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Glück über Glück – Zenturien und Departements der Diebe – Nachteile der Volksarmut
Der rechte Stiefel des weimarschen Konterfeies unterrichtet mich, daß der Freudenbecher unsers Revisors, welcher bisher entweder ein ekler Brechbecher oder ein Vexierbecher (diabetes Heronis) gewesen, der den Wein unter den Lippen wegstahl, sich endlich in einen herrlichen Lebens-Willkommen und in eine spirituöse Bowle verwandelt habe. Das geschah seit dem Dach-Verein auf der Platte des sechsten Gebots. Hier auf der siebenten sucht er die Austrocknung seines pontinischen Lebens-Sumpfes, der bisher dem Sumpfvogel mit einer ganzen Windsbraut von brennbarer Luft zusetzte, geschickt zu zeigen. Hinter dem großen Gezelt, das der Leser hier sieht, stehen – wie der Stiefel berichtet – unzählige größere fürstliche, die nicht zu sehen sind und die man auf dem engen Stempel nur halbiert (obwohl unsichtbar) hinter dem Zelt des Vorgrunds aufspannen mußte. Was hinter dem sichtbaren Zelte vorfällt, kann unsere Aufmerksamkeit erwecken. Das ganze Lustlager breitet sich frei durch den plauischen Grund des Stempels hinauf und funkelt – der Hofstaat will dem Herrn und dem Holzschnitt Ehre machen und prunkt – und welches Getümmel von Zelt-Fuggereien und Zeltschneidern und herumrennenden Hoffuriers, Leibschützen, Zuckerstößern und Beiköchen und Mitgliedern des musikalischen Personale häuft der Künstler in dem schmalen Bezirk eines Stocks, worauf sich keine Hand umwenden kann, hinter dem Vorderzelt zusammen! – Ich wollt', ich könnt' es ordentlich sehen und die Leinwand wäre so dünn wie Beuteltuch und durchbrochne Manschetten! Einiges von den Szenen hinter dem Vorhang seihet und beutelt sich wirklich durch letztern – man betrachte die schwarzen Punkte und manche Strich –, noch viel mehr filtriert sich von der Hof-Perspektive auf dem Stempel selber, den ich da vor mir habe, um ihn zu erklären; ja die Zeichnung, wornach der Revisor den Stock ausschnitzte und die zum Glück auf meine Zeiten kam, deckt Köpfe hinter der Kulisse des Zeltes auf und öffnet ein wenig das blinde Tor des Hintergrunds. Diese glückliche Vereinigung des Stocks, der Zeichnung und des Stiefels gewährt freilich einem Kommentator, für den sie zustande kommt, in seinen Stöcken Licht und Aufschloß über Dinge, die ein anderer gar nicht sehen kann.
In diesem verhangnen Lager nun, das an die Festung stößet, die hier der Holzschnitt entdeckt, tritt der Revisor vor nichts Geringeres als vor – Serenissimus selber. Sein Stiefel kann es nicht genug erheben, wie menschlich der Silluk einen elenden Untertan aufnahm und handhabte: weit entfernt, ihn etwan lebendig pfählen oder die Todesangst ausstehen oder nur knuten zu lassen, ergriff vielmehr Serenissimus den schwachen Knecht eigenhändig bei der Hand und lächelte deutlich – noch mehr, der Monarch sprach vernehmlich genug und trieb endlich – Krönlein wundert sich, daß er nicht vor Freude auf dem Platze maustot verblieb – die Huld so weit, daß er mit eigner Zunge vor 1000 großen Herren den halbtoten Staatsknecht über seinen Namen, Stand und Körper ausfragte. Der Revisor tut weiter unten auf dem Stiefel den Schwur, er wolle nicht selig werden, wenn nicht jedes Wort, was er da gleichsam statt des Leders zum Stiefel brauche, pure reine Wahrheit sei. Er beeidigt dann auf dem Absatze des gedachten Stiefels, daß Serenissimus sich so weit herunterlassen, daß Sie ihn über seine häuslichen Schnurrpfeifereien, über seine Stuben, seine Eß- und Schlafzeit, über seinen Schlaf (ob solcher fest) und über den gesunden Stand seines Bettleins verhörten.
