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Der Steinhagel – der Stab des heiligen Rochus
Indem ich das Katechismusblatt des ersten Holzschnittes umschlage, um den gegenwärtigen zu kommentieren, so frag' ich mich: »Was kannst du antworten, wenn das Publikum fragte, ob du der Mann bist, der so viel artistische Theorie und Praxis vereinigt, daß er Krönleins Schnitte kommentieren kann, und der wenigstens von einigen Bergen zu Rom herabgesehen?« Und hier siehts schlecht aus: ich habe noch kar keinen erblickt und kenne von Welschland wie vom Revisor nur Bücher und Bilder. – Inzwischen haben einige Galerieninspektores, in deren Beisein ich nach meinem Gefühle über Raffaels Logen im Vatikan (nämlich über deren Kopien) eine und die andere Anmerkung machte, mich ermuntert, fortzufahren und mit den gegenwärtigen zehn Krönleinischen Loggie anzufangen, so wie Erasmus nach der griechischen Grammatik sogleich den Homer traktierte mit seinen Eleven. In der Tat diese Logen heißen nicht mit Unrecht – wie jene Raffaels Bibel – Krönleins Katechismus.
Inzwischen hab' ich bei aller Anstrengung im ersten Gebot doch den Himmel vergessen. Zum Glück kommt er auf allen zehen Platten wieder. Das ätherische Linienblatt, das der Leser über der Steinigung sieht, stellt den Himmel vor, und zwar einen blauen, denn die Striche sind waagrecht, womit die Heraldik allzeit die blaue Farbe andeutet. Wie schön rastriert uns dieser aus Glückslinien gezogne erste Himmel gleichsam die ersten Linien (primas lineas) des dritten vor!
Nun werf' ich eigentlich meine Leuchtkugeln auf den zweiten Holzschnitt. Die Halsgrube und der Bart der Federzeichnung (denn daraus besteht die zweite Gesichtslänge) erzählen uns, daß das bunte Glas der Krönleinschen laterna magica den Berg der vorigen Platte weiter hereingeschoben auf dieser. Es war schon einige Tage nach dem Handkuß, berichtet der Bart, daß der Revisor wieder auf das Gebirge stieg, um einige Petrefakta und Quarze droben zusammenzuklauben. Er bekennt, daß ein Formschneider Pflanzen viel leichter nach Phytolithen (versteinerten Pflanzen) als nach Blumenstücken oder Blumenbeeten ausschnitze, und Lesern, welche die drei Gräser auf dem Fußboden der zweiten Platte etwan nicht schlecht finden sollten, hinterbringt er, er habe sie nach guten Dendriten kopiert. Der Teufel hatte sein Spiel, daß der Revisor gerade so viel steinerne Schätze, und noch dazu Wetzschiefer, rötlichen Quarzkiesel, lapides judaici und sogar zwei Ceratolithen und einen HysterolithenIch gehe ungern daran, ihm diese Ausbeute und Verbindung der Ceratolithen (versteinerte Hörner) und des Hysterolithen (Venusstein) zu glauben, aber an das weimarsche Katechismus-Blatt müssen ich und Publikum uns halten. droben finden sollte, daß er bis nach dem Gebetläuten auf dem Berge verharrte. Im Dunkeln gesellten sich der kassierte Rezeßschreiber aus Suhle und ein falliter Pochgeschworner aus Freiberg zu ihm. Der Artist hätte sich von diesen Berggästen nichts Gutes versehen sollen. Die Spitzbuben erboten sich zu Trägern seiner Stein-Lese und Kuxe. Krönlein sah von jeher Lämmergeier für Lämmer, Köpfe für Herzen und Einfältige für Aufrichtige an, da doch kein Mensch zur Verstellung zu dumm ist und da auch Schafsköpfe in Schafskleidern einhergehen und nicht immer in Löwenhäuten.
