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Burgörner, April 1822.

Es ist sehr lange, daß ich ohne Nachricht von Ihnen bin, es tut mir leid, ja es schmerzt mich, so ganz von Ihnen vergessen zu sein, während ich Ihrer oft gedachte. Schreiben Sie mir, liebe Charlotte, sobald Sie diese Zeilen empfangen haben, wie es Ihnen ergangen hat und ergeht? Es mahnte mich schon lange, Ihnen zu schreiben und um Nachricht zu bitten. Vielleicht bin ich selbst schuld an Ihrem Schweigen. Meine kurzen Briefe können Sie eingeschüchtert haben, Meine kurzen Briefe können Sie eingeschüchtert haben: Dazu bemerkt Charlotte in ihren Zusätzen: »In die Jahre von 1814-20 fielen die großen weltgeschichtlichen Begebenheiten und Wilhelm von Humboldts Staats-Leben und -Wirken. Lange Briefe konnte ich in dieser Zeit nicht bekommen, aber fortwährend empfing ich Zeichen und Beweise des Andenkens und Nachrichten über meine Vermögensangelegenheiten... Ich durfte mich nicht abhalten lassen, auch wenn ich nur selten und kurze Briefe erhielt, selbst lange Briefe zu schreiben. Doch schrieb ich anfangs nur selten.«

Sie mochten besorgen, mir lästig zu werden. Adressieren Sie Ihren Brief nach Burgörner bei Eisleben; ich bin hier auf einem der Güter meiner Frau. Leben Sie wohl und antworten mir gleich.

H.


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Burgörner, April 1822.

Ich lasse meinem kurzen Briefe, den ich Ihnen, liebe Charlotte, vor ein paar Tagen schrieb, einen zweiten folgen. Einmal, weil ich sehr mich nach Zeilen von Ihrer Hand sehne und es mir leid tut, daß ich so lange schwieg; dann auch, um noch einen andern Weg einzuschlagen, damit mein Brief sicher in Ihre Hände komme. Ich weiß Ihre Adresse nicht genau, ja ich weiß nicht einmal, ob Sie noch in Kassel sind. Das aber darf ich mit Zuversicht hoffen, daß Sie mich nicht vergessen haben. Ich vergesse Sie nie.

Ihr H.


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Burgörner, den 3. Mai 1822.

Ich habe Ihre beiden lieben Briefe vom 24. und 26. April empfangen, und sage Ihnen, liebste Charlotte, auf der Stelle meinen herzlichsten Dank. Sie haben mich recht sehr dadurch erfreut und ganz meinen Erwartungen entsprochen. Nie könnte ich irre an Ihnen werden oder den Glauben an die Ausdauer und die Treue Ihrer Gesinnungen und Empfindungen verlieren. Das sagte ich Ihnen schon neulich, und es ist nur natürlich. Wenn uns jemand eine so lange Reihe von Jahren, ohne irgend ein Zeichen des Andenkens empfangen zu haben, die tiefen Empfindungen eines edlen und zarten Gemüts bewahrte, so wäre es wahrer und hoher Undank, daran ferner zu zweifeln. Es ist gewiß ein seltenes Glück für einen Mann, daß ihm ein weibliches Gemüt die ersten Empfindungen der jugendlichen Brust heilig und vertrauungsvoll bewahrt, und ich bin mir bewußt, daß ich dies Glück, so wie es ist, würdige und schätze. Aber ich sage ohne Stolz, der mir wahrlich nicht eigen ist, allein auch ohne eine kindische Bescheidenheit, es kann auch Ihnen durch mich vieles kommen, was Ihr Leben bereichert, erheitert und verschönert. Wenn das Schicksal so etwas für zwei Menschen aufbewahrt hat, muß man es nicht hinwelken lassen, sondern erhalten und in Vereinigung bringen mit allen äußeren und inneren Verhältnissen, da auf diese Harmonie allein alle Zartheit der Gefühle und alle Ruhe der Seele gegründet sein kann. Weil nun kein persönlicher Umgang unter uns stattfinden kann, so wollen wir einen brieflichen beginnen und feststellen. Ich schreibe zwar nicht gern und klage mich zum voraus an, Sie werden sehr oft Nachsicht, Geduld und Großmut zu üben haben, aber ich lese sehr gern Briefe, besonders die Ihrigen, nicht nur, weil ich gern lese, was Sie schreiben, sondern noch mehr, weil mich Ihr äußeres und noch mehr Ihr inneres Leben in der innersten Teilnahme interessiert. Sollte ich also einmal seltener schreiben, so lassen Sie sich das nicht hindern. Schreiben Sie mir immer den 15., so habe ich immer einen Tag, auf den ich mich freue. Wenn Sie mir in der Zwischenzeit schreiben, so ist das eine liebe Zugabe, die ich stets mit Dank empfangen werde.

