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Berlin, den 27. Dezember 1822.

Ich setze mich mit inniger Freude an den Tisch, Ihre beiden Briefe zu beantworten, die mir, wie alles, was mir von Ihnen kommt, sehr teuer gewesen sind. Es tut mir sehr leid, daß mein längeres Schweigen Sie einen Augenblick beunruhigt hat, ob ich gleich diesem Umstande einen Brief mehr von Ihnen verdanke. Sie müssen aber nie unruhig sein, wenn ich einmal länger nicht schreibe, als Sie gerade gedacht haben, daß ich es tun würde. Ich bin so selten krank, daß dies garnicht in Berechnung kommen kann, und eine Änderung in meinen Gesinnungen, wie leise sie auch sein möchte, ist in der Tat unmöglich. Es widerspricht meinem Charakter überhaupt, und widerspricht noch viel mehr meinen einmal für Sie gefaßten Empfindungen, und kann mit einem Worte nicht eintreten. Daß ich aber einmal weniger oft schreibe, hat ganz zufällige Ursachen, die ich aber auch nicht gut ändern kann. Ob Ich gleich jetzt gar keine eigentlichen Geschäfte habe, so bin ich beschäftigter als die meisten, die selbst viel mit solchen beladen sind, und ich lebe keineswegs so, wie manche andre, daß ich nur auf irgend eine Weise dem Vergnügen oder meinen Einfällen nachhänge. Meine Stunden vom Morgen bis zum Abend, und vor 1 Uhr gehe ich nie zu Bette, sind regelmäßig besetzt; mit meiner Familie bringe ich nur etwa zwei Stunden am Abend, außer dem Mittagessen, zu. In Gesellschaft gehe ich so gut als garnicht, und in meiner Stube, in der ich also die meiste Zeit meines Lebens zubringe, bin ich mit Papieren und Büchern umringt. Ich führe, seit ich den Dienst verlassen habe, ein eigentliches Gelehrten-Leben, habe weitläufige, wissenschaftliche Untersuchungen unternommen, und so kommt es denn freilich, daß der Briefwechsel manchmal stockt, der mit Ihnen aber doch am wenigsten. Denn ich wundere mich selbst manchmal, wie ich Ihnen so oft und so lange Briefe schreibe, und dann finde ich es doch wieder so natürlich, weil ich mich so gern in meinen Gedanken vor Ihnen gehen lasse, und meine Briefe wieder Veranlassung der Ihrigen sind, die ich so innig gern lese, wie lang sie sein möchten. Denn zum Lesen habe ich immer Zeit, da dazu der Entschluß nicht wie zum Schreiben zu nehmen ist, sondern mit dem erscheinenden Briefe natürlich da ist, so schiebt sich alles andre so lange zur Seite. Auch das Denken gehört jeder Stunde an, nur zum Schreiben kommt man nicht immer, und ich könnte mir darin einen Zwang antun. Ich klagte mich zum voraus bei Ihnen an, liebe Charlotte, daß ich eigentlich nicht ordentlich und regelmäßig im Schreiben bin, und Sie sehen jetzt, daß ich nicht unwahr redete.

Daß Sie erfreut und zufrieden sind mit den kurzen Nachrichten, die ich Ihnen über meine Familie gab, ist mir lieb, ob sie hinzusetzen, »wenn ich sie auch ausführlicher gewünscht hätte, bin ich doch erfreut und etwas bekannt mit den Ihrigen und bescheide mich«. ~