Er sah bald, daß ich recht hatte, da er den Berg mit ihnen herunter war und nun dem Kontraaltisten in den Wurf kam. Raupert legte sein Lautenfutteral, das er bei sich hatte, aus Absichten in das aus den drei genannten Gräsern bestehende Gras. Hier auf dem Abdruck des Prägstocks ist wenig vom Futteral zu erblicken; ich kann aber Neugierige auf den birnbaumenen Stempel selber verweisen, auf dem alles in flachem Schnitzwerk ausgeführt ist, was mit Druckerschwärze nicht zu propagieren war. Das Weglegen des unsichtbaren Futterals sollte so viel sein, als zög' er die Türkenglocke gegen den Revisor, oder als zündete er Lärm-Kanonen und Lärmstangen an. Nun machte sich das Parzen-Terzett über den arglosen Artisten her. Hier liegt unser Formschneider auf seinem eignen Holzschnitt und erwartet, daß ihm die hinterlistige Tripelalliance im Finstern Wetzschiefer und Ceratolithen und rötlichen Quarzkiesel und lapides judaicos an den Kopf werfe, um ihn mit diesen lusibus naturae (Naturspielen) zu erlegen. Der nächste Spitzbube an ihm ist der Pochgeschworne und ist aus dem rötlichen Quarzkiesel in seiner Rechten kenntlich, der weiter stehende ist der Rezeßschreiber mit einem lapis judaicus (es ist auf dem Holzschnitt schwer herauszubringen), und der gebückte Zelot, der einen schon geworfnen Wetzschiefer zum zweiten Gebrauch in die Bombe lädt, ist der Rädelsführer Raupert selber. So steinigen Menschen Menschen, bedenken aber nicht, daß ein Naturaliensammler sich ungern mit dem besten europäischen Stufenkabinett erwerfen läßt, geschweige mit einem so kärglichen.
Was die drei Bombardierer noch entschuldigt, ist, daß sie mit dem Durchlöchern weniger dem Revisor einen Tort als der Revisorin einen Gefallen tun wollten, weil Raupert verhoffte, während der Mann läge und seine Wunden in Binden hätte, die seinigen zu heilen und mit des Bandagist Amors Binde zu stillen.
Aber es sollte besser ablaufen. Mitten in diese Wintersaat und in diesen Spatregen von Steinen schickte das Verhängnis den Landstand, der hier mit seinem Mosis-Krummstab dem grimmigen Meere gebeut und mit dem heiligen Rochusstab und LituitenLituiten sind Schnecken-Versteinerungen, die Bischofsstäben gleichen. Was der heilige Rochus-Stab ist, davon siehe die Erklärung oben im Texte nach. andern fliegenden Petrefakten Einhalt tut. Der Künstler hat für diesen Holzschnitt gerade den fruchtbarsten, gleichsam den trächtigen Moment erwischt oder erwählt; denn jetzt sind die lebendigen Schleudermaschinen noch im Abdrücken, Krönlein im Abwehren, Raupert im Bücken, dem Landstand stehen und schießen vor Todesschrecken lange Seitenhaare wie Staubfäden und Stengelkeime und elektrische Strahlbüschel empor – der ganze Holzschnitt siedet, gärt, wogt und geifert – sogar die Windstille und gleichschwebende Kirnbergerische Temperatur auf dem Gesichte des fremden Herrns, den ich nicht kenne, hebt wie ein Wohllaut diese Mißton-Kunst ungemein. – Hier bricht meine artistische Version und Hermeneutik der Platte zum 2ten Gebote ab; aber man lasse mich, eh ich über die dritte die Wünschelrute meiner Feder halte, etwas bezeugen...
