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Wie ich mich abermalen dem Apollon und seinen neun Musen geweiht habe, nicht minder den Werken der Nächstenliebe. Vom Undank der Welt
Zwei Stunden Weges war ein Dorf, noch reicher als Kattenhausen. Da war ein Gastwirt, ein wohlhabender Mann, der war mein Jugendfreund von der Schule her. Seine Eltern hatten ihn auf das Gymnasium geschickt, bis Obertertia. Was sie sich dabei gedacht haben, weiß der liebe Himmel, und der allein weiß auch, wie es zugegangen ist, daß ihm das weiter nicht geschadet hat; er ist Zeit seines Lebens ein verständiger Mann geblieben.
Zu dem ging ich, und wie wir erst Gu'n Dag, Christel und Gu'n Dag, Wilhelm zu einander gesagt hatten, wußt ich schon, daß ich mich auf ihn verlassen konnte.
Setzte ihm denn in aller Ruhe auseinander, daß es mir nicht gut gegangen wär im Leben, und daß mir nun noch so ein gieriger Hund von Gerichtsvollzieher meinen letzten Taler aus der Tasche geluxt hätte. Er soll mich ein paar Tage behalten, damit wir in Ruhe überlegen können, 322 was ich nun mit mir anfinge. Ich macht es später mal wieder gut.
Er sagt: Ist recht, Wilhelm. Wir haben auch ganz gemütlich zusammen zu Abend gegessen, aber daß er seine Meinung geäußert hätte, dazu ist er nicht gekommen. Er war nämlich ein starker Esser, dermaßen, daß man es eigentlich nur aus Höflichkeit als ein Essen bezeichnen konnte. Ich gedenke mit tiefer Wehmut, wie ich ihm habe gegenüber gesessen und entweder geredet oder geschwiegen, je nachdem ich etwas zu sagen hatte oder nicht, er aber hat geschwiegen und Schweinebraten gegessen. So was bekommt man heute nicht mehr in Deutschland zu sehen. Das alte kraftvolle Sachsentum stirbt eben aus.
Als ich mich am andern Morgen vor dem Spiegel rasierte und übrigens ebenso klug war wie am Abend zuvor, fand ich, daß ich mir vor allen Dingen mußte lassen die Haare schneiden.
Ging also zum Bader.
Da war Holland in Not. Der Bader war ein altes Männlein. Er hielt eine Zange in der Hand. Auf einem Stuhle saß ein Bauer, ein ganz schwerer, und eine dicke Backe hatte er auch. Der nun wollte sich einen Zahn ausziehen lassen, und sie waren beide in großer Angst, Arzt und Patient.
Von Mitgefühl beseelt, erklärte ich, wenn mir der Bader den Handgriff zeigen wollte, so sei ich in Gottes Namen bereit, die Operation vorzunehmen. Da nun beide Teile voll Eifers 323 zustimmten, zog ich meinen Rock aus und nahm die Sache in Angriff.
Der Patient brüllte wie ein verwundeter Löwe und wehrte sich auf das mannhafteste. Der Stuhl kippte um und wir wälzten uns am Boden. Ich ließ aber nicht locker und hatte endlich die Genugtuung, daß ich den Zahn nebst einigem Zahnfleische heraus hatte.
Der Bader, der sich in eine Ecke verzogen hatte, kam hervor und war des Lobes voll. Der Bauer gurgelte und konnte kein Wort hervorbringen. Nachdem er sich aber einigermaßen ausgeblutet hatte, bekundete auch er seine Zufriedenheit. Er meinte, ich solle mich doch als Zahnkünstler niederlassen, da es in der Gegend an einem solchen fehlte. Ich hatte auch wohl Neigung dazu, da er aber nur fünf Silbergroschen zahlte und der Bader das für ganz angemessen erklärte, schien mir die Sache doch nicht rentabel.
