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Forschen und Schaffen – darum drehen und darauf beziehen sich wenigstens, wenngleich mittelbarer oder unmittelbarer, alle Beschäftigungen des Menschen. Das Forschen, wenn es die Gründe der Dinge oder die Schranken der Vernunft erreichen soll, setzt außer der Tiefe einen mannigfaltigen Reichtum und eine innige Erwärmung des Geistes, eine Anstrengung der vereinten menschlichen Kräfte voraus. Nur der bloß analytische Philosoph kann vielleicht durch die einfachen Operationen der nicht bloß ruhigen, sondern auch kalten Vernunft seinen Endzweck erreichen. Allein um das Band zu entdecken, welches synthetische Sätze verknüpft, ist eigentliche Tiefe und ein Geist erforderlich, welcher allen seinen Kräften gleiche Stärke zu verschaffen gewußt hat. So wird Kants – man kann wohl mit Wahrheit sagen – nie übertroffener Tiefsinn noch oft in der Moral und Ästhetik der Schwärmerei beschuldigt werden, wie er es schon wurde, und – wenn mir das Geständnis erlaubt ist – wenn mir selbst einige, obgleich seltne Stellen (ich führe hier als ein Beispiel die Deutung der Regenbogenfarben in der Kritik der Urteilskraft an) darauf hinzuführen scheinen, so klage ich allein den Mangel der Tiefe meiner intellektuellen Kräfte an. Könnte ich diese Ideen hier weiter verfolgen, so würde ich auf die gewiß äußerst schwierige, aber auch ebenso interessante Untersuchung stoßen: welcher Unterschied eigentlich zwischen der Geistesbildung des Metaphysikers und des Dichters ist; und wenn nicht vielleicht eine vollständige, wiederholte Prüfung die Resultate meines bisherigen Nachdenkens hierüber wiederum umstieße, so würde ich diesen Unterschied bloß darauf einschränken, daß der Philosoph sich allein mit Perzeptionen, der Dichter hingegen mit Sensationen beschäftigt, beide aber übrigens desselben Maßes und derselben Bildung der Geisteskräfte bedürfen. Allein dies würde mich zu weit von meinem gegenwärtigen Endzweck entfernen, und ich hoffe selbst durch die wenigen, im vorigen angeführten Gründe hinlänglich bescheinigt zu haben, daß, auch um den ruhigsten Denker zu bilden, Genuß der Sinne und der Phantasie oft um die Seele gespielt haben muß. Gehen wir aber gar von transzendentalen Untersuchungen zu psychologischen über, wird der Mensch, wie er erscheint, unser Studium, wie wird da nicht der das gestaltenreiche Geschlecht am tiefsten erforschen und am wahrsten und lebendigsten darstellen, dessen eigner Empfindung selbst die wenigsten dieser Gestalten fremd sind?
Daher erscheint der also gebildete Mensch in seiner höchsten Schönheit, wenn er ins praktische Leben tritt, wenn er, was er in sich aufgenommen hat, zu neuen Schöpfungen in und außer sich fruchtbar macht. Die Analogie zwischen den Gesetzen der plastischen Natur und denen des geistigen Schaffens ist schon mit einem wahrlich unendlich genievollen Blicke beobachtet und mit treffenden Bemerkungen bewährt wordenF. v. Dalberg vom Bilden und Erfinden. . Doch vielleicht wäre eine noch anziehendere Ausführung möglich gewesen; statt der Untersuchung unerforschbarer Gesetze der Bildung des Keims hätte die Psychologie vielleicht eine reichere Belehrung erhalten, wenn das geistige Schaffen gleichsam als eine feinere Blüte des körperlichen Erzeugens näher gezeigt worden wäre. Um auch in dem moralischen Leben von demjenigen zuerst zu reden, was am meisten bloßes Werk der kalten Vernunft scheint, so macht es die Idee des Erhabenen allein möglich, dem unbedingt gebietenden Gesetze zwar allerdings, durch das Medium des Gefühls, auf eine menschliche und doch, durch den völligen