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Berlin, den 16. November 1828.
Sie klagen auch darüber, liebe Charlotte, daß es oft ist, als könne man im Schreiben garnicht fort; Augen, Hand und Feder sind wie im Bündnis gegen alles Gelingen der Handschrift. Man gibt sich Mühe, nimmt sich vor, recht langsam zu schreiben, damit es nur deutlich werde, aber alle Vorsätze scheitern, und es ist närrisch, daß man dann immer kleiner und kleiner schreibt. Mir geht es oft so, als ob ich gar keine großen Buchstaben machen könnte, und ich denke dann, wieviel Nachsicht Sie und alle haben müssen, die mich lesen wollen. Wirklich war Ihr letzter Brief auch weniger hübsch und gut, als Sie sonst tun, geschrieben. Die Handschrift war nicht undeutlich, aber man sah ihr die Beschwerde an.
Aber mit mehr Bedauern habe ich gesehen, daß Sie sehr bekümmert und sorgenvoll waren. In solchen Gemütszuständen, liebe Freundin, muß man immer die äußeren Veranlassungen scheiden von der inneren Anlage des Gemüts zu Heiterkeit und Ruhe, oder zu Besorgnis und Schmerz. Das Innere ist immer das Mächtigste. Auch wahres, selbst erschütterndes Unglück wird leichter und schwerer aufgenommen, je nachdem die Seele schon von lichteren und düsteren Ideen erfüllt ist. Bei Ihnen scheint mir das gerade jetzt noch mehr der Fall, und da bitte ich Sie inständig, dem entgegen zu arbeiten. Ich rechne es schon zu diesen dunklen Stimmungen, daß Sie, ohne doch krank zu sein, bald zu sterben glauben. Sie sagen zwar, und gewiß mit voller Wahrheit, daß Ihnen gerade die Todesgedanken freudige und Ihrer Neigung zusagende sind, und niemand kann dies besser begreifen als ich. Ich habe nie die mindeste Furcht vor dem Tode gehabt, er wäre mir in jedem Augenblick willkommen. Ich sehe ihn als das an, was er ist, die natürliche Entwickelung des Lebens, einen der Punkte, wo das unter gewissen endlichen Bedingungen geläuterte und schon gehobene menschliche Dasein in andere, befriedigendere und erhellendere gelangen soll. Was menschlich ist, in dem Ausbildungsgange des Lebens liegt, was alle Menschen miteinander teilen, das kann der irgend Weise nicht fürchten, er muß es vielmehr begünstigen und lieben, gleichsam mit Wißbegierde, so lange die Besinnung ihm beiwohnt, auf den Übergang achten, versuchen, wie lange er das fliehende Hier noch zu halten vermag. Ich hörte bisweilen sagen, der Tod müsse gewiß von einem wohltätigen und angenehmen Gefühl begleitet sein, und das ist mir selbst, wenn auch manchmal das Gegenteil stattzufinden scheint, glaublich. Die Schmerzen pflegen zu weichen, alle Unruhe sich zu legen, und fast immer haben Tote, ehe die Züge entstellt und verzogen werden, etwas Ruhiges, Friedliches, selbst oft etwas Erhebendes und Verklärtes. Bei alledem muß man es doch eine düstere Gemütsstimmung nennen, wenn man sich dem Tode nahe glaubt. Der Tod ist immer ein Ausscheiden aus aller bekannten Heimat, ein Gehen ins Neue und Fremde. So trafen äußere unerwünschte Umstände schon bei Ihnen auf ein wenigstens sehr ernst bewegtes Gemüt. Suchen Sie, teure Charlotte, denn auch hier da die Heilmittel, wo Sie sie schon oft fanden, in Ihrem Innern, in Ihrem Gottvertrauen, was Sie nie im Stich ließ. Es wird Sie aufs neue retten, und Trost und Hilfe erscheinen, wenn Sie sie auch noch nicht sehen. Immer schütten Sie Ihr beklommenes Herz mir aus, immer werden Sie dieselbe Teilnahme in mir finden, die keiner Veränderung fähig ist. Ganz der Ihrige.
H.
Den 16. Dezember 1828.