Ihr Gartenleben und schon die Wahl desselben hat etwas, das mir ungemein gefällt. Es spricht Ihre Neigungen charakteristisch aus und vereint Einsamkeit und Annehmlichkeit. Die erste paßt zu Ihrem Charakter, Ihren Empfindungen und Ihrer Lage; die letzte erheitert und verschönert Ihr Leben. Es ist mir daher am liebsten, Sie so zu denken, zu denken, daß Sie nur selten in die Stadt kommen. Besuche, das fühle ich, können Sie nicht vermeiden, und es ist auch gut, in einigen Verbindungen zu bleiben, besonders da Sie mir sagen, daß diese Verbindungen meist bewährte alte Freunde sind.

Daß Sie am liebsten in Kassel leben, wo Ihre Jugend, wenn auch nicht immer schmerzlose, doch auch frohe und heitere Erinnerungen zurückließ, begreife ich ganz. Auch ist die Gegend schön, und eine größere Stadt bietet, wie Sie sehr richtig bemerken, vor allen anderen, Freiheit zu leben, wie es die Neigungen fordern, und daneben, ohne großen Aufwand, manche Genüsse, welche in kleinen Städten versagt sind. Ich billige also ganz Ihren Entschluß, dort ferner zu wohnen. Sorgen Sie aber vor allem in Ihrer ländlichen Wohnung für Ihre Gesundheit. Zu wenig sagen Sie mir darüber, und doch sind Ihre Ruhe, Ihre Gesundheit, Ihr Glück das, worauf es mir ankommt. In selbstsüchtigen Wünschen und Absichten habe ich mich Ihnen nicht wieder genähert, wenn ich auch einen Wunsch hege, den ich Ihnen nächstens aussprechen werde.

Ich schließe jetzt, ich bin seit vierzehn Tagen garnicht wohl, leide zwar nur an einem katarrhalischen Fieber, da ich aber in Jahren nicht krank war, ist es mir lästig. Mit den herzlichsten, unwandelbarsten Gesinnungen der Ihrige.

H.


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Burgörner, Ende Mai 1822.

Ich sage Ihnen heute zuerst, liebe Charlotte, daß ich wieder vollkommen wohl bin, damit Sie sich nicht beunruhigen. Es geht sehr eigen mit unserm Briefwechsel. Er fing so an, daß Sie selten Briefe von mir zu bekommen glaubten, und jetzt muß ich mich über Ihr Stillschweigen beklagen. Sie hatten mir in Ihrem letzten Briefe versprochen, mir unmittelbar nach dem 15. jedes Monats zu schreiben, das müssen Sie aber nicht getan haben, da sonst Ihr Brief längst in meinen Händen sein müßte, und ich habe weder am vorigen Posttage noch heute das Geringste bekommen. Es beunruhigt mich, da Sie krank sein können, ich suche alles auf, was Sie verhindert haben könnte. Wie dem sei, so drängt es mich, Ihnen zu sagen, daß ich sehr nach einem Briefe verlange, und die, welche ich habe, oft wieder durchgelesen habe, und immer in dankbarer Erinnerung an Ihre mir so wunderbar erhaltenen Gesinnungen. Man könnte das wohl Eitelkeit nennen, könnte es wohl nur dem Gefühl, sich geschmeichelt und gehuldigt zu sehen, zuschreiben, wenn man sich durch die Bewahrung dieser Empfindungen beglückt fühlt. Allein es wäre das doch ein zu harter Ausspruch, und gegen mich wirklich ein ungerechter, da Eitelkeit mir nie eigen war. Schwerlich hat jemand je sich selbst so unparteiisch beurteilt und so wenig schonend behandelt, schwerlich je einer so kalt und richtig erkannt, was an den Lobsprüchen anderer abzuschneiden und an dem, worüber sie schweigen, zu tadeln war. Und einem gewissen Mißtrauen in meine Kräfte und die mir hier und da beigelegten Vorzüge verdanke ich sogar die vorzüglichsten der Erfolge, die ich in Privat- und öffentlichen Verhältnissen gehabt habe. Allein ich gestehe gern, daß ich immer einen vorzüglichen Wert darauf gelegt habe, die innere Stimmung zu besitzen und zu bewahren, die auf ein weibliches Gemüt Eindruck zu machen fähig ist. Ich würde nicht so töricht sein mir einzubilden, daß sie mir jetzt noch eigen sein könnte. Wenn man nun aber auf eine so wahre, natürliche, so ergreifende Weise, als sich in Ihren Briefen ausspricht, überzeugt wird, daß man jenen Eindruck tief und dauernd erregt hat, so liegt darin ein doppeltes, die Empfindung süß erhebendes Gefühl, das des Selbstbewußtseins, und das des edlen, tiefen Gemüts, welches diese Empfindungen zart zu sondern und fest aufzubewahren verstand. Darum freut mich die Erneuerung unsers Briefwechsels unendlich, und ich schmeichle mir, daß sie auch Ihnen wohltätig sein wird; mir könnte sie nie anders sein. Ihr Bild ist mir ein ganzes Leben hindurch geblieben, in allen, auch den wechselvollsten Verhältnissen, stand es mir freundlich und licht, wie ich Ihnen neulich schrieb, vor. Ich glaubte nie wieder etwas von Ihnen zu erfahren. Die Zeit, wie Sie sich mir wieder nahten, trat gerade in die bewegteste meines Lebens. Diese ist vorüber, und so mahnte es mich schon lange, Ihnen zu schreiben. Da wir uns nach so langer Zeit nur durch einzelne Briefe nahe gewesen sind, so kann es nicht fehlen, daß wir in manchen Ideen abweichend denken müssen, über die wir uns bei ruhigem und stillem Ideen-Umtausch leicht verständigen werden.

