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Tegel, den 12. Juni 1829.

Ich danke Ihnen sehr, liebe Freundin, für Ihren letzten Brief, den ich mit großem und gewohntem Anteil gelesen habe. Ich danke Ihnen besonders für das, was Sie in Rücksicht auf mich und meine Gefühle sagen. Sie sehen aus meinen Briefen, daß ich ruhig und besonnen bin. Ich lebe, und das kann nur mit jedem Jahr ausschließlicher zunehmen, im Andenken der Vergangenheit, mit dem Glück, das die Gegenwart nicht mehr gibt. In diesem Andenken bin ich reich, und insofern zufrieden, als ich fühle, daß dies gerade das Glück ist, das dieser Periode meines Lebens entspricht. Außer diesem Andenken suche ich nichts, sehe mich nicht in diesem Leben nach Ersatz, Trost, Beruhigung um. Ich fordere nichts und bedarf von dieser Seite nichts. Gegen meine Kinder bin ich wie sonst. Es hat sich nichts in meinen Gefühlen für sie geändert, als daß ich Mitleid mit ihrem Schmerz über den gleichen Verlust empfinde. Mich enger an sie anschließen, mehr für sie sorgen, kann ich nicht, da ich das immer so viel getan, als ich vermochte. Alle übrigen Verhältnisse bleiben mir gerade dasselbe, was sie mir gewesen sind, und ich bin gewiß nicht weniger teilnehmend, hilfreich, aufgelegt mit Rat und Tat beizustehen als früher. So, liebe Charlotte, müssen Sie sich mein Inneres denken, und Sie sehen, daß Sie auf keine Weise besorgt um mich zu sein brauchen. Was ich erfahren, liegt im natürlichen Laufe der Dinge. Die zusammen die Lebensbahn gehen, müssen sich an einem Punkt scheiden; es ist glücklicher, wenn die Zwischenzeit sehr kurz ist, in der sie einander folgen. Allein aller Verlust von Jahren ist kurz gegen die Ewigkeit. In mir geht nichts anderes vor, als daß mein Inneres sich ungekünstelt, unabsichtlich, ohne durch Vorsätze oder Maximen geleitet zu sein, bloß sich seinem Gefühl überlassend, mit der Lebens- oder Schicksalsperiode, wie Sie es nennen wollen, ins Gleichgewicht setze, in die ich unglücklicherweise früher getreten bin, als es der gewöhnliche Gang des Lebens erwarten ließ. An einem solchen Gleichgewicht darf es dem Menschen, meiner Empfindung nach, nie fehlen, das Streben danach sollte ihm wenigstens immer eigen sein. Es ist dies gar keine Klugheitsregel, kein Bemühen, sich heftige Empfindungen zu ersparen. Das Setzen ins Gleichgewicht wird oft nur dadurch erreicht, daß man viel Schmerz, physischen und moralischen, in sein Dasein mit aufnimmt, aber es besteht darin die wahre Demütigung unter die Fügung des Geschickes, die ich in mir immer als die erste und höchste Pflicht des Menschen betrachte. Gehe ich nun in meine gegenwärtige Lebensepoche zurück, so kann in ihr ein gewisses Anschließen an Personen und an die Welt nicht mehr liegen, aber das wohltätig aus sich Hinausgehen, die Geneigtheit, Anteil zu nehmen und in jeder möglichen Art zu geben, sind gewissermaßen in dem Grade größer, als man minder geneigt zum Empfangen, wenigstens die Seele garnicht gerade darauf gerichtet ist. Es freut mich sehr, daß Sie nicht aufhören, sich mit den Sternen gern und anhaltend zu beschäftigen. Der Himmel und der Eindruck, den er auf das Gemüt durch seinen bloßen Anblick macht, ist so verschieden von der Erde in allen Gefühlen und Vorstellungen, daß, wer nur an der Natur des Erdbodens Gefallen findet, die Hälfte, und gerade die wichtigste Hälfte der ganzen Naturansicht entbehrt. Ich sage darum nicht, daß sich der Schöpfer großer, weiser oder gütiger am Firmament offenbart als auf der Oberfläche der Erde. Seine Macht, Weisheit und Güte leuchten aus jedem Wesen ebenso wie aus dem größten Weltkörper hervor. Allein der Himmel erweckt unmittelbar im Gemüt reinere, erhabenere, tiefer eindringende und uneigennützigere, weniger sinnliche Gefühle. Leben Sie recht wohl. Ich bleibe mit der unveränderlichsten Teilnahme und Freundschaft der Ihrige.

H.


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Tegel, Juli 1829.