Das ist ganz in Ihrer Art, und wenn ich Sie darum lobe, so muß ich darüber schmälen, daß Sie besorgen, ob Sie sich nicht zu sehr haben gehen lassen in dem Ausdruck Ihrer Empfindungen? Sie haben in Ihrer Selbstbiographie nur für mich geschrieben. Sie haben mir die ersten Empfindungen Ihrer jugendlichen Brust aufrichtig, edel und offen gestanden, Sie haben mir diese Gefühle durch ein ganzes Leben gesondert, bewahrt, und mein Andenken heilig erhalten, ohne irgendein Zeichen des meinigen empfangen zu haben. Ihr ganzer Besitz waren ein paar Zeilen auf einem Zettel Papier. Das würde jeden Mann gerührt haben. Wer aber so etwas zu würdigen versteht, wie ich das von mir sagen darf, der wird es wie ein seltenes Glück dankbar empfangen und wie eine Zugabe des Himmels ansehen. Nicht der leiseste, nur scheinbar gerechte Vorwurf könnte Sie treffen, und die kälteste, ruhigste Beurteilung könnte hier nichts zu tadeln finden. Sie sehen, ich will mir nicht wieder entreißen lassen, was Sie mir einst freiwillig gegeben haben. Ich will es behalten, und keine kleinlichen Skrupel von Ihrer Seite sollen mir meinen lieben Besitz rauben. Irre ich, so irrt wenigstens mein Herz nicht. Ich habe nicht die engherzigen Begriffe über solche Empfindungspflichten, die wohl sonst im Schwange sind. Wenn man in sich rein ist, kein Gefühl mit dem andern vermengt, keine Pflicht verletzt, so habe ich für mich (ich will nie für das Gewissen eines andern reden) kein Arges, mich jedem Gefühl, das wahr und unentstellt in mir aufsteigt, ohne alle Ängstlichkeit hinzugeben. So ist es in mir. Sie sehen, was ich Ihnen oben sagte, ich will behalten, was ich habe.

Von meinem Familienleben hätte ich Ihnen, wenn Sie es nicht ausdrücklich gefordert hätten, und es mir nicht natürlich geschienen, doch auch das Innere und gerade dasjenige Verhältnis zu berühren, von dem in einem Familienkreise alle anderen Empfindungen ausgehen, immer geschwiegen.

Also noch einmal, ich will, liebe Charlotte, daß Sie nicht eine einzige Zeile, nicht ein Wort zurückwünschen. Alles, was Sie mir geschrieben haben, woraus Ihre Gefühle so rein und wahr hervorstrahlen, beglückt mich in der Erinnerung. Ich wünsche vor allem, daß der Briefwechsel mit mir Ihnen reine, durch nichts getrübte Freude mache. Ich habe ja dabei keinen andern Zweck, als für mich Erinnerungen festzuhalten, die mir ewig teuer sein werden, und für Sie, Ihnen eben dadurch Freude zu geben.

Daß ich Ihnen jene Nachrichten so spät gab, darf Sie nicht wundern, ich gab sie nur, weil Sie es wollten. An sich ist es meine Art nicht, von dem, was ich für einen Menschen fühle, einem andern als ihm selbst zu sprechen, ja, es ist mir ganz entgegen. Ich weiß wohl, daß man es so gemeinhin für ein Zeichen und ein Bedürfnis der Freundschaft hält, sich gegenseitig Freude und Kummer und alles mitzuteilen, den andern, wie man es nennt, mit sich leben zu lassen. Ich könnte tiefen Kummer und große Freude im Herzen haben, und es würde mich nie drängen, es denen mitzuteilen, die ich am liebsten habe. Ich tue es auch wirklich nicht, wenn die Mitteilung nicht andere Veranlassung hat. Ich halte sehr wenig von den Ereignissen des Lebens und für mich (Gott weiß, nicht für andere) wenig von Glück und Unglück, beide, auf mich bezogen, sind die letzten Rücksichten bei meinem Tun und Handlungen; ich weiß, Gottlob mit denen, die ich so gern habe, als Sie, immer noch etwas Besseres zu reden, als was eben um mich herum vorgeht. Ich mache es gerade so mit meiner Frau und Kindern. Sie wissen von sehr vielem, was mich beschäftigt, garnicht, und meine Frau denkt so gleichgestimmt mit mir darüber, daß, wenn sie zufällig etwas erfährt, was sie nicht wußte, oder ich ihr selbst bei einer Veranlassung davon sagte, es ihr nicht einfällt, das sonderbar zu finden. Freundschaft und Liebe bedürfen des Vertrauens, des tiefsten und eigentlichsten, aber bei großartigen Seelen nie der Vertraulichkeiten.