Es Wird mich sehr freuen, eine Fortsetzung Ihrer Lebenserzählung zu bekommen. Sie wissen, daß ich auch an Ihrem vergangenen Leben einen warmen und innigen Anteil nehme, und daß außerdem schon jede recht individuelle Schilderung für mich einen hohen Reiz hat, der mich anzieht und verweilen läßt. Ich fühle aber sehr gut, daß eine solche Schilderung aufzusetzen und aus den Händen zu geben, eine große und schwer zu überwindende Schwierigkeit hat. Es kommen doch im Leben der Menschen immer Dinge vor, die gerade in den besten und feingesinntesten Gemütern eine gewisse Scheu, sie auszusprechen, hervorbringen. Ich meine damit garnicht solche, die man sich gleichsam zu gestehen scheute, weil man fürchtet, deshalb ungünstig beurteilt zu werden. O nein, es gibt Dinge, die garnicht dieser, sondern ganz entgegengesetzter Natur sind, und deren man sich eher rühmen könnte, die aber doch ein gewisses Zartgefühl über die Lippen gehen zu lassen und gar durch die Feder dem Papier anzuvertrauen verbietet oder schwer macht. Es kommen auch Dinge vor, die andere in ein nachteiliges Licht stellen, und die man also, wie sehr es auch ihre Urheber verdient haben möchten, ungern ans Licht bringt. So wie man aber von dem Grundsatz abgeht, bei einer Lebenserzählung nur bloß und einfach die Erinnerungen seines Gedächtnisses abzuschreiben und gänzlich darauf Verzicht zu leisten, zu beurteilen, was wohl gesagt werden kann, und was verschwiegen oder verhüllt werden muß, so ist der Reiz einer wahren Naturschilderung dahin. Es ist nicht die einfache, nicht die vollständige, und mithin nicht die wahre Geschichte. Es ist keine Erzählung der Vergangenheit, sondern eine aus dem Standpunkt des späteren Lebens gemachte Beschreibung derselben. Man glaubt wohl, die moralische und geistige Wahrheit, um die es eigentlich zu tun sei, verliere nichts, wenn man zwar hier und da eine Tatsache nur halb oder allgemein erzählt, allein ganz treu und wahr die Wirkung schildert, die diese Tatsache aus die Empfindung und das Gemüt hervorgebracht habe. Wenn z. B. jemanden ein verletzendes Wort gesagt worden sei, so komme es nicht darauf an, dies selbst zu wiederholen. Man könne es vielmehr ganz füglich verschweigen, wenn man nur den Eindruck des Wortes auf den, der es hören mußte, beschreibt. Dies ist aber durchaus falsch. Denn es hört nun aller Maßstab der ganzen Szene auf, den der Art und dem Grade nach bloß das Wort selbst, einfach ausgesprochen, geben kann. Ich sage Ihnen das so ausführlich, weil ich mit Ihnen recht offenherzig und nicht bloß obenhin über die Fortsetzung Ihrer Lebenserzählung sprechen möchte. Ich kann Ihnen nicht raten, dieselbe weiter als zu dem Punkte fortzusetzen, wo Sie sicher sind, alles und jedes, wie es Ihnen Ihr Gedächtnis gibt, ohne die mindeste und leiseste Retizenz niederzuschreiben. Dies war in dem Teile, den Sie mir bis jetzt schickten, nicht nur möglich, sondern Ihnen nach Ihrem Charakter selbst leicht, und ich bin sicher, daß Sie in diesem so gehandelt haben. Sie konnten es, ohne irgendein eigenes oder fremdes Gefühl zu verletzen. Es ist möglich, daß dies auch ferner der Fall sei, allein ich kann mir auch sehr gut das Gegenteil denken. Dann würde ich es ganz natürlich finden, daß Sie den Schmerz der Erinnerung scheuen und vernarbte Wunden nicht aufreißen wollen; mir aber würde durch den Gedanken eines solchen mir gebrachten Opfers alle Freude genommen, die mir bisher durch den Empfang jedes Ihrer Hefte geworden. Wenn von Biographie die Rede ist, habe ich nun einmal den Begriff nur von historischer Wahrheit, von dem ich, bei dem großen und innigen Anteil, den ich an Ihnen nehme, auch mit dem besten Willen nicht abgehen könnte. An sich aber halte ich es für gut und heilsam, sein eigenes Leben so buchstäblich durchzugehen, und das Zartgefühl, das Retizenzen hervorbringt, für ein falsches, obgleich unendlich natürliches und daher verzeihliches. Indes mißtraue ich hier meinem eigenen Gefühle, da ich bei weitem mehr ein glückliches Leben, in einer ganz genügenden Lage, geführt habe; man könnte dann leicht dahin kommen, den unrichtigen Maßstab an andere zu legen, wovor ich mich immer gehütet habe. Noch einmal also, liebe Charlotte, wiederhole ich das schon oft Gesagte, folgen Sie Ihrem Gefühl; leidet dies nicht bei der Arbeit, so rechnen Sie immer mit Gewißheit darauf, daß Sie mir eine große Freude dadurch machen, aber nur auch unter der Bedingung, daß Sie ganz und ohne alle Retizenz wahr schreiben können. Sie können zu mir auch, wie man im Sprichwort sagt, wie in ein Grab sprechen. Ihre Hefte liegen wohlverwahrt in meinem Pult und können nach meinem Tode nur ins Feuer, ungelesen, gehen. In meiner Lage habe ich Gelegenheiten, dies zu veranstalten, die durch keinen Zufall irgendeiner Art vereitelt oder umgangen werden können. Ich halte es für Pflicht, Sie über diesen Punkt auch fest zu beruhigen, es ist schon Pflicht der Dankbarkeit für die vertrauensvolle, innige, rücksichtslose Hingabe, die Sie mir seit einer langen Reihe von Jahren bewiesen und offen gezeigt haben.