Der Bader nahm die fünf Groschen für sich in Anspruch. Wir einigten uns dahin, daß er mir umsonst die Haare schnitt, was mich freilich nicht sonderlich verschönte.
Dafür kam mir ein Gedanke. Als ich nun den in die Tat umsetzen wollte und mir das mit meinem Schulfreunde besprach, meinte die treue Seele, so was dürft ich hier nicht machen, wo der Name Brinkmeyer bekannt und in Ehren sei. Das leuchtete mir ein und ich setzte am nächsten Morgen meinen Wanderstab weiter, oder vielmehr ich fuhr diesmal behäbig im 324 Schlitten. Denn das ließ sich mein wackerer Freund nicht nehmen, und ebensowenig entließ er mich ohne ein angemessenes Darlehn.
Ist mir lieb, daß ich hier Gelegenheit habe, seiner zu gedenken. Er war einer von der alten Schule, schweigsam und zuverlässig. Wir haben gute Freundschaft gehalten, bis er sich denn allerdings doch in der Blüte der Jahre zu Tode gefressen hat.
Ich fuhr nun also viele Stunden weit, dahin, wo niemand den Namen Brinkmeyer kannte. Als ich gegen Mittag in ein großes und augenscheinlich reiches Dorf kam, ließ ich vor dem Wirtshause halten.
Der Wirt, der geglaubt hatte, wunder was für einen vornehmen Herrn er da geschnappt hätte, wollte erst nicht recht an die Sache heran, die ich ihm vorschlug. Da es ihm aber dämmerte, daß er gut dabei verdienen würde, ging er schließlich darauf ein. Wir ließen im Dorfe ausklingeln, daß sich den Abend im Wirtshause der weltberühmte Mister William Brinks produzieren würde, und zwar würde er zunächst jedem, der an Zahnweh litte, die nötige Anzahl Zähne ausziehen, das Stück zu zwei Gutegroschen, hiernach sich auf der Flöte hören lassen und zum Beschlusse mit jedem, der sich meldete, nach Wunsch ein Ringen oder ein Boxen veranstalten, zum Einsatze von fünf Silbergroschen. Der Eintritt kostete ebenfalls nur zwei Gütegroschen.
Der Andrang war groß, der Saal vermochte 325 die Zuschauer kaum zu fassen. Der Abend verlief denn auch auf das genußreicheste. Zu der ersten Nummer hatten sich drei Dienstknechte gemeldet, die ein jeder einen Backenzahn gezogen haben wollten. Nachdem ich zwei von ihnen gebändigt hatte, erklärte der Dritte, daß er keine Lust mehr zu der Sache hätte, und wollte sogar auf seine schon gezahlten zwei Gutegroschen verzichten. Das Publikum wurde jedoch ungehalten, trampelte und schrie, ließ auch nicht zu, daß der Patient sich aus dem Saale entfernte. Der junge Mensch gebärdete sich wie ein Rasender und schlug blindlings mit den Fäusten um sich. Dies Verhalten erklärte ich mir daraus, daß die Zange, die ich dem alten Bader für ein billiges abgekauft hatte, auch für damalige Zeiten wohl nicht ganz auf der Höhe der Zahnkunst möchte gestanden haben. Nach meinem Erinnern hat sie sich nicht grade merklich von andern Kneifzangen unterschieden.
Nun hätt ich ja können auch dieses Patienten alleine Herr werden. Ich fürchtete aber, die Leute könnten abgeschreckt werden, mich am Schlusse zum Kampfe herauszufordern. Nahm demnach die beiden andern Dienstknechte zu Hülfe, denn die bezeigten sich am eifrigsten. Als ich auch diesen Zahn triumphierend in die Höhe hielt, brach das Publikum in ein gewaltiges Beifallsgetöse aus, sodaß man nicht verstehen konnte, wie sich der Patient selber zu der Sache äußerte.