Sie erinnern mich daran, liebe Charlotte, welchen Schatz ein weibliches Herz bewahrt, und fordern mich auf, Vertrauen zu Ihnen zuhaben. Glauben Sie gewiß, daß ich ein unbegrenztes Vertrauen in Sie, in Ihre Wahrheit, Ihre Treue und die Zartheit Ihrer Empfindungen setze, wie würde ich Ihnen sonst selbst so offen und wahr schreiben. Vertrauen Sie aber auch mir fest.

Seien Sie sicher, daß das, was Sie mir vertrauensvoll sagen, bei mir wie im Grabe ruht und verschlossen ist. Glauben Sie auch fest, daß ich es herzlich gut mit Ihnen meine, immer meinte und immer meinen werde; vertrauen Sie mir auch dann, wenn Sie mich nicht gleich verstehen. Überlassen Sie mir die Sorgfalt für die Erhaltung unsers gegenseitigen Verhältnisses, für die Entfernung jedes störenden Einflusses. Ich will niemanden, aber am wenigsten Ihnen, auch nur eine meiner Meinungen aufdringen. Ich habe die unzerstörbare Überzeugung, daß Sie nie weder mich noch irgend eine Idee von mir zu verkennen imstande sind, ja, ich weiß, und sie haben es mir recht schmeichelnd wiederholt, daß sie immer gern und mit Freuden sich von mir, wie Sie gütig sich ausdrücken, »berichtigen« lassen.

Es ist mir lieb, daß Sie niemanden sagen, daß Sie Briefe von mir empfangen. Es geht niemanden was an, daß wir einander schreiben; was heilig in sich ist, muß man nicht gemein machen. Leben Sie herzlich wohl und rechnen Sie fest auf die Unwandelbarkeit meiner Gesinnungen. Ihr

H.


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Burgörner, 1822.

Ich will Ihnen, beste Charlotte, heute einen Wunsch, eine Bitte aussprechen, durch deren Erfüllung Sie mir große Freude machen werden, die ich gewiß recht dankbar empfange. Ihre Lebensgeschichte, besonders auch die Entwicklung und seltene Ausbildung Ihres inneren Lebens, möchte ich gern im Zusammenhange übersehen und genau kennen. Dieser Wunsch ist schon durch Ihre früheren Briefe in mir erregt und entstanden und durch die jetzigen vermehrt. Schwer kann es ihnen nicht werden, Sie haben sich eine große Fertigkeit im Schreiben erworben. Sie schreiben leicht, gewandt, geläufig, natürlich und ausgezeichnet gut. Die Sprache steht Ihnen ganz ungewöhnlich zu Gebote. Ich sage Ihnen da keine Schmeichelei, es ist die Wahrheit, die ich mit Überzeugung ausspreche und die sich in jedem Ihrer Briefe darlegt.

