht ist, desto höher steigen natürlich das Rachegefühl des Geschädigten, der sympathische Unwille der Zuschauer und auch das Schuldbewußtsein des Übeltäters. Darnach stuft sich die Schätzung der Verbrechen ab. Als die schwersten gelten die gegen Leib und Leben, dann folgen die gegen das Eigentum, zu dritt die gegen persönliche Rechte des Angegriffenen, und im entsprechenden Maße pflegen die genannten drei Arten von Gütern durch die Gesetze geschützt zu werden. Hat der Verbrecher seine Leidenschaft befriedigt und denkt er nüchtern über das nach, was er verübt hat, so sieht er sich genötigt, die Empfindungen der anderen gegen ihn zu teilen: er wird Gegenstand seines eigenen Hasses und Abscheus und fühlt sich von Gewissensbissen gepeinigt.

Diese Einrichtung der Empfindungsweise befähigt den Menschen dazu, ein Glied der Gesellschaft zu werden, ohne die er nicht bestehen könnte; selbst Räuberbanden sind nur dadurch existenzfähig, daß ihre Mitglieder wenigstens darauf verzichten, einander gegenseitig zu morden und zu berauben. Obgleich also die Natur zum Wohltun ermuntert, hat sie es doch nicht für notwendig erachtet, dieses dadurch zu erzwingen, daß sie die Unterlassung bestraft. Wohltätigkeit ist ein Schmuck, nicht die Grundlage des Gesellschaftsgebäudes. Darum ist es auch nicht Unterlassung der Liebespflicht, was die Schrecken des Gewissens erweckt, sondern nur die Verletzung der Gerechtigkeit. In jedem Teile des Universums bemerken wir, wie sinnreich die Mittel zur Erreichung des Zwecks eines jeden Geschöpfs angeordnet sind, wie z. B. durch den Mechanismus des Pflanzen- und des Tierleibes die zwei Zwecke: Erhaltung des Individuums und der Gattung, erreicht werden. Nur müssen wir stets bei Betrachtung der Organisation und der Funktionen dieser Geschöpfe die bewirkenden von den Zweckursachen unterscheiden. Die Verdauungssäfte wirken nicht, und das Blut zirkuliert nicht mit der bewußten Absicht, den Tierleib zu erhalten. Die Räder der Uhr sind für den Zweck, die Zeit anzuzeigen, vortrefflich gebaut und angeordnet; hätten sie das bewußte Streben, diesen Zweck zu erfüllen, sie könnten sich selbst nicht besser einrichten und erhalten; alle ihre Bewegungen wirken auf das sinnvollste zusammen. Aber nicht ihnen, sondern dem Uhrmacher schreiben wir die Absicht zu. Was sie bewegt, das ist eine Feder, die aber so wenig wie die Räder den Endzweck beabsichtigt. Während wir jedoch so bei allen körperlichen Vorgängen diese beiden Ursachen wohl zu unterscheiden verstehen, begegnet es uns bei den geistigen leicht, daß wir sie vermischen oder verwechseln. Weil eine verfeinerte und erleuchtete Vernunft die Endzwecke empfiehlt, die wir, von der Natur getrieben, verwirklichen, so schreiben wir dieser Vernunft unsere zweckmäßigen Handlungen zu, und halten für eine Frucht menschlicher Weisheit, was in Wirklichkeit durch die Weisheit des Schöpfers bewirkt wird. Weil ohne Gerechtigkeit keine Gesellschaft bestehen kann, hat man geglaubt, die Einsicht in diese Notwendigkeit sei es, was uns bewegt, die gesetzliche Bestrafung des Übeltäters zu billigen. Davon ist nur so viel wahr, daß nachträgliche Überlegung uns die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Rechtspflege einsehen läßt; ursprünglich jedoch ist diese weiter nichts, als die Regelung der Befriedigung des Vergeltungstriebes. Nur wenn wir die Bestrafung von Übertretungen der militärischen, der Polizeigesetze und ähnlicher um des Staates willen erlassener Verordnungen billigen, spielt die bewußte Rücksicht aus das Wohl der Gesellschaft eine Rolle, und die Billigung ist dann gewöhnlich durchaus nicht von Abscheu gegen den Täter begleitet. Wird ein militärischer Posten erschossen, weil er auf der Wache eingeschlafen ist, so mißbilligen wir das zwar nicht, weil wir einsehen, daß beim Militär ein so hartes Verfahren notwendig ist, aber wir beklagen das arme Opfer. Ganz anders empfinden wir, wenn ein Mörder hingerichtet wird. So weit sind wir davon entfernt, die Bestrafung des Ungerechten bloß der Gesellschaft wegen zu wünschen, daß uns die Natur lehrt, zu hoffen, und das Christentum ermächtigt, zu erwarten, der Übeltäter werde auch im Jenseits seiner Strafe nicht entgehen. Jedes Ding, auch das leblose, erweckt den Vergeltungstrieb, so oft es die Ursache von Lust und Schmerz wird. Das Kind schlägt den Stein, an dem es sich verletzt hat, der Hund bellt ihn an, der cholerische Mann verflucht ihn. Ebenso hegen wir Dankgefühle gegen Dinge, die uns wohltun. Überlegung indes leitet uns mit der Zeit an, diese Gefühle auf die beseelten und bewußten Urheber unserer Freuden und Leiden einzuschränken.