Das Jahr ist am Abscheiden, und wie ich gern verweile bei so viel schönen Genüssen, die es gewährte, worunter ich auch Ihr Wiedersehen rechne, so scheide ich nicht ohne sehr trübe Ahnung dessen, was das kommende bringen kann – und ich erkenne mit wehem Gefühl, daß es ähnlich in Ihrem Gemüte ist. Möge die Vorsehung von Ihnen, gute Charlotte, neue Prüfung abwenden! Das ist mein herzlicher Wunsch. Seit unserer Rückkunft ist meine Frau bedeutend an mehreren zusammenkommenden Übeln krank; es ist wenigstens kein Zeitpunkt der Besserung mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen. Dies stört meine innere Lage in diesem Winter sehr.
Ich bitte Sie, mir den 30. d. M zu schreiben. Leben Sie recht wohl und rechnen Sie immer auf meine Ihnen bekannten Gesinnungen der Zuneigung und lebhaften Teilnahme. Ganz der Ihrige.
H.
Berlin, März 1829.
Ihr Brief hat mich in einer Zeit gefunden, die ich zu den traurigsten meines Lebens rechnen kann. Mit meiner Frau geht es zwar etwas leidlicher, allein der Zustand ist von einem Tage zum andern immer mehr von der Art, daß er über den endlichen Ausgang keinen Zweifel übrig läßt.
In solchen Momenten, die zu den ernstesten des Lebens gehören, bedarf man es, sich in sich zurückzuziehen und die Fassung da zu suchen, wo die Quelle aller Stärke und aller inneren Ausgleichung mit dem Schicksal ist.
Berlin, den 31. März 1829.
Ich kann Ihnen, liebe Charlotte, heute nur wenige Zeilen schreiben. Ich habe den tiefen Schmerz erfahren, dem ich, wie Ihnen mein letzter Brief sagte, entgegensah. Meine Frau ist am 26. d. M. früh gestorben und gestern in Tegel beerdigt worden. Sie hatte ein viermonatiges Krankenlager erduldet und viel gelitten, wenn sie auch von heftigen Schmerzen ziemlich befreit blieb. Ihr klarer, heiterer, dem Tode und dem Leben eigentlich gleich zugekehrter Sinn war ihr unverrückt geblieben. Ihre letzten Stunden waren ruhig, sanft und durchaus schmerzlos. Sie behielt bis zum letzten Atemzug ihre volle Besinnung und sprach noch wenige Augenblicke vor ihrem Verscheiden mit fester, unbewegter Stimme mit uns, ihren beiden älteren Töchtern und mir. Ihre Worte waren eben so einfach, als der Ton ruhig, in dem sie sie sprach. Je näher der Augenblick des Todes kam, je ruhiger und friedlicher wurden ihre Züge. Auch nicht das leiseste Zucken der Lippen entstellte sie. Ihr Tod war ein allmähliches Übergehen in einen tiefen Schlaf.
Später. Ich habe einen ganz unerwarteten, neuen und sehr bitteren Verlust erlitten. Ein sehr genauer Freund von uns, der alle Abende seit Jahren, wenn wir in der Stadt waren, bei uns zubrachte und auf dem Lande oft bei uns war, ist nach einer sehr kurzen Krankheit gestorben. Er hatte noch mit mir am Grabe meiner Frau gestanden, und gestern war ich bei seinem Leichenbegängnisse. Sein Verlust betrübt mich sehr und ich werde ihn schmerzlich vermissen.
Berlin, den 18. Mai 1829.