Die Gemüter waren demnach aufs beste für 326 den nun folgenden Ohrenschmaus vorbereitet, und ich erntete mit meinem Flötenspiel fast ebensoviel Beifall wie mit dem Zahnausziehen.
Von der Schlußnummer soll hier nichts weiter berichtet sein, als daß auch sie in der vollkommensten Harmonie verlief, an der es auch nichts ändern konnte, daß einer der Beteiligten einen doppelten Armbruch davontrug; denn der hatte das seiner eigenen Tölpelhaftigkeit zuzuschreiben.
Nur das sei erwähnt, daß mich der nicht endenwollende Beifall zu einer Zugabe veranlaßte, Ich forderte nämlich, ohne Einsatz, meine drei Patienten der Reihe nach zum Kampfe mit Boxen, Ringen und allen andern Mitteln heraus. Da die nun, der eine nach dem andern, mit ihren geschwollenen Backen wie die Kannibalen auf mich einsprangen, ergaben sich die heitersten Wirkungen.
In der angeregtesten Stimmung blieb man noch lange beisammen. Zu welcher Nacht- oder vielmehr Morgenstunde sich die letzten Festgenossen als mehr oder minder schwankende Gestalten zu ihren heimischen Penaten begaben, darüber sei der Schleier der Verschwiegenheit gebreitet.
Der Wirt hatte eine glänzende Zeche gemacht und überließ mir das Eintrittsgeld ganz, sodaß auch von dieser Seite kein Mißklang die Harmonie meiner Erinnerung stört.
Mit wohlgefülltem Beutel zog ich meine Straße weiter. Wohin ich auch kam, überall erntete 327 ich reichen Beifall und des klingenden Segens die Fülle.
Ich traf bald die Aenderung, daß ich den Einsatz für jeden Kampf auf einen Taler erhöhte. Die Folge war, daß ich weniger zahlreiche, aber dafür um so achtungswertere Gegner zu bestehen hatte, was nicht nur mir mehr zusagte, sondern auch dem ernsthafteren und zuletzt doch allein maßgebenden Teile meines Publikums.
Im übrigen änderte ich wohlweislich nichts an dem bewährten Programm. Das Zahnausziehen brachte zwar an sich selbst wenig ein, war aber ein nie versagendes Mittel, das Publikum in Stimmung zu bringen.
Bald hatte ich das Darlehn zurückerstattet, dem Bruder Georg hundert Taler gesandt und noch ein ganz hübsches Sümmchen in der Tasche.
Nun traf ich einmal in einem Wirtshaus eine Musikantentruppe, die war tief betrübt. Es hatte sich nämlich die Klarinette von ihr fortbegeben, sodaß sie nicht mehr einen volltönenden Akkord bildete. Die Leute hatten unter sich die Einrichtung getroffen, daß die gemeinsame Kasse jeden Tag von einem andern aufbewahrt wurde. Nun war die Reihe grade an der Klarinette gewesen, und somit fehlte es ihnen auch an Geld. Der Wirt, bei dem sie seit einigen Tagen wohnten, wollte ihre Instrumente inne behalten.
Von Mitleid gerührt, erlöste ich die armen Menschen aus ihrer Bedrängnis, indem ich den hartherzigen Wirt bei Heller und Pfennig bezahlte.