Hat jedoch der Wohltäter seine gute, der Übeltäter seine böse Absicht nur unvollkommen oder gar nicht erreicht, so empfinden wir die Dankbarkeit und die Rachsucht schwächer, und umgekehrt entstehen beide Empfindungen auch dann, wenn wir Gutes empfangen oder Übles erfahren haben, ohne daß den Urheber eine gute oder böse Absicht geleitet hätte. So modifiziert also die Wirkung unsere Empfindungen. Deshalb wird die verbrecherische Absicht selten, und wenn überhaupt, dann niemals streng bestraft. Anderseits bleibt die Strafe nicht ganz aus, wenn jemand nicht durch den bösen Willen, sondern nur durch die Nachlässigkeit eines anderen zu Schaden gekommen ist. Daß die Welt nicht nach der Gesinnung, sondern nach der Wirkungen und Erfolgen richtet, haben die Tugendhaften, die hierdurch oft entmutigt wurden, zu allen Zeiten beklagt; jedermann hat in dieser Beziehung die richtigen Grundsätze, keiner befolgt sie. Doch auch bei dieser Regelwidrigkeit, die von der Natur selbst in unser Herz gepflanzt wird, beabsichtigt diese das Glück und die Vervollkommnung unserer Gattung. Wenn die böse Absicht das einzige wäre, was den Vergeltungstrieb erregte, so würden wir alle Wut leidenschaftlichen Hasses gegen jeden kehren, dem wir eine arge Gesinnung gegen uns zutrauen, möchte er sie auch niemals durch Handlungen geoffenbart haben. Empfindungen, Gedanken, Absichten würden unter Strafe gestellt, und jeder Gerichtshof würde ein Inquisitionstribunal werden. Der schuldloseste und vorsichtigste Wandel würde vor diesem Tribunal nicht schützen. Darum hat der Urheber des Weltalls nicht die bösen Absichten, sondern die schädlichen Handlungen zum eigentlichen Gegenstande des Rachegefühls und der Strafgerechtigkeit gemacht. Die Gefühle, Affekte und Absichten hat er der menschlichen Jurisdiktion entzogen und seinem eigenen irrtumslosen Tribunal vorbehalten, obwohl sie es sind, aus denen die Vernunft das Verdienst und das Mißverdienst aller Handlungen ableitet. Und auch jene andere Regelwidrigkeit entbehrt nicht des Nutzens, die uns wirklich empfangene Wohltaten weit höher schätzen läßt als den besten Willen. Der Mensch ist zum Handeln geschaffen; er soll alle ihm verliehenen Fähigkeiten dazu anwenden, solche Veränderungen in den äußeren Dingen hervorzubringen, die sein und aller übrigen Menschen Glück befördern. Darum dürfen wir uns nicht mit müßigem Wohlwollen begnügen und uns nicht schon darum für Menschenfreunde halten, weil unser Herz von den besten Wünschen für das Gedeihen des Menschengeschlechts erfüllt ist.

Bis jetzt ist nur von der Beurteilung der Handlungen anderer die Rede gewesen; es fragt sich nun, wie kommen wir dazu, uns selbst zu beurteilen? Die Antwort lautet: wir verfahren dabei ähnlich wie bei der Beurteilung anderer. Wir billigen oder mißbilligen die Handlungsweise anderer, je nachdem wir fühlen, daß, wenn wir uns in ihre Lage versetzen, wir mit den Beweggründen, die sie zum Handeln bestimmen, sympathisieren können oder nicht. Ähnlich nun billigen oder mißbilligen wir unsere eigene Handlungsweise in dem Maße, als wir fühlen, daß, wenn wir uns mit den Augen eines anderen beschauen, wir mit unseren Beweggründen sympathisieren können. Wäre der Fall denkbar, daß ein Mensch ohne Verkehr mit Menschen in völliger Einsamkeit zum Manne heranwüchse, so könnte ein solcher so wenig über seinen eigenen Charakter nachdenken, so wenig von seinem eigenen Verdienst oder Mißverdienst, von der Beschaffenheit seiner Gefühle, von der Schönheit oder Häßlichkeit seiner Seele eine Vorstellung haben, wie man ohne Spiegel die Schönheit oder Häßlichkeit des eigenen Antlitzes zu erkennen vermag. Der Spiegel unserer Seelenzustände ist die menschliche Gesellschaft. Nur in der Gesellschaft kann der Mensch Gegenstand der eigenen Beurteilung werden, indem er bemerkt, daß sein Verhalten bald Billigung, bald Unwillen hervorruft. Dabei nun erwacht in seinem Herzen ein zweifaches Verlangen. Er wünscht nicht allein geliebt zu werden, sondern auch der Liebe würdig zu sein, er fürchtet nicht allein, gehaßt zu werden, sondern auch, ein des Hasses würdiger Gegenstand zu sein. Er begehrt nicht allein das Lob, sondern auch die Lobwürdigkeit; fürchtet nicht allein den Tadel, sondern auch die Tadelnswürdigkeit. So nahe verwandt und so eng verbunden diese beiden Triebe sein mögen, fallen sie doch keineswegs zusammen. Wollen wir der Liebe und Bewunderung, die uns zuteil wird, froh werden, so müssen wir als unparteiischer Beobachter unseres Charakters und unserer Führung urteilen können, daß wir diese Liebe und Bewunderung auch verdienen. Ist das der Fall, dann erhöht allerdings der Preis anderer, als Bestätigung unseres Urteils, das Bewußtsein unserer Würdigkeit, so daß die Liebe zum Lob mehr Wirkung als Ursache des Verlangens nach Lobwürdigkeit zu sein scheint. Verbrecher haben sich oft gedrängt gefühlt, Verbrechen zu bekennen, die niemals entdeckt worden sein würden. Durch Erleidung der verdienten Todesstrafe hofften sie ihr Verbrechen zu sühnen und so ihren eigenen Augen minder hassenswert zu erscheinen. Zu diesem Zweck enthüllten sie ihre Hassenswürdigkeit der Welt. So scheint unter Umständen selbst in Personen, bei denen man kein besonders feines Empfinden voraussetzen kann, der Abscheu vor der eigenen Abscheulichkeit die Furcht vor dem Abscheu der Menschen vollständig zu besiegen. Ungerecht Beschuldigten, die Gegenstand des allgemeinen Abscheus werden, wie Calas, dem unschuldigen Opfer eines berüchtigten Justizmordes, gewährt einzig nur die Zuversicht Trost, daß ihnen der höchste Richter im Jenseits Genugtuung verschaffen werde. Eine eigentümliche Erscheinung ist die Verschiedenheit des Verhaltens gewisser Berufstände gegenüber öffentlichem Lob und Tadel. Dichter und Novellisten sind äußerst empfindlich, Mathematiker und Naturforscher ziemlich gleichgültig gegen beides. Daher kommt es, daß jene, weil sie mit aller Gewalt Anerkennung erzwingen wollen, oft einen reizbaren, unliebenswürdigen Charakter haben, Cliquen bilden und Intrigen spinnen, um sich Lob zu sichern und die Konkurrenten verächtlich zu machen, während die Gelehrten der genannten Klassen heiter, gleichmütig und liebenswürdig sind und nicht gegeneinander intrigieren. [Er belegt diese Behauptungen mit seinen persönlichen Erfahrungen, sowie mit den Lebensbeschreibungen von Gelehrten der französischen Akademie der Wissenschaften, die Fontenelle, und denen von Belletristen, die d'Alembert verfaßt hat.] Der Grund dieses verschiedenen Verhaltens ist, daß die gelehrten Forscher genau wissen, was sie geleistet haben und was ihre Leistungen wert sind, darum der Beistimmung des Publikums, das zudem gar nicht fähig ist, sie zu beurteilen, nicht bedürfen, während bei der großen Unsicherheit der Geschmacksurteile die Dichter niemals mit sich selbst zufrieden sein können, solange ihnen nicht das Publikum ein glänzendes Zeugnis ausstellt.