Daß ein Unglück das andere, aber auch ein Glück das andere nach sich zieht, ist zu einer sprichwörtlichen Redensart geworden, so daß ihm wohl eine gewisse Wahrheit zugrunde liegen muß, wenigstens eine hinreichende, um die Erscheinung zu einer Volkserfahrung in Masse zu machen. Eine genaue Untersuchung hält die Sache schwerlich aus. Gewiß kommen Glück und Unglück eben so oft einzeln. Durch ein sehr und tief das Gemüt ergreifendes Schicksal wird nur die Aufmerksamkeit mehr auf ähnliche Ereignisse gespannt, was ich für einen Hauptgrund halte. Wäre es anders und jene Gesellung gleicher und gleicher Schicksale wirklich in der Natur und der Natur der Sache gegründet, so müßte eine geheime Verbindung zwischen der inneren menschlichen Gemütsstimmung und dem äußeren menschlichen Geschicke bestehen und obwalten, eine schmerzliche Stimmung ein schmerzliches Geschick, eine freudige ein freudiges herbeiführen. Insofern ein weltlicher, menschlich zu begreifender, wenn auch in allen seinen einzelnen Fäden nicht zu erklärender Zusammenhang zwischen jenem Inneren und Äußeren möglich ist, glaube ich vollkommen daran, daß so eins das andere herbeiführt. Allein wo das, nach menschlicher Art zu reden, nicht einzusehen ist, da zweifle ich, daß der Schmerz wie durch eine geheimnisvolle Kraft, gleichsam wie ein geistiger Magnet, Stoff neuer Schmerzen an sich ziehe. Auch zerfällt die Sache in sich, da ja sonst auf ein einmal eingetretenes Unglück kaum je eine freudige Begebenheit folgen könnte, was doch durch die Erfahrung widerlegt wird. In gutgearteten Seelen ist ein wahrer Schmerz, was auch seine Ursache sein möge, immer ewig, und wenn man behauptet, daß die Zeit oder andere Umstände ihn minderten, so sind das Worte, die nur für die schwächliche Empfindung Geltung haben, die der gehörigen Kraft, das einmal Empfundene dauernd festzuhalten, ermangelt. Die glücklichsten Begebenheiten ändern darin nichts. Auch können in dem wunderbaren menschlichen Gemüt Schmerz und Empfindung eines in anderer Hinsicht glücklichen Daseins gleichzeitig nebeneinander fortleben. Der Schmerz um verlorene Kinder in glücklich, lange nachher fortgeführten Ehen ist ein lebendiges, sich oft erneuerndes Beispiel davon. Auch muß es so sein. Der Mensch muß beständig sein und das Schicksal wechselnd erscheinen. Denn in sich hat auch das Schicksal seine, wenngleich von uns nicht eingesehene und nicht erkannte Beständigkeit.


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Bad Gastein, den 20. August 1829.

Ich bin überzeugt, daß Sie mir, nach Ihrer gewöhnlichen Güte und Freundschaft und nach Ihrer so oft erprobten Pünktlichkeit, genau an dem Tage geschrieben haben, an dem ich Sie bat, Ihren Brief auf die Post zu geben. Dennoch habe ich noch keinen erhalten. Es liegt dies an dem so sehr langsamen Postenlauf. Bis Salzburg gehen die Briefe vermutlich ohne so großen Aufenthalt und bringen nur die der Weite des Wegs angemessene Zeit zu. Allein von da geht die Post nur zweimal wöchentlich hierher. Hat nun ein Brief das Unglück, gerade den Tag nach dem Abgange anzukommen, so bleibt er unbarmherzigerweise liegen. Es hat mir sehr leid getan zu denken, daß Sie auf diese Weise sehr lange ohne Brief von mir sein werden. Mein letzter war, soviel ich mich erinnere, vom 29. Juli, er muß also in den ersten Tagen dieses Monats in Ihren Händen gewesen sein. Der heutige aber kann erst kurz vor Ende August Sie erreichen.