328 Die Musikanten fielen mir zu Füßen und flehten unter Tränen, ich möchte ihr Kapellmeister sein. Das war denn doch ein bißchen viel verlangt, daß ich sie auch noch aus ihrer geistigen Bedrängnis erlösen sollte, und ich lehnte rundweg ab. Da sie aber garnicht aufstehn wollten und immer lauter jammerten, wurde ich des Gewinsels endlich satt und erklärte mich verdrießlich bereit. Die Musikanten sprangen wie die Pfeile in die Höhe, umarmten einander, jauchzten und tanzten auf einem Bein. Nachdem sich ihr Freudentaumel einigermaßen beruhigt hatte, steckten sie die Köpfe zusammen, tuschelten und kamen endlich mit einer letzten Bitte heraus: ich möchte die Kasse führen, alle Eingänge an mich nehmen und den Gewinn nach meinem Ermessen verteilen. Ich wurde sehr ärgerlich und wollte nun von der ganzen Sache nichts mehr wissen. Als sie sich solchergestalt von dem Gipfel der Freude in den Abgrund der Verzweiflung geschleudert sahen, legten sie die Instrumente auf dem Hofe zusammen, trugen Holz herbei und errichteten einen Scheiterhaufen. Denn sie waren entschlossen, der Kunst Valet zu sagen und ihr Leben als Tagelöhner zu fristen. Da hatten mich die Schelme denn freilich bei meiner schwachen Seite gefaßt, will sagen bei der Kunstbegeisterung. Ich gewährte alles und verbat mir jede weitere Ovation.
Wenn ich mir das heute überlege, so finde ich, daß ich viele Jahre hindurch Unrecht getan habe, indem ich meinen Edelmut aufs tiefste 329 bereut habe. Denn obwohl gewiß neunhundertneunundneunzig unter tausend Lesern, wenn sie erst eine Spalte weiter sind, mit Ueberzeugung bekennen werden, diese Reue würde wohl jede fühlende Seele mit mir tragen, wird doch jener eine, in dem ich einen Mit-Platoniker begrüße, noch überzeugungsvoller ausrufen: Nicht also! Vielmehr geziemt es sich, dem Schicksal auch für diese Gabe Dank zu wissen, für die Bereicherung, nämlich an Erkenntnis der Beschaffenheit der menschlichen Natur. Welche Erkenntnis in ihrem Ergebnisse zwar hier wie oftmals höchst unerfreulich wirken muß, als solche aber, obwohl mit heftigen Schmerzen verbunden, von uns Weisen unter den Menschen doch in alle Wege freudig willkommen geheißen wird.
Nun war das so weit ganz wohlgediehen. Da kommt eines Tages ein halberwachsener Bursche, den ich für so was wie einen Dienstenken taxierte, und bestellt, ich sollte mich den Abend mit meiner Truppe in das und das Dorf in den und den Hof begeben und zur Hochzeit aufspielen. Ich lasse mir das nicht zweimal sagen und stelle mich mit meinem Ensemble ein.
Die Hochzeit war auch wirklich im vollen Gange. Ich wunderte mich, daß kein Platz für uns eingerichtet war, und es wollte mir scheinen, als ob sich der andere Teil auch verwunderte. Indessen wurde der Platz eingerichtet, die Hochzeitsgesellschaft fing an zu tanzen und wir gaben dem Feste die künstlerische Weihe.
Als es nun ein Uhr geworden war, wollt ich 330 mit dem Brautvater verhandeln, ob wir noch länger Musik machen sollten. Das kostete nämlich ein besonderes Honorar. Der nun erklärte, er habe nichts mit der Sache zu tun, verwies uns vielmehr an seinen Eidam.
Dieser hoffnungsvolle Schwiegersohn, der tanzte und zechte wie einer, verwies uns hinwiederum an den Brautvater.
Was ist da weiter zu berichten. Keiner von beiden hatte uns bestellt. Irgend jemand hatte sich eines Spaßes mit mir erdreistet. Hätte nicht mögen in seiner Haut stecken, wenn ich diesen angenehmen Spaßvogel ermittelt hätte. Aber da lag eben der Hase im Pfeffer.
Versuchte den Alten, der ein ganz schwerer war, bei dem Anstandsgefühl zu packen, hatte aber selbst wenig Hoffnung, daß ich da seine schwache Seite getroffen hätte. Ich kannte doch meine Bauern!
So packten wir unsre Instrumente ein und begaben uns ohne Abschied nach Hause; denn wir fühlten uns tief in unsrer Künstlerehre beleidigt.