Auch in dieser Verteilung richterlicher Funktionen haben wir eine weise Einrichtung der Natur zu sehen. Die Menschen richten einander, aber nur in erster Instanz. Von dieser appellieren wir an unser eigenes Gewissen, an den unparteiischen und wohlunterrichteten Beobachter unseres Verhaltens, den Mann in unserer eigenen Brust. Die Jurisdiktion der beiden Tribunale ist auf Triebe gegründet, die verwandt und doch verschieden sind, die des äußeren Gerichtshofes auf unser Verlangen nach Lob, die des inwendigen auf unser Bedürfnis, unsern eigenen Augen lobwürdig zu erscheinen. Verdammen draußen uns alle, dann freilich wagen wir kaum, uns selbst loszusprechen. Sich nur um die Lobwürdigkeit, gar nicht um das Lob kümmern, ist göttlich. Darum kann in Fällen, wo uns alle verdammen, uns nur noch eines aufrecht erhalten: der Appell an das höchste Tribunal, an das des allwissenden Weltenrichters. So hängt unsere irdische Glückseligkeit in schwierigen Lagen von der demütigen Hoffnung auf ein zukünftiges Leben ab. Daß in diesem jenseitigen Leben die Gerechtigkeit voll verwirklicht werden werde, ist eine so ehrwürdige, so tröstliche, zugleich unserer hohen Vorstellung von der Erhabenheit der Menschennatur in solchem Grade schmeichelnde Lehre, daß der tugendhafte Mann, der das Unglück hat, daran zu zweifeln, nicht umhin kann, ernstlich und angstvoll zu wünschen, er möchte sie glauben können. Freilich haben sonderbare Anwendungen diese schöne Lehre vielfach in Mißkredit gebracht. Wenn man lehrt, daß sinn- und zwecklose Selbstpeinigungen unnützer Mönche diesen die ewige Seligkeit sichern, die großen Männer dagegen, die sich durch Heldentaten, durch weise Gesetzgebung oder durch Erfindungen und Entdeckungen verdient gemacht haben, der Höllenpein verfallen sollen [Smith führt als Beweis solcher Verschrobenheit die Rede an, die Massillon bei der Weihe der Standarten des Regiments Catinat gehalten hat], so darf man sich nicht darüber wundern, daß der an sich ehrwürdige Unsterblichkeitsglaube von denkenden Männern verachtet und verspottet wird.

In der Schätzung unserer eigenen Handlungen und Schicksale sowie der unserer Mitmenschen waltet ein ähnliches Gesetz, wie das der Perspektive beim leiblichen Sehen: das Nahe erscheint uns groß, das Ferne klein. Erziehung muß zur richtigen Schätzung anleiten, deren Hauptergebnis ist, daß wir niemals unseren Vorteil auf Kosten eines anderen suchen. Zwei Philosophensekten machen sich in dieser Beziehung einer Übertreibung schuldig. Gewisse weinerliche und melancholische Moralisten stempeln jeden Genuß zur Sünde, weil, meinen sie, so viele Menschenbrüder im Elend schmachteten. Diese übertriebene Sympathie mit einem Unglück, von dem wir nichts wissen, erscheint unvernünftig. Bei einem Überblick über die Erde wird man finden, daß auf einen Menschen, der leidet, zwanzig kommen, die ihres Daseins froh werden oder deren Los wenigstens erträglich ist. Warum sollten wir lieber mit dem einen weinen, als uns mit den zwanzig freuen? Dieses künstliche Mitleid ist nicht allein unvernünftig, sondern unmöglich; wo es sich findet, ist es affektiert. [Durchaus nicht! Buddha und viele Heilige der christlichen Kirche, viele Philanthropen, haben es wirklich empfunden. Smith offenbart hier die Unempfindlichkeit seiner Rasse. Das Mitweinen ist deswegen wichtiger als das Mitfreuen, weil der Glückliche unserer Mitfreude nicht bedarf, wohl aber der Unglückliche unserer Hilfe, welche die Frucht unseres Mitleids sein soll. Echt englisch ist es auch empfunden, wenn es bald darauf in einem anderen Zusammenhangs heißt: den Bettler verachten wir, den von der Höhe Herabgestürzten bemitleiden wir; und an einer früheren Stelle: der Arme schämt sich seiner Armut, denn er weiß, daß sie ihn entweder vor den Blicken der Menschen verbirgt, oder daß sie, falls sie ihn bemerken, mit seinem Elend kein Mitleid haben.] Anderseits haben die Stoiker die Natur in der Weise zu korrigieren versucht, daß sie uns unempfindlich gegen unsere eigenen Leiden machen wollen; doch das ist eben unnatürlich.