Leben Sie herzlich wohl! Mit unveränderlichen Gesinnungen der Ihrige.

H.


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Berlin, den 14. Februar 1823.

Sie verstummen ja ganz, liebe Charlotte. Es ist ungewöhnlich lange, daß ich keine Zeile von Ihnen erhielt. Schon seit acht Tagen wollte ich Sie bitten, das Stillschweigen zu brechen. Aber ich hoffte mit jedem Posttag einen Brief zu erhalten. Wenn Sie nur nicht krank sind. Allein gerade dann, dächte ich, hätten Sie geschrieben, mir wenigstens das zu sagen. Sie waren aber sehr angegriffen, hatten sich sehr angestrengt, dazu jetzt die kalte Witterung, das alles könnte Ihnen doch wohl geschadet haben. Ich bitte Sie inständigst, schreiben Sie mir, wie es Ihnen geht. Ich würde in der Tat sehr unruhig sein, wenn ich auch jetzt keinen Brief erhielte. Ich bin wohl, aber sehr beschäftigt. Mein Bruder war vier Wochen hier bei mir. Er ist nun nach Paris zurückgegangen; während seiner Anwesenheit hatte ich alles liegen lassen, und so ist schon das, was sich in meinen Geschäften angehäuft hat, so ansehnlich, daß ich ein paar Wochen daran aufzuräumen haben werde. Darum verzeihen Sie auch die Kürze meiner Zeilen. Da Sie gern lange Briefe von mir haben, so wird Ihnen mein letzter gefallen haben, er füllte den ganzen Bogen, und mit meiner kleinen Handschrift ist das sehr viel. Leben Sie wohl, und ich bitte, schreiben Sie mir gleich. Von Herzen und mit unveränderlichen Gesinnungen der Ihrige.

H.


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Berlin, den 14. März 1823.