Aber hier ist der Revisor nicht mehr seiner mächtig, sondern schreibt oder besohlet im Feuer den Stiefel immer länger hinaus bis zu einem Schnabelschuh und Riesenfuß und legt dem obersächsischen Kreis die Frage vor: wenn ein solcher Herr, der mit diesem Feuer die Landeshistorie und die Familiengeschichte des kleinsten Landskindes treibe, nicht ein frommer und menschenliebender Herr wäre, so müss' er selber (der Salzrevisor) nicht recht bei Sinnen sein, und er huste auf den Kreis.
Er fährt nun oben auf dem linken Schenkel fort und macht bekannt, daß sein gnädigster Herr ihn versichert habe, er wolle besonders für ihn sorgen und ihm, um ihn näher zu haben, einen ruhigen Posten in seinem Palaste anweisen. Der Regent sagte, ein solches Form-Talent (im Holzschneiden) müsse der Staat noch mehr benutzen und ermuntern, als bisher geschehen; und es soll' ihm hiemit aus der Hauptsalzkasse ein kleiner Stock und Fond oder eine Baubegnadigung zum Holzeinkauf von gutem Buchsbaum für Formbretter und zum Schärfen der kleinen Meißel, die dem Formmesser nachstoßen, vorgeschossen werden. – –
– Und mitten unter der Rede wurde schon der Hauptsalzkassierer zur Auszahlung befehligt! – »Ich konnte es nicht in diese Hosentasche bringen: o Gott, welch ein Landesherr!« schreibt hier der selige Mann eben auf der besagten Tasche.
Ich glaube, hiemit hab' ich vielleicht das Interessanteste von den unterirdischen Schätzen gehoben, welche dieser Holzschnitt hinter dem Schanzkorb des Zeltes verwahrt.
Unerheblicher ist, was die Platte hier sehen lässet; und nach einer solchen Ausführlichkeit, womit ich den unsichtbaren Teil derselben ins Licht gesetzt, erlaub' ich mir vielleicht mit Recht, den sichtbaren bloß flüchtig zu berühren.
Es ist bloß ein Zelt mit einem Hauptsalzkassierer, der aus dem Kammerbeutel ein Benefizium für den Künstler hebt. Die Kasse hat, nach der Länge seines Ellenbogens zu schließen, nicht wie ein Handwerk bloß einen goldnen Boden, sondern noch vollen goldnen Regen bis ans Schloß. Die Ärarien von Belang gleichen den schwammigen Bechern aus Efeuholz, die man sonst als langsame Filtrierhüte gebrauchte und die sich in drei Tagen selber austranken: ebenso geben sich große Ärarien gleichsam selber aus. Der Hauptsalzkassierer leistet die Zahlung mit solchem eiligen Widerwillen, daß er aussieht, als stähl' er; daher auch die meisten Ausleger vor mir die Überschrift des Holzschnittes auf den Kassierer bezogen, als mach' er die Landkasse zu einer Operationskasse und zum Repertorium für sich selber. Aber der Beamte ist ehrlich; und ich glaube nicht, daß man, gesetzt er steckte einige Rollen zu seinem Gebrauche mit bei, oder er hätte sie in das untenliegende Paket geschnallt, sagen könnte, er stähle. Wenigstens wäre der Ausdruck nicht mit folgenden Grundsätzen zu reimen.