Bei der Unklarheit und Unsicherheit der Empfindungen würden die meisten Menschen das richtige Verhalten schwer finden, wenn uns nicht die Natur noch eine andere Hilfe darböte. Aus der Beobachtung der Handlungsweise der Menschen abstrahieren wir Regeln. Sie gründen sich auf die in gewissen Fällen regelmäßig eintretende Billigung oder Mißbilligung. Diese gründet sich nicht etwa darauf, daß das gebilligte Verhalten einer Regel entspricht, das gemißbilligte eine solche verletzt, sondern umgekehrt wird die Regel aus der Gewohnheit des Billigens und Mißbilligens abgeleitet. Sind jedoch die Regeln fertig und allgemein anerkannt, dann berufen wir uns auf sie und benutzen sie als Richtschnur unseres Handelns, besonders in schwierigen und verwickelten Fällen. Das hat dazu verführt, zu glauben, das sittliche Urteil komme so zustande wie das Urteil eines Gerichtshofes, der eine allgemeine Regel auf einen besonderen Fall anwendet. So aber sind, wie wir gesehen haben, die ursprünglichen sittlichen Urteile nicht entstanden. Seitdem jedoch die Regeln vorhanden sind, helfen diese allerdings das Richtige leichter finden, und namentlich die Täuschungen der Selbstsucht überwinden. In der Ehrfurcht vor diesen Regeln besteht das Pflichtgefühl, und dieses bildet eine unschätzbare Ergänzung des in den meisten Menschen schwachen und unsicheren sittlichen Empfindens; für die Masse ist es die einzige Richtschnur des Handelns. Viele Menschen wandeln unsträflich, ohne in bemerkbarem Grade zu empfinden, was sittlich gut und was böse ist, nur, weil die Regel es vorschreibt. So manche Frau führt einen korrekten Wandel und erweist ihrem Manne alles Liebe, obwohl sie ihn nicht liebt; aus Pflichtgefühl benimmt sie sich so, als würde sie von einer Empfindung geleitet, die ihr in Wirklichkeit abgeht. Die Ausbildung des Pflichtgefühls ist von der größten Wichtigkeit im Leben. Ein Mann vom Pflichtgefühl ist ein Mann, der nach Grundsätzen handelt, und auf den man sich verlassen kann. Wer sich nur von Empfindungen leiten läßt, handelt launenhaft und ist nichts wert. Die Ehrfurcht vor diesen Regeln wird durch den Glauben erhöht, daß sie Gebote Gottes seien. Die Natur hat uns diesen Glauben eingepflanzt, und die Philosophie hat seine Vernünftigkeit nachgewiesen. Die Natur leitet den Menschen an, den geheimnisvollen Wesen, die Gegenstand des religiösen Kultus sind, die eigenen Empfindungen und Affekte beizulegen, und wir müssen natürlich der Gottheit vorzugsweise solche Gefühle zuschreiben, die der größte Schmuck der Menschennatur sind. Die Vernunft aber bestätigt diesen Glauben. Worauf auch immer den mancherlei Meinungen nach unsere moralische Anlage beruhen möge: auf einer besonderen Funktion unserer Vernunft, oder auf einem ursprünglichen Instinkt, den man moralischen Sinn nennt, oder auf irgend einem anderen Naturtrieb, daran kann man nicht zweifeln, daß uns diese Anlage zur Regelung unseres Verhaltens von der Gottheit verliehen ist. Darum werden die aus der Anlage abgeleiteten Regeln mit Recht als Gebote Gottes betrachtet, als seine Statthalter sozusagen, die uns an seiner Stelle regieren. Das Glück der Menschheit scheint der Zweck der Schöpfung zu sein. Kein anderer Zweck wäre der Weisheit und Güte würdig, die wir Gott zuschreiben müssen. Die Einrichtungen der Natur bestätigen diesen Glauben. Und zu ihnen gehören eben auch die Moralgebote, durch deren Befolgung wir den genannten Zweck am wirksamsten fördern, deren Verletzung seine Verwirklichung hindert.

Sollen nun unsere Handlungen ausschließlich durch die Regeln, durch die Moralgebote bestimmt werden, oder sollen wir unseren Affekten Einfluß auf unser Handeln gestatten? Das hängt von der Natur dieser Affekte ab. Wohlwollende Affekte dürfen, ja sollen die Pflichttreue unterstützen, die unsozialen dagegen sollen bekämpft werden. Belohnen sollen wir ohne Widerstreben, aus Güte und ohne an das zu denken, was uns die Pflicht vorschreibt; strafen mit Widerstreben, nur aus Pflichtgefühl. Die egoistischen Affekte nehmen auch hier wieder eine mittlere Stellung ein. In kleinen Dingen sollen wir sie durch die Moralgesetze regeln; große und wichtige Angelegenheiten aber sollen unsere Leidenschaft erregen, so daß wir das Ziel um seiner selbst willen erstreben, ohne daran zu denken, ob dieses Streben pflichtgemäß sei. Wer nicht – selbstverständlich ohne Ungerechtigkeit – nach Vermögen, Rang, hoher Stellung strebt, der verdient wenig Achtung. Der kühne Unternehmer steht uns höher als der korrekte Alltagsmensch. Den Helden, den Eroberer, den großen Staatsmann bewundern wir sogar dann, wenn er seine großen Ziele mit Verletzung der Gerechtigkeit verfolgt. Zum Teil hängt es von der Beschaffenheit der Regeln selbst ab, wie weit wir uns von ihnen leiten lassen können: desto mehr, je klarer und bestimmter sie sind. Nur die Pflichten der Gerechtigkeit sind genau umschrieben, so daß wir einen ganz sicheren Halt an ihnen haben; dagegen läßt sich nicht genau angeben, zu was uns die Dankbarkeit und die übrigen wohlwollenden Empfindungen verpflichten; die Gebote der Gerechtigkeit gleichen darin den Regeln der Grammatik, die übrigen Gebote denen der Ästhetik.