Die Sache traf mich besonders hart, da mir als der bedeutendsten, genau genommen wohl einzigen künstlerischen Kraft des Ensembles von allen Einnahmen selbstverständlich der Löwenanteil gebührte.
Sollte aber noch übler kommen. Des andern Morgens tritt die zweite Flöte, die mir von jeher aus Virtuosenrivalität aufsässig war, in wenig angemessener Haltung vor mich hin und 331 verlangt kaltblütig einen Taler. Denn, so behauptet dieser sogenannte Musikant, ich hätte unser Kunstinstitut auf meine eigene Rechnung übernommen, dergestalt, daß ich die Künstler für jede einzelne Leistung zu bezahlen hätte, im übrigen aber Gewinn und Verlust allein mich angingen.
Nachdem ich ihn in sachgemäßer Form darüber belehrt hatte, welche Haltung mir gegenüber angemessen sei, fühlte er sich veranlaßt, sich mit lautem Geschrei zu entfernen.
Am Nachmittage erhielt ich eine schleunige Vorladung für den andern Morgen vor das Gericht, das natürlich in der Stadt lag. Die zweite Flöte hatte mich auf Zahlung des Talers verklagt, und die Bratsche, die drei Trompeten, die beiden Violinen und die Baßtuba als Zeugen benannt.
Um es kurz abzumachen: dieser ganz und gar verknöcherte Jurist, dieser blind zur Welt gekommene Aktenmensch vernahm das vagabondiere Gelichter als Zeugen, statt sich an meine schlichte Darstellung der Sache zu halten, worauf es denn nicht ausbleiben konnte, daß er mich kostenpflichtig verurteilte. Da ich mich keineswegs bei dem Urteil beruhigen zu wollen erklärte, hatte ich den Besuch des Exekutors zu gewärtigen.
Richtig ist dieser übereifrige Staatsdiener in der Frühe schon im Gastzimmer, wo ich eben meinen Kaffee trinke. Ich sage, ich habe kein Geld bei mir, wie ich mit Fug und Recht sagen konnte, denn ich hatte es aus Furcht vor Diebstahl dem Wirte in Verwahrung gegeben. Meine 332 Flöte könne er, so belehrte ich den Beamten, als unentbehrlich nicht pfänden, und im übrigen sei ich bereit, mich einer Leibesvisitation zu unterwerfen.
Er bemerkte wenig befriedigt, das würde sich alles finden, wenn ich den Offenbarungseid leisten müßte. Einstweilen habe er mir zwei Urkunden zu insinuieren.
Hatte mich denn wirklich und wahrhaftig die Baßtuba auf Zahlung eines Talers verklagt, und die Bratsche, die drei Trompeten, die beiden Violinen und die zweite Flöte als Zeugen benannt.
Die andre Urkunde war ein Strafbefehl, weil ich ohne ortspolizeiliche Genehmigung über die Polizeistunde hinaus Musik veranstaltet hätte.
Die beiden Rechtsfälle hätten mich wohl reizen können, meine Rednerkünste forensisch zu verwerten. Leider hatte ich aber alles Vertrauen zu dieser Husarenjustiz verloren, rechnete den Abend mit dem Wirt ab, wartete, bis alles in den Federn lag, sprang aus dem Fenster und begab mich wieder auf die Wanderschaft.
Ich kehrte zu meinem alten Programm zurück und das hatt ich nicht zu bereuen. Nicht nur, daß es seine Anziehungskraft, wohin ich kam, durchaus bewährte, auch ich selbst fühlte mich innerlich befriedigter als durch das bloße Flötenspiel; denn mein Bestreben ist immer dahingegangen, nicht eine einzelne Anlage in mir zur Virtuosität zu entwickeln, sondern mich zu 333 einer universalen Persönlichkeit im Sinne Platons heranzubilden.