Ich habe, liebe Charlotte, Ihre Briefe mit deren Beilagen erhalten und sage Ihnen meinen herzlichen Dank dafür. Man kann nicht ordentlicher sein, als Sie diese zweite Lieferung zu Ihrer Lebensbeschreibung eingerichtet haben. Sie nennen sie: Einleitungshefte. Die Folge wird das erst ganz deutlich machen, da alle Ihre Gedanken Klarheit haben. Alles liest sich leicht und mühelos, wie ein Buch, und was bei Handschriften immer sehr angenehm ist. Daß Sie das Ganze in Lieferungen teilen und jede in einen angemessenen Abschnitt zusammenfassen, ist äußerst zweckmäßig. Ich finde es daher auch besser, daß Sie künftig sich nicht gerade an die Zeitpunkte halten, die ich anfangs bestimmt hatte, sondern jeder Lieferung einen angemessenen, sich nach dem Inhalt richtenden Abschnitt geben, daß er weder allzukurz noch allzulang wird, und abzusenden, wenn Sie solche Lieferung fertig haben, ohne sich an einen bestimmten Zeitabschnitt zu kehren. Ich weiß, auf der einen Seite, daß Sie Interesse genug an der Sache nehmen, und liebevoll gegen mich gesinnt, selbst gern meine Wünsche erfüllen, und also die Muße, die Sie auf diese Arbeit verwenden können, gewiß nicht ohne Not andern Dingen schenken. Auf der andern Seite aber möchte ich selbst nie, daß Sie den notwendigen Geschäften, die Ihnen obliegen, Zeit entzögen, die dann wieder zu große Anstrengungen forderten, um das Verschobene wieder einzubringen. Alles, wozu ich Sie veranlasse, soll nur zu Ihrem Vergnügen und Ihrer Genugtuung dienen, nicht aber Ihnen zur Last noch Unruhe werden. Was mich bei dieser Lieferung erschreckt, ist, daß Sie schon so weit vorgerückt sind. Sie sehen daraus, wie ich Ihnen immer sagte, daß Ihre Furcht vergeblich sei, daß Sie bei einer so großen Ausführlichkeit nie zu einem Ende kommen würden. Indessen kann ich Ihnen durchaus über Mangel an Ausführlichkeit keinen Vorwurf machen. Ich glaube gern und sehe es aus der Schrift selbst, daß Sie nichts weiter zu erzählen hatten, weil der Gegenstand Ihnen in Ihrem Gedächtnis nicht mehr darbot. Sie haben nichts übergangen, alle Personen, die Sie erwähnen, erscheinen in einer vollständigen Zeichnung mit sehr bestimmten Umrissen, man sieht zugleich ihre Umgebungen, und es geht dem Bilde kein Zug ab, dessen Vermissen eine Lücke verursachte. Zwei interessante Figuren sind Ihre beiden Großmütter, man ist sehr geneigt, sie in Ihnen wieder zu erkennen. Zwei vorzügliche Frauen waren es gewiß. Es ist in sich natürlich, daß die Schilderung des Lebens einer in den einfachsten Verhältnissen sich befindenden Familie nicht mehr und nichts Vielfacheres darzubieten imstande ist; auch ist es Ihnen wohl bis dahin nicht eingefallen, dies Leben in so weiter Vergangenheit zurückzuholen und zu beschreiben. Das alles, gute Charlotte, erkenne ich mit wahrer Dankbarkeit, erkenne, wie gern Sie mir Freude machen. Auch hat Ihre Erzählung, gerade in dieser Einfachheit eines solchen Lebens, für mich und meine individuelle Art zu empfinden einen großen Reiz, den ich auch wieder bei Lesung Ihrer Blätter empfunden habe. Ich muß diese Lieferung auch darin noch mehr loben als früher, weil die Erzählung darin ruhiger, ununterbrochener, und in einem einzig nur das Geschilderte heraushebenden Tone fortgeht. So gern ich auch Betrachtungen lese, welche Sie früher dem Erzählten einzustreuen pflegten, so besteht der größte Reiz einer Erzählung doch gerade darin, daß man nur das Erzählte erblickt, und daß es als etwas ehemals Vorgegangenes und sich selbst vor dem Auge Bewegendes dasteht, nicht durch den unterbrochen wird, der es jetzt absichtlich darstellt. Im gegenwärtigen Falle sind nun zwar Sie, als darstellend und dargestellt, dieselbe Person, allein die Verschiedenheiten der Zeit bleiben auch so doch gleich beachtungswert, und Sie, jetzt und selbst erzählend, werden gegen sich, in jener Zeit dargestellt, auch wieder gewissermaßen eine Fremde. Sie müssen aber darum nicht glauben, daß ich mich durchaus gegen die Einstreuung jeder Betrachtung erklärte, und Sie sich jede neue verbieten müßten. Dies ist gar nicht meine Absicht. Ich lobe mehr die Art, die ich hier beobachtet gefunden habe, als ich es tadeln würde, wenn Sie eine andere angewendet hätten. Denn auch diese könnte auf ihre Weise Reiz gehabt haben, und Sie würden es gewiß verstanden haben, ihn derselben zu geben. Allein in sich ist es richtig, daß die Erzählung reiner und anziehender in dem Grade ist, in welchem sich der Erzähler mehr zurück und in Schatten stellt, und dieser verliert dabei nicht, denn man sieht ihn und seine Individualität in der Art und Natur der Erzählung gleich klar und bestimmt, und fühlt sich durch die verstecktere Art, mit der es geschieht, überrascht. Die Zeichnungen, die Sie beigelegt hatten, haben mich sehr gefreut. Sie versetzen den, der sie sieht, auf den Schauplatz der Personen, von denen erzählt wird, und tragen daher zur Lebendigkeit der Schilderung und zur Bestimmtheit des Bildes bei. Die äußere Ansicht Ihres elterlichen Hauses hat aber auch etwas in sich Freundliches und Gefälliges. Bei Gelegenheit des Todes Ihrer Mutter erwähnen Sie, obgleich dunkel und so, daß man nicht deutlich und bestimmt sehen kann, wie es gewesen ist, etwas Geisterartiges.