Das ist der wesentliche Inhalt der ersten drei Teile, die den Kern des Systems der moralischen Empfindungen enthalten. Aus den übrigen vier Teilen heben wir nur ein paar charakteristische Stellen hervor. Der vierte Teil handelt vom Einflusse des Nutzens auf die sittliche Billigung und beschäftigt sich viel mit ästhetischen Fragen. Smith gesteht Hume zu, daß das Schöne das Zweckmäßige sei, ergänzt aber diese Begriffsbestimmung mit der Bemerkung, daß es nicht der durch die Zweckmäßigkeit gestiftete Nutzen sei, was unser Gefallen erregt, sondern die Zweckmäßigkeit selbst, die Angemessenheit des Gegenstandes für seinen Zweck, die sinnreiche Anordnung seiner Teile. Und die Liebe zum Schönen nun ohne Rücksicht auf den Nutzen der schönen Gegenstände erzeugt den Luxus. Dieser aber, die Liebe zu dem an sich Nutzlosen, schafft wiederum den größten Nutzen. Diese Begierde treibt den Menschen zu unermüdlichen Anstrengungen, nötigt ihn, Urwälder in Wohnstätten und Fruchtfelder umzuwandeln, zwingt die Erde, ihre Frucht zu verdoppeln. Der Magen des Unternehmers wird dadurch nicht größer, den Überschuß muß er unter die Arbeiter verteilen, die ihm Gegenstände des Luxus und der Bequemlichkeit anfertigen. Und nicht bloß der einzelne schöne Gegenstand reizt unsere Begier: die Gesamterscheinung des prächtig ausgestatteten Lebens eines Großen, dieser Häufung von Glücksmitteln, erzeugt den Wunsch, dasselbe zu haben. Mit ihm ist freilich die Vorstellung verbunden, daß diese Glücksmittel wirklich glücklich machen, und das ist Täuschung, aber wiederum eine wohltätige Täuschung der Natur, indem sie Reichtum zu schaffen treibt. Der Reiche kann, wie gesagt, nicht viel mehr verbrauchen als der Arme, muß seinen Überfluß mit denen teilen, die für ihn arbeiten, und so wird der Habgierige von einer unsichtbaren Hand geleitet, fast dieselbe Verteilung der Güter vorzunehmen, wie sie herauskommen würde, wenn diese planmäßig unter alle Landeskinder gleich verteilt würden. Die ästhetischen Regeln finden nicht bloß auf körperliche Dinge Anwendung: auch eine zweckmäßige Staatsverfassung, ein wohlgeordnetes Gemeinwesen finden wir schön, ebenso einen guten und tüchtigen Charakter; und beider Erscheinungen Schönheit beruht wieder darauf, daß sie nützlich sind, und daß ihr Gegenteil schadet. Die uns selbst nützlichsten Eigenschaften sind überlegener Verstand und Selbstbeherrschung; beide zusammen machen die Klugheit aus. Durch Menschenfreundlichkeit, Gerechtigkeit, Hochherzigkeit, Gemeingeist nützen wir unseren Nebenmenschen. Soweit sich unsere Billigung eines Charakters auf seine Schönheit bezieht, wurzelt sie nicht in unseren Gefühlen für andere. Und so könnte denn ein von allen übrigen Menschen abgesondert lebender Einsiedler, wenn ein solcher möglich wäre, seine eigenen Handlungen und seinen Charakter billigen oder mißbilligen, schön oder häßlich finden, je nachdem er sich selbst durch Klugheit und Mäßigkeit nützt oder durch das Gegenteil schadet, gerade so wie man eine gut arbeitende Maschine schön findet. – Der fünfte Teil behandelt den Einfluß von Sitte und Mode auf das sittliche Urteil und die daraus entspringenden Verschiedenheiten dieses Urteils in verschiedenen Zeiten, sowie bei verschiedenen Völkern und Ständen. – Der sechste Teil enthält eine Tugend- und Pflichtenlehre. Es wird darin wieder sehr stark betont, daß jeder sich selbst der Nächste ist, und das Lob des klugen Mannes gesungen, der für sich selbst gut zu sorgen versteht. Auch der Nutzen der Ehrfurcht vor Personen von hohem Range wird noch einmal beleuchtet. Diese Ehrfurcht erhalte die bürgerliche Ordnung aufrecht, und diese sei wichtiger als die Linderung des Elends. Daher komme es, daß der Respekt vor den Großen meistens übertrieben werde, die Barmherzigkeit oft hinter dem, was die Pflicht