Ich bin seit Sonntag, den 16. d. M., wieder in den bekannten Bergen und bewohne dieselben Zimmer wie in den vorigen Jahren. Es ist mir das ganz besonders lieb und eine angenehme Überraschung, welche mir der Zufall bereitet hat. Das Wetter war seit meiner Ankunft hier sehr günstig, nur einen Tag regnete es ununterbrochen mehrmals. Auf den noch garnicht weit entfernten, nur etwas höheren Bergen liegt freilich Schnee. Aber er glänzt freundlich im warmen Sonnenschein, und es hat auch etwas Erfreuliches, den Wechsel des Jahres so mit einem Blick zu übersehen. Die Sonne ist, wo sie trifft, sehr heiß und ordentlich brennend, da die Strahlen auch von den Felsen zurückprallen. Aber vor der Hitze darf man hier niemals bange sein. Die ganze Gegend ist schattig, die vielen großen und kleinen Wasserfälle wehen einem überall eine frische Kühlung zu, und man muß die Sonne, und wenn es nur irgend kühl ist, die warmen Stellen mit Mühe aufsuchen. Hat man aber eine gewisse, doch nur sehr mäßige Höhe erreicht, so befindet man sich in einem ganz ebenen, freien, sonnenbeschienenen, nur von sehr hohen Bergen umgebenen Tale. Dies ist mein gewöhnlicher Nachmittags-Spaziergang. Kurz vor Tisch pflege ich, doch nur bei heiterem und freundlichem Wetter, einen kürzeren auf die Gloriette zu machen. Ich habe Ihnen so oft von Gastein aus geschrieben, daß ich dieses Ortes gewiß schon gedacht und Ihnen die Lage geschildert habe. Ich will Sie daher nicht mit einer Wiederholung ermüden. Es ist dort eine höchst überraschende, theatralische, dekorationsartig malerische Aussicht, die aber des hellen Glanzes der Sonnenstrahlen auf den schneeweißen Wasserfall bedarf. Bei dunklem Wetter ist es ohne Anmut.

Ich bin in acht Tagen, also da die Entfernung doch von 110 Meilen ist, nicht gerade langsam hierher gereist.

Eine solche Reise hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Lesen eines geschichtlichen Buches. Wie in diesem eine Reihe von Zeiten, so durchläuft man reisend eine Reihe von Gegenden. In Absicht auf den Menschen, der doch in aller Weltbetrachtung immer der wichtigste, am meisten den Ernst und die Anstrengung der Beobachtung in Anspruch nehmende Gegenstand ist, trifft bei beiden Fällen der Umstand ein, daß der einzelne in einer gewissen Masse verschwindet, die individuelle Existenz keinen Wert zu haben scheint gegen die Bestimmung des größeren und kleineren Ganzen, zu dem sie gehört. Dagegen fühlt nun doch der Betrachter, der Lesende oder Reisende, ganz vorzugsweise sein Ich. Er kann auch mit größter Anspruchlosigkeit es sich nicht ableugnen, daß dies für ihn der Mittelpunkt aller Bestrebungen sein muß. Ich meine nicht, um sich äußere Güter, Genuß und Glück zu verschaffen, aber womit gerade oft das freiwillige Aufgeben alles Genusses und Glückes verbunden sein kann, um das Heil seiner Seele zu besorgen. Ich bediene mich mit Absicht dieses Ausdrucks, um keine Art auszuschließen, die der Mensch bei seiner geistigen Veredlung wählen kann. Denn er kann durch immer reichere und reinere Entwicklung seiner Ideen, durch immer angestrengtere Bearbeitung seines Charakters, sich zu einer höheren Stufe der Geistigkeit erheben, oder zu der gleichen auf dem kürzeren Wege stiller Gottseligkeit gelangen.