Dies bitte ich Sie nicht zu übergehen. Ist es, wie es fast scheint, Ihre Absicht, darauf bei einer andern Gelegenheit in der Folge zurückzukommen, so mag es so bleiben, und so lese auch ich die genaue Darstellung dieses Ereignisses lieber an dem Orte, den Sie für den paßlichsten halten. Wollen Sie aber nicht darauf zurückkommen, sondern es bei demjenigen bewenden lassen, was Sie darüber gesagt haben, so muß ich Sie bitten, dieser Sache eine besondere Zugabe zur zweiten Lieferung zu widmen, sie zuerst und zunächst auszuarbeiten und mir einzeln zuzusenden. Es hat gerade dies ein ganz besonderes Interesse für mich.

Das Mißgeschick mit Ihrer Wohnung hat mich sehr geschmerzt; Sie befanden sich dort einsam und wohl, und hatten überdies sie sich nach Ihren Neigungen eingerichtet. Das verlassen zu müssen, ist wirklich höchst unangenehm, und ich nehme nicht nur den innigsten Anteil daran, sondern begreife auch ihre Niedergeschlagenheit darüber vollkommen.

Daß Ihnen meine Teilnahme tröstlich, mein Andenken wohltätig ist, und Sie gern dabei verweilen und ausruhen, wenn Ihnen, wie auch jetzt, weh ist, dafür, liebe Charlotte, kann ich Ihnen nur sehr dankbar sein. Es war mein Wunsch und meine Absicht, ich wollte nur glücklich, heilsam und wohltätig auf Sie einwirken, und es freut mich unendlich, wenn ich erkenne, daß ich das erreiche. Gestatten Sie mir denn auch jetzt diesen Einfluß auf Ihr Gemüt, da Sie leiden und gebeugt sind. Richten Sie sich an mir auf. Ich möchte niemand lieber als Ihnen zur Stütze sein. Leben Sie für heute herzlich wohl, und erlauben Sie mir die Wiederholung meiner Bitte, sich zu beruhigen. Halten Sie den Glauben an die Treue meiner innigsten, liebevollsten Teilnahme fest, womit ich Ihnen stets angehöre. Ihr

H.


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Berlin, den 30. März 1823.