gebietet, zurückbleibe. Moralisten tadeln beides, meint Smith, und an sich ist es ja auch Wirklich tadelnswert, daß man den vornehmen und mächtigen Mann höher schätzt als den weisen und tugendhaften. Aber auch dieser Trug der Natur wirkt wohltätig. Wenn man nur den Weisen und Tugendhaften gehorchen wollte, würde es um die bürgerliche Ordnung übel bestellt sein, denn die sittlichen Vorzüge richtig zu schätzen, fällt schon dem erleuchteten Manne schwer genug; der Pöbel vermag das gar nicht; er muß, wenn er in Ordnung gehalten werden soll, vor sichtbaren und greifbaren Vorzügen Respekt haben, vor der hohen Geburt und dem Glanze des Reichtums. In dem Kapitel über die Pflichten gegen Gesamtheiten ( societies) kommt eine merkwürdige Mahnung an die Staatsmänner vor, die, wie Hasbach wohl richtig vermutet, durch die sich in Frankreich ankündigenden Umwälzungen veranlaßt worden sein mag, denn sie gehört zu den in die Ausgabe von 1789 neu eingefügten Abschnitten. Der Politiker, schreibt Smith, den menschenfreundliches Wohlwollen leitet, wird die bestehenden Gewalten und Privilegien sogar von Privatpersonen achten, wie viel mehr die der großen Stände, aus denen der Staat besteht. Hält er einige der Privilegien für Mißbräuche, so wird er sich darauf beschränken, zu mildern, was ohne Anwendung von Gewalt nicht beseitigt werden kann. Vermag ein solcher Staatsmann eingewurzelte Vorurteile nicht durch vernünftige Überredung zu überwinden, so wird er nicht Gewalt gegen sie anwenden, sondern gewissenhaft den Grundsatz Platos – Cicero nennt ihn göttlich – befolgen: daß man gegen sein Vaterland so wenig Gewalt gebrauchen dürfe wie gegen seine Eltern. Der Systemmensch dagegen [Prinzipienreiter, Doktrinär nennen wir ihn heute] pflegt so weise in seinen eigenen Augen und so verliebt in die Schönheit der Idealverfassung, die er ausgeheckt hat, zu sein, daß er nicht die kleinste Abweichung von dieser zu dulden vermag. Er geht daran, sie vollständig und in allen ihren Teilen zu verwirklichen, ohne Rücksicht auf die entgegenstehenden großen Interessen und starken Vorurteile. Er bildet sich ein, mit den Mitgliedern eines großen Gesellschaftskörpers umspringen zu können wie mit den Figuren auf dem Schachbrett. Diese werden freilich von keiner anderen Kraft als von der Hand des Spielenden in Bewegung gesetzt, die Menschen aber haben ein jeder seinen eigenen Kopf und Willen. Ein Ideal, einen leitenden Plan mag der Staatsmann nötig haben; aber diesen allgemeinen Plan in allen seinen Einzelheiten vollständig und augenblicklich durchführen wollen ohne Rücksicht auf die ihm erwachsenden Widerstände, ist der Gipfel der Anmaßung. Es folgt dann noch eine theologische Erwägung unter der Überschrift: vom Wohlwollen gegen die Gesamtheit. Die Kraft des Menschen ist beschränkt, und er kann den Kreis seiner Pflichten nicht weit über seine nächste Umgebung ausdehnen. Aber das Wohlwollen des edlen Menschen umfaßt freilich das Universum, und da er für das Glück der gesamten Menschheit so gut wie nichts tun kann, so würde sein Wohlwollen ihn unglücklich machen, wenn er nicht an die alle Geschöpfe umfassende wirksame Fürsorge Gottes glaubte. Der Gedanke einer vaterlosen Welt, der Gedanke, daß es ihm unbekannte Gegenden der Welt geben könne, die mit Elend ohne Aussicht auf Rettung erfüllt wären, müßte ihm entsetzlich sein. Er ist überzeugt, daß Gott kein individuelles Übel zuläßt, das nicht für das Wohl des Ganzen notwendig wäre, und darum unterwirft er sich dem Willen Gottes, wie ein guter Soldat den Befehlen seines Generals. Sehr hübsch ist der Gedanke: das große Geheimnis der Erziehung liege darin, die Eitelkeit des Zöglings auf geeignete Gegenstände zu richten. Ein sehr erhabenes Erziehungsideal ist damit freilich nicht aufgestellt, aber eine unter Umständen brauchbare Praxis angeraten.