Wollen Sie in meine Wünsche eingehen, so tun Sie es auf folgende Weise: Fangen Sie mit Ihrem Geburtstag und Jahr an, in chronologischer Folge und in der größten Ausführlichkeit. Schreiben Sie aus dem Gedächtnis, auf was Sie sich besinnen, nicht aus der Phantasie. Gehen Sie zurück in Ihre Kindheit und Jugend, zurück auf Ihre Eltern und Großeltern, auf Ihre Vorfahren, wenn Sie davon Nachricht haben. Lieb wäre es mir, wenn Sie in dritter Person redeten. Geben Sie den Orten und Menschen, wenn sie dahin kommen, auch mir, andere Namen, nur den Namen Charlotte behalten Sie. Ich habe das mit Goethe gemein, daß ich eine besondere Vorliebe für Ihren Namen habe. Aber reden Sie über sich vor allem wie über eine Dritte, loben und tadeln Sie sich, wo Sie ein anderer loben und tadeln würde.

Was ich besorge, ist, daß Sie von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen werden, da ich ja schon weiß, daß Sie viel gelitten haben. Allein vorerst sind Sie davon noch fern. Kindheit und Jugend sind meist heiter und froh, und waren es gewiß auch bei Ihnen, und die Schilderung beider werde ich von Ihnen mit Freude empfangen. Sie schreiben nur für mich, und kein anderes Auge als das meinige ruht auf dem, was Sie für mich schreiben. Ich sehe Ihrem Entschluß und Ihrer Antwort mit Verlangen entgegen. Leben Sie herzlich wohl!

Ihr

H.

[Fußnote] Ich sehe Ihrem Entschluß und Ihrer Antwort mit Verlangen entgegen: Darauf hat Charlotte in einem Brief geantwortet, der als einer der wenigen von ihr erhaltenen hier Aufnahme finden möge. »Der Wunsch, den Sie, hochverehrtester Freund, mir in Ihrem letzten Brief aussprechen, ist ein neuer Beweis Ihrer höchst gütigen Teilnahme, den ich sehr dankbar empfinde und erkenne, und zugleich tief die Verpflichtung fühle, Ihren Forderungen zu entsprechen. Zugleich aber gestehe ich, daß ich auch erschreckt bin, indem Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten mir entgegentreten. Zuerst erlauben Sie mir die Einwendung: Wo soll ich den Mut finden, Ihnen, der Sie Welt, Leben, Begebenheiten und Menschen in den größten Erscheinungen sahen, mein Leben in seinen Verhängnissen vorzuführen, die, wenn sie gleich für mich von großer Wichtigkeit waren, Ihrem Blick sehr unbedeutend erscheinen müssen. Dann ist auch vieles durch die Zeit verblichen, anderes mehr noch weit in die Vergangenheit zurückgetreten, wodurch ein solches Unternehmen sehr erschwert wird. Die freundlich-schmeichelnden Belobungen meines Schreibens erkenne ich dankbar, sehe aber zugleich, daß sie mich ermutigen sollen. Ich antworte auf der Stelle, wie Sie das wollen, um ganz ehrlich den ersten Eindruck auszusprechen. Gewähren Sie mir, teuerster, gütigster Freund, daß ich die Sache erst von allen Seiten ruhig erwäge. Ob ich die mir angeborene Schüchternheit, die mich beschämt zurückweist, beherrschen werde? Ich wünsche es und will es hoffen, da mein Leben, auch in den verwickeltsten Lagen und Verhältnissen, wie in dem Innern von Ihnen gekannt, erkannt und verstanden sein möchte, und nur so, wie es bisher geschehen, in der einfachsten Wahrheit. ~ Daß ich noch einmal, und nur noch einmal auf Ihre viel zu gütige Belobung meines Schreibens zurückkomme, verzeihen Sie mir gewiß. Es ist große, unendliche Güte, das weiß ich, und kein Spott, ob es vielleicht den Schein des Spottes haben könnte; denn wessen Feder hat einen ähnlichen Zauber wie die Ihrige! Ich habe nie Anspruch an Schönschreiben gemacht; ich habe mich sogar vor dem Bestreben danach gehütet: denn ich meine, es führt dem Charakter manche Gefahren herbei. Früher als die meisten Frauen habe ich viel geschrieben, teils weil es so sein mußte, teils aus Neigung. Zuerst achtete ich streng darauf, daß ich mich schriftlich wie mündlich ausdrückte; dies ist Forderung meines Charakters, der das Unwahre und Falsche wegweist; dann hütete ich mich vor Übertreibungen, die mir immer zuwider waren. So blieb wohl der Ausdruck meiner Empfindungen einfach und natürlich, um so mehr, da mir alles Gesuchte und Schwülstige sehr mißfällt. Da ich zugleich früher, als es meist der Fall ist, Geschäftssachen besorgen mußte, machte dies Klarheit der Darstellung durchaus nötig. Auf diese Art gewann ich vielleicht mehr Übung und Gewandtheit im Schreiben, als ich ohne diese Notwendigkeit erlangt hätte; ich gewann zugleich diese Art der Beschäftigung zu meiner eigenen Ausbildung lieb und schrieb viel für mich selbst. Wie hätte ich ahnen können, daß diese Übung mir einst später den Weg bahnen würde, mich dem teuern Gegenstande vieljähriger liebevoller Verehrung wieder zu nahen! In dem, was ich hier sage, erkennen Sie schon meine Bereitwilligkeit, Ihnen zu gehorchen, und ich darf die Bitte wiederholen: Gewähren Sie mir einige Tage der Überlegung. Nachher will ich Ihnen offen und gerade die Resultate derselben mitteilen.