Nicht etwa eine Unbeständigkeit in der Neigung des Publikums, völlig zu schweigen von einem Nachlassen meiner künstlerischen Kraft, sondern der gemeine Neid bereitete meiner Künstlerlaufbahn ein Ende. Als ich mich nämlich in einer reichen Gegend, wo eine eben infolge des Reichtumes für Kunstgenüsse höchst empfängliche Bevölkerung hauste, auf einige Zeit in einem Wirtshause festgelegt hatte, erstattete ein andrer Wirt, unfähig, seinen ordinären Vorteil einem höheren Kulturgedanken unterzuordnen, Anzeige bei der Landespolizeibehörde.
Damals waren die Zustände nun freilich noch nicht so ins ganz und gar sinnlose ausgeartet wie heute, wo die Polizei gleich einem seelenlosen Mechanismus nach dem Buchstaben des Strafgesetzes handeln muß und sich jeder grüner Junge im Namen der öffentlichen Meinung in Dinge mischen darf, von denen er nichts versteht.
Wie segensvoll eine diskretionäre Ausübung der Polizeigewalt wirken konnte, das hatt ich ja eben erst am eigenen Leibe erfahren, bei der Affäre mit dem Major. Der lange Schlingel war mir ja freilich mit dem offenen Messer zu Leibe gegangen. Aber ich wiederum hatte ihn doch zuerst der Freiheit beraubt, und das in einem nicht grade ritterlich zu nennenden Haftlokal, und ihn schließlich dermaßen zugedeckt, daß ich 334 mich wohl nicht ganz innerhalb der Notwehr möchte gehalten haben. Auch unter seinen Kumpanen hatte ich wie ein Unwetter gehaust. Wenn mich die Polizei nun der Staatsanwaltschaft überliefert hätte, was war damit gewonnen? Der Major und sein Anhang, die der allerersten Gesellschaft angehörten, wären aufs fürchterlichste kompromittiert gewesen, es ist garnicht abzusehen, ob sich nicht der eine oder andere das Leben genommen hätte. Und wenn man mich ein oder zwei Jahre festgesetzt hätte, das wäre weder mir noch irgendwem sonst zum Segen gediehen. Da mich aber diese weise Behörde statt aller Weitläufigkeiten ein Protokoll unterschreiben ließ, daß ich die Stadt nicht wieder betreten wolle, und mich dann in aller Höflichkeit zum Tore hinausgeleitete, war allen geholfen.
Immerhin konnte man den Beginn jener rückläufigen Entwickelung damals doch schon hier und da wahrnehmen, wie sich ja der ganze unheilvolle Zustand dem geschärften Blicke des Historikers als letzte Folge der mit Barbarossa einsetzenden Modernisierung enthüllt.
Jene Landespolizeibehörde zum Beispiel zeigte sich so weit entfernt von der selbständigen Weisheit jener städtischen, daß sie nicht nur mein ferneres Auftreten in dem einen Wirtshause untersagte, sondern mir auch für die Zukunft Schwierigkeiten bereitete, indem sie andere Behörden gegen mich aufwiegelte. Denn sie war zu der irrigen Ansicht gelangt, meine Vorstellungen wären nur Maske, und ich wäre ein von seiner 335 Regierung auf Kundschaft entsandter Großbritannischer Geheimer Legationsrat.
Durch diesen Irrtum, der ja allerdings an sich begreiflich war, aber einer Polizeibehörde doch bei sorgfältigem Nachforschen als solcher hätte müssen offenbar werden, bin ich der Kunst auf immer verloren gegangen.
So viel hatt ich nun freilich erreicht, daß Bruder Georg unsern Hof bis auf weiteres halten konnte und wollte. Danach war ich aber wieder bis auf ein paar Taler blank, und schon trat eine neue Anforderung an mich heran. Der edle Sennor Esperanto schrieb nämlich, der edle Sennor Mercado habe, von der ersten Instanz endgültig verurteilt, an den Corte suprema appelliert. Nach diesem glänzenden Erfolge erschiene es mir, schrieb der edle Sennor Esperanto weiter, wohl nicht zu viel, wenn er mich um einen abermaligen Vorschuß von hundert Dollars ersuchte.
