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Der Mensch besteht aus zwei Teilen, aus Spaß und Ernst, – und seine Glückseligkeit besteht daher aus höhern und aus niedern Freuden. Er gleicht dem zweiköpfigen Adler der Fabel, der mit dem einen niedergebückten Kopfe verzehrt, indes er mit dem andern umherblickt und wacht.
Daher muß ein guter Autor wie ein Brite für dieses nicht sowohl wider- als doppelsinnige Geschöpf, das in einem Simultaneum zweier Welten lebt, zwei Naturen annehmen, die göttliche und die menschliche. Ein Autor kann es desto leichter, da er selber ein Mensch ist und unter seine Leser gehört.
Das ist die Ursache, warum gegenwärtiges Buch, wie seine ganze ältere Brüderschaft, eine binomische Wurzel oder vielmehr eine Zwitterblüte, nämlich folgende zwei unähnliche Redeteile hat.
I. Das Kampaner Tal oder das Gespräch darin über unsere Unsterblichkeit. In unsern Tagen, worin man die körperlichen Flügelscheiden für die geistigen Flügel hält, wie bei den Bienen die Scheide für den Stachel, muß man dem Menschen immer die Schwungfedern seiner Natur und den hängenden Garten zeigen, in den sie ihn heben. Die kritische Philosophie beweiset jeden Morgen und jede Messe, daß wir unsterblich sind wie sie selber; aber nicht jeder steht nahe genug an ihrem Katheder, ihre leisen Beweise zu vernehmen. Ich hoffe, sie wirft den meinigen nichts vor als den Unterschied der Einkleidung. Aber die Dichtkunst ist der elektrische Kondensator der Philosophie, jene verdichtet erst das elektrische Spinngewebe und die Beatifikation der letztern zu Blitzen, die erschüttern und heilen. Der Mensch geht nicht allmählich von einer Überzeugung zur entgegengesetzten – vom Hasse zur Liebe – von der Liebe zum Hasse – vom Laster zur Tugend über, sondern mit einem Sprung: bloß ein Wetterstrahl kehret seine magnetischen Pole um.
Im Gespräche über die Unsterblichkeit fehlen oft die wichtigsten Beweise, die schon in meinen vorigen Werken stehen. Auch hätt' es nicht bloß schöpfen, sondern erschöpfen sollen; und das Gespräch hat nach meinem eignen Gefühle den Vorwurf nicht genug vermieden, daß es in diesem Zustande mehr ein – Gespräch sei als ein ordentlicher vollständiger Traktat mit dem gehörigen gelehrten Zeugenverhör und mit den nötigen Beweisen durch Okularinspektion, durch Haupteide, durch briefliche Urkunden und durch halbe, 1/4, 1/8, 1/16 etc. Beweise. –
II. Den ganzen zweiten Flügel dieses Gebäudes hab' ich mit einem Holzschnitte-Kabinette eingenommen, das ich nun dem Publikum die ganze Woche öffne. Bekanntlich besitzen die Fürstentümer Baireuth und Ansbach einen kleinen lutherischen Katechismus, worin die 10 Gebote stehen und der mitten in jedem Gebote den Tafelaufsatz oder das Schaugericht eines guten Holzschnittes aufträgt. Diese Holzschnitte sind noch dem Kunstpublikum wenig bekannt; in den Künstlerlexicis, die mir noch vorgekommen, find' ich weder des Meisters noch seiner Werke gedacht. Das Nachspiel dieses Buchs soll versuchen, der Welt nicht nur einen vollständigen Kommentar über die 10 Holzschnitte zu geben, sondern auch die 10 Schnitte selber. Anfangs wollt' ichs anders machen, und es sollte – um nicht das Werk durch den neuen Abdruck der 10 Stöcke zu verteuern – mit jedem Exemplar zugleich der kleine Katechismus Lutheri selber, der fast nichts kostet, von der Verlagshandlung ausgegeben werden, wie mit Lichtenbergs Kommentar die Platten von Hogarth. Aber meine Freunde stellten mir vor, die Weltleute würden sich an den Katechismus stoßen und lieber Holzschnitte und Kommentare entraten, als sich mit jenem befangen. Daher ließ ich den kostspieligen Abdruck der alten Stempel zu; und in der Tat, warum darf sich Deutschland nicht auch mit seinem Geldbeutel endlich an Galabücher voll Holzschnitte wagen, so gut wie England an seine Gallery of Fashion und an andere Parade-Bücher, worin es jetzt so viel wie in Bestechungen vertut? Ich hoffe, die deutsche Nation lässet ein solches Werk wie meines bloß des höhern Preises wegen – steig' solcher auch zu 1 Kaisergroschen, der in Ld'or à 5 Tlr. etwan 93/5 Pf. tut – schwerlich sitzen: sie feuert mit einer solchen Kleinigkeit gern ihre guten Köpfe an. Überhaupt warum soll der Deutsche gleich einem Areopagiten oder gleich einem AthletenBasilii Homol. 52. keine Schönheit ansehen? Warum soll Deutschland nicht wie Abdera, wie Pius VI. und ein Philipp von Frankreich den Beinamen des Schönen erringen? – Kann der Deutsche nicht dem Juden gleichkommen, der sich nach dem Gesetze, wenn er am SchabbesDie Wochenschrift: der Jude. 1. B. an einem bekannten Inkognito-Orte sitzet, schöne Gemälde, schöne Häuser und Sachen denken soll? –
Allerdings räumt der Verfasser dieses Buchs willig ein – er sah aber den Fehler zu spät –, daß er zuweilen die Schönheiten der 10 Katechismus-Holzschnitte größer gefunden und gemacht, als sie wohl sein mögen. Allein in diesem Falle ist wohl jeder Sterbliche, der lange einen und denselben Meister studiert: das manierierte Kunstwerk gebiert endlich ein manieriertes Kunstgefühl.
Übrigens nehm' es der Kunstrichter mit den komischen Arabesken und Moresken des Kommentars weniger in einem Zeitalter genau, worin auf dem einen Ufer so viele Menschen bluten und auf dem andern so viele weinen und worin wir also mehr als sonst nicht nur unsere Hoffnungen (durch den Glauben der Unvergänglichkeit), sondern auch unsern Frohsinn (durch Zerstreuungen) zu retten haben.
Der Erdenkloß, woraus wir gebildet sind und den sie nach dem Erblassen unter das Kinn statt einer jetzigen häßlichen Kropf-Krawatte legen, hat nicht nur Kraft genug, den Baum des künftigen Lebens zu tragen und zu treiben: sondern seine Ausdünstung stärkt schon im jetzigen den Hektiker hinter dem Pfluge und den Nervenschwächling im Erdbad.
Hof im Voigtland, den 2. April 1797.
Jean Paul Fr. Richter