Nämlich mein Erstaunen, daß Deutschland solche Blüten der holzschneidenden Kunst in Katechismen wie Blumen in andere Herbarien klemmt. Ich erinnere mich, daß schon längst Ungers Vater in Berlin – der Sohn war dabei und bezeugt es im Notfall – gegen mich äußerte: »er glaube Albrecht Dürers Holzschnitte beurteilen zu können,« (und das kann Vater und Sohn leicht, da sie ihn so glücklich erreichen) »aber seiner Einsicht nach habe Dürer nie einen Holzschnitt geliefert, der den Krönleinschen ähnlich gewesen.« Was aber den Deutschen deckt, ist, daß es der Römer selber nicht besser macht: hat uns nicht Winckelmann bezeugt, daß er die herrlichste erzene Schaumünze von Hadrian in Rom nirgends aufgetrieben als endlich als Medaillon oder Schelle an einem – Maultierhals? – Ich weiß, was man mir entgegensetzt, daß nämlich die Religion an der Kunst – wie in der griechischen Zeit die Kunst an der Religion – sich aufhelfen solle, und daß daher das Konsistorium, das auch den Geschmack der Katechumenen bearbeiten und erziehen will, es nicht verbiete, für 9 Katechismusbogen einen Groschen zu begehren, ein enormer Ladenpreis, wofür nicht nur 9 leere reine Bogen, sondern sogar 12 zu bekommen wären. Aber ich repliziere das: einer der größten pädagogischen Irrwege ist der, daß Erzieher bei Kindern zwei, drei Ziele auf einmal zu erreichen denken. Die Kleinen sollen aus dem Speccius von Esmarch zugleich Latein und Realien schöpfen, wie Leserinnen aus neuen Romanen alte Geschichte; man vergisset aber, daß sogar der Erwachsene nicht in derselben Minute wie das Chamäleon, das mit einem Auge vor, mit dem andern hinter sich blickt, zugleich auf den Stil hinter sich und auf die Wahrheiten vor sich lernend merken kann. Ein zu einer doppelten Aufmerksamkeit verdammtes Kind wird am Ende bloß mit den Termen und mit verworrenen Umrissen ihres Inhalts vertraut; aber diese leere Vertraulichkeit raubt gerade einer künftigen dazu bestimmten Lehrstunde das Interesse der Neuheit.
Also können die Katechumenen nicht das religiöse Memorienwerk und die artistische Kallipädie in einer Minute verschmelzen, so wie man mit gleichem Schaden Religionsbücher zu Lesemaschinen macht.
Ich führ' es nur zur Belustigung des Lesers an, daß alle vorhergehenden Kommentatoren dieser Holzschnitte nicht nur auf dem ersten aus dem Salzrevisor den Heerführer Moses, sondern auch auf dem zweiten aus dem nächtlichen Überfall eine gerichtliche Steinigung (vermutlich mit den Scherben der zerschlagnen Gesetztafeln) geschmiedet und gegossen haben. So spielt man Werken der höhern Kunst in Deutschland mit.
Der heilige Rochus-Stab in der Note ist jetzt klarzumachen. Die Karmeliterkirche zu Bourdeaux hat, wenn sie noch steht, den Stock in ihren Mauern: ein Haus, worin er ein Jahr stand, wurde dadurch ein großes und reiches; daher zahlten die Bourdeauxer sonst bis zu 2000 Livres jährliches Mietgeld für ihn. Mit der Zeit rosteten die metallischen Kräfte des Mietstocks ein; und die Liebhaber wollten vor 20 Jahren kaum noch 12 Livres für den Stecken geben. Ich lobe sie: bewahrt nicht jede Kathedralkirche einen zehnmal goldhaltigern Lehn- und Prägstock auf, den sogenannten Krumm- oder Bischofsstab? Sehen wir die geistlichen Rutengänger mit dieser Wünschelrute – die Bischofsmütze ist das Fortunatus -Wünschhütlein – je verarmen oder Leute ohne Ruten neben ihnen aufkommen und grünen? Ich habe mir oft den Salzburger Krummstecken gewünscht, um auch Münzbelustigungen mit diesem multiplizierenden Neperschen Stabe zu treiben; aber der Bischof hat Verstand und lässet die Badine, die jährlich einen Silberbaum von fünfmal hunderttausend Blättern oder Talern treibt, nicht fahren.