Im siebenten und letzten Teil kritisiert Smith die damals vorhandenen Moralsysteme. Wir erwähnen daraus nur zweierlei: daß er die Kasuistik richtig charakterisiert und sie als vernunftwidrig und schädlich zurückweist, und daß er sich auch mit Mandeville auseinandersetzt. Dieser hatte im Kommentar zu seiner Bienenfabel nachzuweisen versucht, daß die ganze Kultur aus den lasterhaften Begierden der Menschen hervorgehe, und daß wir wieder wilde und nackte Eichelfresser werden würden, wenn wir vollkommen tugendhaft lebten. Der Irrtum Mandevilles, sagt Smith richtig, besteht darin, daß er gleich den Asketen die Naturtriebe an sich für sündhaft hält, während doch nur ihre übertriebene oder rücksichtslose Befriedigung und ihre Verirrung in falsche Bahnen sündhaft sind; aber er würde nicht verhältnismäßig lauten Beifall geerntet haben, wenn nicht ein Wahrheitskern in seinen Übertreibungen steckte. Lasterhafter möge er wohl niemanden gemacht haben, aber er habe das vorhandene Laster ermutigt, sich frech zu brüsten.

Im einzelnen und im ganzen läßt sich gegen Smiths Ethik unendlich viel einwenden. Hasbach hebt unter anderem hervor, daß man nicht einsieht, wie die Gerechtigkeit eine Tugend sein könne, wenn nur die das gewöhnliche Maß übersteigenden Grade sittlicher Kraft, die wir bewundern, Tugend genannt werden sollen, die Erfüllung der Pflichten der Gerechtigkeit aber von allen in gleichem Maße gefordert wird und kein Lob verdient. Man kann hinzufügen, daß sich die verteilende Gerechtigkeit, deren Pflichten das Zivilrecht regelt, aus dem Rachegefühl nicht ableiten lasse. Man müßte denn resentment, das sowohl Rachegefühl als Vergeltungstrieb im allgemeinen bedeuten kann, bei Smith immer mit Vergeltungstrieb übersetzen; dann könnte man allenfalls auch das Vertragsrecht darin unterbringen, sofern es sich bei Verträgen um das richtige Verhältnis von Leistung und Gegenleistung handelt. Die Anfechtbarkeit nun hat Smiths Ethik mit allen Systemen dieser Wissenschaft gemein, aber große Vorzüge lassen sich ihm nicht absprechen. Wir wollen vier solche hervorheben.

Erstens ist es ein Muster psychologischer Erklärung der sittlichen Erscheinungen, das auch heute noch keiner, der sich mit dieser Wissenschaft beschäftigt, ohne Nutzen studieren wird. Kant freilich hat die psychologischen Erklärungen entschieden verworfen. Dafür hat auch noch kein Mensch die transzendentale Freiheit verstanden, die er für die Wurzel der Sittlichkeit hält, und ist ihm der Versuch gänzlich mißlungen, die Sittlichkeit von den Naturtrieben abzulösen, einen guten Willen zu konstruieren, der etwas anderes sein soll, als die Herrschaft der höheren Triebe über die niederen.

Zweitens hat Smith die Nützlichkeitsmoral mit der idealistischen oder Prinzipienmoral versöhnt. Das Sittliche ist im allgemeinen, nicht in jedem besonderen Falle, das Nützliche. Aber der gute Mensch tut das Gute nicht, weil es nützlich ist, sondern weil es gut ist, weil er sich durch seine Naturanlage bewogen, ja gedrängt und genötigt fühlt, es zu billigen. Den Nutzen der guten Handlungen vermögen wir in vielen Fällen gar nicht einzusehen, und keinesfalls ist es die Erwägung des Nutzens, was die Wahl des Guten bestimmt. Das Nützliche und das Gute sind unlöslich miteinander verbunden, aber die Billigung des Guten und des Schönen geht der Erwägung des Nutzens beider voraus, wie Smith gegen Hume beweist. Das Gesagte gilt auch für die heute üblichen biologischen Ableitungen der sittlichen Urteile. Die herrschenden ethischen Grundsätze, Anschauungen und Gewohnheiten mögen biologisch vorteilhaft und durch biologische Auslese entstanden sein, aber das Ethische in ihnen, ihr sittlicher Wert, liegt nicht in ihrem biologischen Nutzen, der übrigens vielfach recht zweifelhaft ist, sondern darin, daß sie die Anerkennung des an sich Schönen und Guten einschließen.

Drittens meidet Smith die einseitige Altruismusmoral, die heute so allgemein herrscht – natürlich bloß theoretisch – und der auch sein Lehrer Hutcheson huldigte. Diesem hatte Hume (in dem Briefe an ihn vom 17. September 1739) entgegnet: auch die Geschäftstüchtigkeit und Energie des lasterhaften Alexander VI. nenne er mit Guicciardini Tugenden; wäre Wohlwollen die einzige Tugend, dann könne es keine gemischten Charaktere geben – die man loben dürfte, müssen wir ergänzen. Man müßte dann gutmütige Tröpfe höher stellen als alle die großen Männer, bei denen das Wohlwollen von der Klugheit, von der rücksichtslosen Energie, von Ehrgeiz und Ruhmsucht oder vom Forscherdrang überwogen wird. Der einzige Philosoph, der die Grundgedanken Smiths, vielleicht ohne sie zu kennen, nach dieser Seite hin fortgebildet hat, ist Herbart. Er läßt die Sittlichkeit in dem Walten der fünf Grundideen: Freiheit, Vollkommenheit, Wohlwollen, Recht und Billigkeit bestehen, und spricht dem die Sittlichkeit nicht ab, den eine dieser Ideen stärker beherrscht als die übrigen, z. B. die der Vollkommenheit, die zur Entfaltung aller vorhandenen Anlagen, sei es auch auf Kosten des Wohlwollens oder der Gerechtigkeit, drängt. Es gibt eben nicht ein sittliches Ideal, und die Unterschiede der Sittlichkeit sind nicht bloß Verschiedenheiten des Grades der Annäherung an dieses Ideal, sondern die sittliche Anlage des Menschen erzeugt mehrere verschiedene sittliche Typen, also verschiedene sittliche Ideale, deren Verwirklichungen überdies noch durch die verschiedenen Umstände von Ort und Zeit, durch Rasseneigentümlichkeiten und Standespflichten, sowie durch religiöse Anschauungen modifiziert werden. Auch darin stimmt Herbart mit Smith überein, daß beide die Verwandtschaft der sittlichen Urteile mit den ästhetischen erkennen und hervorheben. Auch das Verhältnis der Selbstliebe zur Nächstenliebe hat Smith richtig und in Übereinstimmung mit dem Evangelium bestimmt: wir sollen den Nächsten lieben wie uns selbst; sittlich ist eine Selbstliebe, welche die Nächstenliebe einschließt, so daß dem einzelnen das Glück des Nächsten Bedürfnis und wesentlicher Bestandteil seines eigenen Glückes ist.