Wenn man die Welt weltlich betrachtet, so tritt vor zwei sich aufdrängenden gewaltigen Massen das Individuum ganz in den Schatten zurück oder wird vielmehr in einem großen Strome fortgerissen. Dieser Eindruck entsteht nämlich, wenn man den Zusammenhang der Weltbegebenheiten und wenn man den Wechsel des sich auf der Erde ewig erneuernden Lebens ins Auge faßt. Was ist der einzelne in dem Strome der Weltbegebenheiten? Er verschwindet darin nicht bloß wie ein Atom gegen eine unermeßliche, alles mit sich fortreißende Kraft, sondern auch in einem höheren, edleren Sinne. Denn dieser Strom wälzt sich doch nicht, einem blinden Zufall hingegeben, gedankenlos fort, er eilt doch einem Ziele zu, und sein Gang wird von allmächtiger und allweiser Hand geführt. Allein der einzelne erlebt das Ziel nicht, das erreicht werden soll, er genießt, wie ihn der Zufall, worunter ich nur hier eine in ihren Gründen nicht erforschbare Fügung verstehe, in die Welt wirft, einen größeren oder kleineren Teil des schon in der Tat erreichten Zweckes, wird dem noch zu erreichenden oft hingeopfert und muß das ihm dabei angewiesene Werk oft plötzlich und in der Mitte der Arbeit verlassen. Er ist also nur Werkzeug und scheint nicht einmal ein wichtiges, da, wenn der Lauf der Natur ihn hinwegrafft, er immer auf der Stelle ersetzt wird, weil es ganz widersinnig zu denken wäre, daß die große Absicht der Gottheit mit den Weltbegebenheiten durch Schicksale schwacher einzelner auch nur um eine Minute könnte verspätet werden. In den Weltbegebenheiten handelt es sich um ein Ziel, es wird eine Idee verfolgt, man kann es sich wenigstens, ja man muß es sich so denken. Im Laufe der körperlichen Natur ist das anders. Man kann da nichts anderes sagen, als daß Kräfte entstehen und so lange auslaufen, als ihr Vermögen dauert. So lange man bei einzelnen stehen bleibt, scheint darin ein Mensch gar sehr von anderen verschieden, verschieden an Tätigkeit, Gesundheit und Lebensdauer. Sieht man aber auf eine Masse von Geschlechtern, so gleicht sich das alles aus. In jedem Jahrhundert erneuert sich das Menschengeschlecht etwa dreimal, von jedem Lebensalter stirbt in einer gewissen Reihe von Jahren eine gleiche Zahl. Kurz, es ist deutlich zu sehen, daß eine nur auf die Masse, auf das ganze Geschlecht, nicht auf den einzelnen berechnete Einrichtung vorherrscht. Wie man sich auch sagen und wie fest und tief man empfinden mag, daß darin einzig und ausschließlich allweise und allgütige Leitung waltet, so widerstrebt doch nichts so sehr der Empfindung des einzelnen, zumal wenn sie eben schmerzlich bewegt ist, als dies gleichsam rücksichtslose Zurückwerfen des fühlenden Individuums auf eine nur wie Naturleben betrachtete Masse. Darum fand man es so empörend, wie einmal kurz nach der französischen Revolution kalt berechnet wurde, daß die Zahl aller vor den Gerichtshöfen gefallenen Opfer nur immer einen ganz geringen Teil der Bevölkerung Frankreichs ausmache. Dazu kommt noch, daß in dieser Betrachtung der Mensch sich mit allem übrigen Leben, auch dem am meisten untergeordneten, vermischt. Sein Geschlecht vergeht und erneuert sich nicht anders als die Geschlechter der Tiere und Pflanzen, die ihn umgeben. Diese Betrachtungen, die ich die weltlichen nannte, verschlingen also das individuelle Dasein, und da man ihre innere Wahrheit nicht absprechen kann, so würden sie das Gemüt in öde und hilflose Trauer versenken, wenn nicht die innere Überzeugung tröstlich aufrichtete, daß Gott beides, den Lauf der Begebenheiten und den der Natur, immer so richtet, daß, die Existenz überirdischer Zukunft mitgerechnet, das Glück und das Dasein des einzelnen darin nicht nur nicht untergeht, sondern im Gegenteil wächst und gedeiht. Die wahre Beruhigung, der wahre Trost, oder vielmehr das Gefühl, daß man gar keines Trostes bedarf, entstehen erst, wenn man die weltlichen Betrachtungen ganz verläßt und zur Beschauung der Natur und der Welt von der Seite des Schöpfers übergeht. Der Schöpfer konnte den Menschen nur zu seinem individuellen Glück ins Leben setzen, er konnte ihn weder dem blinden Wechsel eines nach allgemeinen Gesetzen fortschreitenden Lebensorganismus hingeben, noch einem idealischen Zwecke eines lange vor ihm entstandenen und weit über ihn hinaus fortdauernden Ganzen opfern, dessen Grenzen und Gestalt er niemals zu überschauen imstande ist. Jeder einzelne zum Eintritt ins Leben Geschaffene sollte glücklich sein, glücklich nämlich in dem tieferen und geistigen Sinne, wo das Glück ein inneres Glück, gegründet auf Pflichterfüllung und Liebe ist. In diesem Sinne regiert und leitet die Gottheit ihn und würdigt ihn ihrer Obhut. In ihm, in dem einzelnen liegt der Zweck und die ganze Wichtigkeit des Lebens, und mit diesem Zwecke wird der Lauf der Natur und der Begebenheiten in Einklang gebracht. Nirgends ist diese Vatersorge Gottes für jedes einzelne Glück so schön, so wahrhaft beruhigend ausgedrückt als im Christentum und im Neuen Testament. Es enthält die einfachsten, aber auch rührendsten und das Herz am tiefsten ergreifenden Äußerungen darüber. Ich bitte Sie, liebe Charlotte, mir jetzt nicht eher wieder zu schreiben, als ich es Ihnen anzeigen werde. Es könnte nichts helfen, wenn ein Brief von Ihnen während meiner Abwesenheit in Tegel ankäme

Leben Sie herzlich wohl, ich bleibe mit unveränderter Freundschaft und Teilnahme der Ihrige.

