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Die chymische Verwandtschaft des Traums, des Geburtstages, des Sterbetages und des Finis
Nichts schlägt mir elender zu und lässet mich matter zurück als ein Diskurs mit Leuten, die außerordentlich berühmt und gescheut sind, und ein halbstündiges Kolloquium mit Voltaire, mit Friedrich II., mit Lessing tränkte mir mein Magen gewöhnlich mit Säuere ein und mein Kopf mit Kongestionen. Besonders ist mirs zuwider, wenn ich den berühmten Mann schon wirklich gehöret habe, der mich in meinem Bette besucht (denn ich rede von meinem bureau d'esprit in Träumen). Ich darf sagen, daß ich voriges Jahr täglich mehr Bitterklee (diese beste Präservationskur gegen künftige Migräne) kochen und trinken mußte und am Morgen gar nicht aus den Federn wollte, bloß weil Herr H. jede Nacht zu mir kam, als wäre mein Kopfkissen ein Besuchzimmer: denn ich mußte mich im Schlafe, wo die Natur ruhen will, nicht bloß entsetzlich anspannen, um mich im Diskurse zu zeigen, sondern ich mußte auch Herrn H. jedes Wort eingeben, das er zu mir sagte. Und das ist (zumal im Bette) schwere Arbeit. Glücklicherweise kömmt ihm das niemals zu Ohren, was er zu mir sagt und was ich ihm einblase; aber lieber sprech' ich mit ihm millionenmal auf seiner Stube als einmal in meinem Kopf, weil ich dort nur zu sagen brauche, was ich weiß, hier aber das übrige.
Dabei hingegen kann man bestehen, wenn einem der Revisor erscheint: in der vorigen Nacht kam er vor mein Bette und schlich mit andern Träumen in mein Gehirn. Es kam mir nämlich vor, der Bettmeister hänge wie ein Eidotter in einer Phiole voll Weingeist (er hatte etwan die Länge eines Fötus) und fange im Spiritus an, mich anzureden. Es ist hier leicht zu bemerken, wie sehr meine Phantasie, die den ganzen Tag den Revisor nur auf den Holzschnitten in dem nonagesimo-sexto-Format eines winzigen Männleins besieht, das mehr in die Juwelier- als Heuwaage gesetzet werden kann, auf meinen Traum einfloß und gleich Pedrillo ihm die Größe seines Miniaturbildes lieh. Das Bettmeisterlein sagte, es könne nicht ruhig in seinem Spiritus hängen, ohne mir gedankt zu haben, daß ich den zugemauerten Namen an seiner Ehrensäule wieder aufgekratzt, vorgescharrt und ausgeputzt und seine schiefhängende Statur wieder steilrecht gesetzt – daß ich in den Schleier Minervens (er spielte auf meine Schriften an) nach athenischer Sitte seinen Namen eingewoben. Ich sah, daß der Fötus belesen war; und wollt' es gleichfalls scheinen: »Lieber Intendant des lits er meubles,« sagt' ich, »Ihre Werke blieben ewig wie der kleine Katechismus; aber die Bilder Ihrer eroberten Provinzen zogen, wie bei einem römischen Triumph, in die Nachwelt voran, und der Triumphator schloß, wie in Rom, den Zug und erschien erst anno 1797. Erst nach Abspielung des ganzen Stücks ruft das Parterre der Welt: Autor vor!« – Er ließ sich weiter heraus über die Absicht, weswegen er mir im Weingeist erschienen sei, nämlich bloß um mich zu benachrichtigen, daß ich vielleicht aus einem geheimen Zuge seinen von Schmutz und Kirchenstühlen überbauten Leichenstein hervorgezogen und im Pantheon des Nachruhms aufgestellt, weil er mein Verwandter, und zwar mein Urur etc. großvater von mütterlicher Seite wäre, und aus den Wittenberger Kirchenbüchern könnt' ich mir den Stammbaum extrahieren lassen. – Ich wollte den Spiritus-Schwimmer unterbrechen; aber der Wassermann fuhr fort: »er versehe sich besonders von seinem Urur etc. enkel, daß solcher die 12te Holzplatte mit besonderem Feuer vertiere und illuminiere, denn diese hab' er stets am meisten geliebt, am längsten befeilt: und das bloß darum, weil die Platte die Feier seines 34sten Geburtstages, der in den Frühlingsanfang traf, mit der Pantomime des Buchsbaums darstelle. Ja im Turmknopf der Höfer Michaelis-Kirche sei ein scharfer, nie gebrauchter Stempel dieser Platte statt einer alten Münze niedergelegt und aufgebahrt, aus dem ein Urur etc. enkel tausend Sachen schöpfen könnte, die der Welt zu geben wären.« – Aber hier zerfloß mein Urur etc. großvater phosphoreszierend in seinem Weingeist – als wenn er lebte – und entzündete den rektifizierten Spiritus mit seinem sublimierten, und die ganze Flasche brannte lichterloh....