Viertens endlich hat Smith richtig erkannt, daß das Pflichtgefühl nicht etwas Urwüchsiges ist, sondern von außen in den Menschen hineingetragen wird: es besteht in der Anerkennung des Gesetzes und in der Ehrfurcht vor diesem, im Gehorsam gegen es. Die Pflichtmoral ist also nichts weniger als autonom, wofür Kant sie gehalten hat. Der kategorische Imperativ, das: du sollst! du sollst nicht! ertönt in keines Menschen Brust von selbst; kein unerzogener Mensch vernimmt diese Stimme. Von außen wird sie in den Heranwachsenden hineingerufen: von Vater und Mutter, von den Lehrern, vom Meister, vom Unteroffizier, von sonstigen Vorgesetzten; so anhaltend und so kräftig hineingerufen, bis ihr Widerhall im Erzogenen und Gedrillten anhaltend forttönt. Die Pflichtmoral ist durchaus heteronome Moral; ihre vollkommenste Verwirklichung ist die preußische Unteroffizier- und Beamtenmoral. Diese durch den Preis der aufopfernden Pflichttreue, durch seine ernsten und strengen Grundsätze mächtig gestützt und gefördert zu haben, ist das große Verdienst Kants, denn diese für die Masse der Menschen zuträglichste Moral trägt das meiste dazu bei, den Volkskörper gesund zu erhalten und den Staat stark zu machen. Aber sie ist, wie gesagt, das Gegenteil der Autonomie. Nicht mit seinem selbstherrlichen Willen unterwirft der Pflichtgetreue seine Leidenschaften, so daß er gegen seine Neigungen zu handeln imstande ist, sondern auf fremdes Gebot und aus Furcht vor Strafe und Schande tut er es. Das Autonome im Menschen besteht in dem, was Kant verwirft: in seinen Neigungen, seinen Trieben. Autonom ist die Sittlichkeit der schönen Seele, die das Gute aus eigenem Antriebe, aus Neigung tut, die damit ihr Glückbedürfnis befriedigt, die von einem »du sollst!« nichts weiß. Paulus und Johannes schildern diesen Zustand als eine Frucht der Gnade der ins Menschenherz eingegossenen Liebe Gottes. Diese autonome Sittlichkeit ist aber ein zartes und feines Pflänzlein, das nur in wenigen Auserwählten gedeiht. Die Masse bringt es höchstens bis zur Pflichtmoral, die nicht wenig von der Nützlichkeitsmoral unterstützt wird. Die Wichtigkeit und Notwendigkeit jener erkennen wir also mit Smith vollauf an, die hohe Würde dagegen, die Kant ihr zuspricht, als der höchsten und edelsten Blüte und Frucht der Menschennatur, erkennen wir nicht ihr zu, sondern der Tugendmoral der schönen Seele, die das Gute keine Überwindung kostet, weil es ihre Natur ist. Verdienstlicher freilich erscheint das Gute, wenn es mit Selbstüberwindung vollbracht wird; und hat der Pflichtgetreue das Anfangsstadium der Furcht überwunden, hat er »die Gottheit aufgenommen in seinen Willen«, so hat auch seine Tugend ihre eigentümliche Würde, die sich in der Selbstopferung aus Pflichtgefühl zur Erhabenheit steigert.

 

Von Kritiken der Zeitgenossen Smiths erwähnen wir nur die eine, über die Rae berichtet. Lord Kames, damals dreiundachtzig Jahre alt, wollte einer neuen Ausgabe seines Werkes über die Grundsätze der Moralität und der Religion eine Widerlegung von Smiths Theorie einfügen. Er bekämpft Smiths Ansicht, unser Mitgefühl mit den Leiden anderer entspringe daraus, daß wir uns in ihre Lage versetzten. Das Mitgefühl, behauptet er, werde ohne Reflexion durch die Schreie, Tränen, Gesichtsverzerrungen und Gliederverrenkungen verursacht, in denen sich der Schmerz kundgibt. Wenn wir uns in die Lage des Leidenden hineindenken, so werde dadurch unser Mitgefühl nicht geweckt, sondern vermindert, indem uns das Bewußtsein, daß wir tatsächlich frei von Schmerzen sind, Genugtuung bereite. Zweitens wirft Kames ein, daß, wenn Smiths Theorie richtig wäre, die Menschen in dem Maße moralisch sein würden, als sie sich einer lebhaften Phantasie erfreuen, was offenbar nicht der Fall sei. Drittens endlich erkläre Smiths Theorie nur die Entstehung unserer sittlichen Empfindungen in Betreff anderer Personen, nicht die uns selbst angehenden. Unsere Betrübnis über den Verlust des einzigen Sohnes und unsere Dankbarkeit für einen uns geleisteten Dienst bedürften überhaupt keiner Erklärung, und könnten am wenigsten dadurch erklärt werden, daß wir uns an eines anderen Stelle setzten. Ehe Kames diese Polemik veröffentlichte, übersandte er sie Smith zur Begutachtung. Dieser antwortete am 16. November 1778:

»Mein lieber Lord! Ich bin Ihnen sehr verbunden dafür, daß Sie mir die Einwürfe gegen mein System mitteilen, die Sie in Ihre neue Ausgabe aufnehmen wollen. Nichts kann freundschaftlicher und artiger sein, als die Form, in die Sie Ihre Polemik gegen mich einkleiden, und ich müßte ein sehr empfindlicher und übellauniger Mensch sein, wenn ich gegen die Veröffentlichung auch nur das Geringste einwenden wollte. Natürlich betrübt es mich, mit einem so alten und so guten Freunde, der zugleich ein so kompetenter Beurteiler des Gegenstands ist, nicht übereinstimmen zu können; allein dergleichen Meinungsverschiedenheiten sind unvermeidlich und überdies: partium contentionibus respublica crescit. Ich hätte Eure Lordschaft längst besuchen sollen, aber die Nachwirkungen einer Erkältung haben mir in den letzten Tagen nicht verstattet, abends auszugehen.

Empfehlen Sie mich, mein teurer Lord, Mrs. Drummond [Kames' Gemahlin] und halten Sie mich für Ihren sehr verbundenen und ergebenen Diener

Adam Smith.«


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