Unsere Briefe, liebe Charlotte, haben sich gekreuzt. Mein Brief wird Ihnen gezeigt haben, daß ich Ihrem Wunsch, Nachricht von mir zu erhalten, zuvorgekommen bin. Und weil Sie es gern sehen, sage ich Ihnen zuerst, daß meine Gesundheit ganz gut ist. Im höheren Alter, wie ich mich darin befinde, hat man immer hie und da eine kleine Unbequemlichkeit und nach langen Wintern leicht Rheumatismen. An solchen Kleinigkeiten leide ich natürlich auch bisweilen, allein das geht vorüber. Wenn meine Briefe nichts von Krankheit sagen, können Sie mit Sicherheit annehmen, daß ich gesund bin. Von meinem Befinden und überhaupt von mir zu reden, ist mir im hohen Grade zuwider. Mich freut eine liebevolle, Teilnahme, wenn ich, wie bei Ihnen, liebe Charlotte, überzeugt bin, daß sie aus aufrichtiger und wahrhaft teilnehmender Brust, aus innig teilnehmendem Herzen entspringt. Aber sie würde mir peinlich werden, wenn ich sie gewissermaßen in Anspruch nehmen, sie an einzelnen Beispielen wahrnehmen müßte. Sie ist mir ein schöner Genuß, wenn ich sie mir überhaupt als in den Gesinnungen liegend denke, die Sie mir seit so langer Zeit mit so großer Treue schenken, und auf deren Beständigkeit ich immer mit Sicherheit rechnen kann.
Ich schrieb Ihnen neulich von dem Tode eines vertrauten Freundes, in dem ich sehr viel verloren habe. Jetzt blühen nun schon Frühlingsblumen auf seinem Grabe, wie auf dem meiner Frau. So geht die Natur ihren ewigen Gang fort und kümmert sich nicht um den in ihrer Mitte vergänglichen Menschen. Mag auch das Schmerzhafteste und Zerreißendste begegnen, mag es sogar eine unmittelbare Folge ihrer eigenen, gewöhnlichen Umwandlungen oder ihrer außerordentlichen Revolutionen sein, sie verfolgt ihre Bahn mit eiserner Gleichgültigkeit, mit scheinbarer Gefühllosigkeit.
Diese Erscheinung hat, wenn man eben vom Schmerz über ein schon geschehenes Unglück oder von Furcht vor einem drohenden ergriffen ist, etwas wieder schmerzlich Ergreifendes, die innere Trauer Vermehrendes, etwas, das schaudern und starren macht. Aber so wie der Blick sich weiter wendet, so wie die Seele sich zu allgemeinen Betrachtungen sammelt, so wie also der Mensch zu der Besonnenheit und Ergebung zurückkehrt, die seiner wahrhaft würdig sind, dann ist gerade dieser ewige, wie an ihr Gesetz gefesselte Gang der Natur etwas unendlich Tröstendes und Beruhigendes. Es gibt dann doch auch hier schon etwas Festes, »einen ruhenden Pol in der Flucht der Erscheinungen«, wie es einmal in einem Schillerschen Gedichte sehr schön heißt. Der Mensch gehört zu einer großen, nie durch einzelnes gestörten noch störbaren Ordnung der Dinge, und da diese gewiß zu etwas Höherem und endlich zu einem Endpunkte führt, in dem alle Zweifel sich lösen, alle Schwierigkeiten sich ausgleichen, alle früher oft verwirrt und im Widerspruch klingenden Töne sich in einen mächtigen Einklang vereinigen, so muß auch er mit eben dieser Ordnung zu dem gleichen Punkte gelangen. Der Charakter, den die Natur an sich trägt, ist auch immer ein so zarter, kein auch die feinste Empfindung verletzender. Die Heiterkeit, die Freude, der Glanz, den sie über sich verbreitet, die Pracht und Herrlichkeit, in die sie sich kleidet, haben nie etwas Anmaßendes oder Zurückstoßendes. Wer auch noch so tief in Kummer oder Gram versenkt ist, überläßt sich doch gern den Gefühlen, welche die tausendfältigen Blüten des sich verjüngenden Jahres, das fröhliche Zwitschern der Vögel, das prachtvolle Glänzen aller Gegenstände in vollen Strahlen der immer mehr Stärke gewinnenden Sonne erwecken. Der Schmerz nimmt die Farbe der Wehmut an, in welcher eine gewisse Süßigkeit und Heiterkeit selbst ihm garnicht fremd sind. Sieht man endlich die Natur nicht wirklich als das All, als das die Geister- und Körperwelt vereinigende Ganze an, nimmt man sie nur als den Inbegriff der dem Schöpfer dienenden Materie und ihrer Kräfte, so gehört nicht der Mensch, sondern nur der Staub seiner irdischen Hülle ihr