Ich denke mir, für diese hundert Dollars ist der edle Sennor Esperanto seine hundert Kilometer tiefer in den Höllenschlund gesenkt worden, und so trage ich ihm nichts mehr nach. –
Was ich nun die nächsten zwei Jahre gewesen bin, das ist meine Sache und geht niemand was an. Ehrliche Handarbeit hab ich verrichtet. Wer mich darum gering schätzen will, dem sei die Ueberzeugung von seinem höheren Werte herzlichst gegönnt. Könnt ich es nur ungeschehen machen, daß ich an Abdeckers Tische gesessen habe! Diese zwei Jahre sollten mich nicht 336 beschweren. Ist etwa das Maurerhandwerk unehrlich?
Nun es mal dasteht, mag es auch bleiben. Ein gewöhnlicher Maurer bin ich also gewesen. Wenn ich aber versichere, daß ich von meinem Arbeitlohn nicht nur den Gelddurst des Sennor Esperanto befriedigt, sondern auch den Bruder Georg so ausgiebig unterstützt habe, daß er sich endlich eine Aktie von der Zuckerfabrik genommen und Rüben gebaut hat, so wird wohl mancher sagen: Freundchen, das mußt du mir erst des näheren vorrechnen, wie du das angefangen hast, ehe daß ich es dir glauben soll!
Dem hab ich zu antworten: Freundchen, wenn es dir ungelegen ist, dich in so ein Hundeleben hineinzudenken, so laß es ja bleiben!
Für die wenigen echten Altsachsen aber, die noch in der Welt herumlaufen, und die noch viel wenigeren darunter, die dies lesen werden, auf die allein es mir aber trotzalledem ankommt, genügt es, wenn ich erkläre: so wollt ich es und so geschah es!
Diese wissen ja, daß unsereiner sich niemals ziert, wenn es zum Essen und Trinken geht, daß er aber auch ohne viel Worte den Riemen eng zieht, wo es die Umstände oder seine Ziele so haben wollen.
Wenn es nun aber in so mancher frommen Kindergeschichte heißt, daß der und der in ähnlicher Lage durch das Bewußtsein gottwohlgefälligen Bestrebens sei gestärkt und getröstet worden, so kann ich für mein Teil mit einer so 337 erbaulichen Erzählung nicht aufwarten. Mich hat vielmehr einzig und allein der Zorn gestärkt. Wenn es mich anlockte, das trostlose Leben mit einem behaglichen zu vertauschen, so gab es zwei Bilder, die diesen Versucher siegreich in die Flucht jagten: Don Luis Mercado, der es sich auf dem Gute des Onkels Pedro wohl sein ließ, und die beiden Haberkornweiber, die unser Haus samt Scheune und Stallung auf Abbruch verkauften.
Allein ich sehe, daß ich mich um ein Haar einer schnöden Undankbarkeit schuldig gemacht hätte.
Mein Frühstück und mein Mittagessen bestanden meist aus eitel Brot. Ich pflegte während dieser Pausen eine Baubude oder sonst einen Winkel aufzusuchen, wo mich niemand beachtete. Die andern Arbeiter wunderten sich, daß ich trotz meiner schwachen Beköstigung stets mit hellen Augen und heiter geröteten Wangen wieder zum Vorschein kam. Sie zerbrachen sich vielfach die Köpfe, mit welcher Panazee ich mich auf diese unglaubliche Weise ständig verjüngte. Dem Leser bereite ich dagegen keine Ueberraschung, wenn ich ihm sechs Buchstaben ins Ohr flüstere: Platon. 338