Ihr Brief vom 19. dieses, liebe Charlotte, hat mich bekümmert, da er in großer und sichtbarer Niedergeschlagenheit geschrieben war; es hat mich aber gefreut zu sehen, daß er gegen das Ende hin heiterer wird, weil das ein sicheres Zeichen ist, daß das ruhige Schreiben, das stille Gespräch mit dem, von dem Sie wissen, daß er immer gleichen Anteil an Ihnen nimmt, eben jene wohltätige Wirkung auf Sie ausgeübt hat. Darum hoffe ich auch, werden Sie nicht bei dem Vorsatz des Verstummens bleiben, sondern fortfahren, wie bisher, zu schreiben. Jener Vorsatz, den ich überhaupt nur für augenblicklich halten will, kann Ihnen nur von einer düsteren Stimmung eingegeben sein. Es ist sehr liebevoll von Ihnen, daß Sie, wie Sie sagen, mein Leben nicht durch Ihre Niedergeschlagenheit stören wollen. Allein, weiß ich sie darum weniger, wenn ich sie in Ihrem Verstummen erkenne, und muß sie mich denn nicht gerade darum mehr beunruhigen, weil ich den Grad, die Farbe, die Art derselben weniger kenne? Sie können versichert sein, daß ich immer den herzlichsten und mitfühlendsten Anteil an Ihnen und allem, was Ihnen begegnet, nehme, und daß ich auch auf dieselbe Weise den Unfall ansehe, daß Sie gerade jetzt, und überhaupt, eine Ihnen zu bequemer und lieber Gewohnheit gewordene Wohnung aufgeben müssen. Allein ich möchte Ihnen doch, liebe Charlotte, bei einem solchen Falle mehr Stärke, mehr innere, äußeren Unfällen entgegenstrebende Heiterkeit wünschen, da Ihnen so vieles zum inneren Genuß bleibt. Es soll dies gewiß auch nicht der fernste und leiseste Vorwurf sein, ich möchte lieber alles, als Ihnen im mindesten weh tun. Aber es ist einmal meine Art, zu denen, mit denen ich vertraulich umgehe, durchaus und ganz wahr zu reden, unverhohlen zu sagen, was mir nicht zu billigen scheint, und ihnen die Vorstellungen zu machen, durch die sie meiner Überzeugung nach in sich stärker, fester und dadurch Selbständiger und minder abhängig von äußeren Zufälligkeiten werden. Also seien Sie mir um dasjenige, was ich Ihnen hier sage und sagen werde, nicht böse. Sehen Sie es auch nicht als etwas an, das der leicht sagen kann, der selbst nur in glücklicher und genügender Lage vor ähnlichen Unfällen sicher ist. Es kommt nicht auf die äußere Ursache an, von welcher der Schmerz oder die Widerwärtigkeit entsteht, und der Himmel hat Schmerz und Widerwärtigkeit so weise verteilt, daß der äußerlich noch so vorzüglich Begünstigte darum keinen Augenblick hindurch freier ist von Anlässen und Ursachen inneren Schmerzes. In einem schon ziemlich langen und gar nicht in einfachen Verhältnissen hingegangenen Leben sind mir mannigfaltige Dinge vorgekommen, die mich augenblicklich oder auf lange aus meinem ganzen gewohnten Lebenswege in einen andern, in vielen, gerade das Innerste berührenden Punkten verschiedenen gestoßen haben. Ich bin also den Empfindungen, die Sie jetzt haben, auf keine Weise fremd, und kann mir jeden Tag, da wir in der Hand des Schicksals sind, eine ähnliche bevorstehen. Ich verkenne auch darum die Art Ihrer Empfindungen nicht, weil ich, wie Sie allerdings Recht haben zu sagen, nicht gerade mit der äußeren Ursache sympathisieren kann. Das Wechseln einer Wohnung, das mir so oft von den angenehmsten zu den unlieblichsten begegnet ist, würde auf mich allerdings wenig Einfluß haben. Ich lebe zwar auch beständig in meiner Stube, bin jetzt zum Beispiel, trotz des Sonnenscheins, seit acht Tagen mit keinem Fuße anders, als zu den durch Gewohnheit bestimmten Tageszeiten, in das Nebenzimmer zu meiner Familie gekommen. Ich habe keine Bedürfnisse der Art, jede Stube ist mir gleich, ich brauche keine Bequemlichkeiten, den Rohrstuhl, auf dem ich sitze, und den Tisch, an dem ich schreibe, ausgenommen. Sie würden keinen Spiegel, kein Sofa, nichts von dem allen bei mir finden. Allein auf die Ursache der Trauer kommt gar nichts an, es gilt nur diese, und ich sage Ihnen das nur, um jedem, auch stummem Einwand zu begegnen, daß ich bei einem Unfall, wie er Sie jetzt betrifft, mich nicht in Ihre Lage versetzen könnte. Ich kann es gewiß, da jeden reizbaren und nicht empfindungslosen Menschen niederschlagende Empfindungen ähnlicher Art betreffen. Aber gerade darum, meine eigenen Erfahrungen benutzend, muß ich Sie doch bitten, liebe Charlotte, sich durch dies Ereignis nicht auf solche Weise beugen zu lassen. Ich kann es nach Ihrer eigenen Schilderung nicht sowohl für ein empfindliches Übel halten, daß Sie gerade diese Wohnung verlassen, sondern mehr, daß Sie nicht wieder eine ungenierte Gartenwohnung mit Stille und Einsamkeit und ohne Mitbewohner gefunden haben. Was Sie mir einmal von der Kälte und Feuchtigkeit der Wände, auch wo Sie schlafen, sagten, hat mich sehr geschreckt, und kann Ihnen unmöglich zuträglich gewesen sein. Trotz alledem, was sich da sagen läßt, bleibt der Verlust, bis Sie eine andere ländliche und stille Wohnung finden, sehr groß, und läßt sich nicht wegräsonieren, auf keine Weise. Aber da, liebe Charlotte, bleibt, außer der Resignation, das zu tragen, was unabänderlich ist, doch auch der Genuß dessen, was Ihnen in Ihrem inneren Leben unentreißbar bleibt, das Andenken an alles, was Ihnen teuer ist, der Umgang mit einigen Personen, denen Sie geneigt sind, das Bewußtsein eines immer reinen Gemüts ein bewegtes Leben hindurch, die Genugtuung an einem sich selbst geschaffenen Dasein, endlich, darf ich auch mit Freuden hinzusetzen, nach dem, was Sie mir so oft sagen, die Beschäftigung mit mir, die Sicherheit, wie innig ich alles Weh und alle Freude teile, die sich in Ihnen bewegen. Einer gewissen Stärke bedarf der Mensch in allen, auch den glücklichsten Verhältnissen des Lebens, vielleicht kommen sogar Unfälle, wie Sie jetzt einen erfahren, um dieselbe zu prüfen und zu üben, und wenn man nur den Vorsatz faßt, sie anzuwenden, so kehrt bald, auch selbst dadurch Heiterkeit in die Seele zurück, die sich allemal freut, pflichtmäßige Stärke geübt zu haben. – –