an. Er selbst, sein höheres und eigentümliches Wesen, tritt aus ihren Schranken heraus und gesellt sich einer höheren Ordnung der Dinge bei. Sie sehen hieraus ungefähr, wie mich der zwar langsam erscheinende, aber schöne Frühling ergreift, wie ich ihn genieße, wie er sich mit meinen innersten Empfindungen mischt. Es gibt Ihnen zugleich ein Bild meines Innern selbst. Mein Leben kann keine wahrhaft freudigen Eindrücke, nur wehmütige und traurige in diesem Augenblick erfahren, und wenn ich in diesem Augenblick sage, so tue ich das nur, weil ich nie gern etwas von der Zukunft sage, weil ich von aller Affektation immer frei gewesen bin, und, wenn eine wahrhaft fröhliche Stimmung in mich zurückkehrte, ich gar kein Hehl haben würde, es zu sagen, und kein Bedenken, mich ihr zu überlassen. Eigentlich glaube ich aber allerdings, daß meine jetzige Stimmung auch meine künftige sein wird. Ich habe nie begriffen, wie die Zeit einen Schmerz um einen Verlust soll verringern können. Das Entbehren dauert durch alle Zeit fort, und die Linderung könnte nur darin liegen, daß sich die Erinnerung an den Verlust schwächte, oder man sich gar im Gefühl des Alleinstehens enge an ein anderes Wesen anschlösse, was, hoffe ich, mir ewig fern bleiben wird, wie es jeder edeln Seele fern bleibt. Es ist mir aber auch sehr recht, daß es in mir bleibe so wie es ist. Ich habe für mich nie das Glück in freudigen, das Unglück nie in schmerzhaften Empfindungen gesucht, das, was die Menschen gewöhnlich Glück oder Unglück nennen, nie so angesehen, als hätte ich ein Recht zu klagen, wenn statt des Genusses des ersteren das letztere mich beträfe. Ich bin eine lange Reihe von Jahren an der Seite meiner Frau unendlich glücklich gewesen, größtenteils allein und ganz durch sie, und wenigstens so, daß sie und der Gedanke an sie sich in alles das mischte, was mich wahrhaft beglückte. Dies ganze Glück hat der Gang der Natur, die Fügung des Himmels mir entzogen, und auf immer und ohne Möglichkeit der Rückkehr entzogen. Aber die Erinnerung an die Verstorbene, das, was sie und das Leben mit ihr in mir gereift hat, kann mir kein Schicksal, ohne mich selbst zu zerstören, entreißen. Es gibt glücklicherweise etwas, das der Mensch festhalten kann, wenn er will, und über das kein Schicksal eine Macht hat. Kann ich mit dieser Erinnerung ungestört in Abgeschiedenheit und Einsamkeit fortleben, so klage ich nicht und bin nicht unglücklich. Denn man kann großen und tiefen Schmerz haben und sich doch darum nicht unglücklich fühlen, da man diesen Schmerz so mit dem eigensten Wesen verbunden empfindet, daß man ihn nicht trennen möchte von sich, sondern gerade, indem man ihn innerlich nährt und hegt, seine wahre Bestimmung erfüllt. Die Vergangenheit und die Erinnerung haben eine unendliche Kraft, und wenn auch schmerzliche Sehnsucht daraus quillt, sich ihnen hinzugeben, so liegt darin doch ein unaussprechlich süßer Genuß. Man schließt sich in Gedanken mit dem Gegenstande ab, den man geliebt hat und der nicht mehr ist, man kann sich in Freiheit und Ruhe überall nach außen hinwenden, hilfreich und tätig sein, aber für sich fordert man nichts, da man alles hat, alles in sich schließt, was die Brust noch zu fühlen vermag. Wenn man das verliert, was einem eigentlich das Prinzip des gedankenreichsten und schönsten Teils seiner selbst gewesen ist, so geht immer für einen eine neue Epoche des Lebens an. Das bis dahin Gelebte ist geschlossen, man kann es als ein Ganzes überschauen, in seinem Gemüt durch Erinnerung festhalten und mit ihm fortleben; Wünsche aber für die Zukunft hat man nicht mehr, und da man durch diese Erinnerung eine beständige geistige Nähe gewissermaßen genießt, in allen seinen Kräften sich gehoben empfindet, behält auch das Leben, das ja die Bedingung aller dieser Empfindungen ist, noch seinen Reiz. Ich empfinde keine Freude der Natur schwächer als sonst, nur die Menschen meide ich, weil die Einsamkeit mir inneres Bedürfnis ist.