Die Diebe in England lassen, wie uns Archenholz berichtet, sich so wenig untereinander mischen als Adelung die Arten des Stils: ein berittener Räuber unterscheidet sich von einem Infanteristen so sehr wie von einem ehrlichen Manne, der Fußgänger kann wieder entweder in Häuser oder in Taschen einbrechen usw.; das Orgelwerk von Spitzbubenpfeifen hat die verschiedensten Register; und kein Räuber von Ehre lässet z. B. die Injurie Taschendieb auf sich sitzen. Dieses Kaperschiffsvolk ist eine Nachahmung – aber eine verbotene – von den Ernte-Sozietäten im Staate: z. B. der Forstbediente kann zwar Klafterholz unter dem rechtmäßigen Titel Ab-, Busch- und Überholz erheben; aber wollt' er sich einiger Scheffel herrschaftlichen Getreides bemächtigen: so würd' er dem Verwalter ins Amt fallen, der allein solche errungene Scheffel als eingeschwundene in seinen Rechnungen aufführen darf. Kein Graf, der alle Perlenbäche seiner Grafschaft durch einen Kniegalgen zu Regalien erklären kann und soll, kann doch die elendeste Perlenschnur einer Hofdame zerreißen und einige davon als Perlenfänger in seine Tasche laufen lassen. Der größte Regent darf keinem Individuum einen Gulden nehmen, aber allen Individuen auf einmal kann er hinlänglich abnehmen unter dem Namen Extrasteuer. Und so ist jeder von uns (ich rede von polizierten Staaten) auf seine besondere Kaper-Dividende angewiesen und eingeschränkt, die er nehmen darf – greift er nach einer fremden, so stiehlt er –; folglich könnte ein Griff, womit der Hauptsalzkassierer sich einen Intraden-Vorschuß, metallische Rechtswohltaten oder ein Abzugsgeld herausholte, zwar ein Hand-, aber nie ein Diebsgriff heißen: denn die Kasse ist eben seine Leihbank und sein Raubschloß. Die Ähnlichkeit mit den Handwerksinnungen erläutert vieles besser: der Grobschmied darf nur mit Horn- und Raspelfeilen, der Kleinschmied mit feinern schaben und sägen; der Tuchmacher kämmt seine Wolle mit einfachen Kämmen, mit doppelten ist nur Zeugwirkern erlaubt usw.
Es kann nicht geschlossen werden, als bis ich meinen lieben Buchsbaum-Medailleur geschützet und gerettet habe gegen tausend Kenner, welche den Grund fodern können, warum er der Nachwelt auf einer ganzen Platte nichts Wichtigers vorführt als einen Kassierer.
Ich muß dazu weit ausholen und gründlich gehen.
Wenige Menschen haben Geld, ausgenommen eben diese wenigen. Der Kirchenvater Augustin nennte die Armen seine Kinder; die Landesväter können noch besser umgekehrt die Landeskinder ihre Armen heißen. Ich rede hier nicht von mir und den Poeten. Ich meines Orts versehe mich außer Hause mit wenigem Geld, aus Grundsätzen der Naturlehre, weil ich weiß, wie sehr ich damit den Blitz – die Schmeichler ohnehin – ziehe, und im Hause gilt dieselbe Vorsicht. Aus solchen physikalischen Gründen haben sich die Poeten längst erleichtert, weil oft 10 Gewitter, zumal die der Kreditoren, tagelang über ihnen standen und nicht weiter wollten. Aber ich rede von unsern gemeinen Nichtlesern, welche säen und ernten dürfen, aber nicht backen, und für welche das Staatsgebäude ein jerusalemitischer Tempel ist, in dem ein Jude (nach Lightfoot) kein Geld bei sich haben durfte, und welche gleichsam Staats-Mönche sind, die dem Prior nach der Ordensregel ihre Barschaft einhändigen. Die Gründe, warum der Staat über diese wohltätige Verarmung wacht, verdienen es, daß ich sie in dem eignen Opus, das ich hier der Welt verspreche, fast mit ekelhafter Weitläuftigkeit auseinandersetze. Er hat dabei weniger die Absicht, zu entvölkern – wiewohl Völker und Hühner gerade dann keine Eier legen, wenn sie in der Mause sind –, noch weniger die Absicht, zu verschlimmern – wiewohl gerade Hungrige oder Nüchterne sich am ersten durch Epidemien verpesten –: sondern was der Staat durch sein notwendiges Berauben der Leute bezweckt, ist ihr Bereichern, so wie man sich früher rasieren lässet, um den Bart zu beschleunigen, oder so wie die Bienen niemals fleißiger und reicher eintragen als in leere Körbe, die man deswegen verdoppelt und zeidelt. Daher ist es ein besonderes Glück, daß es mit einem Staate so beschaffen ist wie mit einem Fischteich, in dem allzeit die Hechte oben schwimmen, die Karpfen aber (worauf jene stoßen) unten im Schlamm. –
Man lasse mich aber weiterreden. Bei solchen Umständen ist also nichts natürlicher und notwendiger, als daß jeder Mensch keine andere oder nähere Almosenkasse hat und kennt als – gar nicht etwan die Stadtkasse oder die Reichsoperations- oder die Witwen- oder die Heilandskasse, sondern – keine andere Kasse als die Surpluskasse.... und diese hat kein Teufel: niemand hat genug, geschweige zu viel; mithin hat niemand auf der ganzen Erde etwas zu verschenken, oder er bricht sich selber die Notdurft ab. Ein Freiherr ist darin so schlimm daran als ein Freisasse; und die menschenfreundlichsten Millionäre haben für den Armen weiter nichts in ihrem Geldbeutel, als was sie in ihrem Herzbeutel haben, nämlich ihr Herz, aber nichts Hartes und Solides....