Ich erwachte, und bloß meine Nacht-Sparlampe flackerte ungewöhnlich vor mir.
Wie entsiegelt die Philosophie diesen plombierten Traum, diese hermetisch verpetschierte Phiole? – Manches ist natürlich und erklärlich darin: da ich gerade heute meinen eignen Geburtstag begehe, so konnte die Phantasie des Traums, die gern rochiert und versetzt, leicht meinen Urur etc. großvater an die Stelle seines Urur etc. enkels verpflanzen. Ferner, da der Ururenkel glaubt, es gebe kein besseres Denkmal eines frohen Prima-Tages als eine Arbeit, die man daran tut – welches zugleich für eine schönere Danksagung an den väterlichen Wächter unsers zerbrechlichen Daseins gelten kann als bloße, bald erkältende Rührungen –; und da ich deswegen gerade heute das 12te und helleste Stockwerk in Krönleins Leben (die 12te Platte) ausbauen und möblieren wollte: so kann der Psycholog auch darin nichts Übernatürliches verspüren, daß mir gerade für den heutigen Initial-Tag der im Weingeist konservierte Ururgroßvater anbefohlen, sein zwölftes Lebens-Stockwerk zu tapezieren.
Aber schwerer sind dem Psychologen die übrigen Auftritte des Traums ungezwungen aus der Ideen-Epigenesis und Kristallisation zu erklären: ich bekenne mein Unvermögen. Es kann sein, daß ich irgendwo und irgendwann in frühesten Jahren etwas von einem Krönleinschen Stempel im hiesigen Turmknopfe und von meinem Ururgroßvater im Wittenberger Kirchenbuche aufgefangen und behalten habe: in jedem Falle, der Traum sei nun aus kindlicher Tradition oder aus unerklärlicher Inspiration erwachsen, ist er glaubhaft und schwer zu verwerfen. Ich für meine Person sage dem ganzen 18ten Lesejahrhundert, das mich geborgt oder gekauft, frei voraus, daß ich, wenn ich das zweitemal Wittenberg beziehe, weder in seiner Löffelkirche noch in der Kehle ihres Taufengels, sondern bloß in den Kirchenbüchern graben und grübeln werde, um hinter meine Aszendenten mütterlicher Seite zu kommen. Ebenso würd' ich, wär's von der Inspektion der Höfer geistlichen Gebäude herauszubringen, daß man meines Traumes wegen den Wilsonschen Knopf und Kropf des Michaelis-Turms abnähme und aufmachte, um die Öffnung nachsuchen; es ist aber nicht zu erhalten. –
Dem sei, wie ihm ist: ich übermale den Geburtstag meines guten Ururgroßvaters, der heute mit mir, wiewohl in einem andern Jahrhundert, das 35ste Jahr antrat, nach Maßgabe des 12ten Holzschnittes mit den besten Goldfarben und feiere sein Leben nach.... Es ist eines Ururenkels Pflicht der letzten Ehre. Das kann überhaupt kein guter Mensch sein, der nicht gern mit kindlicher Liebe und Freude der Archivsekretär und Altertumsforscher seiner Ahnen und ihrer Antiquitäten wird. Und wüßt' ich nur die Häuser anzutreffen, worin meine Aszendenten bis zu den von Tacitus beschriebenen hinauf sich gefreuet und betrübet haben, ich wallfahrtete zu ihnen allen wie zu Gnadenkirchen, zu casa santas und Mirakulatorien zu Zürch; ja ich würde darin unter den sanften Wallungen der Liebe meine kalten Ahnen-Schatten zum Repetierwerk und Nachspiel ihres ausgespielten Lebens nötigen und ihnen mit dem wehmütigen Wunsche zusehen: »Möget ihr nicht viel beim ersten Spiele gelitten haben, und mög' euch die Hoffnung eines liebenden Urenkels zuweilen begegnet sein!« – –