Mangel der Rücksicht auf Glückseligkeit oder Unglück, auf eine göttlich uneigennützige Weise zu gehorchen. Das Gefühl der Unangemessenheit der menschlichen Kräfte zum moralischen Gesetz, das tiefe Bewußtsein, daß der Tugendhafteste nur der ist, welcher am innigsten empfindet, wie unerreichbar hoch das Gesetz über ihn erhaben ist, erzeugt die Achtung – eine Empfindung, welche nicht mehr körperliche Hülle zu umgeben scheint, als nötig ist, sterbliche Augen nicht durch den reinen Glanz zu verblenden. Wenn nun das moralische Gesetz jeden Menschen als einen Zweck in sich zu betrachten nötigt, so vereint sich mit ihm das Schönheitsgefühl, das gern jedem Staube Leben einhaucht, um auch in ihm an einer eignen Existenz sich zu freuen, und das um so viel voller und schöner den Menschen aufnimmt und umfaßt, als es, unabhängig vom Begriff, nicht auf die kleine Anzahl der Merkmale beschränkt ist, welche der Begriff, und noch dazu nur abgeschnitten und einzeln, allein zu umfassen vermag. Die Beimischung des Schönheitsgefühls scheint der Reinheit des moralischen Willens Abbruch zu tun, und sie könnte es allerdings und würde es auch in der Tat, wenn dies Gefühl eigentlich dem Menschen Antrieb zur Moralität sein sollte. Allein es soll bloß die Pflicht auf sich haben, gleichsam mannigfaltigere Anwendungen für das moralische Gesetz aufzufinden, welche dem kalten und darum hier allemal unfeinen Verstande entgehen würden, und das Recht genießen, dem Menschen – dem es nicht verwehrt ist, die mit der Tugend so eng verschwisterte Glückseligkeit zu empfangen, sondern nur mit der Tugend gleichsam um diese Glückseligkeit zu handlen – die süßesten Gefühle zu gewähren. Je mehr ich überhaupt über diesen Gegenstand nachdenken mag, desto weniger scheint mir der Unterschied, den ich eben bemerkte, bloß subtil und vielleicht schwärmerisch zu sein. Wie strebend der Mensch nach Genuß ist, wie sehr er sich Tugend und Glückseligkeit ewig, auch unter den ungünstigsten Umständen, vereint denken möchte, so ist doch auch seine Seele für die Größe des moralischen Gesetzes empfänglich. Sie kann sich der Gewalt nicht erwehren, mit welcher diese Größe sie zu handeln nötigt, und nur von diesem Gefühle durchdrungen, handelt sie schon darum ohne Rücksicht auf Genuß, weil sie nie das volle Bewußtsein verliert, daß die Vorstellung jedes Unglücks ihr kein andres Betragen abnötigen würde. Aber diese Stärke gewinnt die Seele freilich nur auf einem dem ähnlichen Wege, von welchem ich im vorigen rede; nur durch mächtigen inneren Drang und mannigfaltigen äußren Streit. Alle Stärke – gleichsam die Materie – stammt aus der Sinnlichkeit, und wie weit entfernt von dem Stamme, ist sie doch noch immer, wenn ich so sagen darf, auf ihm ruhend. Wer nun seine Kräfte unaufhörlich zu erhöhen und durch häufigen Genuß zu verjüngen sucht, wer die Stärke seines Charakters oft braucht, seine Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit zu behaupten, wer so diese Unabhängigkeit mit der höchsten Reizbarkeit zu vereinen bemüht ist, wessen gerader und tiefer Sinn der Wahrheit unermüdet nachforscht, wessen richtiges und feines Schönheitsgefühl keine reizende Gestalt unbemerkt läßt, wessen Drang, das außer sich Empfundene in sich aufzunehmen und das in sich Aufgenommene zu neuen Geburten zu befruchten, jede Schönheit in seine Individualität zu verwandeln und, mit jeder sein ganzes Wesen gattend, neue Schönheit zu erzeugen strebt, der kann das befriedigende Bewußtsein nähren, auf dem richtigen Wege zu sein, dem Ideale sich zu nahen, das selbst die kühnste Phantasie der Menschheit vorzuzeichnen wagt.