Jetzt stelle sich der Leser das Erstaunen eines Lazarus vor, den auf einmal ein Regent durch Hauptsalzkassierer in Gold einfassen lässet. – – Der Lazarus ist außer sich, er vergisset sich und alles, er weiß nichts zu machen – als die 7te Platte und den zahlenden Rendanten auf ihr. – Und so beschirm' ich (denk' ich) den Revisor gegen manchen. –
Ach man sollte sich mitten im frohesten Kommentar guter Holzplatten bei den moralischen komplizierten Brüchen und Wunden aufhalten, welche der Staat dem innern Menschen durch die Aushungerung des äußern schlägt! Denn wie können die Millionen Stubenbettler unserer Staaten, die von einem Kreuzer zum andern leben, z. B. die 150 000 Spinner im Österreich, die zu jedem sanften Ton in ihrem kakophonischen Dasein die Saite erst aus 120 Wollenfäden spinnen müssen – wie man zum C auf dem Kontrabaß ebenso viele Darmfäden von 12 Hammeln nimmt, deren Wolle jene verspinnen –, wie können diese Armen einen elenden Groschen verachten, auf den sie den ganzen Tag losarbeiten? Wie zusammengeknüllet und zusammenfahrend muß nicht eine Seele werden, die der Magen im Hungerturm des Staatsgebäudes parforce jagt und die wieder auf die Vorjagd des nächsten Bissens geht? Woher will die Humanität des froh lebenden Griechen, die Moralität des freiern, vom Glücke emanzipierten Menschen einem müden Geiste kommen, der keinen größern Zirkel von Ideen kennt als den seines Spinnrades und keine andern Radien als die der Weife, und der keine Lust hat als Eßlust? – Solange daher noch das Erdgeschoß des Staates ein Amsterdamer Raspelhaus voll Arbeitsstuben ohne Ruhebänke bleibt – und dieses bleibt so lange, als im höchsten Stockwerk des Staates nichts als Braut- und Grahams himmlische Betten stehen, die man nur verändert und nie verlässet –: so geb' ich nicht so viel, als ein altes Weib in einem Tag erspult, um die Kultur des Volks und um tausend andere Sachen.
Ehe ich das siebente Gebot verlasse, weis' ich noch flüchtig auf einen feinen Zug des Künstlers hin, den Tausend übersehen. Er war dem Artisten wichtig genug, um ihn durch die Verhüllung der ganzen Gellertschen und Zimmermannschen Unterredung mit Serenissimo zu erkaufen. So wie nämlich die Hiobsplagen unsers Revisors abnehmen, so merzet er auch die Akteurs auf den Platten aus. Von Gebot zu Gebot schwindet wie in einer Anglaise einer weg. Im ersten Gebot geht noch das volle Siebengestirn – im zweiten fährt die Kunst bloß mit Sechsen – im dritten mit Fünfen (denn der kleine Holzhacker ist der Symmetrie wegen ins fünfte überzurechnen) – im vierten mit einem Postzug – im fünften zählen wir mit dem Latus-Holzhacker ein dreistimmiges Chor – im sechsten Gebote agieret wie gewöhnlich eine Stimme weniger – das siebente kömmt wie ebenso gewöhnlich mit einem Solospieler und Konklavisten aus. Das achte haben wir gar noch nicht vor uns; und daher wollen wir uns an dasselbe machen.