H.


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Regensburg, den 10. September 1829.

Sie sehen, liebe Charlotte, schon an der Überschrift dieses Briefes, daß ich auf der Rückreise von Gastein begriffen bin und ein bedeutendes Stück des Weges zurückgelegt habe. Ich reise aber sehr langsam und mache sehr kleine Tagereisen, weil es mein Grundsatz ist, daß man unmittelbar nach einer Badekur sich besonders in acht nehmen muß, um nicht mutwillig wieder die gute Wirkung zu zerstören. Man kann sich viel eher anstrengen, wenn man erst in das Bad reist. Das Bad muß dann auch das wieder gut machen, – ich glaube, daß ich noch im Reste des Jahres eine heilsame Nachwirkung davon erfahren werde.

Im höchsten Grade hat es mich geschmerzt, liebe Charlotte, aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß Sie von einer plötzlichen Augenschwäche befallen worden sind, und diese mit Schmerzen verbunden ist. Beinahe möchte ich aber das Letzte tröstlich nennen. Soviel ich weiß, sind Schmerzen immer nur mit vorübergehenden Augenkrankheiten verbunden, niemals mit denen, die zu den beiden gefährlichsten, dem grauen und schwarzen Star führen. Mit meinen Augen steht es schlimmer und besser als mit den Ihrigen. Schmerzen habe ich garnicht, bisher niemals, ich mag sie anstrengen oder nicht. Überhaupt habe ich von dem, was man Anstrengung bei Augen nennt, keinen rechten Begriff. Die meinigen sind nicht um ein Haar besser, wenn ich auch wie in Gastein wochenlang nicht viel lese und schreibe, es namentlich nie bei Licht tue, und sie werden nicht schlimmer, wenn ich viel und auch bei Licht arbeite. Mit der Zeit wird sich das vielleicht ändern, aber bis jetzt ist es so, wie ich Ihnen da sage. Allein auf dem rechten Auge habe ich einen schon sehr ausgebildeten grauen Star. Es leistet mir beim Lesen oder Schreiben gar keine Hilfe mehr, und wenn das andere ebenso wäre, so könnte mir mein Gesicht zu nichts mehr dienen, als ganz nahe Gegenstände allenfalls zu erkennen. Dies Übel ist seit vielen Jahren langsam entstanden, nimmt aber seit einigen schneller zu. Was ich mit dem Gesicht ausrichte, tue ich mit dem linken Auge, aber auch das ist schwach und wird es immer mehr. Ich kann auf die Dauer nichts ohne Brille weder lesen noch schreiben, und die Brille, die mir sonst sehr scharf schien, reicht jetzt kaum mehr hin. Wenn ich, wie ich weder wünsche noch glaube, noch lange, ich meine noch acht oder zehn Jahre, leben sollte, so darf ich mir kaum schmeicheln, daß mich meine Augen bis zum Grabe begleiten werden. Eher ist es möglich, daß ich sie, oder doch eins, durch eine Operation wieder erhalte. Ich habe mich sehr oft mit dem Gedanken beschäftigt, daß ich blind werden und bleiben könnte. Denn die Operation gelingt nicht immer. Ich glaube jetzt in mir so vorbereitet zu sein, daß mich dies Ereignis nicht außer Fassung bringen würde. Ich würde es, glaube ich, mit der Ergebung ertragen, mit der der Mensch alles Menschliche dulden muß. Ich würde so viel von meiner Tätigkeit retten, als ich nicht schlechterdings aufgeben müßte, und wenn der Mensch tätig sein kann, ist um sein Glück schon geringere Sorge. Aber die Vorstellung eines Unglücks ist noch immer etwas ganz anderes als das Unglück selbst, wenn es mit der furchtbaren Gewißheit seiner Gegenwart eintritt, und für das größte Unglück, das mich an meiner Person treffen könnte, halte ich Blindheit allerdings. Es ist aber sehr möglich, daß alle jetzige Fassung und Vorbereitung mächtig erschüttert werden und mich ganz verlassen könnte, wenn es käme, daß einmal der Tag erschiene, der mir kein Licht mehr brächte. Man muß auf nichts so wenig vertrauen, und an nichts so unablässig arbeiten, als an seiner Seelenstärke und seiner Selbstbeherrschung, die beide die einzigen sicheren Grundlagen des irdischen Glücks sind. Der Himmel scheint aber den Blinden zum Ersatz eine eigene Fassung und milde Duldsamkeit in die Seele zu flößen.



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