Überhaupt, liebe Charlotte, und ich denke das oft, mag es wohl sein, daß ich anders bin, als Sie sich mich manchmal gedacht hatten. Das kann eigentlich nicht fehlen, wenn man sich fast nie gesehen und nie miteinander gelebt hat. Ich schrieb Ihnen, im Beginn unsers Briefwechsels, Sie müssen mich nehmen, wie ich bin, ich kann aus meinem Wesen, wie es ist, nicht herausgehen. Meine wahren und eigentlichen Gesinnungen überhaupt und gegen Sie, liebe Charlotte, bleiben immer dieselben und ändern nie. Ob Ihnen der Ausdruck immer gleich erfreulich und ansprechend ist, dafür kann ich nicht einstehen. Ich kann meiner Freiheit, weder in der Häufigkeit, noch in der Art, wie ich schreibe, etwas nehmen, und muß Sie da, wo ich zufällig nicht mit Ihnen oder Ihren Bemerkungen übereinstimme, um Nachsicht bitten. Daß ich in Wahrheit teil an Ihnen nehme, daß ich Ihnen auch gern schreibe, sehen Sie genug auch daraus, daß ich Ihnen vom Anfange an frei und offen, wie ich immer bin, sagte, daß ich ungern schreibe, daß Sie selten und kurze Briefe von mir bekommen würden, und daß ich doch häufig, und wie selbst dieser zeigt, sehr lange Briefe wirklich schreibe. Um zu Ihrer Lebenserzählung zurückzukehren, so kann ich Ihnen nur wiederholen, daß Sie mir durch die Fortsetzung wahre Freude machen werden, muß aber auch hinzusetzen, daß meine Bitte immer von der Voraussetzung ausgeht, nicht bloß, daß Sie es gern tun, das weiß ich gewiß, sondern auch, daß Sie Stimmung und Zeit in Anschlag bringen, und sich nur dann damit beschäftigen, wenn beide es erlauben; ich weiß ja, wie gewissenhaft Sie Ihre Zeit anwenden und darüber denken, und Sie wissen, wie dies meine wahre Achtung für Sie erhöht. Was Sie mir von den Geistererscheinungen sagen, hat mich noch neugieriger darauf gemacht. Ich bin ganz der Meinung Ihres verewigten Vaters. Niemand kennt den geheimen Zusammenhang der Dinge, und ich werde keinen Unglauben haben. Leben Sie nun herzlich wohl, liebste Charlotte! Suchen Sie sich zu erheitern, tun Sie es auch aus Liebe zu mir, und glauben Sie, daß niemand so gern und so oft an Sie denkt, als ich.

Ihr H.



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