Ich habe durch dies an und für sich politischen Untersuchungen ziemlich fremdartige, allein in der von mir gewählten Folge der Ideen notwendige Gemälde zu zeigen versucht, wie die Sinnlichkeit mit ihren heilsamen Folgen durch das ganze Leben und alle Beschäftigungen des Menschen verflochten ist. Ihr dadurch Freiheit und Achtung zu erwerben war meine Absicht. Vergessen darf ich indes nicht, daß gerade die Sinnlichkeit auch die Quelle einer großen Menge physischer und moralischer Übel ist. Selbst moralisch nur dann heilsam, wenn sie in richtigem Verhältnis mit der Übung der geistigen Kräfte steht, erhält sie so leicht ein schädliches Übergewicht. Dann wird menschliche Freude tierischer Genuß, der Geschmack verschwindet oder erhält unnatürliche Richtungen. Bei diesem letzteren Ausdruck kann ich mich jedoch nicht enthalten, vorzüglich in Hinsicht auf gewisse einseitige Beurteilungen noch zu bemerken, daß nicht unnatürlich heißen muß, was nicht gerade diesen oder jenen Zweck der Natur erfüllt, sondern was den allgemeinen Endzweck derselben mit dem Menschen vereitelt. Dieser aber ist, daß sein Wesen sich zu immer höherer Vollkommenheit bilde, und daher vorzüglich, daß seine denkende und empfindende Kraft, beide in verhältnismäßigen Graden der Stärke, sich unzertrennlich vereine. Es kann aber ferner ein Mißverhältnis entstehen zwischen der Art, wie der Mensch seine Kräfte ausbildet und überhaupt in Tätigkeit setzt, und zwischen den Mitteln des Wirkens und Genießens, die seine Lage ihm darbietet, und dies Mißverhältnis ist eine neue Quelle von Übeln. Nach den im vorigen ausgeführten Grundsätzen aber ist es dem Staat nicht erlaubt, mit positiven Endzwecken auf die Lage der Bürger zu wirken. Diese Lage erhält daher nicht eine so bestimmte und erzwungene Form, und ihre größere Freiheit, wie daß sie in eben dieser Freiheit selbst größtenteils von der Denkungs- und Handlungsart der Bürger ihre Richtung erhält, vermindert schon jenes Mißverhältnis. Dennoch könnte indes die immer übrigbleibende, wahrlich nicht unbedeutende Gefahr die Vorstellung der Notwendigkeit erregen, der Sittenverderbnis durch Gesetze und Staatseinrichtungen entgegenzukommen.
Allein, wären dergleichen Gesetze und Einrichtungen auch wirksam, so würde nur mit dem Grade ihrer Wirksamkeit auch ihre Schädlichkeit steigen. Ein Staat, in welchem die Bürger durch solche Mittel genötigt oder bewogen würden, auch den besten Gesetzen zu folgen, könnte ein ruhiger, friedliebender, wohlhabender Staat sein; allein er würde mir immer ein Haufe ernährter Sklaven, nicht eine Vereinigung freier, nur wo sie die Grenze des Rechts übertreten, gebundener Menschen scheinen. Bloß gewisse Handlungen, Gesinnungen hervorzubringen, gibt es freilich sehr viele Wege. Keiner von allen aber führt zur wahren, moralischen Vollkommenheit. Sinnliche Antriebe zur Begehung gewisser Handlungen, oder Notwendigkeit, sie zu unterlassen, bringen Gewohnheit hervor; durch die Gewohnheit wird das Vergnügen, das anfangs nur mit jenen Antrieben verbunden war, auf die Handlung selbst übergetragen oder die Neigung, welche anfangs nur vor der Notwendigkeit schwieg, gänzlich erstickt; so wird der Mensch zu tugendhaften Handlungen, gewissermaßen auch zu tugendhaften Gesinnungen geleitet. Allein die Kraft seiner Seele wird dadurch nicht erhöht; weder seine Ideen über seine Bestimmung und seinen Wert erhalten dadurch mehr Aufklärung noch sein Wille mehr Kraft, die herrschende Neigung zu besiegen; an wahrer, eigentlicher Vollkommenheit gewinnt er folglich nichts. Wer also Menschen bilden, nicht zu äußren Zwecken ziehn will, wird sich dieser Mittel nie bedienen. Denn abgerechnet, daß Zwang und Leitung nie Tugend hervorbringen, so schwächen sie auch noch immer die Kraft. Was sind aber Sitten ohne moralische Stärke und Tugend? Und wie groß auch das Übel des Sittenverderbnisses sein mag, es ermangelt selbst der heilsamen Folgen nicht. Durch die Extreme müssen die Menschen zu der Weisheit und Tugend mittlerem Pfad gelangen. Extreme müssen gleich großen, in die Ferne leuchtenden Massen weit wirken. Um den feinsten Adern des Körpers Blut zu verschaffen, muß eine beträchtliche Menge in den großen vorhanden sein. Hier die Ordnung der Natur stören wollen heißt moralisches Übel anrichten, um physisches zu verhüten.