Aber weiter! Wer Danz' Grundsätze der Reichsgerichtsprozesse, oder noch besser, wer Wetzlar selber durchgegangen, dem ist bekannt genug, daß die evangelischen Kammergerichtsassessoren, Pronotarien, Fiskalnotarien, Ingrossisten und Kopisten und die reitenden Boten und die zu Fuß samt dem 1 evangelischen Medikus und dem 1 Pedell alle Feiertage reichsgesetzlich mitfeiern (d. h. zu Ferien machen), welche die katholischen Kammergerichtsassessoren, Pronotarien, Fiskalnotarien etc. samt dem katholischen Medikus und dem Pedell begehen; und diese erwidern die evangelischen Ferien. Sogar den darauf folgenden Tag feiern beide Religionsparteien einmütig unter dem Namen Postfest. Das Reich will dadurch die Parität der Religionen bewachen. Die größte Parität und Toleranz aller Religionen aber bleibt Höfen: keine Feiertage europäischer Religionen fallen ein, die man da nicht begeht, erstlich mit dem Kammergerichte die reichsgesetzlichen samt den Postfesten, mit den Christen den Sonntag, mit den Juden den Schabbes, mit den Türken den Freitag. Nimmt man noch dazu, daß jeder heilige Tag seinen Vigilien- und Rüsttag vorher und sein Postfest und SabbatchenDie Juden feierten zum Sabbat ein Sabbatchen als Verlängerung dazu. Die Juden zu Tiberias fingen ihn früher an, weil das Tal die Sonne verspätete; die auf dem Berge setzten ihn länger fort, weil die Sonne länger blieb. Goodwin. Moses et Aaron. L. III. c. 3. nachher fodert: so langt gerade (wenn man mit den Stunden haushält) eine Woche zum Feiern zu, und der Latitudinarier hat in der andern zu den neuen sieben unbeweglichen Festen wieder Zeit. Ein solches ausgebreitetes Religionsexerzitium ist überdies recht für diejenigen Posten im Staate gemacht, die nicht nur in der Höhe, sondern auch darin den Alpen gleichen, daß auf ihnen die kleinsten Bewegungen ungemein ermüden. –
Aber weiter! Erst die Bettmeisterin wurde die Ruhestatt unsers Artisten – sein Salzrevisorat war eine Salzlecke für ihn – und hier sehen wir ihn erst nach vielen Umwegen, Kurven, Krümmungen und Krummstäben im Sitze der Seligen angelangt: das Schicksal führet nach der britischen Gartenregel uns auf krummen Alleen und Steigen in das Landhaus der Freude. –
Auf dem weimarschen Blatt hält der Intendant an der Rechten sein Söhnlein, das durch seine Adern und Bestandteile aus Lettern mir über die dunkelsten Stellen dieser Platte die Fackel vorträgt. Schon der Gedanke des Künstlers ist reizend, seinem Kommentator zum Wegweiser und Cicerone in seinem Miniatur-Himmel ein Kind mitzugeben. Diese verkleinerten lieben anfangenden Menschen schlüpfen mit ihren sichtbaren Knospen und weichen Dornen so sanft in unser Herz und halten sich darin mit ihren kleinen Händen fest, daß ich die Diminutiv-Schuhe und Zwerg-Strümpfe dieser Inzipienten des Lebens nicht ohne eine liebende warme Rührung sehen kann. Berichte also nur, kleiner Gerg, was dein Vater hier auf dem zweiten Freudenstock teils vornimmt, teils darstellt! – Wo ein Kind ist, da schonen die Menschen gern die Eltern. Das sagt die Natur allen Völkern: der malabarische Straßenräuber fället keinen Reisenden an, den ein vornehmes Kind eskortiert. und die alten Molossier schlugen dem, der mit einem Kinde im Arm sich flehend niederwarf, keine Bitte ab; und noch spricht in Italien die Verarmte unter dem Schleier schöner um eine Gabe an, indem sie ein Kind vorhält.