»Eines aber erlauben Sie mir gleich einzuwenden: in dritter Person zu Ihnen zu reden; was ich allein für Sie schreibe, würde mir einen hindernden Zwang auflegen. Meine Verhängnisse wie meine Bildung, beides ging aus meinem Innern hervor und wirkte dahin zurück. Tausend Frauen würden, hätten sie erlebt, was ich erlebte, ganz andere Schicksale daraus gestaltet haben. Diese über uns gebietende Individualität verschmilzt mit dem ewig waltenden Geschicke, wie es scheint. Wir können nur handeln, wie wir handeln; vieles, was andere tun, auch wenn wir es nicht tadeln, weist, als unvereinbar mit uns selbst, unser Inneres weg. Über solche Begebenheiten läßt sich nur im innigsten Vertrauen und in der einfachsten, ich möchte fast sagen einfältigsten Wahrheit reden. Dem schwergeprüften, gereiften Gemüt ist der Schein ganz gleichgültig; es bewahrt das tränenschwer Erlebte, gleich einem Heiligtum, verschlossen im Busen. Allein dem Allwissenden und der ewigen Liebe schließt es sich gläubig auf. Auch dem so innig und unendlich geliebten Jugendfreund kann und Will es eben so offen daliegen, und nur ihm allein! Wozu dann eine fremde, eine gesuchte, einengende Form? Ich darf dies einwenden, weil es natürlich ist, und ich nur für Sie schreibe. Ich bin oft aufgefordert, meine Lebensbegebenheiten selbst zu schreiben, oder jemand zu autorisieren und dazu das Material zu geben, aber ich habe es immer verschmäht. Man gelangt nach ungewöhnlichen Schicksalen dahin, sie nur in ihren heilbringenden Folgen zu betrachten, sie mit Ehrfurcht als höhere Fügungen anzusehen, ja selbst dankbar darauf hinzublicken. Wie wenig ist am Ende der Bahn daran gelegen, was wir erlebten, wie wichtig, wie unendlich viel, was daraus hervorging! Sollte ich Ihrer Teilnahme gewürdigt, Ihres segenreichen Einflusses teilhaftig werden, so durfte auch nichts anders sein, als es war. Demohngeachtet ist es natürlich, daß mich das Zurückrufen einer leidenvollen Vergangenheit sehr ergreift, und deshalb kann ich nicht gleich eine bestimmte Antwort geben. Sie wissen schon aus meinen früheren Briefen, daß ich ungewöhnlich und ungemein viel erlebte. Manche Bilder erbleichen und schwanken; ich möchte sie nicht wieder heraufholen, ja, ich darf das nicht; es würde mich zerstören, wollte ich zu lange verweilen in düstern, grauenvollen Gegenden. Sie scheinen sich selbst diese Einwendungen gemacht zu haben und wissen besser, als ich es sagen kann, daß, wer viel erlebt hat und großen Schmerz kennt, ihn schweigend ehrt, nicht davon redet noch reden kann, indes der, der den Schmerz weder kennt noch versteht, unendlich davon erzählt. Ich erwarte mit Zuversicht die Antwort und darf sie erwarten, denn Sie zürnen gewiß nicht über meine zaghaften Einwendungen und haben Nachsicht mit meiner Schwäche, indem Sie zugleich erkennen, daß es mein Wunsch und Wille ist, Ihnen zu gehorchen. Vielleicht übersende ich Ihnen schon früher, als Sie es erwarten, einige Bogen als Probe.« [Ende Fußnote]



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