Es ist aber auch, meines Erachtens, unrichtig, daß die Gefahr des Sittenverderbnisses so groß und dringend sei, und so manches auch schon zu Bestätigung dieser Behauptung im vorigen gesagt worden ist, so mögen doch noch folgende Bemerkungen dazu dienen, sie ausführlicher zu beweisen:
1. Der Mensch ist an sich mehr zu wohltätigen als eigennützigen Handlungen geneigt. Dies zeigt sogar die Geschichte der Wilden. Die häuslichen Tugenden haben so etwas Freundliches, die öffentlichen des Bürgers so etwas Großes und Hinreißendes, daß auch der bloß unverdorbene Mensch ihrem Reiz selten widersteht.
2. Die Freiheit erhöht die Kraft und führt, wie immer die größere Stärke, allemal eine Art der Liberalität mit sich. Zwang erstickt die Kraft und führt zu allen eigennützigen Wünschen und allen niedrigen Kunstgriffen der Schwäche. Zwang hindert vielleicht manche Vergehung, raubt aber selbst den gesetzmäßigen Handlungen von ihrer Schönheit. Freiheit veranlaßt vielleicht manche Vergehung, gibt aber selbst dem Laster eine minder unedle Gestalt.
3. Der sich selbst überlassene Mensch kommt schwerer auf richtige Grundsätze, allein sie zeigen sich unaustilgbar in seiner Handlungsweise. Der absichtlich geleitete empfängt sie leichter, aber sie weichen auch sogar seiner doch geschwächten Energie.
4. Alle Staatseinrichtungen, indem sie ein mannigfaltiges und sehr verschiednes Interesse in eine Einheit bringen sollen, verursachen vielerlei Kollisionen. Aus den Kollisionen entstehen Mißverhältnisse zwischen dem Verlangen und dem Vermögen der Menschen, und aus diesen Vergehungen. Je müßiger also – wenn ich so sagen darf – der Staat, desto geringer die Anzahl dieser. Wäre es, vorzüglich in gegebenen Fällen, möglich, genau die Übel aufzuzählen, welche Polizeieinrichtungen veranlassen und welche sie verhüten, die Zahl der ersteren würde allemal größer sein.
5. Wieviel strenge Aufsuchung der wirklich begangenen Verbrechen, gerechte und wohl abgemessene, aber unerläßliche Strafe, folglich seltne Straflosigkeit vermag, ist praktisch noch nie hinreichend versucht worden.
Ich glaube nunmehr für meine Absicht hinlänglich gezeigt zu haben, wie bedenklich jedes Bemühen des Staats ist, irgendeiner – nur nicht unmittelbar fremdes Recht kränkenden – Ausschweifung der Sitten entgegen- oder gar zuvorzukommen, wie wenig davon insbesondre heilsame Folgen auf die Sittlichkeit selbst zu erwarten sind und wie ein solches Wirken auf den Charakter der Nation selbst zur Erhaltung der Sicherheit nicht notwendig ist. Nimmt man nun noch hiezu die im Anfange dieses Aufsatzes entwickelten Gründe, welche jede auf positive Zwecke gerichtete Wirksamkeit des Staats mißbilligen und die hier um so mehr gelten, als gerade der moralische Mensch jede Einschränkung am tiefsten fühlt; und vergißt man nicht, daß, wenn irgendeine Art der Bildung der Freiheit ihre höchste Schönheit dankt, dies gerade die Bildung der Sitten und des Charakters ist, so dürfte die Richtigkeit des folgenden Grundsatzes keinem weiteren Zweifel unterworfen sein, des Grundsatzes nämlich: daß der Staat sich schlechterdings alles Bestrebens, direkt oder indirekt auf die Sitten und den Charakter der Nation anders zu wirken, als insofern dies als eine natürliche, von selbst entstehende Folge seiner übrigen schlechterdings notwendigen Maßregeln unvermeidlich ist, gänzlich enthalten müsse und daß alles, was diese Absicht befördern kann, vorzüglich alle besondre Aufsicht auf Erziehung, Religionsanstalten, Luxusgesetze usf. schlechterdings außerhalb der Schranken seiner Wirksamkeit liege.